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Kampfbereit, aber hungrig

In der gegenwärtigen Krise dürfte das Regime des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong Un aufs Neue an die Opferbereitschaft seines darbenden Volkes appellieren. Dabei gilt die Doktrin: Das Militär zuerst - auch was das Essen betrifft.

Von Ingrid Norbu | 06.04.2013
    Am Rande einer Stadt in Nordkorea: Während ein Düsenjäger über den Himmel rast, gehen etwa zehn Kinder im Alter von vier, fünf Jahren im Marschschritt in den Kindergarten. Ihre Eltern arbeiten tagsüber in einer landwirtschaftlichen Kooperative. Die Kleinen exerzieren wie die Großen. Dünne Arme pendeln im Rhythmus des Liedes an mageren Kinderkörpern. Ob ihnen dieser Drill missfällt oder nicht, ist nicht zu erkennen. Die Mienen der Kinder sind ausdruckslos.

    Einübung in ein System, das ihnen in ihrem Leben wohl noch viel abverlangen wird. Auch Il Nam Choi wurde von klein an Gehorsam eingetrichtert. Nur weil er heute in Südkorea lebt, kann er darüber sprechen.

    "Wenn die Führer Nordkoreas etwas planen, dann gaben sie uns direkte Befehle und wir mussten folgen. Daran hat sich nichts geändert. Ein Aufbegehren ist undenkbar. Selbst wenn jemand den Befehl bekäme zu sterben, müsste er sich umbringen. Die Menschen sind darauf gedrillt, Befehle entgegenzunehmen und zu gehorchen. "

    Dazu wird ständig der Feind von außen beschworen: Im Staatsfernsehen wird das Programm regelmäßig unterbrochen, um an den Koreakrieg und die Zerstörung des Landes durch die USA und die eigene Abwehrbereitschaft zu erinnern. Nach dem jüngsten Atomtest in Nordkorea und den Kriegsdrohungen blieben die Menschen im Süden der Halbinsel zunächst gelassen. Der Wirtschaftswissenschaftler Sang Man Lee von der Chung Ang Universität in Seoul, der sich auf Nordkorea spezialisiert hat, erklärt warum.

    "Gewöhnlich werden nach diesen Atomtests strikte Wirtschaftssanktionen über das Land verhängt. Nordkorea reagiert sehr sensibel auf das internationale Umfeld. Aber die Zeit vergeht, es gibt Verhandlungen und sie hoffen auf gute Ergebnisse. Nach fünf bis sechs Jahren hat sich die Lage stabilisiert und die ganze Prozedur geht von vorne los. Das war nun der dritte Atomtest. Wir waren also gewissermaßen auf das vorbereitet, was kommen würde."

    An Kriegsdrohungen aus dem Norden sind Südkoreaner also gewöhnt, allerdings hatte es in den letzten drei Jahren ernsthafte Zwischenfälle gegeben. Im März 2010 hatte ein Torpedo ein südkoreanisches Militärschiff mit 46 Besatzungsmitgliedern an Bord versenkt. Acht Monate später wurde eine Insel unter Beschuss genommen. Vier Menschen starben. Ganz so berechenbar scheint Nordkorea doch nicht zu sein, muss auch Sang Man Lee zugeben.

    "Der neue Führer in Nordkorea ist ein Unsicherheitsfaktor. Er ist sehr jung. Und viel gefährlicher als sein Vater. Der hatte sein Land lange unter Kontrolle und wusste, wie man international agiert. Dem Jungen fehlen diese Erfahrungen. Es könnte sein, das Leute aus dem Militär Kim Jong Un lenken. Dann ist die Lage sehr gefährlich."

    Das Militär ist allgegenwärtig, auch als Sänger im Unterhaltungsprogramm des Nordkoreanischen Staatsfernsehens. Die Soldaten im Film wirken muskulös und wohl ernährt. Die im wirklichen Leben sind mager. Ihre Uniformen sind ihnen viel zu groß. Dabei gilt die Doktrin: Das Militär zuerst, auch was das Essen betrifft. Hunger ist ein Massenproblem in Nordkorea, sagt Eun Young Kim von der Allianz für Menschenrechte in Nordkorea mit Sitz in Seoul.

    "Eine öffentliche Nahrungsmittelverteilung gibt es schon lange nicht mehr, deshalb ist Fehlernährung ein großes Problem. Es gibt nur wenig zu essen. Wenn sie Glück haben, bekommen die Menschen dort zwei Mahlzeiten am Tag. Im Durchschnitt wiegen Nordkoreaner viel weniger als die im Süden. Aufgrund ihrer Fehlernährung haben sie Gesundheitsprobleme."

    Während in Pjöngjang auch gelegentlich Edelkarossen ausländischer Herkunft unterwegs sind, kämpfen viele ums Überleben. Besonders auf dem Land. Eine Hyperinflation führte dazu, dass sich der Preis für Reis seit 2009 um das 260-fache erhöht hat. Nur wer Devisen hat, kann sich etwas leisten. Die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert sich weiter. Sprengstoff für die Nordkoreanische Gesellschaft. Nichts zu Essen, dafür bis an die Zähne bewaffnet, ist denn von Seiten des hungernden Volkes kein Aufbegehren zu erwarten? Nein, meint Il Nam Choi aus eigener Erfahrung.

    "Die Menschen in Nordkorea werden ständig überwacht. Wir sagen, wenn drei Nordkoreaner zusammen stehen, ist mindestens einer ein Spion der Regierung, der alles dann dem Nationalen Sicherheitsbüro berichtet. Freiheit, dieses Wort kennen die Menschen dort nicht. Selbst wenn sie in eine andere Stadt wollen, brauchen sie eine Erlaubnis dafür."

    Oft sind Pjöngjangs Angriffsdrohungen mehr an die eigene Bevölkerung gerichtet. Eine Gelegenheit mehr, den Spielraum der Menschen noch weiter einzuengen, wie auch Eun Young Kim von der Allianz für Menschenrechte in Nordkorea beobachten konnte.

    "Seit Dezember 2011, seit Kim Jong Il tot ist und Kim Jong Un die Macht übernommen hat, wurde die Überwachung der Menschen nochmals verschärft. Vorher konnte man seine Verwandten in Nordkorea mal anrufen, aber das versuchen heute nicht mehr viele, denn es könnte ihnen dort sehr schaden. Früher war das für uns auch eine gute Quelle, etwas über die Situation dort zu erfahren. Ob die Menschen dort hungern oder wer im Gefängnis ist, ob es Fluchtversuche gab. Diese Informationen waren für uns sehr wertvoll, aber gegenwärtig ist die Lage sehr angespannt."