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Kanada
Mit dem Greyhound durch Québec

Kanada ist ein Traumziel, sowohl für Touristen als auch für Migranten auf der Suche nach einem besseren Leben. Die Fahrt mit dem Greyhound Bus durch Québec ist dabei eine günstige Alternative zum eigenen Auto. Besonders beliebt ist der Bus bei Backpackern und Singles.

Von Isa Hoffinger | 25.09.2016
    Ein Greyhound Bus mit einem roten Ahornblatt als Zeichen für Kanada. Die Fahrertür ist offen, darunter liegt eine Fußmatte auf der Erde, auf der "Welcome" zu lesen ist.
    Die Greyhound Busse sind auch in Kanada unterwegs. (imago stock&people)
    "Na, wie war deine Fahrt?" - "Super. Es war einfach toll." - "Du sagtest gerade, du kommst aus Chicago? Ganz schön weit, die Strecke." - "Ich habe viel geschlafen. Den Bus habe ich gestern zum ersten Mal genommen – und ich würde es auf jeden Fall wieder tun, weil es eine günstige Möglichkeit des Reisens ist."
    Kelim ist US-Amerikaner. Er ist Ende 20, hat eine dunkelblonde Punk-Frisur, einen Stoppelbart und trägt Baggy Pants. Seine überschwängliche Reaktion an der Busstation von Montreal verblüfft mich. Immerhin saß er gerade 26 Stunden lang – so lange dauert es im Schnitt von Chicago nach Montreal – in einem "Greyhound".
    Und wenige Sekunden vor der Aufnahme klang das mit dem "great trip" auch noch völlig anders. "I will never ever take the bus again! It was absolutely disgusting and boring" – langweilig und schrecklich sei seine Reise gewesen, meinte er da. Laut ins Mikrofon sagen will Kelim das offenbar nicht.
    "Great!"- "Awesome!" - "Beautiful!" - Übertreibungen sind Teil des Umgangs in Nordamerika. Das macht es leicht und schwer zugleich. Leicht, weil uns positive Schwingungen natürlich beflügeln. Schwer, weil man bei so viel guter Laune oft nicht weiß, woran man denn nun eigentlich ist und ob sich jemand wirklich freut.
    In Montreal leben viele Immigranten
    Das mit der Wahrheit ist so eine Sache, sie kann manchmal ziemlich teuer werden in den Staaten. Klagen vor Gericht sind in den USA ein Volkssport. Raucher kassieren Millionen von Tabakkonzernen. Patienten verklagen ihre Ärzte. Touristen verlangen ihr Geld von Hotels zurück, wegen Kleinigkeiten. Etwa, wenn das Wasser abends nicht heiß genug aus der Dusche kommt. Auch Kelim fürchtet wohl insgeheim, dass die Busgesellschaft, mit der er verreist ist, ihn vor ein Gericht zerren könnte, wenn er etwas Negatives erzählt.
    Vielleicht ist das "yeah" und "great, man", das ich in den nächsten zehn Tagen noch öfter hören werde, und das so ungewohnt ist für deutsche Ohren, im Grunde einfach nur höflicher als unser ewiger Kritikwahn. Und – by the way – wem nützt es denn eigentlich, wenn wir uns gegenseitig die deutsche Ehrlichkeit wie einen nassen Waschlappen ins Gesicht schleudern?
    Ich bin in Québec. Im französischsprachigen Teil Kanadas. Und das macht mich von der ersten Sekunde an ziemlich glücklich. Warum, weiß ich gerade noch nicht so genau. Vielleicht, weil die Menschen hier so gern miteinander lachen. Kanada ist ein Traumziel: Viele Amerikaner denken im Moment darüber nach, in ihr Nachbarland umzusiedeln. Wegen Donald Trump.
    Hier, im europäischsten Teil Nordamerikas, wären sie in guter Gesellschaft. Seine Kritik an den Donald-Trump-Anhängern verpackte der Feuerschlucker und Straßenkünstler, den ich am Abend zuvor in der Fußgängerzone von Montreal getroffen habe, in einen Witz.
    "Auf Französisch: Un, deux, trois. Auf Englisch: One, two, three. Auf Spanisch: Uno, dos, tres. Auf Amerikanisch: One. Another one. Lots."
    In Montreal leben viele Immigranten. Wer am alten Hafen durch die schmalen Gassen mit den Bars und Restaurants schlendert, schnappt überall englische, französische und spanische Wortfetzen auf, die der Wind von einer Straßenseite auf die andere trägt.
    Mit dem "Greyhound" von Montreal nach Québec in drei Stunden
    Die Kellnerinnen lächeln so liebenswert, dass man jeden Augenaufschlag für einen Flirt hält. Und selbst das Hupen der Autos, das unachtsame Passanten von der Straße scheuchen soll, klingt – im Vergleich zum schnellen und lauten deutschen Verkehr – fast zärtlich.
    "Ich komme ursprünglich aus Spanien." - "Super, dann können wir uns auf Spanisch unterhalten!" - "Na klar, wenn Sie möchten, sehr gern. Mein Bruder und seine Familie sind vor 25 Jahren nach Kanada ausgewandert. Und ich wollte mit ihnen zusammen sein." - "Aus welcher Stadt kommen Sie ursprünglich, aus Madrid?" - "Aus Sevilla. Das ist ein ganz anderes Land, dort ist es immer warm, hier ist es sehr kalt im Winter."
    Jorge ist 62 Jahre alt und war einmal Rechnungsprüfer. Er hat studiert, wie viele zugewanderte Spanier, Mexikaner, Kolumbianer. Aber um Geld zu verdienen in seiner neuen Heimat, kaufte er sich eine Taxi-Lizenz.
    Ich habe beim "Orléans Express", einer der vielen Busgesellschaften, eine Fahrkarte reserviert. Im Internet. Ein einfaches Ticket von Montreal nach Québec City kostet so nur 35 Euro – mit etwas Glück und bei rechtzeitiger Buchung. Rund 30 Menschen fahren an diesem Morgen um acht Uhr mit mir von Montreal nach Québec. Insgesamt hat der Bus 52 Plätze.
    "Wir haben Kunden, die unterwegs aussteigen und ihre Anschlüsse bekommen müssen. Darum müssen wir pünktlich losfahren. Wenn wir sehen, dass jemand sich gerade noch am Schalter ein Ticket kauft, dann warten wir zwar noch zwei, drei Minuten, aber generell müssen wir den Fahrplan einhalten."
    Ein Tournee-Manager fährt per Bus von Festival zu Festival
    Unser Busfahrer wünscht uns eine gute Reise und bittet uns, ihm bescheid zu sagen, falls es uns zu kalt oder zu heiß sein sollte, damit er die Klimaanlage einstellen kann. Neben mir sitzt José. Er ist 23 Jahre alt, studiert Ingenieurwesen und kommt aus Mexiko. Dort, sagt er, sei das mit der Wahrheit noch schwieriger als in Nordamerika. Die Drogen-Kartelle hätten große Macht. Korruption vergifte das Klima, in Kanada sei das viel besser. Er sucht einen Job hier. Wie viele junge Menschen aus Mittelamerika:
    "Es gab einige Studenten, angehende Lehrer, die protestiert haben gegen die Korruption in einer Stadt, und der Bürgermeister hat der Polizei bescheid gegeben und gesagt: 'Lasst die verschwinden! Packt sie in einen Bus und bringt sie weg!' Es gab noch ein Video im Internet, das zeigte, wie die Polizisten die Studenten verprügelt haben. Danach hat sie nie wieder jemand gesehen."
    Wir verlassen Montreal. Auf der breiten, zweispurigen Straße ist an diesem Dienstagmorgen nicht viel Verkehr. Ein paar Familien sind unterwegs zu ihren Sommer-Cottages auf dem Land. Ab und zu überholt uns ein Truck. Die Landschaft ist unspektakulär: Es gibt riesige Mischwälder, die bis zum Horizont reichen. Flüsse mit braunem Wasser, das über Steine mit einem hohen Eisenanteil fließt. Die höher steigende Sonne saugt gerade den Morgennebel über den vielen Seen ein.
    "Warum sprichst du so leise?"- "Ich will die anderen Passagiere nicht stören."
    Luis, der eine kanadische Mutter und einen peruanischen Vater hat, trägt einen Strohhut, der sei sein Markenzeichen, sagt er:
    "Ich fahre sehr oft mit dem Bus. Ich bin Tournee-Manager, ich begleite Bands bei ihren Auftritten von Festival zu Festival, und jetzt im Sommer ist die Festival-Saison in Kanada, darum nutze ich den Bus oft."
    Essen, schlafen, Musik hören oder im Internet surfen
    Luis arbeitet an seinem Notebook und checkt Emails. Im Bus gibt es kostenloses WIFI. Dass die "Greyhounds" wieder besser ankommen bei den Reisenden, ist erfreulich. Vor zwei Jahren noch schrieb der "Orléans Express" rote Zahlen. Rund 450.000 kanadische Dollar stellte die Regierung von Québec damals zur Verfügung, um das Unternehmen zu retten. Dennoch war der Zuschuss nur ein Tropfen auf den heißen Stein: Dreieinhalb Millionen Dollar Verlust schrieb die Gesellschaft im Jahr 2013.
    Für Familien lohnt es sich einfach nicht, mehrere Tickets zu kaufen, der Sprit ist günstig, die meisten Menschen fahren darum lieber mit dem eigenen Auto oder dem Mietwagen durchs Land. Aber Singles und Backpacker sind mit dem Bus besser bedient. Wir brauchen nur drei Stunden von Montreal nach Quebéc. Können im Internet surfen. Essen. Schlafen. Musik hören.
    Zwei Songs einer Band, die der junge Manager Luis vertritt, zieht er mir auf einen USB-Stick. Die Musiker gehören zu den "First nations". Der ersten Nation, wie die Ureinwohner in Kanada politisch korrekt genannt werden. Sie werde ich besuchen. Schon früher einmal hat mir ein Schamane sehr geholfen. Zu einem Zeitpunkt, an dem ich dachte, es gehe vielleicht nie mehr weiter.
    Und auch jetzt, an der Busstation in Québec, wird ein junger Mann auf mich warten, dessen Vater Quebécer ist und dessen Mutter zum Stamm der Huronen gehört. Und auch er wird mein Leben komplett auf den Kopf stellen. Aber das ist eine andere Geschichte.