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Kampfschrift um jeden Preis?

Angela Merkel untergräbt das rechtliche und moralische Fundament des Staates. Das ist die zentrale These von "Die Patin", Getrud Höhlers Buch über die Bundeskanzlerin. Leider setzt die Schrift weniger auf sachliche Differenziertheit als auf prophetisches Raunen.

Von Stephan Detjen | 27.08.2012
    Dieses Buch ist sei drei Tagen auf dem Markt – und es hat schon seine ganz eigene Wirkungsgeschichte. Was als Kampfschrift gegen die Bundeskanzlerin angelegt war, entwickelte sich in kürzester Zeit zu einem Schaukampf zwischen der Autorin und den Medien. Interviewabbrüche und wüste Jornalistenbeschimpfungen prägten in der vergangenen Woche den eigenwilligen Stil, mit dem Gertrud Höhler die Vermarktungskampagne für ihr Buch inszeniert.

    In epischer Breite wusste die "Süddeutsche Zeitung" zu schildern, wie Höhler immer wieder empört aufsprang und den samtverhangenen Frühstücksraum des Edelhotels zu verlassen drohte, in das sie die SZ-Autorin zum Gespräch geladen hatte. Im Studio der 3-Sat Kulturzeit sagte Höhler unmittelbar vor der Sendung ein Interview ab, als sie sich mit kritischen Fragen konfrontiert sah. Den Autor eines bissigen Spiegel-Porträts ließ sie von ihrer PR-Agentin öffentlich als "journalistischen Halunken" abkanzeln.

    Je dramatischer sich Höhler in die Erregung über all diejenigen steigerte, die in ihrem Merkel-Verriss lediglich die Ansage zu einem intellektuell verbrämten Zickenkrieg sehen wollen, desto mehr beförderte die Autorin selbst genau jenen Effekt, den sie so lautstark beklagt: Immer weniger geht es um das Buch und Merkel - und immer mehr um Gertrud Höhler. Oder ist vielleicht genau das der eigentliche Zweck der publizistischen Attacke'

    "Ich habe geschildert, dass sie eine sympathische Persönlichkeit ist. Muss ich das jetzt alles wiederholen' Das ist so! Und wenn Sie das nicht ertragen, weil Sie Krawall sehen wollen, dann kann ich nur sagen: Das ist kein Krawallbuch! Und es ist auch keine Krawall-Vorgeschichte. Und es gibt auch keinen Streit mit Frau Merkel."

    Das ist wohl richtig. Merkel scheint dieser Tage dringenderes zu tun zu haben, als Gertrud Höhlers Fehdehandschuh aufzunehmen. Die Kanzlerin, so heißt es, habe sich nach der Lektüre eines Vorabdrucks in der "FAZ" mit verständnislosem Schulterzucken abgewandt.

    Höhler wird sich von so viel Ungerührtheit Merkels ebenso wie von der Kritik der Medienöffentlichkeit nur bestätigt fühlen. Ihr Buch geht von der Annahme aus, dass es eine verbissen schweigende Gegenöffentlichkeit gibt, die nur darauf wartet, von einer wie Höhler aufgerüttelt zu werden.

    "Für alle, die die Faust noch in der Tasche haben..."

    ... will Höhler das Wort ergreifen. So stilisiert sich die – wie der "Focus" einmal schrieb – "intellektuelle Jil Sander der Republik" – in der Widmung ihres Buches zur Rächerin der von Merkel Entrechteten:

    "Die Leute sagen: 'Ich hab die Faust in der Tasche. So! Und ich sage: Nimm die Faust aus der Tasche, weil: dann wirst Du den gerechten Zorn entwickeln können, den man entwickelt, wenn die kostbarsten Spielregeln unserer Verfassung gebrochen werden'."

    Merkel – das ist die zentrale These des Buches – untergräbt das rechtliche und das moralische Fundament des Staates. Atomausstieg, Eurorettung, Entkernung christlich-konservativer Parteiidentität – alles ordnet Merkel in Höhlers Augen ihrem wertefreien Pragmatismus unter. Ihr Regierungsstil entziehe sich systematisch allen rechtlichen Bindungen und kenne nur ein einziges Gesetz: das des eigenen Machterhalts.

    So etwas hat es in der guten alten Bundesrepublik der Gertrud Höhler nicht gegeben. Da musste erst eine aus dem Osten kommen, die sich bei SED-Bonzen und der Stasi abgeschaut hat, wie es sich jenseits aller bürgerlichen Werte und rechtlichen Bindungen herrschen lässt:

    "Das "Mädchen" als Putschistin – die undercover-Züge in ihrem Politikstil, Ergebnis einer perfekt angewandten Lektion aus ihrer Zeit im autoritären Staat, verhindern bis heute, dass ihr Turbo-Aufstieg in der gesamtdeutschen Politik als autoritärer Griff der "Rächerin" nach der Macht verstanden wird."

    Die Autorin dieser Zeilen lässt sich ungerührt als ehemalige Beraterin Helmut Kohls titulieren. Belegt ist lediglich, dass sie als Beraterin von Banken und Großunternehmen reich wurde. Gerne wüsste man nach der Lektüre dieses Buches, ob Höhler den Altkanzler etwa beim Umgang mit seinen Parteispenden und der Abwägung zwischen Rechtspflichten und angeblichen Ehrenworten beraten hat.

    Die staatspolitische Kriminalgeschichte aber spielt sich für Höhler allein in der Gegenwart der Merkel-Ära ab.

    "Also, weil sich in vielen Vorgängen, die wir sehen, der Vergleich zu Undercover-Maßnahmen, die niemand richtig durchschauen soll, nahelegt. Und weil die legalen Strukturen – ich wiederhole mich – infiltriert werden durch illegales Verhalten."

    Was Höhler an Differenzierung, Versachlichung und Tiefenschärfe der Beobachtung verweigert, kompensiert sie durch prophetisches Raunen. Wozu Politik und Demokratie durch Merkels Wirken deformiert werden, bleibt vage angedeutet. Wenn nicht gleich die Diktatur droht, so doch eine in den Augen Höhlers nicht weniger apokalyptische Zukunft:

    "Ich hatte die Absicht einmal, viel früher als das sonst gelingt, darauf hinzuweisen, dass hier Tendenzen sind, die vielleicht – auf einem ganz neuen Wege, den wir noch nicht kannten – in eine Staatswirtschaft führen."

    Das Instrumentarium, mit dem Höhler zu Werke geht, ist ein hoch emotionalisierter Ton, eine anstrengend manierierte, mit selbstverliebten Metaphern überfrachtete Sprache und ein manisch auf die Person Merkel fokussierter Furor. Das tatsächliche Phänomen einer Verlagerung von politischen Entscheidungsprozessen auf die Ebene der Exekutive, das im europäischen Krisenmanagement unübersehbar hervortritt, kann Höhler so nur in holzschnittartiger Vergröberung erfassen.

    "Wir haben immer weniger Macht des Parlaments. Wir haben – je nachdem was das Bundesverfassungsgericht sagen wird – bald die Überschreitung einer weiteren roten Linie. Die roten anderen haben wir alle hinter uns. Das ist nicht demokratisch!"

    Die Beobachtungen, die Höhler an dieser Stelle bewegen, hat der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch bereits vor sieben Jahren mit dem Begriff Postdemokratie beschrieben: eine fundamentale Veränderung politischer Prozesse und Strukturen im Zeichen globaler Krisen, ökonomischer Verflechtung und kommunikativer Beschleunigung. Der wissenschaftliche, verfassungsrechtliche und politische Diskurs, der seitdem weltweit geführt wird, lässt Höhler indes vollkommen unberührt. Zwar nimmt sie den Nimbus der Wissenschaftlerin gerne für sich in Anspruch. Doch selbst von Büchern, die sich früher und erkenntnisreich mit der Person Angela Merkels auseinandergesetzt haben, nimmt Höhler keine Notiz. Nicht von Jacqueline Boysens akribischer Erforschung der Sozialisierung Merkels in der DDR, nicht von Margaret Heckels Nahbeobachtungen aus dem Regierungsalltag im Kanzleramt, nicht von den in einem Sammelband aufgefächerten Analysen der "Zeit"-Autoren um Bernd Ulrich und Matthias Geis. Für die cum ira et studio verfasste Kampfschrift genügt eine in Fußnoten dokumentierte Wahrnehmungsbreite, die kaum über die Internetangebote von spiegel-online und wenigen Tageszeitungen hinaus reicht.

    Dieses Buch und seine Autorin bleiben durch und durch Hervorbringungen eines Medienbetriebes, der Tiefenschärfe durch Exzentrik und Klugheit durch Auffälligkeit ersetzt. In der heißen Luft dieses Betriebes leuchtet das Buch dieser Tage grell auf – um dann bald schon zu verglühen.

    Gertrud Höhler: "Die Patin. Wie Angela Merkel Deutschland umbaut."
    Verlag Orell Füssli, 296 Seiten, 21,95 Euro
    ISBN: 978-3-280-05480-2