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Kampf ums Land
Die Deltas der Welt wappnen sich

Die großen Flussdeltas gehören zu den am dichtesten besiedelten Lebensräumen der Welt - und zu den gefährdetsten. Immer mehr Flüsse werden gestaut und verlieren so ihre Sedimentfracht, lange bevor daraus im Delta neuer Boden entstehen könnte. Gleichzeitig nagt der Meeresspiegelanstieg an den flachen Mündungsgebieten. Den Deltas droht das Ertrinken.

Von Monika Seynsche | 29.05.2016
    Eine Satellitenaufnahme des Mississippi-River-Deltas, Louisiana, USA
    Eine Satellitenaufnahme des Mississippi-River-Deltas, Louisiana, USA (imago / UIG)
    John Lopez steuert sein Boot aus dem kleinen Hafen von Pointe à la Hache hinaus in einen schmalen Kanal. An den Ufern wiegt sich grünes Schlickgras im Wind, Krabben buddeln in schlammigen Böden, Vögel tauchen ins Wasser, auf der Suche nach Fischen.
    "Hier wird die Strömung stärker. Sie sollten sich also besser irgendwo festhalten."
    Das Boot kämpft sich durch ein Netz kleiner und kleinster Wasserwege, die ein Geflecht von Inselchen durchziehen: das Delta des Mississippi, an der Küste von Louisiana. Eine Welt zwischen Wasser und Land. Die immer mehr an Boden verliert.
    "Und wenn Sie doch im Wasser landen, oder wir im Wasser landen, dürfen Sie nicht gegen die Strömung ankämpfen! Sie haben ihre Schwimmweste, also lassen Sie sich von der Strömung ans Ufer zurücktreiben."
    Jahrtausendelang hat ein Gleichgewicht das Delta des Mississippi beherrscht, genauso wie das des Yantgse, des Mekong, Ganges, Brahmaputra, Nil, Indus, des Roten Flusses und des Rheins. Aber dieses Gleichgewicht in den Deltas der Welt löst sich auf.
    "Manchmal hört man dieses Sprichwort, dass Gott die Welt erschaffen hat, aber die Niederländer ihr Delta. Und das ist auch der Grund, warum wir es nicht aufgeben wollen. Für uns ist dieses Delta sehr wichtig und deshalb hat die Politik entschieden, dass wir es so lange wie irgend möglich verteidigen werden. Wir bleiben, wo wir sind!
    Ansage: Kampf ums Land. Die Deltas der Welt wappnen sich. Von Monika Seynsche.
    Am Abend des 28. August 2005 begrüßt die Nachrichtensprecherin des TV Senders ABC 33/40 ihre Zuschauer mit Bildern eines gewaltigen Sturms.
    "Überall entlang der Golfküste bereiten sich die Menschen auf das Schlimmste vor. Hurrikan Katrina fegt zurzeit mit Windgeschwindigkeiten von 175 Meilen pro Stunde über den Golf von Mexiko und entwickelt sich zu einem der stärksten Hurrikans, die es hier je gab."
    Am gleichen Tag tritt Ray Nagin, der Bürgermeister von New Orleans vor die Presse.
    "Der Sturm wird immer stärker und nimmt weiterhin Kurs auf unsere Stadt. Jeder Meteorologe, jeder Experte, mit dem ich gesprochen habe, geht davon aus, dass dieser Sturm New Orleans massiv treffen wird."
    In den folgenden Minuten ordnet Ray Nagin die erste Zwangsevakuierung in der Geschichte der Stadt an.
    "Ladies und Gentlemen, ich wünschte, ich hätte bessere Nachrichten für Sie, aber auf uns kommt der Sturm zu, den die meisten von uns befürchtet haben."
    Evakuierung von New Orleans
    Etwa eine Million Menschen aus New Orleans und den umgebenden Küstenorten machen sich auf den Weg nach Norden, ins geschützte Landesinnere. Auf den Highways bilden sich kilometerlange Staus. Einen Tag später, am Morgen des 29. August, erreicht Katrina die Stadt. Der Sturm treibt eine etwa sechs Meter hohe Bugwelle vor sich her. Durch ein Netz von Wasserstraßen und künstlichen Kanälen gelangt sie bis ins Herz der Stadt. An mehr als 50 Stellen entlang dieser Kanäle brechen Deiche und Flutmauern.
    Jeanne Meserve ist vor Ort im Westen New Orleans unterwegs. Sie beschreibt die Schäden als viel schockierender denn befürchtet:
    "Ein ganzer Stadtteil, der Lower Ninth Ward, scheint bis zu den Dachspitzen unter Wasser zu stehen."
    Nach und nach wird das volle Ausmaß der Katastrophe sichtbar. 80 Prozent der Stadt sind überschwemmt, zehntausende von Häusern überflutet und stehen zum Teil wochenlang unter Wasser. Mehr als 1.800 Menschen sterben.
    Zu sehen sind ein Auto, das durch Hurrikan Katrina schräg an einen Baum geworfen wurde, sowie abgedeckte Hausdächer auf der Straße.
    Auch zwei Monate nachdem Hurrikan Katrina wütete, sind die enormen Schäden in New Orleans noch allgegenwärtig. (Aufnahme vom 21. Oktober 2005) (picture alliance / dpa - Bevil Knapp)
    Etwa 130 Kilometer landeinwärts von New Orleans beugt sich der Küstenforscher John Day in seinem Büro an der Louisiana State University in Baton Rouge über eine Karte der Region. Er deutet auf die viele Quadratkilometer weiten Küstenmarschen, im Delta des Mississippi vor den Toren New Orleans. Eigentlich hätten sie die Stadt vor den dramatischen Folgen des Hurrikans bewahren sollen. Aber diese natürliche Schutzmauer habe versagt.
    "Feuchtgebiete an der Küste, gerade dann, wenn sie bewaldet sind, bilden einen sehr wirksamen Puffer gegen Stürme. Sie bremsen die Sturmfluten ab. Ein großer Teil der Schäden durch Katrina entstand dort, wo solche Wälder durch den Einfluss des Menschen zerstört wurden. Unseren Schätzungen zufolge hätte ein intakter Wald die Überschwemmungen in der Stadt um 80 Prozent reduziert."
    New Orleans wurde in die riesige Ebene weichen Sedimentbodens gebaut, den der Mississippi über Jahrtausende hinweg aus seinem Oberlauf an die Küsten des Golfs von Mexiko geschwemmt hat. Entstanden ist so ein gleichermaßen sensibles wie üppiges Gefüge.
    "Solche Flussdeltas zeichnen sich durch einen gewaltigen Fischreichtum und eine enorme biologische Vielfalt aus. Sie haben fruchtbare Böden und sind von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Außerdem speichern sie sehr viel Kohlenstoff und sind oft Zentren der fossilen Energieproduktion. Etwa eine Milliarde Menschen lebt weltweit in oder an Deltas."
    Das Mississippi Delta etwa liefert ein Viertel des Energiebedarfs der USA. Zum einen direkt durch Öl- und Gasplattformen im Delta und zum anderen indirekt, da sehr viel Energie durch das Delta transportiert wird. Es gibt einen Umschlaghafen für Öl und Gas im Süden Louisianas. Wenn der ausfiele, käme das Leben in den USA quasi zum Erliegen, so viel Energie fließt hier durch.
    Mississippi-Delta wird immer kleiner
    Das Delta des Mississippi aber wird immer kleiner. Der Fluss ist an vielen Stellen aufgestaut und kanalisiert, sodass er kaum noch Nachschub an Sedimenten bringt und kein neues Land mehr entsteht. Gleichzeitig nagt der Ozean am Mündungsgebiet. Und das ist längst nicht alles.
    John Lopez steuert das Boot durch einen breiten Kanal entlang einer flachen Böschung. Das enge Geflecht von Inseln ist hier draußen weiten Wasserflächen gewichen, durchbrochen nur noch vereinzelt von schnurgeraden, schmalen Landstreifen. Der stämmige Küstenforscher mit schwarz-grauem Bart schüttelt den Kopf.
    "Das Marschland hier ist überall von Wasserflächen zerteilt. Das ist ein sehr typisches Muster. An vielen Stellen sehen Sie eigentlich nur noch die Ufer der künstlichen Kanäle."
    Überall im Delta wurden im vergangenen Jahrhundert gebaggert, um Schiffen den kurvenreichen Weg über den Mississippi zu ersparen, oder um Öl- und Gasfelder in den Küstenmarschen zu erschließen.
    "Beim Bau dieser Kanäle wurde der Aushub einfach rechts und links des Kanals verteilt, sodass kilometerlange, kleine Deiche entstanden. Eigentlich sollte sich das Wasser in den Küstenmarschen frei verteilen können, aber die Deiche stören den Wasserfluss und damit auch den Transport von Sedimenten, Nährstoffen und Lebewesen. Dadurch verändern die Känale die Hydrologie der Küstenmarschen."
    Lopez arbeitet für die Umweltorganisation Lake Pontchatrain Basin Foundation. Die Kanäle, sagt er, zerstörten das Gefälle von Salz- zu Süßwasser. Tatsächlich verbinden sie die salzigen äußeren Bereiche der Küstenmarschen mit jenen landeinwärts, in denen Süßwasser vorherrscht. Die Bäume, Gräser und anderen Pflanzen, die hier wachsen, vertragen das salzige Wasser nicht, viele von ihnen sterben. So auch die Zypressenwälder, die New Orleans vor den Fluten Katrinas hätten bewahren können.
    "Das Besondere an den Küstenmarschen ist, dass sie aus unverdichtetem Schlamm bestehen, der nur von der Vegetation zusammengehalten wird. Sobald die Pflanzen verloren gehen, und sei es nur für ein Jahr, erodiert der Boden, wird vom Regen und den Wellen weggewaschen und geht unwiederbringlich verloren. Die Pflanzen sind also enorm wichtig, ohne sie verschwinden die Marschen im Delta und der einzige Weg, sie zurückzubekommen, ist ein steter Nachschub an Sediment."
    Genau der wird aber durch die Staudämme und Deiche entlang des Flusses blockiert. So verschwindet alle 45 Minuten im Mississippi-Delta Land von der Fläche eines Football-Feldes im Meer.
    "Die Idee eines nachhaltigen Louisianas ist ein kleineres Louisiana. Denn wir können nicht zurückholen, was wir schon verloren haben. Unsere einzige Chance besteht darin, den weiteren Verlust zu stoppen."
    Denise Reed ist die Chefwissenschaftlerin des Water Institute of the Gulf in Baton Rouge, einer unabhängigen Forschungseinrichtung, die Strategien für den Küstenschutz entwickelt.
    "Wir haben immer noch den Fluss. Es ist immer noch ein sehr großer Fluss."
    Deiche wieder öffnen
    Der Mississippi ist der viertgrößte Fluss der Welt. Und trotz der Staudämme im Oberlauf transportiert er immer noch reichlich Sediment, das zurzeit allerdings am Ende des eingedeichten Hauptarms ungenutzt in den Tiefen des Golfs von Mexiko versinkt. Denise Reeds Plan ist es deshalb, an verschiedenen Stellen die Deiche des Mississippi zu öffnen, sodass der Fluss sein menschengemachtes Bett verlassen und das Delta wieder mit frischem Sediment beliefern kann. So könnte Land entstehen.
    "Wir haben Pläne dafür in einem Masterplan für die Küste Louisianas zusammengefasst. Während Hochwasserperioden könnten so 20 bis 30 Prozent des Flusswassers in die Küstenmarschen umgeleitet werden. "
    Viel Überzeugungsarbeit musste Reed nicht leisten. Die Verwüstung durch Katrina hat die Bevölkerung Louisianas einsichtig gemacht. 2012 wurde der Coastal Master Plan vom Parlament verabschiedet. Einzig die Finanzierung ist noch offen: 50 Milliarden US-Dollar sind veranschlagt. Auch für die reichen USA keine Kleinigkeit.
    Die Deichöffnungen müssten sorgfältig kontrolliert werden, sagt die Forscherin, damit es nicht zu Überschwemmungen bewohnter Gebiete komme. Gleichzeitig kennt sie keine Alternative:
    "Wenn wir das nicht machen, werden die Feuchtgebiete im Delta weiter degradieren. Dann wird die Zukunft noch düsterer als die Gegenwart. Denn es ist ja nicht so, dass wir das Delta wieder vergrößern wollten. Wir wollen nur verhindern, dass es noch stärker schrumpft, dass die Zukunft so schlimm wird, wie sie sonst würde."
    Wie dem Mississippi ergeht es fast allen großen Flüssen der Erde. Sie schwemmen seit Jahrtausenden Schlamm und Boden aus den Oberläufen in ihre Mündungsgebiete. Riesige fruchtbare Ebenen sind so entstanden, Gebiete, die Menschen magisch anziehen. So dicht besiedelt wie die großen Flussdeltas in Asien, Amerika, Europa und Afrika sind, so fieberhaft arbeiten Forscher an ihrer Rettung.
    "Die Niederlande sind ein einziges großes Delta. Einige Teile des Landes liegen etwas höher, aber wir schätzen, dass etwa 60 Prozent der Landesfläche hochwassergefährdet sind. Und wir erwirtschaften 75 Prozent unseres Einkommens in genau diesen Gebieten. Es ist also eine sehr wichtige Region. Man kann sagen, die Niederländer sind auf dieses Delta angewiesen."
    Niederlande erlebte beinahe eine Katastrophe
    Im Januar 1995 regnet es in Mitteleuropa einen Monat lang fast ununterbrochen. In den Gebirgen türmen sich Schneeberge auf. Als die Temperaturen Mitte Januar steigen, schmelzen sie. Mosel, Main, Nahe und Sieg schwellen an, der Rheinpegel steigt immer weiter. Normal sind knapp 2.300 Kubikmeter, doch Ende Januar schwemmt der Fluss mehr als 12.000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde in die Niederlande. Das Fünffache. Die Deiche dort sind aufgeweicht. Eine Katastrophe bahnt sich an.
    "1995 haben wir mehr als 250.000 Menschen evakuiert, weil die Deiche zu brechen drohten. Es waren so viele Menschen betroffen, dass es danach eine enorme gesellschaftliche Unterstützung gab, die Gesetze zu ändern. Vielleicht war das der Grund, warum wir sie genau in diesem Moment ändern konnten."
    Seit über tausend Jahren haben die Niederländer dem Meer Land abgerungen, es entwässert und ihre Flüsse in eingedeichte Kanäle gezwängt. Sie wollten die Wassermassen des Deltas beherrschen und Überschwemmungen verhindern, Die Deiche wurden immer höher, die Schwemmflächen immer kleiner. Dadurch aber wurden die Flüsse immer gefährlicher. Denn ohne Sedimentnachschub sinkt das Delta ab.
    Ein Flussdelta in den Niederlanden aus der Luft
    Ein Flussdelta in den Niederlanden (imago stock&people)
    An vielen Stellen der Niederlande liegt der Boden heute um bis zu fünf Meter unter dem Niveau des Rheins und seiner Nebenarme, erzählt Frans Klijn, Spezialist für Hochwasserrisikomanagement beim Forschungsinstitut Deltares in Delft. Wären die Deiche 1995 gebrochen, hätte das Wasser in den badewannenartigen Poldern vier bis fünf Meter hoch gestanden. Nach der Flut war deshalb klar: Die Gesetze müssen geändert werden
    Sollen die Flüsse auch weiterhin beherrschbar bleiben, brauchen sie mehr Platz. Das war die Geburtsstunde des Ruimte voor de Rivier-Projekts. Zu deutsch: Platz für den Fluss.
    "Wir versetzen Deiche etwa bei Nijmwegen, bei Werkendamm und entlang der Ijssel. In der Waal, dem größten Rheinarm im Delta, erniedrigen wir die Buhnen, sodass der Fluss schneller darüber hinweg fließen kann und wir senken das Niveau der Überflutungsflächen, damit sie mehr Wasser speichern können. Wir haben ihm auch einige Polderflächen zurückgegeben und hydraulische Hindernisse entfernt, etwa Ziegelfabriken, die direkt in den Fluss hinein gebaut waren. Und wir bauen zwei Kanäle an der Ijssel, dem nördlichsten Rheinarm, um einen Teil ihres Wassers umzuleiten. All diese Maßnahmen zusammen führen zu einem Rückgang der Hochwasserstände um 30 Zentimeter."
    Ziel des Projektes ist es, die Niederlande zukunftsfähig zu machen. Denn das Land wird von gleich zwei Seiten bedroht. Zum einen lässt der Klimawandel den Meeresspiegel ansteigen und zum anderen wird der Rhein immer mehr Hochwasser bringen – als Folge häufigerer Starkregenereignisse im Oberlauf.
    Keine guten Prognosen für das Hochwasserrisiko
    "Für den Meeresspiegel gehen wir von einem Anstieg um 35 bis 85 Zentimeter bis zum Ende des Jahrhunderts aus. Und danach wird er natürlich weiter steigen. Was den Niederschlag angeht, erwarten wir wesentlich höhere Wassermassen im Rhein und der Maas. Im Rhein könnten das 15.000 oder 16.000, vielleicht sogar 17.000 oder 18.000 Kubikmeter pro Sekunde werden, also immer mehr."
    Für das Hochwasserrisiko in den Niederlanden bedeuten diese Prognosen nichts Gutes.
    "Unseren Abschätzungen nach wird die Wahrscheinlichkeit für ein Hochwasser um den Faktor zehn zunehmen, wenn wir keine Gegenmaßnahmen ergreifen. Wenn wir also die Deiche nicht erhöhen, wird die Gefahr einer Überschwemmung gegen Ende dieses Jahrhunderts zehnmal so hoch sein wie heute."
    Fatalerweise wächst auch die Bevölkerung der Niederlande und die Wirtschaft entwickelt sich weiter. Den Berechnungen Frans Klijns zufolge heißt das: Bei einer Flut wären Ende des Jahrhunderts zehnmal so viele Menschen und Wirtschaftsgüter betroffen.
    "Wenn Sie jetzt die Gefahren durch den Klimawandel mit der zunehmenden Anfälligkeit der Bevölkerung und der Wirtschaft kombinieren, kommen Sie auf ein Hochwasserrisiko, das um den Faktor 100 höher ist als heute. Da müssen wir gegensteuern. Sonst gehen wir unter."
    Große Teile der Niederlande liegen unterhalb des Meeresspiegels im Delta eines der größten Flüsse Europas. Das Land ist stark bedroht. Gleichzeitig aber ist es auch eines der reichsten Länder der Erde und kann sich teuren Küstenschutz leisten. Deshalb bleibt Frans Klijn für sein eigenes Land relativ optimistisch.
    "Wir gehen davon aus, dass wir bis zu sieben Meter Meeresspiegelanstieg überstehen können. Vorausgesetzt, das Meer steigt langsam an. Mit einem Meter pro Jahrhundert sollten wir klarkommen. Wir haben schließlich auch ein Absinken des Landes um fünf Meter in den vergangenen Jahrhunderten überstanden. Aber wenn es mehr als zwei Meter Anstieg pro Jahrhundert werden, wird uns das Geld ausgehen. Ich fürchte, dann wird der Küstenschutz unbezahlbar."
    Deutlich dramatischer sieht es jetzt schon in Asien und in Afrika aus. Die großen asiatischen Flüsse sind wesentlich dynamischer als Rhein oder Mississippi, und ihre Deltas ziehen viel mehr Menschen an.
    "Das Klima dort ist wechselhafter, durch den Monsun und den Himalaya, der sich im Hinterland der Deltas auftürmt. Diese Gebiete sinken, und zwar sehr schnell. Bangladesh und Indien haben riesige Probleme, genauso wie Vietnam und Thailand. In Jakarta sind es in erster Linie die enormen Massen an Menschen, die ins Delta ziehen und die Probleme verursachen. Um sie alle zu versorgen, wird Grundwasser gepumpt. Dadurch aber sinkt die Küstenregion um 10 bis 20 Zentimeter pro Jahr ab."
    Salzwasser gelangt ins Grundwasser
    Und wird so noch anfälliger für den steigenden Meeresspiegel. Wenn der Meeresspiegel steigt, dann rückt das Meer nicht nur oberirdisch, sondern auch unterirdisch vor. Salzwasser gelangt in die Grundwasserleiter und verseucht die Böden.
    "Das Gleichgewicht zwischen dem Flusswasser, das Salz gen Meer drückt, und dem Ozeanwasser, das Salz ins Land hineindrückt, verschiebt sich. Gerade, wenn die Flüsse im Sommer immer weniger Wasser führen, gelingt es ihnen nicht mehr, dem Druck des steigenden Salzwassers zu widerstehen. So wandert Salz immer weiter landeinwärts."
    Martine Rutten ist Professorin für Wasserresourcenmanagement an der Technischen Universität Delft. Besonders betroffen sagt sie, seien Deltas in den trockenen Weltregionen. Im Nildelta etwa greift Salzwasser von unten die Felder an, tötet die Wurzeln der Pflanzen und lässt den Boden unfruchtbar werden. Aber auch in den Niederlanden und Asien verursacht das eindringende Salzwasser Probleme, die mit viel Aufwand angegangen werden müssen.
    "Die Wasserwege durchzuspülen, ist eine Strategie, die wir nutzen.
    Daneben gibt es Überlegungen, unsere Trinkwasserentnahmestellen weiter flussaufwärts zu legen, wo das eindringende Salz nicht hinkommt. Und es gibt zahlreiche Forschungsprojekte zu salztoleranten Pflanzen, etwa, um zu schauen, ob salzwassertolerante Kartoffeln in den Gebieten angebaut werden können, die anfällig für das Eindringen des Salzwassers sind."
    Martine Rutten selbst erforscht, wie sich die Wasserflüsse in den Deltas der Welt besser kontrollieren lassen.
    "Wir nutzen Wettervorhersagen, um die Wasserstände vorherzusagen, das Eindringen von Salzwasser oder andere Wasserqualitätsprobleme. Darauf abgestimmt optimieren wir dann den Einsatz der hydraulischen Strukturen, also der Pumpen, Schleusentore und Staudämme, die sich in den Flusssystemen finden. Wir sind gerade dabei, solche Systeme im Sittaung-Fluss in Myanmar und im Roten Fluss in Vietnam aufzubauen. In diesen Flüssen gibt es sehr viele Staudämme. Und wenn wir zum Beispiel rechtzeitig vor starken Regenfällen die Wasserstände in den Stauseen senken, können wir Überschwemmungen flussabwärts verhindern, oder zumindest begrenzen und rechtzeitig vor ihnen warnen."
    Asien mit sehr vielen großen Deltas
    Auf keinem anderen Kontinent der Welt gibt es so viele, so große Deltas wie in Asien. Fast eine halbe Milliarde Menschen lebt in den fruchtbaren Mündungsbereichen des Ganges-Brahmaputra, des Yangtse, Indus, Mekong, Irrawaddy, des Roten Flusses und vieler anderer. Sie alle kämpfen mit dem Meeresspiegelanstieg, versalzenden Böden und dem Absinken ihres Landes. Aber dazu kommen hier noch zahlreiche weitere Probleme.
    An der Technischen Universität Delft schreibt der vietnamesische Ingenieur Phan Manh Hung zur Zeit seine Doktorarbeit über das Mekong Delta.
    "Der Mekong ist nach dem Amazonas das Flusssystem mit der größten biologischen Vielfalt der Welt. Er durchquert sechs verschiedene Länder von China im Norden über Myanmar, Laos, Thailand, Kambodscha bis nach Vietnam im Süden. Etwa 60 Millionen Menschen leben entlang dieses Flusses."
    Allein das Delta des Mekong ist mit 55.000 Quadratkilometern größer als Niedersachsen. Und es kämpft mit massiven Erosionsproblemen entlang der Ufer. Genau die erforscht Phan Manh Hung.
    "Durch den Bau zahlreicher Staudämme im Oberlauf kommt immer weniger Sediment im Delta an. Außerdem wird im Unterlauf Sand abgebaut. Hier in den Entwicklungsländern brauchen wir sehr viel Sand, um unsere Infrastruktur entwickeln zu können, um Straßen und Häuser zu bauen."
    Im Delta des Mekong wurden auf vielen Quadratkilometern Mangrovenwälder abgeholzt, um Platz für Aquakulturen zu schaffen. Die Mangroven aber fangen das Sediment auf, das der Fluss herantransportiert. Ohne sie wird es hinaus in den offenen Ozean geschwemmt. Neues Land geht verloren, noch bevor es entstehen kann. Vietnam befindet sich in einem großen Dilemma.
    "Wir möchten natürlich unsere Wirtschaft weiterentwickeln, deshalb brauchen wir mehr Flächen für Aquakulturen, um den Nahrungsbedarf der Bevölkerung zu decken. Wir müssen also die Mangroven abholzen. Aber dadurch verschlimmern wir eben auch die Erosion."
    Keine wirkliche Lösung parat
    Eine wirkliche Lösung kann auch Phan Manh Hung nicht liefern. Er und seine Kollegen versuchen, die Erosion dort aufzuhalten, wo sie besonders schlimm ist. Und sie pflanzen an einigen Stellen entlang der Küste neue Mangrovenwälder an. Das Wichtigste aber, sagt der Ingenieur, sei eine funktionierende Zusammenarbeit zwischen allen sechs Anrainerstaaten des Mekong. Daran hapert es bislang.
    "Wir haben zwar die Mekong River Commission, aber an dieser beteiligen sich nur vier Staaten. China und Myanmar sind nicht dabei. Deshalb ist es so schwer, koordinierte Maßnahmen zum Management des Deltas zu entwickeln."
    Der Konflikt scheint in den Deltas der Welt schon heute kaum auflösbar. Und das, bevor die größte Herausforderung überhaupt zum Tragen gekommen ist: der Meeresspiegelanstieg. Setzt der sich fort, werden sie alle untergehen. Die Frage ist nur: wann? In den Niederlanden sind es sieben Meter, in Ägypten und weiten Teilen Asiens reicht schon ein Meter aus. Auch das Delta des Mississippi ist dem Untergang geweiht. Nach Katrina wurde zwar ein neues Hurrikanschutzsystem gebaut, aber das allein wird New Orleans nicht retten können.
    Küstenforscher John Day von der Louisiana State University in Baton Rouge:
    "Ich war mir ganz sicher, dass das der Zeitpunkt sein würde, an dem die Verantwortlichen sagen: Das ist nicht richtig, wir müssen etwas ändern! Ich meine, während des Sturms standen zehntausende von Häusern unter Wasser. Ich hätte gedacht, sie sorgen dafür, dass die neuen Häuser auf höheren Grund gebaut werden. Aber am Ende haben sie New Orleans fast genauso wieder aufgebaut, wie es vorher war. Die Häuser stehen auf dem Boden, unterhalb des Meeresspiegels. Und die nächste Flut wird kommen. Ich persönlich gehe davon aus, dass der größte Teil der Stadt nicht überleben wird. Aber je näher Sie nach New Orleans kommen, desto mehr Menschen wollen das nicht wahrhaben."
    Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es. Immerhin.
    "Schauen Sie, die Farbe des Wassers ist hier heller, ein schönes Hellbraun von den gelösten Sedimenten im Fluss."
    John Lopez hat sein Boot in den Mardi Gras Pass gesteuert, einen ursprünglich einmal künstlich angelegten Kanal, der seit einem Deichbruch im Jahr 2012 direkt mit dem Mississippi verbunden ist. Seitdem bringt er - von Menschen ungeplant und unbeeinflusst - Flusswasser in die Küstenmarschen.
    "Wir konnten beobachten, dass sich schon neues Sediment abgelagert hat. Im Sommer 2014 entdeckten wir dann, dass die ersten Pflanzen dabei waren, diese Sedimentbänke zu besiedeln. Da entstehen also wirklich neue Feuchtgebiete, die unseren Untersuchungen zufolge direkt auf den Deichbruch zurückzuführen sind. Das ist sehr positiv. Fast überall an den Küsten Louisianas verlieren wir Feuchtgebiete, aber hier wachsen sie. Als wir diese neu entstandenen Gebiete untersuchten, sahen wir, dass sich hier schon ein richtiges Ökosystem gefunden hatte. Es gab Muscheln, von denen viele geöffnet und gefressen waren. Und wir sahen Blaukrabben, die sich von solchen Muscheln ernähren. Hier war also nicht einfach nur ein bisschen Gras gewachsen, sondern ein kleines Ökosystem. Schon bei dieser beiläufigen Untersuchung sahen wir ein komplettes Nahrungsnetz mit Pflanzen, Muscheln und Krabben.