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Kandidatenturnier für die Schach-WM
"Eigentlich mag ich nichts an diesem Turnier"

Im November findet in London die Schach-Weltmeisterschaft statt. Der Herausforderer von Magnus Carlsen wird gerade beim Kandidatenturnier in Berlin ermittelt. Vize-Weltmeister Sergej Karjakin gefällt die Organisation dort gar nicht.

Von Niklas Schenk | 18.03.2018
    Sergei Alexandrowitsch Karjakin, spricht während der Pressekonferenz zum "FIDE World Chess Candidates Tournament" in Berlin.
    Schachspieler Sergei Karjakin beim Kandidatenturnier in Berlin (picture alliance / Soeren Stache/dpa)
    Erstmals seit 2002, damals in Dortmund, findet das mit acht Teilnehmern hochkarätig besetzte Kandidatenturnier in Deutschland statt. Der Deutsche Schachbund erhofft sich einen Schub für das deutsche Schach, hat mit der Ausrichtung des Turniers aber erstaunlicherweise gar nichts zu tun. Die Spieler bieten in Berlin zwar Weltklasse, sonst läuft aber so gar nichts zusammen.
    Ilya Merenzon ist ein Mann der großen Worte. Der Präsident von World Chess, dem Ausrichter des Kandidatenturniers, spricht gerne mal von 1,5 Milliarden angeblichen Schachspielern auf der Welt und Schach als vielversprechendstem Start-Up der Welt.
    "Wie Rockstars"
    Auf der Eröffnungs-Pressekonferenz am Freitag vergangener Woche, da sagte Ilya Merenzon mal wieder einen für ihn so typischen, schönen Satz:
    "Die meisten Tage sind schon ausverkauft. Das ist sehr wichtig für die Spieler. Sie werden sich wie Rockstars fühlen! Sie werden das definitiv genießen und es wird ihr Spiel verbessern."
    Merenzon meinte damit vor allem die Location des Kandidatenturniers. Das findet im Berliner Kühlhaus statt, im hippen Kreuzberg. Fünf Stockwerke hat das Kühlhaus, auf Etage 1 sitzen die Spieler und spielen zeitgleich an vier Tischen, abgetrennt durch Mauern, die an die Berliner Mauer erinnern sollen. Von Stockwerk 2 und 3 können die Zuschauer die Züge auf den Brettern beobachten, in Etage 4 finden die Pressekonferenzen statt. Dort kann man auch selbst an ein paar Tischen spielen. In Etage 5 schließlich ist der Presseraum, in dem Großmeisterin Judit Polgar die Partien kommentiert.
    Futuristisch, jung, unbeliebt
    Eine futuristische, junge Idee, das Turnier in diesem Kühlhaus. Ganz nach dem Geschmack von Merenzon, der das Schach kommerzialisieren und cooler machen will. Blöd nur: Bis auf Merenzon gefällt die Location so ziemlich niemandem. Sergej Karjakin, der sonst stets höfliche Herausforderer von Magnus Carlsen bei der letzten WM zum Beispiel sagte am 1. Turniertag:
    "Eigentlich mag ich fast gar nichts von der Organisation dieses Turniers. Ich mag die Fotos nicht, den Austragungsort nicht, manchmal war es auch sehr laut. Ich will nicht sagen, dass ich deswegen verloren habe. Aber eigentlich mag ich nichts."
    "Mehr als Wahnsinn"
    Mag sein, dass seine Auftaktniederlage gegen den Aserbaidschaner Mamedjarow zu dieser Aussage beigetragen hatte, aber Karjakins Worte passten ins Bild. Fast alle Spieler äußerten sich kritisch zur Organisation, oft sogar ungefragt. Hauptkritik: Es sei zu laut, außerdem entsprachen in den Anfangstagen die Toiletten wohl nicht so ganz den Hygieneansprüchen.
    "Das ist mehr als Wahnsinn. Ich war selbst noch nicht da, kenne aber über Gespräche aus der Szene die Örtlichkeit. Bin auch mit Kramnik in Kontakt und seinen Sekundanten und was da zurzeit läuft, hat mit der Organisation eines Kandidatenturniers wenig zu tun. Das ist sehr unprofessionell", meint Carsten Hensel, der langjährige Manager von Vladimir Kramnik.
    Keine Verpflegung
    Hensel hat früher selbst Schachturniere ausgerichtet, z.B. das Kandidatenturnier 2002 in Dortmund. Er weiß also, wovon er redet. Hensel spricht das aus, was sich auch viele enttäuschte Zuschauer denken. Da findet endlich wieder ein bedeutendes Schachturnier in Deutschland statt und dann sowas: Nicht mal etwas zu essen oder trinken gibt es – im vierten Stock stehen ein Kaffee- und ein Schokoriegel-Automat, die vollkommen überraschend schon nach wenigen Stunden ihren Geist aufgaben. An Monitore, auf denen man die Spiele verfolgen kann, weil auf den Plätzen aus den oberen Etagen nicht jeder jeden Zug genau sehen kann, hat auch niemand gedacht. Dabei waren die Erwartungen riesig.
    "Für uns ist das natürlich ein Geschenk des Himmels, ist eine Riesenchance. Wir freuen uns sehr drüber", meinte der Präsident des Deutschen Schachbundes, Ullrich Krause, am Anfang des Turniers noch. Solche Worte hört man von ihm nun nicht mehr. Mit Public Viewings in Schachclubs und Turnieren auf den "Berliner Schachwochen" wollte der Deutsche Schachbund eigentlich den Schwung des Kandidatenturniers mitnehmen.
    Deutschland wichtiger als Russland?
    Nun fällt die Missorganisation des Turniers auf ihn und seinen Verband zurück. Dabei hatte der Deutsche Schachbund sowohl mit der Entscheidung, dass das Turnier in Berlin stattfindet als auch mit der Organisation des Kandidatenturniers gar nichts zu tun. Das liegt alles in der Hand von Ilya Merenzons Firma World Chess – der Weltschachverband FIDE hat ihm die exklusiven Rechte für die Organisation übertragen.
    Warum das Turnier in Berlin stattfindet, kann niemand abschließend erklären. Sinn macht es aber schon, schließlich gibt es eine riesige deutsche Schachgemeinde. Das weiß auch Veranstalter Merenzon: "Wenn man drüber nachdenkt, ist Deutschland mit 90.000 Mitgliedern sehr wichtig. Wir verkaufen Pay-Per-View Schach. Dafür ist Deutschland viel wichtiger als Russland. Deswegen veranstalten wir das Turnier auch nicht in Russland, sondern hier."
    Drei Russen, kein Deutscher
    Wichtiger als Russland? Das erscheint dann doch etwas übertrieben, wird das Turnier doch komplett von Russen organisiert und gesponsored. Und auch im Sportlichen trennen beide Länder Welten: Während Russland mit drei Teilnehmern die meisten aller Nationen stellt, ist kein Deutscher dabei. Die Elo-Zahl des besten Deutschen war für eine Qualifikation zu niedrig.
    Ein Russe war es auch, der bisher bei diesem Kandidatenturnier für die Höhepunkte sorgte: Altmeister Vladimir Kramnik begeisterte mit einer Wahnsinnspartie gegen Aronjan, als er die Schachwelt mit einem neuen Turmzug entzückte. Tags darauf verlor er dann in einer nicht weniger dramatischen Partie gegen den nun aktuell führenden Amerikaner Fabiano Caruana.
    Carsten Hensel, Kramniks Ex-Manager, glaubt trotzdem fest an seinen ehemaligen Schützling: "Er wird das gewinnen, da bin ich absolut von überzeugt. Weil er etwas gemacht hat, was er seit zwölf Jahren nicht mehr gemacht hat: Sich wirklich professionell vorzubereiten, auch physisch. Wenn er das mit 42 Jahren von der Energie durchziehen kann, gibt es keinen besseren Schachspieler als ihn, dann wird er das gewinnen."
    Ende März steht der Herausforderer fest
    Der 42-jährige Altweltmeister Vladimir Kramnik gegen den jungen, aktuellen Weltmeister Magnus Carlsen bei der WM im November in London: Es wäre eine Pointe, die wohl auch den überforderten Veranstaltern dieses Kandidatenturniers gefallen würde.
    Bis zum 27. Oder 28. März geht das Kandidatenturnier in Berlin noch – das hängt davon ab, ob nach den 14 Spieltagen noch ein Stechen nötig ist. Bleibt es beim aktuellen Stand, hieße der Herausforderer von Weltmeister Magnus Carlsen bei der WM Ende des Jahres Fabiano Caruana aus den USA.
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