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Kampf gegen Lebensmittelbetrug
Wenn nicht drin ist, was draufsteht

Mit Lebensmitteln lässt sich viel Geld verdienen – vor allem dann, wenn nicht drin ist, was auf der Verpackung steht. Wenn keine Gesundheitsgefahr besteht, kommen die Lebensmittelbetrüger bisher fast immer ungeschoren davon – doch das soll sich ändern.

Von Peggy Fiebig | 14.11.2018
    Auf der Grünen Woche werden unterschiedliche Speiseöle am 20.01.2017 in Berlin abgefüllt. Zwei der Becher enthalten Olivenöl, einer enthält Rapsöl.
    Bei Speiseölen konnten schon viele Betrüge nachgewiesen werden. (Jörg Carstensen/dpa)
    "Wegen des Pferdefleischskandals stoppen immer mehr Supermärkte den Verkauf bestimmter Tiefkühlkost. Bisher wurden in Deutschland zwei Produkte entdeckt, die Pferdefleisch enthielten, ohne das dies deklariert war. Es handelt sich um Lasagne."
    Mitte Februar 2013. Der so genannte Pferdefleischskandal ist in Deutschland angekommen. Vorher waren bereits schon in Großbritannien, Schweden und Frankreich in den Supermarktregalen Produkte entdeckt worden, in denen teureres Rindfleisch durch deutlich günstigeres Pferdefleisch ersetzt wurde. In Bolognesesoße, in Fertiggulasch, in Tiefkühlprodukten wie beispielsweise Lasagne oder in Hamburgern. Woher das Pferdefleisch kam, entdeckten die Behörden relativ schnell: Eine französische Firma hatte mehrere hundert Tonnen rumänisches Pferdefleisch umetikettiert, weiterverarbeitet und in fast ganz Europa verkauft.
    Für die Europäische Kommission in Brüssel war der Pferdefleischskandal ein Weckruf. Zwar gab es auch früher schon Fälle, in denen Lebensmittel verfälscht oder gestreckt wurden. Man erinnere sich nur an Glykol im Wein, das 1985 entdeckt wurde oder auch an die verschiedenen Gammelfleischskandale. Allerdings: In diesen Fällen wurde nicht nur der Konsument betrogen, sondern es bestanden auch erhebliche gesundheitliche Gefahren.
    Anders war das beim Pferdefleischskandal. Die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde konnte bereits im Frühjahr 2013 Entwarnung geben. Nur in ganz wenigen Fällen – konkret in 0,4 Prozent der Produkte – waren Rückstände von gesundheitsgefährdenden Stoffen enthalten.
    Auch ohne Gesundheitsgefahr ein Betrug
    Doch auch ohne Gesundheitsgefahr bleibt der Lebensmittelbetrug ein Betrug – also eine Straftat. Weil aber bisher die Kontrollmechanismen auf EU-Ebene und auch in den Mitgliedstaaten in erster Linie auf die Aufdeckung von Risiken gerichtet sind, bleibt die rein wirtschaftliche Lebensmittelkriminalität meist unentdeckt und das Dunkelfeld ist entsprechend groß.
    Eine Probe aus einem Fertiggericht wird im Labor des Landesamtes für Lebensmittelsicherheit in Rostock (Mecklenburg-Vorpommern) auf Pferdefleisch untersucht. 
    Eine Probe aus einem Fertiggericht wird auf Pferdefleisch untersucht (picture alliance / dpa / Jens Büttner)
    Großer Gewinn bei kleinem Risiko: Das ist Anreiz genug, sagt Jutta Jaschke Referentin beim Verbraucherzentrale Bundesverband: "Diejenigen, die einen solchen Betrug vornehmen, verdienen viel Geld. Und in diesen globalisierten Warenströmen ist es für immer mehr Produzenten interessant, weil sie, selbst wenn sie kleine Betrügereien machen, das in der Summe sehr attraktiv ist."
    Experten schätzen sogar, dass mit Lebensmittelbetrug ähnlich hohe Gewinne erzielt werden können wie beim Drogen- oder Menschenhandel. Die Methoden sind dabei vielfältig.
    Beim Olivenöl wird mit Abstand am häufigsten betrogen – sei es, dass bei der Herkunft getäuscht wird, es mit günstigeren Ölen verlängert oder billigeres Salatöl mit Farbstoffen grün eingefärbt wird. Ein solcher Betrug wurde im vergangenen Jahr beispielsweise in Griechenland aufgedeckt. Tonnenweise gefärbtes Sonnenblumenöl war als Olivenöl deklariert und in den Handel gebracht worden.
    Weitere Tricks der Betrüger: Hochwertiger Fisch wird durch günstigere Sorten ersetzt, Honig mit Zucker angereichert, Bio-Lebensmittel sind nicht bio, Kräuter werden mit Blättern gestreckt. Auch bei der Weiterverarbeitung der Produkte geht nicht immer alles mit rechten Dingen zu:
    "Es gibt Verfahren, die auch in der Lebensmittelüberwachung ganz schwer nachzuvollziehen sind. Zum Beispiel Schinken, dass der sehr viel Wasser enthalten kann und das macht das Gewicht des Produktes eben schwerer. Und da ist die Gewinnabsicht dahinter und da kann man eben schon bestimmte Prozente einstreichen."
    Indiziensuche mit der Isotopenanalyse
    Beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) arbeitet Carsten Fauhl-Hassek. Hier werden Methoden entwickelt, um bei Wein festzustellen, ob er beispielsweise mit Wasser verdünnt oder mit Farbstoffen versetzt wurde. Ob wirklich die angegebenen Traubensorten enthalten sind. Und ob der teure Bordeaux-Wein tatsächlich aus Südwestfrankreich kommt. Mit einer so genannten Isotopenanalyse werden die Atome untersucht, die sich im Wein befinden, erklärt Lebensmittelchemiker Fauhl-Hassek in seinem Labor. Genauer gesagt: im Wasseranteil des Weines.
    "Da hat man also festgestellt, dass das Weinwasser immer schwerer ist als Leitungswasser. Und wenn man da Leitungswasser hinzugibt, ist das leichter in der atomaren Zusammensetzung. Und deshalb kann man per Dreisatz dann ausrechnen, wie viel Wasser dort zugesetzt wird."
    Auf der Grünen Woche stecken Spritzen in drei Plastik-Garnelen, aufgenommen am 20.01.2017 in Berlin. Der Besucher soll dafür sensibilisiert werden, dass teilweise Garnelen mit Gel aufgespritzt werden, um ein höheres Gewicht vorzutäuschen.
    Spritzen in Garnelen: Sie werden teilweise mit Gel aufgespritzt, um ein höheres Gewicht vorzutäuschen. (Jörg Carstensen/dpa)
    Mit dieser Methode kann auch die geografische Herkunft eines Weines analysiert werden.

    "Das ist die Königsklasse in der Analytik. Wir wissen, wie bestimmte Herkünfte atomar zusammengesetzt sind. Das Weinwasser in australischen Weinen sieht anders aus als das Weinwasser in deutschen Weinen. Und so können wir dann überprüfen, ob der Wein aus Südafrika oder Südamerika kommt, im Gegensatz zu europäischen Weinen."
    Wein steht auf der Liste der am häufigsten gefälschten oder gepanschten Lebensmittel auf Platz neun. Der Katalog wurde vom European Food Fraud Network der Europäischen Kommission erstellt. Das Netzwerk wurde 2013 in Reaktion auf den Pferdefleischskandal eingerichtet und soll den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten in Sachen Lebensmittelbetrug erleichtern. Dahinter stand der Gedanke, dass bei internationalen Handelsströmen auch der Lebensmittelbetrug nicht an nationalen Grenzen halt macht.
    Die deutsche Kontaktstelle für das European Food Fraud Network ist das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Hier arbeitet Andreas Kliemant. Fragt man ihn, was in Europa eigentlich unter Lebensmittelbetrug verstanden wird, muss er ausholen:
    "Das ist gar nicht so einfach, denn es gibt weder in Deutschland noch in Europa, noch weltweit eine einheitliche Definition von Lebensmittelbetrug. Es gibt, das macht das alles noch schwieriger, ganz viele Definitionen und Darstellungen, was Lebensmittelbetrug alles sein kann. Deshalb haben wir uns in Europa im Food Fraud Network auf Kriterien geeinigt, die Lebensmittelbetrug kennzeichnen. Das sind vier Kriterien: Das ist zum einen die Absicht, das zweite ist die Erwirtschaftung eines finanziellen Gewinns, eines wirtschaftlichen Vorteils. Das dritte ist, weil es ja um Lebensmittel geht, die Verletzung von EU-Lebensmittelrecht. Und der vierte Punkt, das ist dann eigentlich der Betrugspunkt, das ist die Täuschung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Und nur, wenn diese vier Punkte erfüllt sind, dann kann man von Lebensmittelbetrug sprechen."
    Betrüger sind clever
    Und erst dann kommen die Strafverfolgungsbehörden – Polizei und Staatsanwaltschaft – ins Spiel. Die müssen aber einen Lebensmittelbetrug im Einzelfall dann auch erst einmal nachweisen. Denn die Betrüger sind clever.
    "Jeder Betrüger ist de facto Lebensmittelunternehmer. Und wenn er sein gefaketes Produkt geschickt herstellt, fliegt er damit eigentlich auch unter dem Radar, weil er nämlich weiß, bis zu welchem Grad er manipulieren kann, um meinetwegen im Hinblick auf die Erkennung durch Laborparameter oder durch entsprechende Dokumentenkontrolle auch unauffällig zu bleiben."
    Um den Betrügern zuvorzukommen, soll zukünftig ein so genanntes Frühwarnsystem eingesetzt werden, das derzeit vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit getestet wird. Isar heißt das Verfahren – das steht für Import Screening for the Anticipation of Food Risks. Es soll vorhersagen, wann in welchem Bereich sich die Bedingungen so entwickeln, dass sie interessant für Betrüger werden könnten.
    Olivenöle und verschiedene Konserven in einem italienischem Supermarkt.
    Beim Olivenöl wird mit Abstand am häufigsten betrogen (picture alliance / dpa/ Lars Halbauer)
    Wenn beispielsweise die Olivenernte im Land XY ausgefallen ist, weil das Wetter besonders schlecht war, könnte durch die Verknappung der Preis für Olivenöl steigen und das wiederum die Fälscher anlocken. Das ist aber nur grob vereinfacht gesagt, tatsächlich wertet Isar umfangreiches Zahlenmaterial zu Warenströmen, Preisentwicklungen und vielen weiteren Faktoren aus.
    "Das sind Unmengen von Zahlen, die da beobachtet werden, ich glaube, monatlich über 130.000 Zahlenreihen, die diese Software analysiert und dann auch eine Priorisierung von entsprechenden Auffälligkeiten vornimmt. Und dann kommt eben der Mensch wieder ins Spiel, dass man dann eben besondere Auffälligkeiten eben nachverfolgt. Diese Früherkennung mit mathematischer Hilfe ist eigentlich nichts anderes, als das, was man im Bereich der Finanzen an Börsen seit Jahren auch schon macht. Also die Algorithmen, die man da nutzt, kommen tatsächlich zum Teil auch aus dem Bereich."
    Opson-Operationen gegen den Lebensmittelbetrug
    Das Frühwarnsystem Isar wurde vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in Zusammenarbeit mit Statistikern der Ludwigs-Maximilians-Universität München entwickelt und soll Hinweise geben, wann und wo es sinnvoll sein könnte, zusätzliche Lebensmittelkontrollen durchzuführen. Die Software wird beispielsweise auch angewandt im Rahmen der so genannten Opson-Operationen. Benannt nach dem griechischen Wort Opson, das in etwa Esskultur bedeutet. Seit einigen Jahren werden unter diesem Namen weltweit Operationen zur Bekämpfung von irreführenden und betrügerischen Praktiken durchgeführt.
    Andreas Kliemant ist im Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit auch für die Koordination von Opson zuständig: "Ja, die Opson-Operationen sind etwas ganz spezielles, die kommen interessanterweise gar nicht aus dem Bereich der amtlichen Lebensmittelüberwachung, sondern von der Strafverfolgungsseite. Die Operation Opson ist quasi ein Kind von Europol und Interpol und wurde im Jahr 2011 eingeführt als eine Spezialoperation, die in einem kurzen Zeitraum ein bestimmtes Lebensmittel zum Ziel hat, um da zu prüfen, ob Manipulationen stattfinden."
    Bei der letzten Opson-Aktion, die von Dezember 2017 bis März 2018 lief, wurde unter anderem Thunfisch untersucht. Der Verdacht hier: Thunfisch sollte durch entsprechende Einfärbungen frischer wirken als er tatsächlich war. Denn während frischer Thunfisch eher rot ist, wird er mit der Zeit immer dunkler. Und tatsächlich: In 15 Fällen konnten Manipulationen nachgewiesen werden. Von illegaler Behandlung mit Kohlenmonoxid und Nitrat beziehungsweise Nitrit über massiv erhöhte Konzentrationen an Ascorbinsäure bis hin zu undeklarierten Inhaltsstoffen. Insgesamt sollen nach Angaben der Europäischen Kommission allein jährlich 25.000 Tonnen Thunfisch behandelt worden sein, mit einem geschätzten Gewinn von 200 Millionen Euro.
    Unterschiedliche Sorten Sushi liegen auf einem weißen Teller.
    Frischer Fisch ist teuer. Mit illegalen Behandlungsmethoden kann alter Fisch manipuliert werden - um ihm eine "frische" Farbe zu geben. (Deutschlandradio / Ellen Wilke)
    Anfänglich waren bei den Operationen lediglich zehn Länder dabei, mittlerweile beteiligen sich über 60 Staaten an den Operationen. Und zwar nicht nur die staatlichen Behörden, sagt Andreas Kliemant vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit.
    "Interessant ist bei Opson auch, dass nämlich der Aspekt dass Lebensmittelbetrug nicht nur den Verbraucher betreffen kann, sondern auch die seriös agierende Wirtschaft, dass auch namhafte Wirtschaftsunternehmen mit weltweitem Absatzgeschäft auch bei Opson mitorganisiert sind und sich dort entsprechend einbringen. Das heißt, eigentlich vereinigt Opson sowohl auf Behördenseite wie auch im Bereich der Hersteller, teilweise auch der Verbände, klassischerweise der NGOs, alle die Personen und Institutionen, welche sich die Bekämpfung der Lebensmittelbetrug auf die Fahnen geschrieben haben."
    Opson ist also das Idealmodell einer Zusammenarbeit der zuständigen Behörden auf allen Ebenen – von der lokalen Lebensmittelüberwachung über die Verbraucherschutzbehörden bis hin zu Europol. Aber Opson ist eben die Ausnahme, nicht die Regel. Die Operationen sind punktuell. In einem ganz bestimmten Zeitraum konzentriert man sich auf ganz bestimmte Lebensmittel und bündelt dafür dann auch die entsprechenden Kräfte.
    Zusammenarbeit funktioniert bisher in Deutschland schlecht
    Der Alltag sieht derzeit noch anders aus: Die Kooperation der unterschiedlichen Akteure ist derzeit die Achillesferse bei der Bekämpfung des Lebensmittelbetruges. In Deutschland sind für die Lebensmittelüberwachung die Länder zuständig. Und die sind in diesem Bereich sehr unterschiedlich aufgestellt und wollen von ihren Kompetenzen auch nichts abgeben. Hier zeigt sich, dass Föderalismus auch negative Seiten haben kann, beklagt Jutta Jaksche vom Verbraucherzentrale Bundesverband:
    "Wenn 16 Bundesländer alle ihr eigenes Süppchen kochen, dann haben wir eine Vielfalt von Strukturen in Deutschland. Und das hat dann nichts mehr mit gleichwertigen Lebensverhältnissen zu tun. Wir wünschen uns, dass der Bund hier mehr Führung, mehr Kompetenz, mehr Koordination übernimmt, damit wir in allen Bundesländern eben gleiche Verhältnisse haben."
    Der Wissenschaftler Andreas Kliemant sitzt an einem Tropftrichter auf der Grünen Woche am 20.01.2017 in Berlin und beobachtet wie ein Extrakt aus geriebenem Spinat, Wasabi und Pfeffer in ein Glas mit Rapsöl tropft und dieses dann die Farbe von Olivenöl annimmt.
    Der Wissenschaftler Andreas Kliemant bei einem Versuch, bei dem Rapsöl die Farbe von Olivenöl annimmt. (Jörg Carstensen/dpa)
    Außerdem sind neben den Lebensmittelüberwachungsbehörden auch der Zoll, die Polizei und die Staatsanwaltschaften beteiligt, um Lebensmittelbetrug strafrechtlich zu verfolgen. Nicht selten treffen hier Welten aufeinander, sagt Andreas Kliemant vom BVL: Die Lebensmittelkontrolle auf der einen Seite, die im Wesentlichen die Gesundheit der Verbraucher im Fokus hat und auf der anderen Seite Juristen, die von der Zusammensetzung von Lebensmitteln – zumindest bisher – nur wenig bis gar keine Ahnung haben.
    Um die Zusammenarbeit zwischen den Behörden deutlich zu verbessern, wurde 2016 eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt. Ihr Ziel: Vorschläge zu erarbeiten, wie dem Lebensmittelbetrug künftig effektiv begegnet werden kann. Geleitet wird diese Arbeitsgruppe von Claudia Schmid aus der Berliner Justizverwaltung. Für sie hat der Föderalismus Vor- und Nachteile, wenn es um die Bekämpfung der Lebensmittelkriminalität geht:
    "Es ist einmal erstmal ein Vorteil, den wir als föderaler Staat haben, dass wir sozusagen bis in die letzte Verästelung, bis in die letzte Gemeinde mit Polizei und Lebensmittelüberwachung vor Ort sind. Das ist gut, wir haben da gute Strukturen."
    An ihre Grenzen stoßen die föderalen Strukturen aber, wenn es um überregionale oder sogar grenzüberschreitende Betrügereien geht. Und das ist beim Lebensmittelbetrug eher die Regel als die Ausnahme. Eine effektive Kooperation ist dann dringend erforderlich, sagt Claudia Schmid. Dem Netzwerk der Betrüger muss ein Kontroll- und Strafverfolgungsnetzwerk gegenübergestellt werden, das nicht an der Grenze des jeweiligen Bundeslandes endet.
    "Man kann nicht wissen, wenn wir in Hamburg etwas finden oder in Baden-Württemberg, ob das möglicherweise ein Hinweis auf überregionale oder internationale Strukturen ist. Das muss zusammengeführt und analysiert werden. Und wenn man dann sieht, das kommt aus drei, vier Bundesländern, aus fünf sechs anderen Quellen, und das vielleicht auch noch aus anderen europäischen Ländern, dann weiß man, man hat möglicherweise eine Spur, der man nachgehen kann – wir haben internationale Kriminalität."
    Interdisziplinäre Schulungen sind wichtig
    Schmid will, dass es künftig in allen beteiligten Behörden Ansprechpartner gibt, die Ahnung von der Materie haben.
    "Es ist ein sehr spezielles Feld, wo man sich einarbeiten muss – rechtlich kompliziert, fachlich kompliziert. Und außerdem gehört zu einem funktionierenden Netzwerk dazu, dass man sich kennt, und dass es auch einen niedrigschwellige Zugangsmöglichkeit gibt und einen Austausch zwischen der Lebensmittelüberwachung vor Ort und den Strafverfolgern und der Polizei."
    Voraussetzung dafür sind auch regelmäßige intensive interdisziplinäre Schulungen. Lebensmittelkontrolleure sollen sich in den rechtlichen Grundlagen und die Strafverfolger in der Lebensmittelsicherheit fortbilden. Bisher gibt es da nicht viel, erklärt Staatsanwältin Ina Kinder, die in Berlin ein Dezernat führt, das unter anderem auch für Lebensmittelkriminalität zuständig ist.
    Ein Lebensmittelkontrolleur testet im Labor Fleischproben auf ihre DNA, sodass er weiss, von welchen Tieren das Fleisch stammt, aufgenommen am 22. März 2013 in der Stadt Bern.
    Ein Lebensmittelkontrolleur testet im Labor Fleischproben auf ihre DNA (dpa / KEYSTONE / GAETAN BALLY)
    "Wir wissen zu wenig. Zum einen sind wir ja auch in dem Bereich nicht so geschult. Man muss sich vieles dann auch selber beibringen, es gibt auch wenig Fortbildung in dem Bereich. Also ich hab das im letzten Jahr auch mal mitgemacht, dass ich mir das angehört habe, wie denn verfälscht wird, damit man überhaupt mal ein Gespür dafür kriegt, wo denn überhaupt die Fälle liegen könnten, wenn denn mal sowas kommt."
    Einen belastbaren Überblick über das Ausmaß des Lebensmittelbetrugs gibt es bisher weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene. Auch das soll sich in Zukunft ändern – als erstes müsse es einen validen Lagebericht geben, fordert die Leiterin der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Claudia Schmid. Unter Zusammenarbeit aller beteiligter Behörden: Bund und Länder, sowie Lebensmittelkontrollbehörden, Polizei, Zoll und Staatsanwaltschaften. Erst dann können effektive Maßnahmen entwickelt werden.
    "Wenn ich nicht regelmäßig ein Lagebild habe aufgrund von Erkenntnissen, dann ist es ganz schwer, erstens das Phänomen zu beurteilen und zweitens ist es dann auch schwierig, darauf gerichtet Maßnahmen zu ergreifen. Und deswegen ist es einfach wichtig, dass man weiß, womit habe ich es zu tun, welchen Umfang hat das Ganze, wie viel Schaden wird angerichtet, wie viele Personen sind involviert, wie gehen die vor, welche Länder sind betroffen, welche Lebensmittel interessieren die. Und dann können wir uns gemeinsam hinsetzen und sagen, Lebensmittelüberwachung macht das, Zoll macht jenes, Polizei schalten wir dann und dann ein. Und können dann zielgerichtet vorgehen."
    Die Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe wurden im Frühjahr bereits von den Verbraucherschutzministern gebilligt, als nächstes beraten in dieser Woche die Justizminister über die Vorschläge. Auf jeden Fall aber muss sich etwas bewegen – eine neue EU-Verordnung verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, effektive Maßnahmen zur Bekämpfung der Lebensmittelkriminalität zu ergreifen. Die Kontrollen beschränken sich dann nicht mehr auf mögliche Gesundheitsgefahren und die Lebensmittelsicherheit, sondern müssen auch den Lebensmittelbetrug im Blick haben. Außerdem soll es Schutzregelungen für Whistleblower geben, die solche Betrügereien aufdecken. Viel Zeit zur Umsetzung bleibt nicht: Die Verordnung tritt im Dezember 2019 in Kraft.