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Kanal-Ausbau
Manuskript: Ach, wie eng ist Panama!

Rund 100 Jahre nach der Eröffnung des Panama-Kanals steht eine Erweiterung der Wasserstraße quer durch Mittelamerika an. Der Kanal soll auch für die großen modernen Containerschiffe der Post-Panamax-Klasse befahrbar bleiben. Daher werden jetzt neue Schleusen gebaut und die Fahrrinne erweitert. Kosten und Umweltfolgen sind noch nicht exakt bestimmt.

Von Katharina Nickoleit | 23.02.2014

    "Jetzt werden wir die Schleusentore öffnen und das Schiff fährt dann in die zweite Kammer, wo wir es noch einmal anheben."
    Die Miraflores-Schleusen im Südosten Panamas. Langsam setzt sich die "Rupanco" aus Monrovia in Bewegung. An jeder Seite führen je drei straff gespannten Stahltrossen zu drei starken Lokomotiven.
    "Sie führen das Schiff und sorgen dafür, dass es im Zentrum der Schleusenkammer bleibt. Und sie helfen dem Schiff, zu bremsen. Aber vor allem halten sie es in der Mitte. Er grüßt uns!"
    Der Kapitän der "Rupanco" winkt seinem Publikum zu und Dazzel Marshall grüßt zurück. Der junge Mann ist Mitarbeiter der panamaischen Kanalbehörde und trägt wie jeder, der hier arbeitet, eine hellblaue Krawatte, auf der kleine Schlepperboote abgebildet sind.
    "Das hier ist ein Panamaxschiff. Die Panamaxschiffe haben die maximale Breite, mit der der Kanal noch befahren werden kann. Da bleibt noch ein halber Meter auf jeder Seite."
    Das gut 32 Meter breite Schiff in die nur einen Meter breitere Schleuse hineinzuleiten ist Maßarbeit. Wenn man vor dem Containerschiff steht, wirkt es riesig, fast wie ein Hochhaus. Aber tatsächlich ist es ein verhältnismäßig kleines Schiff. Längst sind viel größere Frachter auf den Weltmeeren unterwegs.
    "Mehr als fünf Prozent der weltweit gehandelten Waren werden durch den Panamakanal geschleust. Es könnte noch viel mehr sein, aber im Moment haben wir Einschränkungen durch die Schleusen. Wenn die neuen Schleusen erst fertig gestellt sind, werden wir doppelt so viel Fracht haben. Und doppelt so hohe Einkünfte."
    Der Panamakanal ist neben dem Suezkanal in Ägypten die wichtigste künstliche Wasserstraße der Welt. Den Schiffen erspart er auf ihrer Reise vom Pazifik in den Atlantik den Umweg rund um Südamerika – rund 15.000 Kilometer. Diese Abkürzung lassen sich die Reeder einiges kosten - 74US Dollar werden pro geschleustem Standardcontainer fällig. Das kleine mittelamerikanische Land besitzt mit dem Kanal eine echte Goldmine.
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    Miroslava Herrera erklärt DLF-Reporterin Katharina Nickoleit die Erweiterung. (Panama Canal Authority)
    "35 bis 40 Schiffe pro Tag. Mehr als 14.000 Schiffe im Jahr. Je nachdem wie viel Fracht sie geladen haben, macht das 6 bis 7 Millionen Dollar täglich. Mehr als 2 Milliarden US-Dollar jährlich. Der Kanal ist Panamas wichtigste Einnahmequelle."
    Damit das so bleibt, wird der Kanal erweitert. Er muss breiter und tiefer werden und braucht vor allem größere Schleusen, auf beiden Seiten des Kanals. Damit künftig auch die "Post Panamaxschiffe" die Meeresstraße passieren können. Nur eine kleine Landzunge trennt die beiden alten Schleusen von der Baustelle auf Atlantik-Seite. Miroslava Herrera, die Dokumentarin des Panama Canal Expansion Programs steht auf einer Aussichtsplattform und zeigt auf die vielen Bagger, Kräne und Lastwagen, die an der neuen Einfahrt in den Kanal arbeiten. Hier entsteht eine Megaschleuse mit drei Kammern. Jede einzelne wird 427 Meter lang und 55 Meter breit sein. Das entspricht jeweils der Größe von vier Fußballplätzen.
    "Das hier ist die Struktur, über die die Schiffe von der Karibik auf Höhe des Gatunsees angehoben oder in Gegenrichtung nach unten befördert werden sollen. Die meisten Betonarbeiten sind abgeschlossen. Die Mauern sind fertig hochgezogen und man erkennt schon die Umrisse der gesamten Struktur, vom See bis runter auf Meeresniveau."
    Auf der einen Seite glitzert die Karibik, auf der anderen der riesige Gatun-Stausee, der die Landenge heute fast zur Hälfte unter Wasser setzt. Eine ganze Reihe Frachter warten unten in der Kanaleinfahrt auf ihre Schleusung. In drei Stufen werden sie 26 Meter angehoben. Aber nicht, weil Pazifik und Atlantik unterschiedlich hoch wären.
    "Wir werden oft gefragt, welcher Ozean höher liegt – sie sind beide auf 0 Metern. Aber dazwischen liegt das Land mit einer Bergkette, die von Alaska bis Feuerland reicht. Das ist das Hindernis, auf das erst die Franzosen stießen, dann die Amerikaner und nun wir."
    Den Seeweg rund um das stürmische Kap Horn abzukürzen, das war schon kurz nach der Entdeckung Amerikas ein Traum der spanischen Krone. Gold aus Peru und Silber aus Bolivien wurden am Pazifik von den Schiffen auf Maulesel verladen und über Land auf dem "Camino del Oro", dem Weg des Goldes, bis zur Karibik transportiert, um dort erneut auf Schiffe verladen zu werden. König Karl V. ließ bereits 1523 erkunden, ob es möglich wäre, die nur 82 Kilometer breite Landenge zu durchstechen.
    Dazzel Marshall führt durch die Ausstellung im Besucherzentrum. Der Raum ist dämmrig, alte Fotografien, Modelle, Karten und altes Arbeitsgerät werden mit Geräuschen von Sprengungen untermalt ausgestellt.
    "Nachdem die Franzosen in Ägypten den Suezkanal gebaut hatten, baten sie um Erlaubnis, auch in Panama einen Kanal graben zu dürfen. Sie wollten einen Kanal auf Meeresniveau bauen. Nach 20 Jahren hatten Krankheiten wie Malaria und Gelbfieber mehr als 20.000 Menschen getötet."
    Noch wusste man nicht, dass Malaria und Gelbfieber durch Mücken übertragen werden. Die Franzosen hatten die Schwierigkeiten, die die Arbeit in den Tropen mit sich bringen würde, weit unterschätzt. Vor allem hatten sie nicht mit dem ständigen Regen gerechnet, der das gerade ausgeschaufelte Erdreich zurück in die Grube wusch.1889 gaben die Franzosen die Baustelle schließlich auf. 16 Jahre später setzten die US-Amerikaner das Projekt fort. Statt einem Durchstich durch Basaltgestein auf Meereshöhe entschieden die sich dafür, die Schiffe über Schleusen anzuheben. Sie hatten aus den Fehlern der Franzosen gelernt und schafften den Abraum mit Eisenbahnen weit weg von der Baustelle. Und sie profitierten davon, dass die Wissenschaft in der Zwischenzeit entscheidende Fortschritte gemacht hatte.
    Marshall: "In Cuba forschte Carlos Finlay darüber, wodurch die Krankheiten übertragen wurden. Alles, was man aus Cuba lernen konnte, wurde hier angewendet: Es wurde gesprüht, Straßen asphaltiert, Mückengitter an den Häusern angebracht. Und es wurde Benzin in kleine Tümpel geschüttet, damit sich die Mücken dort nicht entwickeln konnten."
    Erosion ist ein Problem
    Neun Jahre, nachdem sie mit dem Bau des Kanals begonnen hatten, wurde er 1914 eröffnet. Ein 82 Kilometer langer, künstlicher Wasserweg, der einen Kontinent durchschneidet und eine Verbindung zwischen zwei Ozeanen schafft – das ist ein gewaltiger Eingriff in die Natur, dessen Folgen sich nicht auf den ersten Blick erschließen. Jenseits der Baustellen wirkt das Land tropisch grün. Doch Umweltschützer, die sich genauer mit dem Kanal beschäftigen, haben eine ganze Reihe Probleme ausgemacht. Alida Spadafora von der panamaischen Umweltschutzorganisation ANCON sorgt sich besonders um die Erosion entlang des Kanals.
    "Wir haben in den 90er Jahren Studien durchgeführt und haben herausgefunden, dass jedes Jahr pro Hektar 200 Tonnen Material in den Kanal geschwemmt werden. Das liegt daran, dass ein Teil des Kanals Gebiet mit sehr steilen Abhängen durchschneidet. Dort wächst nichts mehr, die Erde ist längst weggewaschen. Es regnet hier viel und jeder Regen wäscht mehr Material in den Kanal."
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    Tief schneidet der Kanal in die Landschaft ein. (Panama Canal Authority)
    Das hat nicht nur zur Folge, dass die Fahrrinne regelmäßig ausgebaggert werden muss. Das Sediment wird über die Schleusen in die Ozeane geschwemmt und richtet vor allem in der Karibik schwere Schäden an.
    "Dort haben wir in der Nähe der Kanalausfahrt Korallen. Das Wasser, das aus dem Kanal kommt, ist voller Sediment, und das beeinträchtigt die Korallen. Sie brauchen kristallklares Wasser um zu überleben. Wenn Du da runter tauchst, dann siehst du, dass alle Korallenbänke tot sind. Und mit Sediment bedeckt."
    Die Studie von ANCON ergab, dass die Belastung durch Sediment aus dem Kanal um ein Vielfaches höher ist als bei einem natürlichen Fluss. Das liegt nicht nur an der Erosion, sondern auch daran, dass das Wasser bei den Schleusenvorgängen mit mehr Wucht Richtung Meer schießt. Dieses Problem besteht, seitdem der Kanal gebaut wurde. Doch mit dem Ausbau verschärft es sich. Um das zu erkennen, reicht eine kurze Bootsfahrt.
    Im schlammfarbenen Wasser des Kanals arbeiten sich Baggerschiffe Kilometer um Kilometer vorwärts. Raupenbagger und anderes schwere Gerät beissen sich ins Ufer, und haben Wunden in den sonst dichten Regenwald geschlagen.
    Spadafora: "Wir sehen ein aufgewühltes, schokoladenfarbenes Wasser, das ist ganz offensichtlich eine Folge der Ausbauarbeiten. Das Erdreich am Ufer ist aufgerissen und wird von keinerlei Pflanzen mehr bedeckt. Und wir haben es hier mit Böden zu tun, die schnell erodieren."
    Die Erosion, so hat ANCON berechnet, steigt durch die Ausbauarbeiten noch mal um die Hälfte an. Die Erweiterung des Kanals betrifft längst nicht nur den Bau der neuen Schleusen. Die Fahrrinne muss vertieft und der Kanal verbreitert werden. Sowohl auf der Pazifik- als auch auf der Atlantikseite wurde die 15 Kilometer lange Einfahrzone verbreitert und vertieft, damit die größeren Schiffe dort sicher wenden können. Eine der größten Aufgaben ist der Bau der Zufahrt zu der neuen Schleuse auf der Pazifikseite. Die Abzweigung ist sechs Kilometer lang.
    Miroslava Herrera: "Es war eine Aushebung von 50 Millionen Kubikmetern. Enorm. Und alles reiner Basalt. Der Stein musste weggesprengt werden. Das wurde alles sehr vorsichtig gemacht – aber wir mussten Berge versetzen."
    Miroslava Herrera von der Kanalbehörde streitet keine Sekunde lang ab, dass der Ausbau gewaltige Eingriffe in das Ökosystem mit sich bringt. Aber sie betont immer wieder, dass vor jedem Bauabschnitt sorgfältig geprüft werde, wie groß die Auswirkungen auf die Natur sein werden und immer nach einer Lösung gesucht werde, die Umwelt möglichst wenig zu schädigen. Trotzdem wurden rund 500 Hektar Wald gefällt. Die dort lebenden Krokodile, Affen und Faultiere wurden zuvor eingefangen und umgesiedelt – eine in dieser Größenordnung einmalige Aktion.
    "Parallel zu allen Arbeiten haben wir einen Wiederaufforstungsplan. Für jeden gefällten Baum werden zwei neue gepflanzt."
    Dass sich die Kanalbehörde um die Wiederaufforstung kümmert, geschieht auch aus purem Eigennutz. Denn ohne Wald könnte der Kanal nicht betrieben werden. Und das nicht nur, weil die Erosion an den Ufern unkontrollierbar würde.
    "Der Kanal ist abhängig vom Wasser. Wenn wir kein Wasser haben, dann gibt es hier keinen Verkehr. Um Wasser zu haben, kümmern wir uns um den Wasserhaushalt rund um den Kanal."
    Auf Google Earth sieht man recht deutlich, dass die Gegend um den Kanal zu den wenigen Gebieten Panamas gehört, in der es noch viel Wald gibt. Mit dem Wiederaufforstungsprogramm stellt sich die Frage, welche Bäume in welcher Kombination auf welchem Untergrund gepflanzt werden müssen, damit der Wasserhaushalt optimal reguliert wird. Das sind Fragen, denen Wissenschaftler des Smithsonian Tropical Research Institutes in Panama Stadt nachgehen. Dr. Michiel van Breugel hält Setzlinge fünf verschiedener Baumsorten in den Händen.
    "Sie haben alle unterschiedlich lange Wurzeln und verschiedene Wurzelsysteme. Sie speichern also das Wasser unterschiedlich. Wir nennen das den Schwammeffekt, wenn die Wurzeln das Wasser in der Erde zurückhalten und nur langsam abgeben."
    Der Niederländer Michiel van Breugel ist 42 Jahre alt und lebt seit sechs Jahren in Panama. Auf insgesamt 265 Versuchsfeldern hat der Forstwissenschaftler in exakten Vierecken von 45 mal 49 Metern in akkuraten Reihen je 225 Bäume gepflanzt. Die Versuchsfelder liegen in einer hügeligen Landschaft, nicht weit von der Autobahn Richtung Karibik. Ein kleiner Bach rauscht den Hügel hinunter. Manche der Felder sind eben, andere liegen auf unterschiedlich steilen Abhängen. Auf jedem dieser Felder stehen die fünf Baumsorten in immer anderen Konstellationen.
    "Wir wollten sehen, wie sich die Arten untereinander in ihrem Wachstum beeinflussen. Und wir wollten sehen, wie sie in der Regenzeit das Wasser zurückhalten und es dann in der Trockenzeit abgeben."
    Für die Kanalbehörde sind die Ergebnisse von Michiel van Breugel enorm wichtig. Wenn es am Kanal Probleme gibt, dann haben die entweder mit zu wenig Wasser in der Trockenzeit oder mit zu viel Wasser in der Regenzeit zu tun. 2012 war beispielsweise ein Jahr mit ungewöhnlich viel Regen.
    Van Breugel: "Es regnete in kürzester Zeit so heftig, dass das Wasser in den künstlichen Seen stieg und die Dämme bedrohte. Wenn die Dämme beschädigt werden, dann muss die Schifffahrt eingestellt werden und das bedeutet ungeheure wirtschaftliche Verluste. Bäume können Regen auch auffangen. Sehen sie sich diese Blätter an: Wenn Regen darauf fällt, werden sie alle nass. Diese Feuchtigkeit verdunstet. Bis zu 20 Prozent des Regens kann so abgefangen werden."
    Wasserbedarf wird steigen
    Genug und die richtige Auswahl an Bäumen zu pflanzen, reicht allein bei weitem nicht aus, um den Kanal mit ausreichend Wasser zu versorgen. Für jeden einzelnen Schleusungsvorgang werden 200 Millionen Liter benötigt, die vom Kanal hinunter in den Ozean fließen. Auf der Aussichtsplattform an der Atlantik-Baustelle deutet Miroslava Herrera auf den riesigen Gatunsee.
    "Das hier war mal ein Tal, vor mehr als 100 Jahren. Aber der Kanal brauchte ein Wasserreservoir. Zwei Flüsse füllten das Tal mit Wasser, es dauerte drei Jahre, bis das Reservoir voll war. Das ist alles Frischwasser, das durch die Schwerkraft nach unten fließt und die Schiffe bewegt."
    Der Gatunsee ist etwas kleiner als der Bodensee und enthält 5,2 Kubikkilometer Wasser. Doch wenn erst die dritte Schleuse in Betrieb ist, wird das nicht reichen. In der Trockenzeit steht jetzt schon manchmal nicht ausreichend Wasser für die vorhandenen Schleusen zur Verfügung. Als der Ausbau des Kanals in Angriff genommen wurde, war zunächst überlegt worden, weitere Flächen zu fluten, um das Wasserreservoir zu vergrößern. Man entschied sich jedoch für eine andere Lösung.
    "Wir werden Wassersparbecken haben, die in der Trockenzeit mithelfen, die Schleusenkammern zu füllen. Darin wird das Wasser für den nächsten Schleusengang zwischengespeichert."
    Neben den schon ziemlich weit gediehenen Schleusenkammern sind die ersten Ansätze einer weiteren Aushebung zu erkennen. Hier entstehen die Wassersparbecken. Jede der drei hintereinander geschalteten Schleusenstufen ist mit je drei seitlichen Wassersparbecken verbunden. Statt ins Meer fließt das Wasser bei einem Schleusengang in niedriger gelegene Sparbecken und kann dann für den nächsten Schleusengang wieder genutzt werden, indem es in das nächst niedrige Schleusenbecken geleitet wird. Statt also alle drei Schleusenkammern mit immer neuem Wasser aus dem Gatunsee zu füllen, wird ein und dasselbe Wasser in allen drei Schleusenbecken verwendet. All diese verschiedenen Becken müssen mit riesigen Rohren verbunden werden.
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    Schleusenbaustelle auf der Atlantikseite. (Panama Canal Authority)
    "In der Standardschleuse hat man nur Verschlüsse in Längskanälen, die unterirdisch entlang der Schleusenachse laufen. Hier hat man auch noch Kanalverbindungen quer auf der Schleuse, die in Richtung von Sparbecken gehen. Das bedeutet, dass es eine recht komplexe Schleuse geworden ist."
    Der Ingenieur Hendrik Perdijk ist Niederländer und arbeitet für die deutsche Firma Bosch Rexroth. Wassersparbecken an Schleusenanlagen sind keine neue Erfindung, sie werden schon seit einigen Jahren gebaut. Doch in dieser Größe und Komplexität sind sie nie zuvor konstruiert worden. Insgesamt sind 158 Verschlüsse in jeder Schleusenanlage verbaut.
    "Das sind große Verschlüsse, die Verschlüsse sind sechs bis vier Meter, die dann angetrieben werden durch die Hydraulikzylinder und Aggregate."
    Und genau diese Steuerungstechnik liefern die Deutschen. Das System muss absolut zuverlässig funktionieren – wenn alle Verschlüsse gleichzeitig geöffnet sind, läuft der Gatunsee leer. Und die Steuerung muss präzise kontrolliert ablaufen. Strömt das Wasser zu schnell in die Kammern, wirken zu große Kräfte auf das Schiff und es kann zu Unfällen kommen.
    "Unabhängig von Wasserspiegel und Kräften und so weiter können wir immer eine bestimmte Geschwindigkeit realisieren. Da wird über automatisierte Programme ein optimales Programm zusammengestellt, über die Steuerung, um die Schiffe unter beherrschten Kräften so schnell wie möglich von dem Gatunsee in den Ozean zu schleusen oder in die andere Richtung."
    Sowohl am Atlantik als auch am Pazifik entsteht je eine dieser Wassersparschleusen. Der Wasserverbrauch soll gegenüber der alten Technik um 60 Prozent reduziert werden. Aber die Becken sind riesig – sie werden trotzdem noch fast so viel Wasser wie die alten Schleusen verbrauchen. Wenn alle Schleusen ausgelastet sind – und darauf hofft man in Panama – wird der Wasserverbrauch des Kanals also um fast ein Drittel steigen. Ob der Kanal wirklich ohne einen weiteren Stausee auskommen wird, das muss sich erst noch zeigen.
    Blinde Passagiere
    Als vor über 100 Jahren der Gatunsee aufgestaut wurde, entstand eine ganze Reihe Inseln. Eine dieser ehemaligen Bergspitzen wurde 1923 zu einer Art Mekka für Wissenschaftler: Die Insel Barro Colorado.
    "Als der Kanal gebaut wurde, sah der damalige Gouverneur die Notwendigkeit, für zukünftige Generationen einen Platz zum Forschen zu schaffen. Sie schlugen vor, diese Insel zu einem geschützten Gebiet zu erklären und sie der Forschung zu widmen."
    Oris Acevedo ist die wissenschaftliche Direktorin von BCI. Unter ihrer Leitung forschen Wissenschaftler aus aller Welt über Fledermäuse, Bäume, Pilze, Frösche und Insekten. Es dürfte kaum einen Flecken Erde geben, der besser erforscht wurde.
    "Was BCI so besonders macht, ist, dass es unglaublich viel Information gibt. Wir sprechen von 4000 Experimenten, 4000 Studien, die hier auf der Insel entstanden sind."
    BCI gehört zum Smithsonian Tropical Research Institute, das Wissenschaftlern hier all die Infrastruktur bietet, die sie brauchen. Sie müssen nicht in Hängematten schlafen und in Feldküchen kochen, keine Mikroskope oder Tiefkühlschränke zur Probenaufbewahrung mitschleppen, sondern können sich ganz auf ihre Forschung konzentrieren. Eine dieser Wissenschaftlerinnen ist die Kanadierin Diana Sharpe.
    "Off we go!"
    Die 26jährige Doktorandin wirft den Motor des kleinen Bootes an und fährt raus auf den See. Draußen legt sie eines ihrer Netze bereit.
    "Hier haben wir einen Mohara, das ist ein Meeresfisch, der auch Brackwasser und Süßwasser toleriert. Dieser hier kommt aus dem Atlantik. Es gibt hier verschiedene Arten, sowohl aus dem Atlantik als auch aus dem Pazifik. Die müssen durch die Schleusen durchgekommen sein, denn wir finden sie hier im Gatunsee."
    Eigentlich beschäftigt sich Diana Sharpe mit der Frage, wie Fischarten aus Südamerika, die im Kanal ausgesetzt wurden, die einheimischen Fischbestände beeinflussen. Doch sie fängt auch regelmäßig Meeresfische. Eine große Zählung im Jahr 2004 ergab, dass es über 100 Meeresfischarten im Gatunsee gibt. Schaffen es die Arten womöglich auch bis in den anderen Ozean?
    "Einige meiner Kollegen haben dazu geforscht, nicht mit Fischen, aber mit anderen Meeresorganismen. Und sie haben viele Beispiele dafür gefunden, dass Arten von einem Ozean in den anderen wandern. Der Panamakanal ist ein riesiger Korridor für invasive Arten."
    Lange dachte man, dass die dreistufigen Schleusen und das Süßwasser eine solche Invasion unmöglich machen würde. Doch um eine fremde Art einzuschleppen, reicht es, wenn Fischeier oder Larven bei der Schleusung mitgeschwemmt werden. Welche Folgen haben die invasiven Arten? Diana Sharpe untersucht den aus dem Amazonas stammenden und zur Sportfischerei im Kanal ausgesetzten Pfauenbarsch, der die einheimischen Arten stark dezimiert hat.
    "Wir schauen uns den Mageninhalt des Pfauenbarsches an und sehen, dass er sich stark von Meeresfischen ernährt. Das ist eine interessante Situation, denn womöglich nehmen die Meeresfische den Druck von den einheimischen Fischen. Das Zusammenspiel kann also sehr komplex sein."
    Wenn fremde Arten in ein Ökosystem eingeschleppt werden, muss das nicht notwendigerweise schlimme Folgen haben. Oft genug können sich die Invasoren nicht an die neue Umgebung anpassen oder aber sie leben friedlich neben den einheimischen Arten. Doch Lider Sucre vom Museum für Biodiversität in Panama Stadt macht sich Sorgen: Es gibt im Pazifik eine ganze Reihe aggressiver Arten und bei Experimenten in Aquarien zeigte sich, dass die in der Karibik Verheerungen anrichten können.
    "Im Pazifik lebt eine Meeresschlange, die es in der Karibik nicht gibt. Das ist eine sehr giftige Schlange. Wenn sie in einem pazifischen Aquarium ist, sieht man, dass die Fische die Gefahr kennen und wissen, wie sie ihr ausweichen können. Die Schlange hat es schwer, sich zu ernähren. Sie frisst, aber es ist anstrengend. Wenn man dieselbe Schlange in ein karibisches Aquarium setzt, dann kennt die dort kein Fisch, keiner hat Angst und der Schlange geht es sehr gut. Und sie vermehrt sich schlagartig, weil sie so viel zu fressen hat."
    Massen giftiger Meeresschlangen an Karibikstränden – das ist eine Version wie aus einem Horrorfilm. Lider Sucre ist sich sicher, dass sich dieses und andere Szenarien längst abgespielt hätten, wenn der Kanal auf Meeresniveau und damit ohne Schleusen gebaut worden wäre. Doch trotz der Schleusen und des Süßwassers gab es Ende der 1970er Jahre bereits eine Invasion, die schwere Folgen für das Ökosystem hatte:
    "Viele Fische, die Algen fressen, waren überfischt worden und da der Seeigel, kaum gegessen wird, war er der letzte Algenfresser, der in den Korallenriffen übrig geblieben war. Er hatte also eine sehr wichtige Funktion. 1978 grassierte eine entsetzliche Krankheit, ausgelöst von einer pazifischen Mikrobe, die auf irgendeinem Weg herübergekommen war und die Seeigel befiel – sie waren dagegen nicht resistent. 95 Prozent verschwanden. Es trat zum ersten Mal vor Panama auf – und verbreitete sich dann über die ganze Karibik."
    Es wurde nie geklärt, wie genau die Mikrobe durch den Kanal kam, vermutlich wurde sie im Ballastwasser mitgeschleppt. Nach und nach entwickelten die überlebenden Seeigel Resistenzen – aber es dauerte 20 Jahre, bis sich ihr Bestand erholt hatte.
    Sucre: "Aber in der Zwischenzeit wuchsen auf vielen Korallenbänken Algen und noch mehr Algen und überwucherten die Riffe. Eine einzige Mikrobe, die ausgerechnet eine Art angriff, die eine Schlüsselposition hatte, brachte also das ganze Ökosystem aus dem Gleichgewicht."
    Dass der Kanal – und derzeit besonders sein Ausbau – eine ganze Reihe ökologischer Probleme mit sich bringt, streitet in Panama niemand ab. Doch der Kanal ist als Devisenbringer viel zu wichtig für das Land, als dass irgendwer ernsthaft dagegen wäre. Im Gegenteil: Als die Amerikaner den Kanal Ende 1999 an Panama zurückgaben, entschieden sich in einem Referendum 78 Prozent der Bevölkerung für den Ausbau, der nun endlich ihnen gehörte. Bei dem Ausbau will man alles richtig machen und selbst die Umweltschutzorganisationen des Landes betonen, dass er so schonend wie möglich vonstatten gehe. Außerdem, so heißt es, stünde Panama in Sachen Umweltschutz ohne den Kanal wohl wesentlich schlechter da. Er bringt sehr viel Geld ins Land und ein Teil davon wird für Naturschutzgebiete ausgegeben.
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    Der Kanal ist der Hauptdevisenbringer Panamas. (Panama Canal Authority)
    Das Containerschiff "Rupanco" mit Heimathafen Monrovia im afrikanischen Liberia verlässt die letzte Schleusenstufe auf der pazifischen Seite und macht sich auf den Weg Richtung Karibik. Der rostige Pott stößt tiefschwarze Dieselrauchwolken aus. Der Umweltschützer Lider Sucre sieht darin ein Problem, dem viel zu wenig Beachtung geschenkt wird.
    "Die Luft müsste in Panama sauberer sein, aber sie ist es nicht. Wir haben keine Industrie, aber wir haben Schiffe. Und diese Schiffe gehören zu den schlimmsten Umweltverschmutzern. Mit dem Ausbau verdoppelt sich die Fracht, die durch den Kanal transportiert wird, und es werden sehr viel größere Schiffe sein. Ich sorge mich darum, was das für die Luftverschmutzung bedeutet."
    Das ist eine Frage, zu der es bislang keine einzige Studie gibt – weder zu dem bestehenden, noch zu dem zukünftigen Schiffsverkehr. Und der wird weiter zunehmen. Denn mit der für 2015 geplanten Eröffnung der neuen Schleusen ist der Kanalausbau nur vorübergehend abgeschlossen. Die noch nicht einmal fertig gestellte Anlage ist jetzt schon für viele der neueren Schiffe zu klein. Pläne für die nächste Großbaustelle liegen bereits in der Schublade.