Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Kampf um sportliche Förderung

In Großbritannien oder Kanada sind Sportler mit und ohne Behinderung in denselben Vereinen organisiert, sie trainieren in denselben Sportstätten, bekommen die gleiche Förderung. In Deutschland ist man davon noch weit entfernt.

Von Ronny Blaschke | 25.08.2012
    Marianne Buggenhagen schnallt ihren Körper an einem Metallstuhl fest, dehnt ihren Oberkörper. Mit einer mächtigen Bewegung stößt sie eine fünf Kilo schwere Kugel gegen ein dickmaschiges Netz. Sie atmet kurz durch, wiederholt den Vorgang, sechzig Mal. Im Sportforum Hohenschönhausen, im Osten Berlins, quält sich die querschnittsgelähmte Leichtathletin so fast täglich – und hat Spaß daran. Wenn am kommenden Mittwoch die vierzehnten Sommer-Paralympics beginnen, will sie topfit sein. 150 Sportler aus Deutschland werden dann in London an den Start gehen. Für Marianne Buggenhagen sind es die sechsten Paralympics. Und vielleicht ihre letzten, im nächsten Jahr feiert sie ihren sechzigsten Geburtstag.

    "Ich trainiere gerne, weil es mir einfach gut tut. Ich trainiere nicht nur für Weiten und Leistung, sondern eigentlich für mich. Weil nach dem Training fühle ich mich richtig gut. Wenn ich auch manchmal morgens aufstehe und denke: Alles tut weh. Was so ab fünfzig ist. Spätestens nach dem Training tut mir nichts mehr weh."

    Fünfzig Sportler mit und ohne Behinderung trainieren an diesem Morgen in der Halle. Sprinter stürzen sich aus dem Startblock, Weitspringer versuchen sich in Trockenübungen, doch niemand hier ist so erfolgreich wie Buggenhagen: Neun Goldmedaillen bei Paralympics, zwanzig Titel bei Weltmeisterschaften.

    Marianne Buggenhagen ist eine kräftige Frau von 1,90 Meter, mit kurzen, blonden Haaren. Seit 1976 sitzt sie im Rollstuhl. Als sie mit Sport begann, hatte sie nie das Ziel, Weltmeisterin zu werden. Sie wollte bloß ihr Leben wieder selbst gestalten.

    "Ich saß im Rollstuhl wie eine Ente. Der Stuhl war schwer, früher hat er das Doppelte gewogen wie die heutigen Rollstühle. Und dann habe ich diese Rollstuhlbasketballgruppe gesehen. Die hatten die gleichen Rollstühle und konnten sich perfekt bewegen. Und dann habe ich angefangen, habe gefragt, ob ich mitmachen kann: "Ja, natürlich kannst du mitmachen". Schon nach acht Wochen habe ich gemerkt, dass ich meinen Alltag besser bewältigen konnte. Wir müssen ja alles über die Hände machen: Vom Rollstuhl auf die Toilette, vom Rollstuhl ins Bett, vom Rollstuhl überall hin. Und das fiel mir alles leichter durch den Sport."

    Biografien wie die von Buggenhagen stärken den Sport mit Handicap, sagt Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes, des DBS. Am Tag der offenen Tür im Bundeskanzleramt steht Beucher auf einer Freilichtbühne an der Spree. Er streichelt das Maskottchen der Olympischen Spiele und Paralympics, eine einäugige Plüschfigur, und deutet auf den Zeltstand seines Verbandes, an dem Mitarbeiter Broschüren und Filmmaterial verteilen. Zwischen 1990 und 2002 saß Beucher für die SPD im Bundestag. Sein Verband war 1951 für Kriegsversehrte gegründet worden, heute vereint er 620.000 Menschen in 5800 Vereinen. Die Gesellschaft wird älter, und so wird diese Zahl wohl weiter steigen. Die große Mehrheit der Mitglieder nutzt Sport zur Rehabilitation, zur besseren Beweglichkeit im Alter. Fast dreizehn Millionen Menschen in Deutschland leben mit einer Behinderung. Viele hätten noch nicht erkannt, dass Sport ihre Lebensqualität steigern könnte, sagt Beucher. Deshalb möchte er den Blick noch stärker auf die Basis richten.

    "In einem Land, das weitgehend nicht barrierefrei ist, müssen wir natürlich auch dazu beitragen, dass die Barrierefreiheit in den Köpfen erstmal geschaffen wird. Wir haben heute noch Sporthallen, wo unsere Sportlerinnen und Sportler die Barrieren einfach nicht überwinden können, und deshalb können wir die Sporthallen nicht nutzen. Das gilt für viele öffentliche Bereiche."

    Die Vereinten Nationen haben den Begriff Inklusion 2006 auf die Agenda gesetzt. Inklusion fordert gleichberechtigte Teilhabe für Menschen mit Behinderung. In Deutschland trat die UN-Konvention 2009 in Kraft – umgesetzt ist sie in vielen Bereichen noch nicht. Und im Sport? Hubert Hüppe hebt in seinem Büro in Berlin-Mitte zweifelnd die Schultern. Seit 2009 ist Hüppe der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen.

    "Inklusion im Sport würde für mich bedeuten, dass wo immer es geht, Behinderte und Nichtbehinderte zusammen Sport treiben. Dass auf Dauer irgendwann vielleicht auch die Olympischen und Paralympischen Spiele zusammengeführt werden, weil ich glaube, es wäre auch wichtig, dass nichtbehinderte Sportler mit behinderten Sportlern zusammenkommen. Das heißt ja nicht, dass sie dieselben Sportarten machen müssen. Dass man auch da sich begegnet und zusammenkommt, so wie auch blinde mit körperbehinderten Sportlern zusammenkommen, was sie vielleicht sonst auch nicht automatisch tun würden. Schon allein, dass man die Wettbewerbe mehr zusammenführt, das würde ich schon für eine wichtige Sache halten."

    In Deutschland setzt man bislang eher auf Integration: Das bedeutet, dass sich ein Individuum an ein System anpasst. Inklusion fordert dagegen eine Veränderung des Systems – so dass jedes Mitglied die gleiche Ausgangslage hat. Für den Behindertensport, sagt Hubert Hüppe, liege dieses Ziel in weiter Ferne: Es fehlen Sportstätten, Geräte, Material. In der Ausbildung von Trainern und Lehrern ist Inklusion oft kein Thema. Und wie soll ein gemeinsames Wettkampfsystem geschaffen werden, wenn doch schon im Behindertensport die unterschiedlichen Einschränkungen schwer zu vereinbaren sind?

    "Ja, natürlich ist es schwierig, das umzusetzen. Es wird sicherlich nicht von heute auf morgen der Deutsche Behindertensportverband aufgelöst, darum geht es ja auch nicht. Sondern es geht ja darum: Wie schafft man barrierefreien Sport, also wie kommen die Leute zusammen? Und da kann man über die Sportförderung sicherlich, wenn es Steuermittel sind, auch sagen: Können wir das eine oder andere dann nicht bevorzugen, wenn es inklusiv ist? Und dafür würde ich mich schon aussprechen."

    In Großbritannien oder Kanada sind Sportler mit und ohne Behinderung in denselben Vereinen organisiert, sie trainieren in denselben Sportstätten, bekommen die gleiche Förderung. In Deutschland hat schon die Frage der Erfolgsprämien für Aufregung gesorgt: In London sollte ein deutscher Paralympics-Sieger von der Stiftung Deutsche Sporthilfe eine Prämie von 4500 Euro erhalten, ein Goldmedaillen-Gewinner ohne Handicap hatte mehr als das Dreifache kassiert. Ob das so bleibt, soll am Dienstag bekanntgegeben werden.

    Und auch das gemeinsame Training ist in Deutschland noch eher Ausnahme als die Regel: Am Berliner Olympiastützpunkt trainieren Schwimmer mit und ohne Behinderung. Die Sportschützin und Rollstuhlfahrerin Manuela Schmermund darf sich in der Bundesliga mit Kollegen ohne Behinderung messen. Der Rollstuhlbasketballclub Köln lässt nichtbehinderte Menschen mitspielen, um Vorurteile abzubauen. Der CDU-Politiker Hubert Hüppe:

    "Ich glaube, eines der größten Probleme, das ist, dass Menschen ohne Behinderungen nicht gelernt haben, mit Menschen mit Behinderungen umzugehen. Das liegt daran, dass man sich nie begegnet. Dass man gesonderte Sportarten hat, gesonderte Schulen hat, gesonderte Arbeitsbereiche, gesonderte Wohnbereiche hat, und man sich deshalb auseinanderdividiert."

    Auch die Carl-von-Linné-Schule im Berliner Bezirk Lichtenberg ist eine Welt für sich. Mit ihren 420 Schülern und 100 Pädagogen zählt sie zu den größten Förderzentren für körperliche und motorische Entwicklung in Europa. Elke Borchardt hat hier vor kurzem ihre Mittlere Reife abgeschlossen. Seit der Geburt ist ihr rechtes Bein kürzer als ihr linkes, irgendwann ist es steif geworden, seitdem benötigt sie eine Gehhilfe. Mehr als vierzig Operationen musste sie über sich ergehen lassen. Daran hatte sie lange ihre Freizeit ausgerichtet: Sie spielte Geige, zeichnete, strickte.

    "Mein Bein wurde jetzt verlängert, aber eigentlich war ich jahrelang immer nur krank, also an Sport war überhaupt nicht zu denken. Lag immer nur im Krankenhaus und war dann wieder ein paar Wochen in der Schule, dann wieder ein paar Wochen im Krankenhaus, und ich hab’ am Sportunterricht hier in der Schule sowieso nie teilgenommen."

    Elke Borchardt ist 18 Jahre alt, sie hat ein schmales Gesicht mit freundlichen Augen. Vor drei Jahren ließ sie sich von einer Lehrerin überreden und nahm erstmals am Schwimmunterricht teil.

    Schnell entwickelte sie sich zu einer herausragenden Schwimmerin. Mit ihrer Schule nahm sie 2010 an einem neuen Wettbewerb teil: "Jugend trainiert für Paralympics". Als Vorbild dient "Jugend trainiert für Olympia", der größte Schulsport-Wettbewerb der Welt, an dem 800.000 Kinder und Jugendliche teilnehmen. Das paralympische Jugendtreffen soll die Stellung des Sports in den Förderschulen stärken und den Jugendlichen den Weg in einen Verein erleichtern.

    "Ich interessiere mich eher für Kunst, ich lese gerne, ich hätte nie gedacht, dass ich so ein Sportlertyp bin, und dann habe ich plötzlich gemerkt, wieviel Spaß mir das macht. Ich habe zum Beispiel am Anfang des Jahres das erste Mal seit der vierten Klasse eine Vorwärtsrolle gemacht. Hätte nie gedacht, dass ich das kann."

    Seit den 90-Jahren hat der Behindertensportverband für die Finanzierung von "Jugend trainiert für Paralympics" gekämpft, erst als sich die Deutsche Bahn 2010 als Sponsor anbot, sagten zehn Kultusministerien ihre Unterstützung zu. Langfristig schwebt den Organisatoren eine Veranstaltung vor: "Jugend trainiert für Olympia und Paralympics". Doch noch sind separierte Sportwelten Normalität – und ein Spiegel des Schulsystems. Das Land Brandenburg hat gerade einen Modellversuch an 85 Grundschulen gestartet, in Nordrhein-Westfalen soll es ab 2013 einen Rechtsanspruch auf den Besuch einer Regelschule geben. Doch noch werden in Deutschland weniger als zehn Prozent der Schüler mit Behinderung an Regelschulen unterrichtet, in Schweden, Norwegen oder Portugal sind es mehr als neunzig Prozent.

    Die Trennung setzt sich in Bildungsbereichen fort, die für den Sport von Bedeutung sind. An der Deutschen Sporthochschule in Köln haben nur neun von 6000 Studierenden eine Behinderung. Obwohl Dozenten Prüfungen auf sie abstimmen würden und in Sonderveranstaltungen versuchen, Berührungsängste abzubauen. An anderen sportwissenschaftlichen Instituten ist die Quote noch niedriger, keine Universität ist vollständig barrierefrei. Wie aber sollen die Pädagogen, Therapeuten, Trainer oder Biomechaniker, die hier ausgebildet werden, künftig den Ansatz der Inklusion verfolgen, wenn sie kaum Kontakt zu Menschen mit Behinderung haben?

    Deutsche Wissenschaftler und Sportler blicken anerkennend ins diesjährige Gastgeberland der Paralympics. Die Briten haben ihre hohen Standards auch einem deutschen Neurologen zu verdanken, der in diesem Jahr mit einer Statue geehrt wurde: Ludwig Guttmann. Der Sohn eines jüdischen Gastwirts war 1939 aus Breslau nach England geflohen. In der Kleinstadt Stoke Mandeville revolutionierte Guttmann die Behandlung von Querschnittsgelähmten, ihre Lebenserwartung stieg enorm.

    "Er hat sehr schnell erkannt, dass körperliche Herausforderungen auch für Menschen mit Behinderung und für Kriegsversehrte wichtig sind. Das wollten ihm viele Mediziner nicht glauben, doch Ludwig Guttmann beharrte auf seinem Standpunkt. So wurde er der Vater der Paralympics."

    Rickie Burman leitet das Jüdische Museum in London. Im Foyer erinnert eine Ausstellung an Ludwig Guttmann: Im Herbst 1944 war er auf seinem Krankenhausgang auf Patienten gestoßen, die in ihren Rollstühlen übers Parkett stürmten und mit Spazierstöcken auf eine Scheibe schlugen. Guttmann spielte mit, und so wurde Rollstuhl-Polo geboren. Bald darauf trieben viele Patienten Sport: Die Bewegung stärkte ihr Immunsystem, förderte ihr Selbstvertrauen. 1948 organisierte Guttmann im Park des Krankenhauses einen Wettkampf im Bogenschießen für Kriegsversehrte. Die Spiele von Stoke Mandeville begannen Ende Juli 1948 – am selben Tag wie die Olympischen Spiele in London.

    "Es ist eine gewaltige Leistung, die Ludwig Guttmann vollbracht hat. Er hatte eine Vision, an die viele Menschen heute noch nicht glauben: dass der Sport Menschen mit Behinderung aus aller Welt zusammenführen kann. Guttmanns Schatten ist riesig, und so möchten wir dieses Vermächtnis 2012 besonders würdigen."

    Der ehemalige Schwimmer Chris Holmes ist einer der erfolgreichsten Paralympioniken der britischen Geschichte, nun verantwortet er im Londoner Organisationskomitee die Planungen der Paralympics. Der Vierjahresrhythmus der Weltspiele hatte 1960 in Rom begonnen. 1984 kehrten die Paralympics nach Stoke Mandeville zurück, da sich der Olympia-Gastgeber Los Angeles geweigert hatte, auch Sportler mit Behinderung zu begrüßen. Seitdem habe sich viel geändert, sagt Holmes.

    "Es gibt bei uns keine Trennung zwischen Paralympics und Olympia, wir sind ein Organisationskomitee. Ob Transport, Technik oder Versorgung, unsere Mitarbeiter haben von Anfang an für beide Ereignisse geplant. Das gilt auch für den Bau des Olympischen Dorfes und die Sportstätten. Sie sind fast vollständig barrierefrei. Es gibt nur einen gemeinsamen Weg, diese Botschaft soll von unseren Spielen ausgehen."

    Die Paralympics stellen Rekorde auf: 4.200 Athleten aus 166 Ländern sind dabei, 2,1 von 2,5 Millionen Tickets sind verkauft, 6.000 Journalisten werden berichten, alle 55 lokalen Sponsoren, die die Olympischen Spiele unterstützten, fördern auch die Paralympics. Der britische Fernsehsender Channel 4 wird 150 Stunden über die Spiele berichten, in Deutschland berichten ARD und ZDF so lange wie nie zuvor. Die Paralympics folgen immer mehr dem olympischen Leitspruch "Höher, Schneller, Weiter". Hat dieses Wachstum auch Nebenwirkungen?

    In Duderstadt, östlich von Göttingen gelegen, muss sich Rüdiger Herzog für den technischen Fortschritt rechtfertigen. Sein Arbeitgeber Otto Bock ist Weltmarktführer für Prothetik und organisiert seit 1988 die Technik-Werkstätten bei den Paralympics. Wären Sportler mit Prothesen bei gemeinsamen Wettbewerb mit nicht behinderten Sportlern im Vorteil, wie es am Beispiel von Oscar Pistorius diskutiert wird? Dem südafrikanischen Läufer waren als Kleinkind beide Beine unterhalb der Knie amputiert worden, nun hat er mit Karbonprothesen an den Olympischen Spielen teilgenommen. Dieses Recht hatte er sich vor dem obersten Sportgericht erstritten. In der Strecke über 400 Meter scheiterte er in London im Halbfinale. Kritiker sagen, Pistorius habe mit seinen Gepardstelzen motorische Vorteile. Für sie ist technische Unterstützung mechanisches Doping und gehört damit verboten. Rüdiger Herzog:

    "Das halte ich für eine absolut abwegige und unsportliche Betrachtungsweise. Man ignoriert einfach, dass diese Leute trainieren. Ich sehe das, was an technischer Unterstützung für die Sportler geleistet wird, viel eher als Chancengleichheit."

    Kritiker sprechen von einem Wettrüsten. Wenn schon diese Debatte einen solchen Streit provoziert, wie soll dann die Forderung der Vereinten Nationen nach Inklusion verwirklicht werden? Und dabei gehe es ja nicht nur um sportliche Wettbewerbe, sagt Rüdiger Herzog. Für ihn geht es auch um das tägliche Leben. In den kommenden Tagen werden mit ihm achtzig Techniker in London allen Athleten kostenfrei zur Verfügung stehen. Doch danach sind Sportler aus Afrika oder Asien wieder vier Jahre lang auf sich allein gestellt. In ihren Heimatländern gibt es für sie kaum Unterstützung, und selten Respekt. Bei den Paralympics stehen Menschen mit Behinderung kurz im Rampenlicht, aber mit dem Alltag der meisten Sportler haben die Spiele wenig zu tun.

    Das Helios-Klinikum in Berlin-Buch. In der zweiten Etage, am Ende eine langen Ganges, liegt der Gymnastikraum mit der Nummer 2056. An der Wand hängen breite Spiegel, daneben stehen Massageliege und Kletterwand. Marianne Bugenhagen arbeitet hier als Physiotherapeutin. Neben ihrem Training. Denn selbst eine so erfolgreiche Sportlerin wie sie hat kaum Sponsoren. Die Fördermittel des Bundesinnenministeriums decken nur das nötigste, auch der Deutsche Behindertensportverband ist unterfinanziert und auf ehrenamtliche Kräfte angewiesen.

    Sieben Patienten sitzen in einem Halbkreis. Buggenhagen möchte ihren Tag auflockern, mit Dehnungen und Spielen. Sie weiß, dass sie mit ihrer Karriere nicht repräsentativ ist. Sie möchte nicht als elitäre Heldin gelten, deren Erfolge unerreichbar erscheinen. Sie ist als Dozentin in der Uni tätig, als Workshop-Leiterin mit Kindern, als Beraterin von Unfallopfern. Zwei Schulen tragen ihren Namen, und schon jetzt sind die Wochen nach den Paralympics verplant.

    "Wir überlegen schon genau, an welchen Veranstaltungen wir teilnehmen, wenn wir merken, dass wir nur missbraucht – ist blöd –, dass wir vorgeführt werden, dass wir wie Alibi-Behinderte vorgestellt werden, das machen wir nicht so gerne. Das flacht dann auch relativ schnell wieder ab, nach den Paralympics weiß ich, dass man ein Jahr aktuell ist und man zu solchen Veranstaltungen eingeladen wird. Und im zweiten ist schon die Hälfte weniger. Und im dritten Jahr hat man uns schon wieder vergessen."

    Manchmal fragt sich Marianne Buggenhagen, ob sie das Feld nach London nicht Jüngeren überlassen sollte. Doch dann denkt sie an die DDR, als sie nicht bei Paralympics starten durfte, weil sie nicht als "förderungswürdig" galt. Wie sie sich durchgekämpft hat. Und dass sie sich beim Training ja doch ganz gerne quält. Bei den Paralympics 2016 in Rio de Janeiro wäre sie 63 Jahre alt.