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Kampf um Anerkennung
Profitiert der Frauenfußball in Russland von der WM?

Russland inszeniert sich beim Confed Cup als freundliches und vielfältiges Land. Aber wie vielfältig ist der russische Fußball tatsächlich? Frauen zum Beispiel sind kaum präsent in den Strukturen. Kann die Weltmeisterschaft das ändern?

Von Ronny Blaschke | 02.07.2017
    Elena Erkina forscht in den russischen Fanszenen
    Elena Erkina forscht in den russischen Fanszenen (Deutschlandradio / Ronny Blaschke)
    Im Gorki-Park von Moskau ist der Lärm der Großstadt ganz weit weg. Vor wenigen Tagen treffen sich hier Fans aus Russland, Portugal und Neuseeland zu einem Freundschaftsturnier. Am Spielfeldrand gibt Elena Erkina dem französischen Fernsehen ein Interview. Die Soziologin aus Sankt Petersburg hat die Fanszenen in Russland erforscht. Nun möchte sie mit Blick auf die WM 2018 Angebote der Prävention schaffen: Fanturniere, Begegnungsfeste, kulturelle Workshops.
    "Es funktioniert mit Fanbotschaften. Lange hatten Politik und Fußballverband mit Repression gedroht, mit der Bestrafung von Fans. Wir haben daraufhin ein Präventionskonzept erarbeitet, doch der Verband war erst skeptisch. Dann randalierten russische Hooligans bei der EM 2016 in Frankreich. Wir waren zur Stelle, halfen mit Informationen und unterstützten vor allem die friedlichen Fans. Wir möchten Alternativen zeigen und Fragen beantworten, ohne etwas zu verbergen."
    Einzige Frau im Sicherheitskomitee
    Elena Erkina ist eine von zehn Mitarbeitern der Fanbotschaft, ihr Konzept wurde während des Confed Cups gelobt, vor allem von ausländischen Fans. Die russischen Funktionäre aber sind verhalten. Erkina ist in das Sicherheitskomitee des russischen Fußballverbandes berufen worden. Mit 33 ist sie das jüngste Mitglied – und die einzige Frau.
    "Das ist eine Herausforderung. Manchmal schauen mich die Männer schief von der Seite an. Viele denken, Frauen haben in Fußballstrukturen nichts verloren. Und wenn, dann vielleicht als Übersetzerinnen oder Sekretärinnen. Ich möchte in meiner Arbeit den Wert von Vielfalt deutlich machen. Es gehen zwar mehr Frauen in die russischen Stadien, aber meistens begleiten sie ihre Männer. Wirklich aktiv sind sie noch nicht."
    Schwache Präsenz in Führungpositionen
    Im europäischen Spitzenfußball sind nur 3,7 Prozent der Führungspositionen von Frauen besetzt. Das hat eine Studie des Antidiskriminierungsnetzwerks Fare ermittelt, Football Against Racism in Europe. Im russischen Fußball ist diese Quote geringer, glaubt Elena Erkina. Ob in Konzernen, Ministerien oder Gouverneursbehörden - die Zahl an Frauen in Chefetagen lässt sich an zwei Händen abzählen. Nur sechs Prozent der russischen Männer wünschen sich überhaupt Frauen in der Politik, das geht aus einer repräsentativen Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada hervor. Ekaterina Kochergina ist für Lewada in Moskau tätig.
    "Frauen haben ihre Aufgabe in der Familie, das ist die Meinung vieler Menschen. Diese Haltung ist mit dem Nationalismus seit der Krim-Annexion gewachsen. Die russische Regierung träumt davon, wieder eine Weltmacht zu sein. Ständig spricht sie über den demografischen Wandel. Weil die Gesellschaft langfristig schrumpft, wird Druck auf Frauen ausgeübt. Sie sollen Kinder gebären. Doch die Geburtenrate ist nicht wesentlich geringer als in anderen Industrienationen. Der Unterschied ist, dass die Lebenserwartung der russischen Männer niedrig ist. Aber darüber wird nicht geredet."
    Ekaterina Kochergina arbeitet für ein unabhängiges Meiningsforschungsinstitut.
    Ekaterina Kochergina arbeitet für ein unabhängiges Meiningsforschungsinstitut. (Deutschlandradio / Ronny Blaschke)
    Erkämpfte Frauenrechte werden zurückgedrängt
    Auch durch den wachsenden Einfluss der orthodoxen Kirche sind über Jahrzehnte erkämpfte Frauenrechte zurückgedrängt worden. So sollen Abtreibungen weiter erschwert werden. Und erst vor kurzem wurde ein Gesetz erlassen, das häusliche Gewalt gegen Frauen weniger bestraft als früher.
    "Die russische Regierung sucht für dieses riesige Land eine übergreifende Idee. Eine Möglichkeit ist die Glorifizierung des Sieges im Zweiten Weltkrieg. Eine andere ist das Überlegenheitsdenken gegen ,innere’ Feinde: Migranten oder Homosexuelle. Und auf wen kann man noch Druck ausüben? Frauen."
    Frauen-Liga mit nur acht Teams
    Die Weltmeisterschaft in Deutschland 2006 strahlte auf alle Bereiche des Fußballs ab, auch auf die Frauenligen. Wie wird es 2018 sein? Die erste russische Liga der Frauen zählt gerade mal acht Teams. Das Frauen-Nationalteam nahm an zwei Welt- und vier Europameisterschaften teil. Eine strategische landesweite Talentförderung wie in Deutschland, USA oder Schweden gibt es nicht. Die Fanaktivistin Elena Erkina möchte im kommenden Jahr auch die weibliche Perspektive stärken.
    "Der Fußball vor allem als lukratives Geschäft betrachtet. Ich fände es schön, wenn die WM nicht nur die männlichen Eliten weiter stärkt, sondern auch Frauen begeistert. Leider gibt es keine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Aspekten des Fußballs. Wir möchten eine andere Perspektive einbringen."