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Kampfansage an die Ritter-Sport-Brigade

Holger in't Veld versteht sich als Aufklärer. Er möchte das Volk weg von Billigschokolade à la Milka hin zu den sortenreinen Wonnen von Highend-Kakaoprodukten führen - und versucht das mit einer Mischung aus Kulturgeschichte, Branchen-Tratsch, Fachinformationen und Hipsterjargon.

Von Sacha Verna | 10.08.2010
    Es gibt die Milka-Masse und die Hundertprozent-Snobs. Und es gibt Holger in't Veld. In welches der beiden Lager der selbsternannte "Kakaoboy" fällt, wird bei der Lektüre seiner Ode an die Schokolade nicht ganz deutlich. Der Mann versteht sich als Aufklärer, das ist klar. Er möchte das Volk weg von Milch-Fett-und-Zucker-Missverständnissen hin zu den sortenreinen Wonnen von Domori, de Bondt oder Claudio Corallo führen. Das dürfte angesichts von sechs Euro pro 25-Gramm-Täfelchen allerdings schwierig sein. Deshalb ist anzunehmen, dass der Wahlberliner sich als gewesener Besitzer eines Ladens für Kakaoerzeugnisse der Spitzenklasse und Erfinder von Gerichten wie Wolfsbarsch mit Schokoladensalsa, murrend zu den Hundertprozent-Snobs gesellen müsste, würde man ihn vor die Wahl stellen.

    Das tut natürlich niemand. Längst ist auch zu den Normalsterblichen durchgedrungen, dass Schokolade in gewissen Kreisen zum Kult geworden ist. Wo man noch gestern Olivenöl geschlürft oder über die Unterschiede zwischen Kalahri Wüstensalz und grünem Hawaii Bambus Salz debattiert hat, veranstaltet man heute Schokoladeverkostungen und wirft mit Begriffen wie "bohniger Erstkontakt" und "blumiges Röstaroma" um sich. Nichts ist zu gemein, ein Luxusgut zu sein.

    Holger in't Veld zufolge handelt es sich im Fall von Edelschokolade freilich um weit mehr als Trendmarketing. Seine eigene Entwicklung vom Ferrero-Küsschen-Verputzer zum Grand-Cru-Experten schildert der 43-Jährige als Weg zur Erleuchtung. Wer einmal die explodierende Aromenvielfalt einer Qualitätsschokolade geschmeckt hat, so macht es den Eindruck, erkennt den Sinn des menschlichen Daseins. Und ist für sämtliche Osterhasen auf ewig verloren.

    In't Veld war früher Musikjournalist. Wenn er wie im Untertitel seines Buches vom "Sound der neuen Kakao-Kultur" spricht, meint er das wörtlich. Zu wörtlich für all jene, die mit den musikalischen Schöpfungen obskurer Hip-Hop-Figuren der Siebzigerjahre oder jenen kreolischer Conga-Trupps aus Harlem nicht vertraut sind. Die Beharrlichkeit, mit der in't Veld Vergleiche zwischen den Eigenschaften bestimmter Schokoladen und äthiopischem Funk oder finnischer Elektonik zieht, fördert die Nachvollziehbarkeit seiner Geschmackserlebnisse leider nur sehr beschränkt.

    Am besten ist der Autor dort, wo er sachlich bleibt. Von den Azteken und ihrem Xocolatl-Getränk werden inzwischen die meisten einmal gehört haben. Aber wie steht es mit der britischen Firma Fry & Sons, die 1847 als erste dank der Zugabe von Kakaobutter dem brüchigen und trockenen Produkt, das bis bis dahin als Schokolade galt, seinen zarten Schmelz verlieh? Und Criollo? Welcher Laie weiß, dass es sich dabei um den König aller Kakaosorten handelt und bei Forastero und Trinitario um seinen Hofstaat? Details über Herkunft und Verarbeitung von Schokolade und über den Wettbewerb zwischen den Nestlés und Hershey's dieser Welt wären auch ohne DJ interessant genug.

    Feinste Schokolade sollte nur in kleinen Mengen genossen werden. Das hat sich Holger in't Veld in jeder Hinsicht zu Herzen genommen. Er serviert seinen Stoff häppchenweise. Die sieben Kapitel von "Schokoladen Rebellen" sind in Abschnitte unterteilt, von denen einer kürzer ist als der andere. Nach Möglichkeit stellt in't Veld Listen auf wie die der zehn Kakaoboy-Gebote. Dabei bemüht er sich derart um eine saloppe Schreibe, dass er weniger wie ein Schokoladenrebell als wie ein Szenegänger im Nutella-High klingt.

    Es ist durchaus möglich, dass Holger in't Veld uns einfach an seiner persönlichen Erlösungsgeschichte teilhaben lassen will. Nicht zufällig lautet der botanische Name des Kakaobaums "Theobroma cacao", also Götterspeise. Und Götter animieren nun einmal manche zu sendungsbewusster Heilsfantastik. Vermutlich empfiehlt es sich aber, "Schokoladen Rebellen” als Manifest zu lesen. Als Kampfansage an die Ritter-Sport-Brigade und als Aufruf zum Gaumenorgasmus in Form von "echter" Schokolade. Bedauerlichweise geht das, was "echte" Schokolade ausmacht, unter in dieser Tüte voller bunter Schokobonbons, dieser Mischung aus Kulturgeschichte und Branchen-Tratsch, aus Fachinformationen, Hipsterjargon und Konsumentenführer. Kein Wunder, dass die lila Kuh unverzagt weitermuht.

    Holger in't Veld: "Schokoladen Rebellen". Der Sound der neuen Kakao-Kultur. Eichborn Verlag, Frankfurt a.M. 2010. 190 Seiten. 18.95 Euro.