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Kampf gegen SARS-CoV-2
Virenfalle aus dem Labor

Mikrobiologen in den USA erforschen eine vielversprechende Methode, die Viruslast etwa bei COVID-19-Patienten zu senken: Nanopartikel imitieren die Oberfläche der Zellen, an die SARS-CoV-2 andockt, und binden die Viren, sodass sie keinen weiteren Schaden anrichten.

Von Lucian Haas | 03.07.2020
Coronaviren an der Zellmembran unter dem Mikroskop
SARS-CoV-2 passiert die Zellmembran durch Andocken an ACE2-Rezeptoren. Seine Affinität zu ACE2 wenden Mikrobiologen nun gegen das Virus. (imago / ZUMA / NIAID-RML)
Ein Schwamm – der wischt und bindet Wasser sowie Schmutz in seinen Poren. Nach einem ähnlichen Prinzip wollen Forschende aus den USA Coronaviren einfangen – direkt im Körper eines Menschen. Sie entwickelten auf Basis eines biologisch abbaubaren und für den medizinischen Einsatz bereits zugelassenen Polymers speziell beschichtete Nanopartikel, die Viren wie ein Schwamm an sich binden können. Anna Honko, Mikrobiologin an der Boston University: "Wir beschichten die Nanopartikel mit Zellmembran-Stückchen, so dass sie Zellen des Lungenepithels oder Immunzellen nachahmen. Auf diese Weise hindern sie die Viren daran, echte Zellen in unserem Körper zu infizieren, weil sie selbst wie ein Köder wirken."
Virenfalle, um die Körperzellen zu schützen
Die verwendeten Membranen für die Beschichtung stammen aus Zellkulturen. In den Membranen sitzen jene Rezeptorproteine, welche die Viren normalerweise nutzen, um sich an Zellen gleichen Typs zu heften, damit sie in sie eindringen können. Nur sind die Nanopartikel letztendlich eine Falle. Wenn die Viren daran binden, sind sie jeder weiteren Vermehrungsmöglichkeit beraubt. Das Immunsystem hat dann die Chance, sie leichter zu bekämpfen.
"Fresszellen des Immunsystems wandern ständig durch unseren Körper. Sie töten und entsorgen jene Zellen, die von Viren befallen sind. Unsere Nanopartikel saugen die Viren gewissermaßen auf, damit der Körper sie dann auf natürliche Weise entsorgt."
Das Foto zeigt eine Wohnungstür, an der ein Schild "Vorsicht. Häusliche Quarantäne" hängt.
Verlauf von COVID-19 - Warum erkranken manche heftiger, andere kaum?
Die einen bemerken kaum, dass sie infiziert sind - andere müssen auf der Intensivstation beatmet werden: COVID-19 verläuft sehr unterschiedlich. Die Gründe dafür beginnen Forscher gerade erst zu verstehen. Viel hängt offenbar von der körperlichen Verfassung und den Lebensumständen der Betroffenen ab.
Gute Erfolge im Laborversuch
In ersten Laborversuchen hat sich dieser Ansatz als erstaunlich effektiv erwiesen. Zellkulturen, denen Coronaviren zugesetzt und die zugleich mit den Nanopartikeln behandelt wurden, zeigten eine um rund 90 Prozent reduzierte Infektionsrate. Anna Honko und Kollegen von der University of California San Diego hoffen, bald schon solche Nanopartikel auch bei Menschen einsetzen zu können. Zum Beispiel bei Ärzten und Pflegekräften, die viel mit Coronapatienten in Kontakt kommen. Mithilfe der sogenannten Nanoschwämme ließe sich deren Viruslast im Körper unter jener Schwelle halten, bei der es zu einer akuten Erkrankung mit COVID-19 kommt.
"Man könnte zum Beispiel regelmäßig ein Nasenspray mit diesen Nanopartikeln verwenden, um Infektionen zu verhindern. Aber das wäre eher nicht für die Allgemeinheit gedacht, sondern am ehesten für besonders gefährdete Personen. Ob es soweit kommt, wird aber auch davon abhängen, wie sicher sich das Verfahren in der Praxis erweist."
Der SPD-Gesundheitsexperte und Epidemiologe Karl Lauterbach
"Ein Impfstoff wird am Anfang sehr knapp sein"
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hat den Aufkauf des Corona-Medikaments Remdesivir als "unfreundlichen Akt" der US-Regierung bezeichnet. Wenn man so auch an einen Impfstoff heranginge, wäre das besorgniserregend, sagte er im Dlf. Wer diesen am dringendsten benötige, müsse ihn zuerst bekommen.
Tests am Menschen stehen noch aus
Bisher gab es nur erste Verträglichkeits-Untersuchungen an Ratten. Sie verliefen vielversprechend. Klinische Tests am Menschen stehen noch aus. Wann sie starten können, ist noch unklar. Anna Honko setzt allerdings große Hoffnungen auf die Idee, mit solchen Nanopartikeln ganz neue Wege im Kampf gegen Viren zu beschreiten. Zumal das gleiche Verfahren nicht nur bei SARS-CoV-2, sondern auch bei anderen Virustypen funktionieren sollte. Man müsste dafür nur die Beschichtung der Nanopartikel anpassen und jeweils Membranen jener Zellen nutzen, die von den entsprechenden Viren bevorzugt befallen werden.
"Wir sind von dem Ansatz sehr begeistert: Allein schon, dass, wenn das jetzt mit SARS-CoV-2 funktioniert, dass man Nanoschwämme auch zum Einfangen neuer Viren einsetzen könnte, oder Influenza oder Ebola. Das könnte zu einem Paradigmenwechsel in der Behandlung von Viruskrankheiten führen – in der Form, dass man ein sehr breites Einsatzfeld hat und nicht mehr auf spezifische Antikörper oder antivirale Substanzen mit ihren gefährlichen Nebeneffekten angewiesen ist. Wir hoffen, dass das wirklich etwas verändern kann."
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)