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Kampf um die letzten Berge

Geologie. - In den US-amerikanischen Appalachen wurden bis heute schon mehr als 500 Berggipfel weg gesprengt um an die darunter liegende Kohle zu gelangen. Mit gewaltigen Lastern wird der Energierohstoff dann zur Weiterverarbeitung gefahren, Zurück bleiben für immer gezeichnete Landschaften, denn für den Abbau wird Primärwald zerstört, die abgetragene Erde schwemmt in Flussläufe und verändert deren Ökologie.

Von Monika Seynsche | 24.02.2012
    Über die Cabin Creek Road donnert ein Kohlelaster nach dem anderen. Die Straße einige Meilen südlich von Charleston in West Virginia zieht sich durch ein schmales, tristes Tal, vorbei an grauen Holzhäusern in unterschiedlichen Stadien des Verfalls. Am Ende der Straße zweigt die mit zahlreichen Verbotsschildern gesäumte Einfahrt zu einer Kohlemine ab. Direkt daneben schlängelt sich ein Schotterweg einen Berg hinauf. Dichter Laubwald bedeckt ihn. Oben auf dem Bergrücken: ein Parkplatz und eine Handvoll Wochenendhäuschen. Eines davon gehört Larry Gibson.

    "Früher war dieser Hügel hier eingerahmt von hohen Berggipfeln. Heute ist er der höchste Punkt in der Landschaft, und ich kann hinab schauen auf das Land drumherum."

    Wenige Hundert Meter von Larry Gibsons Häuschen entfernt hören Berg und Wald plötzlich auf. Unterhalb einer Abbruchkante gähnt eine flache Bergbauwüste. Kein Baum, kein Strauch,kein Fluss, nur graues Gestein bedeckt den Boden viele Kilometer weit. Die Berge der Gegend werden weggesprengt, um die Steinkohle darunter im Tagebau fördern zu können. Nur Kayford Mountain steht noch, weil Larry Gibson sich weigert sein Land zu verkaufen. Der kleine Mann mit Latzhose und kreisrunder Brille hat die "Keeper of the Mountains Foundation” gegründet. Diese Bürgerinitiative kämpft gegen den Steinkohlentagebau im Gebirgszug der Appalachen, gegen das sogenannte Mountaintop Mining. Immer häufiger, erzählt Gibson, belagerten in letzter Zeit Bären sein Grundstück.

    "Die Zerstörung der Berge hier treibt die Tiere zu mir. Einmal habe ich 27 Schwarzbären gezählt, die keinen Steinwurf von mir entfernt waren. Ihr Lebensraum wird vernichtet, und sie kommen her, schlagen Fenster kaputt und brechen in Autos ein, auf der Suche nach Nahrung. Diese Tiere hungern."

    Ihnen fehlt der Wald, der als erstes dem Tagebau weichen muss. Die Bergbaufirmen holzen ihn ab und jagen Sprengsätze ins Gestein, um die Kohle darunter freizulegen. Den entstehenden Abraum schütteten sie in Täler und Flussläufe, erzählt Keith Eshleman von der Universität von Maryland in Frostburg.

    "This is an example of this valley filling I am talking about. I want to show you what is happening…"

    Der Hydrologe untersucht die Umweltfolgen des Mountaintop Mining. In einem aufgegebenen Tagebau deutet er auf eine mit Schottergestein gefüllte Senke.

    "Schauen Sie sich das an! Anstatt des ursprünglichen Bachs, der vom Waldrand dort oben herunterfloss, haben wir nur noch einen verfüllten Graben. Die Bergbaufirmen wollen Kosten sparen, deshalb schieben sie ihren Abraum nicht wieder auf die Berge hinauf, wo er hingehört. Das würde Energie kosten. Stattdessen schütten sie ihn einfach nach unten, in die Täler. Das ursprüngliche Bachbett hier liegt verschüttet mehrere Meter unter uns. Und da vorne, wo kein Abraum liegt, stürzt das Wasser dann auf einmal in die Tiefe, als Wasserfall. Fische und andere Wasserbewohner können diesen Bach nicht mehr nutzen. Wir verlieren hier wichtige Flusslebensräume."

    2000 Kilometer Flussläufe in den Appalachen sind schon unter Tonnen von Gesteinsschutt begraben. Außerdem zerstören die Sprengungen Grundwasserleiter in der Region. Viele Anwohner finden entweder gar kein oder nur noch verseuchtes Wasser in ihren Brunnen. Durch den Tagebau kommt das Gestein in Kontakt mit Sauerstoff und Wasser. Viele Schwermetalle und Schadstoffe wie Selen, Mangan und Sulfate werden freigesetzt. Durch die Sprengungen entsteht außerdem eine hohe Staubbelastung in der Region. Chronische Lungen- Herz- und Nierenerkrankungen sind unter den Bewohnern der Appalachen weit verbreitet, und auch die Sterblichkeitsrate ist höher als im US-Durchschnitt. Sind die Kohleflöze dann irgendwann erschöpft, wird es nicht besser. Keith Eshleman:

    "Die Bergbaufirmen sind verpflichtet, am Ende dafür zu sorgen, dass die ehemaligen Tagebauflächen mit einer permanenten Vegetation bedeckt sind. Wir sind hier in den Appalachen, da sollte man annehmen, dass die Firmen am Ende wieder Wälder pflanzen. Stattdessen sind sie auf die brillante Idee verfallen, einfach Gras zu säen. Das kostet viel weniger und vergrößert ihren Profit."

    Bis heute sind im Osten der USA 11.000 Quadratkilometer Bergwald dem Steinkohlentagebau zum Opfer gefallen – eine Fläche, halb so groß wie Hessen. Übrig bleiben grasbewachsene Ebenen. Wie diese sich auf den Wasserhaushalt der Region auswirken, untersuchen Keith Eshleman und seine Kollegen mithilfe von Niederschlags- und Abflussmessungen. Einige Kilometer von seinem Büro entfernt führt er auf eine brettebene Wiese, etwa zwei Fußballfelder groß.

    Das hier sei eine renaturierte Fläche, erzählt der Hydrologe, oder zumindest das, was die Bergbaugesellschaften unter einer renaturierten Fläche verstünden. Man habe einfach den Boden planiert und Gras gesät.

    "Selbst nach fast 30 Jahren ist hier immer noch kein Wald gewachsen. Und Sie können sehen warum nicht: der Boden ist fast völlig wasserundurchlässig. Hier sind überall Pfützen, obwohl wir in der letzten Zeit kaum Niederschlag hatten. Ein wenig Schnee vor einer Woche, und das Wasser ist immer noch nicht versickert. Bäume kommen mit einem so stark verdichteten Boden nicht zurecht."

    Außerdem erhöhten solche Flächen die Gefahr von Überschwemmungen, sagt er. Seine Messungen zeigen, dass auf diesen wasserundurchlässigen, verdichteten Böden bis zu zehnmal so viel Wasser oberirdisch abfliesst, wie in Waldgebieten. Als Folge leiden die Menschen in den Appalachen immer häufiger unter Jahrhundertfluten. Und es werde sehr viel Zeit vergehen, bis sich daran wieder etwas ändern könne.

    "Wie lange es dauert, bis sich hier wieder ein richtiger, funktionsfähiger Boden entwickelt? Tausende, wenn nicht Zehntausende von Jahren."

    Die Ergebnisse von Keith Eshleman sowie zahlreicher Kollegen sind in begutachteten Fachzeitschriften wie Science und PNAS veröffentlicht worden. Trotzdem weigere sich das Bundesamt, das zuständig für die Überwachung des Tagebaus und der Renaturierungsmaßnahmen in den USA ist, die wissenschaftlichen Untersuchungen auch nur wahrzunehmen, sagt Eshleman.

    " Sie wollen es nicht wissen. Ich sage das nur ungern, aber ich bin fest davon überzeugt. Denn wenn sie unsere Daten zur Kenntnis nähmen, würde das ihre Arbeit erschweren. Sie müssten sich mit der Wirklichkeit abfinden und könnten nicht mehr einfach auf solche angeblich renaturierten Flächen gehen und sagen: 'Ah, hier ist eine permanente Vegetationsdecke, alles funktioniert wunderbar, danke!'"

    Den ehemaligen Kongressabgeordneten Ken Hechler überrascht diese Ignoranz nicht. 18 Jahre lang saß er für West Virginia im Repräsentantenhaus der USA.

    "Es gibt ein Sprichwort in West Virginia: Kohle ist König. Die Kohlenindustrie schwimmt in Geld, und sie setzt es in jedem Gouverneurswahlkampf ein, um einen Freund der Kohle zum Gouverneur zu machen."

    Der 97-jährige Politiker hat einen großen Teil seines Lebens in den Appalachen verbracht. In dieser Zeit habe sich viel verändert.

    "Die Sprengsätze werden immer effektiver, dadurch werden die Berge immer schneller zerstört. Und die Arroganz der Kohlenindustrie, unterstützt durch die Volksvertreter, wird schlimmer."

    Die größte Bergbaufirma in den Appalachen ist Alpha Natural Resources. Auf die Interviewanfragen des Deutschlandfunks hat sie nicht reagiert. Und auch der Gouverneur von West Virginia, Earl Ray Tomblin, stand für ein Interview nicht zur Verfügung.

    Hinweis: Alle Beiträge zum Themenschwerpunkt "Die Wunden der Erde" können Sie hier nachlesen.