Donnerstag, 28. März 2024

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"Kann die CDU Stadt? Natürlich!"

Ole von Beust verkörpert den Typus des modernen, urbanen CDU-Politikers. Respekt gegenüber Migranten betrachtet er als Teil des christlichen Weltbildes. Über seine Partei sagt er, die CDU besitze noch nicht die Kraft für einen homosexuellen Politiker als Kanzler oder Präsidenten.

Moderation: Birgit Wentzien | 27.12.2012
    Er verkörpert den Typus des modernen, des urbanen und liberalen Politikers innerhalb der CDU. Dass der Unionsreformer der 80er-Jahre und spätere Bundesverteidigungsminister Volker Rühe, wie er ein Hamburger Landsmann unseres Zeitzeugen, zu seinen frühen Förderern gehörte, erscheint retrospektiv daher als folgerichtig. Helmut Kohl dagegen soll weniger begeistert von ihm gewesen sein, dem kühlen, langen Blonden mit dem Sunnyboy-Image. Der Kanzler aus der Pfalz hätte sich wohl eher einen konservativen Unternehmer für die Hansestadt als Spitzenkraft seiner Partei gewünscht. Es kam anders. Der Jurist Ole von Beust, von ihm ist hier die Rede, geboren am 13. April 1955 in Hamburg, wurde 2001 als Erster Bürgermeister in seiner Heimatstadt gewählt. Zunächst in einer Koalition mit der FDP und dem umstrittenen Rechtspopulisten Ronald Schill, der ihn 2003 wegen seiner Homosexualität erpressen wollte und daraufhin von von Beust spektakulär entlassen wurde. Von 2004 bis 2008 konnte von Beust in Hamburg mit absoluter CDU-Mehrheit sein Bürgermeisteramt ohne Koalitionspartner führen, danach mit dem ersten schwarz-grünen Bündnis, das bundesweit für Aufsehen sorgte. Im Oktober 2010 trat Ole von Beust als Erster Bürgermeister zurück und verließ die Politik. Wenig später zerbrach das von ihm geschmiedete schwarz-grüne Bündnis. Heute arbeitet Ole von Beust als Berater in Hamburg.


    "Ich war ja einer der dienstältesten hamburgischen Bürgermeister. Also, nach Henning Voscherau war ich der mit der längsten Amtszeit."

    Norddeutsche Herkunft, das Image vom Sunnyboy und Ole von Beust als Politiker


    Birgit Wentzien: Herr von Beust, schnacken Sie eigentlich Platt, können Sie Platt schnacken?

    von Beust: Nur en beeten, aber ... nur ein bisschen, aber ... Verstehen tu ich das meiste, aber selber aktiv reden nicht so gut, nein.

    Wentzien: Also, die Frage war, um noch mal im Originalton zu übersetzen, ob Sie Niederdeutsch sprechen können. Ihre Großmutter konnte Platt mitschnacken.

    von Beust: Ja, Mecklenburger Platt. Also, die kam aus einem kleinen Ort, meine Mutter auch, in Mecklenburg, Lübtheen, Kreis Hagenow im westlichen Mecklenburg. Und die sprach, konnte wirklich gut Platt schnacken. Und Mecklenburger Platt ist ein bisschen anders als das Hamburger und ich weiß noch, die älteste Schwester meiner Mutter, also meine Tante, die Ende der 40er-Jahre in die USA ausgewandert ist, wenn ich die besucht hatte, dann hat sie abends immer noch mal vorgelesen eine mecklenburgische Geschichte von Pastor, irgendwas, Pastor Irgendwas, weiß ich noch, fand ich immer ganz beeindruckend. Die konnte das auch ganz fließend, aber ich nur ganz rudimentär.

    Wentzien: Ihre Großmutter ist schuld an Ole, richtig?

    von Beust: Richtig, die ist schuld an Ole, weil sie mich als kleines Baby Ole Popp – auch wieder Platt – genannt hat, alte Puppe, Kosename für Babys.

    Wentzien: Der komplette Name, den müssen wir auch noch sagen, Karl ...

    von Beust: Der komplette Name ist, also, getauft bin ich auf den Namen Carl-Friedrich Arp und dann Freiherr von Beust. Bin aber nie Carl-Friedrich genannt worden, höchstens, wenn meine Mutter mal irgendwie sauer war oder pädagogisch auf mich einwirken wollte, Carl-Friedrich, aber ansonsten immer nur Ole.

    Wentzien: Ole Popp. Wie ist Ihre Großmutter darauf gekommen, hat sie das mal erzählt?

    von Beust: Ich weiß nicht, das muss so eine mecklenburgische Koseform für Babys sein.

    Wentzien: Das Image zu Beginn des Politikers Ole von Beust, das war: talentiert, aber faul, nett, aber auch Sunnyboy, Hobbysegler, Leichtmatrose. Helmut Kohl wurde damals gefragt von der Hamburger CDU, wen sollen wir denn da jetzt mal hinstellen. Und er hat damals gesagt, nehmt einen Kaufmann oder einen Reeder und nicht diesen Mann! Was hatte der gegen Sie, warum wollte der Sie nicht?

    von Beust: Ich glaube, der hatte gar nichts gegen mich persönlich, dafür kannte er mich auch zu wenig. Aber er hatte mich wohl ein paar Mal erlebt und ich erfüllte wohl optisch so ein bisschen das Klischee, ja, wie Sie das gesagt haben, des freundlichen Sunnyboys ohne Tiefgang. Im Sommer hellblond, blaue Augen, immer gleich braun, ich werde sehr schnell braun. Und sah immer so aus, als wenn ich gerade vom Segeltörn komme. Dabei kann ich gar nicht gut segeln, nebenbei. Aber gut, sah wohl so aus. Und er hatte die Vorstellung: Hamburg, alte Hansestadt, Kaufmannsstadt, die braucht einen gestandenen Kaufmann, um auch die bürgerliche Klientel hinter sich zu vereinen, um eine Chance gegen die SPD zu haben. Das war damals, glaube ich, gar nicht mal böswillig gegen mich gedacht, sondern einfach auch seine Erfahrung, wäre vielleicht die bessere Wahl gewesen.

    Wentzien: Haben Sie mit ihm da mal drüber gesprochen?

    von Beust: Nein, ich habe es auch von ihm nie gehört, sondern immer nur gerüchteweise, Kohl sagt. Ob das alles stimmt, weiß ich auch nicht, aber es ist mir so kolportiert worden. Fand es noch nicht mal unplausibel und habe ich ihm auch gar nicht übel genommen aus seiner Sicht, mit einer gewissen Distanz denkt man ja manchmal auch, man steht noch in gewissen Klischees, das kann man gar nicht verübeln. Aber es hat mir ja auch nicht geschadet!

    Wentzien: Wir bleiben noch mal bei der Spreche und bei der Sprache! Als Kind haben Sie gerne Politikern beim Reden auch zugehört, Sie hatten also Freude auch an dem Klang von Stimmen ...

    von Beust: Ja, ich habe damals Bundestagdebatten mir im Fernsehen angeguckt, das weiß ich noch.

    Wentzien: Wie alt waren Sie da?

    von Beust: Zehn, elf? Und da gab es manchmal Bundestagsdebatten, die original in voller Länge übertragen wurden, auch wenn ich mal schulfrei hatte oder krank und das passte gerade parallel, habe ich mich vor den Fernseher gesetzt und mir das angeguckt! Klingt im Nachhinein ein bisschen pervers!

    Wentzien: Das war frühes "Phoenix"-Gucken praktisch!

    von Beust: Ja, genau, genau!

    Wentzien: Und Sie haben auch Stimmen versucht, nachzumachen!

    von Beust: Ja, in der Tat, ja!

    Wentzien: Sie können noch?

    von Beust: Ich kann es immer noch! Ich konnte ganz gut … Die ersten Stimmen, die ich konnte, war Walter Ulbricht. Auch Hitler konnte ich ganz gut imitieren, kann ich auch immer noch, nebenbei. Konnte aber auch einigermaßen gut Stoiber oder Helmut Kohl nachmachen, mache ich jetzt aber nicht, aber ich konnte das einigermaßen gut eigentlich, ja, kann auch gut Dialekte imitieren und so weiter.

    Wentzien: Können Sie Merkel?

    von Beust: Nein, kann ich nicht. Frauen sind auch schwieriger für eine männliche Stimme natürlich.

    Wentzien: Damals haben Sie nicht nur mit zehn und elf oder zwölf dann praktisch Bundestagsdebatten angeschaut, Ihr Zimmer war auch nicht voller Pop-Plakate, sondern – Sie haben es in Ihrem Buch beschrieben – da hingen Parteiposter, Politiker-Poster.

    von Beust: Wahlplakate, ja.

    Wentzien: Wahlplakate!

    von Beust: Ich habe regelrecht Wahlplakate gesammelt. Es gab damals, ob es die noch gibt, weiß ich gar nicht, ist keine Schleichwerbung, den Fischer Wildermann noch aus dem Fischer-Verlag. Und da waren die Adressen aller deutschen Parteien drin. Also nicht nur, die über fünf Prozent irgendwo waren, sondern alle Parteien. Und die habe ich alle angeschrieben und gebeten, ob sie mir nicht ein Wahlplakat schicken können oder mehrere, was die meisten auch gemacht haben. Und andauernd kamen die Papprollen mit diesen Wahlplakaten. Meine Mutter war schon ziemlich entnervt!

    Wentzien: Aber was hat Ihnen ... Entschuldigung, was hat Ihnen daran gefallen?

    von Beust: Ich fand immer politische Werbung irgendwie spannend! Ich weiß noch, als Kind, als ich Parteien gar nicht zuordnen konnte, gab es zum Beispiel eine Partei, die hieß AUD, Aktionsgemeinschaft unabhängiger Deutscher. Ich glaube, das war eher rechte, so Heimatvertriebene, wenn ich das richtig erinnere. Und die hat damals also zu irgendeiner Bundestagswahl, das muss so Anfang der 60er-Jahre gewesen sein, alles vollgekleistert. Und das fand ich beeindruckend, diese Plakate und die Slogans, die Sprache, die Farben! Und da habe ich angefangen, zu sammeln!

    Wentzien: Also, es war eine sinnliche Wahrnehmung. Und das wollten Sie auch mal haben, Ihr eigenes Plakat mit Ole drauf?

    von Beust: So weit hatte ich nicht gedacht in dem Alter. Ich habe dann nicht irgendwann beschlossen, Politiker zu werden. Dazu führte mich auch Glück und Zufall, wie auch immer! Nein, aber ich fand einfach politische Werbung und Plakate, dieses Papier, die Druckerschwärze irgendwie ästhetisch und interessant und hatte nachher mein ganzes Zimmer – ich meine, groß war das nicht, das war ein Kinderzimmer, vielleicht zehn Quadratmeter –, aber alle Wände und die Decken waren voller Plakate!

    Wentzien: Wenn Sie so begeistert von diesem ersten Politikkontakt erzählen, vermissen Sie Politik jetzt, nach dieser Zeit?

    von Beust: Nein, überhaupt nicht. Ich habe das ja sehr lange als Beruf gemacht, 17 Jahre Landespolitik als Beruf, also acht Jahre Oppositionsführer und gut neun Jahre als Bürgermeister, 17 Jahre, das ist dann auch genug. Also, es gibt manchmal Themen, die mich jucken, wo ich sage, jetzt würde ich gern mal das und das, man müsste eigentlich, das gibt es schon. Aber dass ich die Politik oder gar den politischen Betrieb vermisse, überhaupt nicht!

    Wentzien: Haben Sie Politik im Stich gelassen? Wir erinnern noch mal an Ihr Wort, alles hat seine Zeit, das war im Sommer 2010, ist schon eine Weile her. Waren Sie der Leichtmatrose von Beust?

    von Beust: Nein, ich war ja einer der dienstältesten hamburgischen Bürgermeister. Also, nach Henning Voscherau war ich der mit der längsten Amtszeit. Und neun Jahre ist heutzutage eine ganz wackere Zeit. Ich bin ja nicht nach drei Monaten wieder abgehauen, sondern habe es neun Jahre gemacht! Nebenbei habe ich auch immer gesagt, schon bei der Wahl 2008 – 2010 habe ich ja aufgehört –, ob ich noch mal antrete 2012, weiß ich nicht und entscheide es gut ein Jahr vor der Wahl. Nun waren es drei Monate mehr als ein Jahr. Aber jeder, der hören wollte, wusste auch, dass ich mich mit dem Gedanken getragen habe aufzuhören. Das war, wer mich kannte und auch Hamburg kannte, auch wiederum nicht so überraschend!

    Sprecher: Deutschlandfunk, das "Zeitzeugen-Gespräch". Heute mit dem ehemaligen Hamburger Ersten Bürgermeister Ole von Beust.


    "Eine Sorge der großen Volksparteien, die immer Angst haben, ihre mutmaßliche Klientel zu verlieren, weil sie denken, die Leute haben Ressentiments!"

    Die Union, ihr Stammwählerpotenzial und die städtischen Milieus

    Wentzien: Angela Merkel, wiedergewählt mit sage und schreibe 98 Prozent.

    von Beust: Ja.

    Wentzien: Sie selber nach der Wahl fast ein bisschen platt ob dieses Ergebnisses ...

    von Beust: Ja.

    Wentzien: ... und die CDU, Herr von Beust, verliert vor allem auch in den Städten. Was passiert da gerade, wenn Sie auf diese politische Baustelle schauen? Sie galten Zeit Ihrer politischen Existenz im Amt immer als Gegenbeispiel, als jemand, der Stadt kann.

    von Beust: Ja.

    Wentzien: Kann CDU nicht mehr Stadt und kann Angela Merkel das auf Dauer gefallen?

    von Beust: Kann die CDU Stadt? Natürlich! Die CDU besteht ja aus vielen Menschen und es gibt eine Reihe von Menschen, die Stadt kann. Ich sehe nur, dass die CDU manchmal dabei ist, sich mit Themen, die in der Stadt eine große Rolle spielen, sich thematisch etwas, wie soll ich das sagen, gut gemeint, zu entfremden! Ich will ein Beispiel nennen, ich meine, das ist schon wieder Schnee von gestern. Die ganze Sache, die Diskussion ums Betreuungsgeld: In einer Stadt schicken eine riesige Mehrheit der Eltern, die ganz, ganz große Mehrheit, ihre Kinder in eine Kindertagesstätte. Da fehlen Krippenplätze, bei Kindertagesstätten sind teilweise die Gebühren immer noch hoch. Die Frage, wie ist die Qualität des Essens, wie groß sind die Gruppen. Das beschäftigt die Leute, die große Mehrheit, und nicht die Frage, ob diejenigen, die ihre Kinder zu Hause erzielen wollen, dafür 100 oder 200 Euro kriegen. Und wenn eine Partei sich das mit Verve auf die Fahnen schreibt, ist das einfach an der Thematik – ich will das gar nicht mal werten –, aber an der Thematik der Stadt vorbei. Oder ein anderes Beispiel: In der Stadt leben Sie mit vielen verschiedenen Kulturen zusammen, Sie haben in Grundschulklassen teilweise Ausländeranteile oder Kinder mit Migrationshintergrund von 80, 90 Prozent, was Chancen und Risiken schafft, was aber die Bereitschaft braucht, sich ernsthaft mit dem Thema auseinanderzusetzen und auch mit Respekt auf diese Menschen zuzugehen und nicht mit einer ... Es gibt einen Unterschied zwischen Toleranz und Respekt: Toleranz ist leben und leben lassen, aber interessiert mich im Grunde nicht. Und Respekt heißt auch eine innere Öffnung. Und die fehlt manchmal bei diesen Themen!

    Wentzien: Jetzt spitzen wir es mal zu ...

    von Beust: Gerne!

    Wentzien: So vorsichtig-diplomatisch und konkret am Beispiel geschildert haben Sie es vor dem Parteitag der CDU nicht formuliert, sondern im Gegenteil. Sie haben, würde ich schon sagen zugespitzt, Sie haben gesagt, die CDU pflegt so was wie alte, rituelle Reflexe und sie zeigt kein wirkliches Interesse für die Lebenswirklichkeiten, auch keinen Respekt für die Menschen. Das ist starker ...

    von Beust: Nein, ich habe gesagt einige, also nicht alle! Es gibt einige, die es tun ...

    Wentzien: ... aber starker Tobak!

    von Beust: Nur, wenn Sie Diskussionen angucken ... Ja, aber wenn Sie Diskussionen angucken über Zuwanderung, über die Frage meinetwegen, ob Leute, die hier studiert haben, auch hier bleiben dürfen, ob die ihre Familien nachholen müssen: Überall im Detail ist es die CDU, aber auch teilweise die SPD, dass in den Parteien ... Eine Sorge der großen Volksparteien, die immer Angst haben, ihre mutmaßliche Klientel zu verlieren, weil sie denken, die Leute haben Ressentiments. Und ich finde, es ist nicht meine Politikart. Ich habe eine Überzeugung. Und meine Überzeugung, meine persönliche zum Beispiel ist, mit Respekt auf Leute zuzugehen, auch mit anderem Kulturhintergrund, weil ich ohnehin jeden Menschen respektiere, aber die auch ökonomisch brauche, auch wenn ich immer nur die Sorgen sehe. Also: Werden die kriminell oder nehmen die unseren Deutschstämmigen die Arbeitsplätze weg oder passen die kulturell zu uns. Oder erst mal die Frage stelle, ja, was haben wir denn für Integration getan, ich frage, was tue ich für Integration? Dann mache ich eine Abgrenzungspolitik, die aus meiner Sicht zumindest in einer Großstadt nicht mehr passt. Nebenbei, glaube ich, auf dem platten Land auch nicht mehr, die Leute sind manchmal weiter als die Parteien meinen, dass die Leute sind!

    Wentzien: Würden Sie denn sagen, dass Sie selber, Ole von Beust, diesen Ansprüchen immer gerecht geworden sind? Haben Sie immer das Interesse aufgebracht, das Sie jetzt einklagen bei der CDU, haben Sie immer den Respekt gehabt und die Nähe auch zu den Menschen und ihren Interessen?

    von Beust: Überwiegend schon. Natürlich gibt es auch Einzelne, die ich nicht mag! Also, wenn jemand einen anderen Kulturhintergrund hat, ist er nicht per se sympathischer. Und es gibt Menschen, die mag ich und die mag ich nicht. Aber wir haben schon ... Ich will mal ein Beispiel nennen. Wir haben in Hamburg etwas gemacht, relativ unauffällig, was aus meiner Sicht aber richtig war: Wir haben systematisch quasi mit einer Quote den Anteil von Auszubildenden und Mitarbeitern im öffentlichen Dienst mit Migrationshintergrund erhöht. Als ich ins Amt kam, waren das, glaube ich, zweieinhalb Prozent. Und ich habe gesagt, ich will in den nächsten fünf, sechs Jahren auf 15 bis 20 Prozent kommen. Als wir aufgehört haben, waren wir fast schon bei 13 Prozent. Ich habe Werbeveranstaltungen gemacht für den öffentlichen Dienst, für Polizei, für Feuerwehr, habe mit Realschulabschlussklassen diskutiert, habe Bündnisse türkischer Unternehmer besucht, habe mit Kammern geredet, was man tun kann, um Einstellungstests so zu machen, dass auch Kinder und Jugendliche mit ausländischem Kulturhintergrund eine Chance haben. Ein Thema, was mich wirklich bewegt und wo ich auch ein ... ja, gutes Gewissen ... doch, gutes Gewissen habe, ja!

    Wentzien: Nun sagen natürlich diejenigen, die Sie auch immer wieder Konservative in der CDU nennen, Ole von Beust beschreibt da eine Situation, wo man quasi auf dem Feld das eher für wichtig hält, etwas gewinnt, was man auf der anderen Seite, nämlich bei der Stammklientel wieder verliert.

    von Beust: Ja.

    Wentzien: Geht diese Rechnung auf?

    von Beust: Zunächst einmal finde ich die Frage, ob man gewinnt oder verliert, zwar wichtig, aber sekundär. Die erste Frage ist, wie ist meine eigene Überzeugung. Und meine Überzeugung ist, dass es moralisch vernünftig ist, nebenbei auch – ich will jetzt gar nicht erhöht argumentieren –, aber auch vom christlichen Anspruch auch vernünftig ist. Denn der ist doch: Jeder Mensch verdient Respekt, wo er herkommt! Und es zählt der Einzelne, es gibt nicht den Türken oder den Juden oder den Christen, es zählt die einzelne Person, der man zunächst mal mit Respekt gegenübertritt. Es ist aber eine ökonomische Frage, wir brauchen diese Leute auch! Wissen Sie, wenn wir vor der Frage stehen, wollen wir in dem nächsten halben Jahr drei Millionen türkischstämmige Leute hierher holen, dann würde ich sagen, na, das ist schon schwierig! Nur, die sind ja alle hier! Das heißt, ich muss mit denen umgehen und auch die Chance nutzen, die sie bieten. Und dazu brauche ich eine innere Bereitschaft, das wirklich tun zu wollen!

    Wentzien: Bleiben wir noch mal kurz bei Merkel!

    von Beust: Ja.

    Wentzien: Ihren Paradewerten bei diesem Hochamt der Wiederwahl, jetzt zum siebten Mal.

    von Beust: Ja.

    Wentzien: Wie passt das zusammen, helfen Sie mir mal!

    von Beust: Ja.

    Wentzien: Ihre Werte, nämlich die Merkel-Werte, sind ja nicht die Werte der Partei auf der einen Seite ...

    von Beust: Ja.

    Wentzien: ... und dann wiederum beobachten wir schon eine Öffnung in der CDU bei der Familienpolitik, mit vielen retardierenden Momenten, aber ...

    von Beust: Ja, immerhin, ja.

    Wentzien: ... auch bei der Migrationspolitik. Haben aber zugleich, behaupte ich – widersprechen Sie bitte! –, ...

    von Beust: Gerne!

    Wentzien: ... keine modernen Strukturen, sondern so etwas wie einen Kanzlerinnenwahlverein. Kann das auf Dauer gut gehen?

    von Beust: Solange sie da ist, ja! Schwierig ist ...

    Wentzien: Denn es gab keinen großartigen Widerspruch auf dem Parteitag!

    von Beust: Die CDU ist, das habe ich auch selber gemerkt, eine relativ – oder relativ ist verharmlosend –, eine sehr starke führungstreue Partei. Solange die Führung, Mann oder Frau, beliebt ist auch in der Öffentlichkeit, trägt die Partei sie mit, trägt auch gewisse programmatische Kapriolen mit aus Sicht vielleicht bestimmter Teile der Basis. Aber man merkt, unterm Strich ist man damit erfolgreich. In dem Moment, wo sie wegbröckeln, also, wo in Umfragen es schlechter wird oder wo sie Wahlen verlieren, ist die Treue zu den Leuten und das Hinterherkommen nicht mehr so groß. Bei der SPD ist das oft umgekehrt, die sind sehr kritisch mit dem Führungspersonal, aber wenn die weg sind, haben die eine sehr hohe nachsorgende Treue, das ist fast umgekehrt. Aber es ist CDU-Tradition. Gucken Sie, die Kanzler Helmut Kohl, Adenauer, Kiesinger sind alle eigentlich so lange mitgetragen worden, wie sie erfolgreich waren. In dem Moment, wo der Erfolg weg war, war es vorbei!


    "Jemand, der Erfolg hat, sollte, wohl wahr, demütig und zurückhaltend sein!"

    Hamburg als kommunale Großbaustelle und Politikerprofile im Wandel der Zeit


    Wentzien: Hamburg, Ihre Heimatstadt ...

    von Beust: Ja ... Frau Merkels Geburtsstadt übrigens, ja, auch das!

    Wentzien: ... eben! Sie ist so etwas, würde ich sagen, wie eine Nussschale für das, was Sie erlebt haben in Ihrem politischen Leben, aber möglicherweise auch noch mehr, nämlich für dieses Land insgesamt. Wir haben schwierigen Baustellen in dieser Stadt, wir haben Herausforderungen. Und die gibt es auch woanders. Schauen wir uns mal Baustellen an, denn mit Großbaustellen hat ja manche Stadt, Großstadt in unserem Land im Moment kein Glück. Da ist die Großbaustelle Elbphilharmonie, da ist die wankende, kann man sagen, Reederei Hapag-Lloyd, wo die Stadt ja auch ganz kräftig jetzt mit reingeht. Und es haben Leute mal nachgerechnet, die sagen, wenn da was schief geht und dann noch die Nordbank hinzukommt, dann kann man links und rechts von der Elbe bis Cuxhaven schöne Konzerthäuser bauen für die Summen, die da rein müssen.

    von Beust: Ja.

    Wentzien: Was passiert da gerade, was sagt der Realpolitiker Ole von Beust? Ist das ein Muster mit Wert, ist das die Zukunft der öffentlichen Kassen, ist da einfach schlicht kein Geld mehr da und fehlt das dann auch überall?

    von Beust: Als Land ist Hamburg zwar hoch verschuldet, hat aber ein sehr hohes Steuereinkommen pro Kopf. Das heißt, im Moment haben Sie sowohl einen sehr hohen persönlichen Lebensstandard der Menschen, aber das Bruttoeinkommen pro Kopf in Hamburg und Bruttosozialprodukt pro Kopf ist neben Genf und Inner London der Bereich in der EU, in dem es den Leuten wirtschaftlich am besten geht, das ist das eine. Es gibt eine hohe Staatsverschuldung, aber durch die hohen Steuern ist die Liquidität immer ganz gut. Aber ich glaube, natürlich haben Sie in einer solchen Stadt manchmal im Brennglas die Probleme, die ein ganzes Land hat. Das Problem der HSH Nordbank ist ja kein isoliertes, sondern viele andere Banken haben ihre Probleme auch. Und man kann nur hoffen: Die Bank hat ... Damals ist den Banken immer vorgeworfen worden, sie hätten kein Geschäftsmodell. Die HSH Nordbank hatte es, nämlich überwiegend die Finanzierung der Schifffahrt. Und im Moment haben wir eine Krise der Schifffahrt, die länger dauert als alle vorherigen Krisen, die da im Moment ins Kontor haut, sodass, sagen wir mal, die Frage, inwieweit Hamburg und Schleswig-Holstein mit ihren Rettungsschirmen und ihren Bürgschaften in Anspruch genommen werden, letztlich von der Frage abhängt: Wird sich die Weltwirtschaft, die internationale Logistik in den nächsten drei, vier Jahren wieder rappeln oder nicht? Wenn die sich rappelt, dann steigt die Nachfrage, die Schiffe werden wieder besser ausgebucht, die Frachtkosten steigen, dann ist in Ordnung. Wenn nicht, wird's schwierig!

    Wentzien: Bleiben wir mal bei Ihnen, Herr von Beust!

    von Beust: Ja.

    Wentzien: Wenn Sie auf diese Stadt, Ihre Heimatstadt und die Geburtsstadt von Angela Merkel schauen: Sie könnten sich ja zurücklehnen und sagen: Gott sei Dank bin ich nicht mehr da Kapitän an Deck, sondern bin weit weg!

    von Beust: Nein, das geht mir nicht so, sondern wenn ich die Dinge lese, geht mir das nahe. Auf der anderen Seite sind sie alle nicht neu. Also, die Diskussion um die HSH Nordbank ist jetzt, die begann, glaube ich, 2008, ist fünf Jahre alt. Elbphilharmonie, die Diskussion darüber ist auch vier, fünf Jahre alt. Andere Themen wie Elbvertiefung, die für den Hafen eine große Rolle spielen, werden, glaube ich, seit zwölf Jahren diskutiert. Es sind drängende Probleme mit Risiken, aber sind insofern nicht neu und überraschend, sondern spiegeln das wider, was wir auch in anderen Bereichen Deutschlands haben, vom Flughafen in Berlin bis zum Nürburgring, wo es öffentliche Fehlplanung gibt, bis Infrastrukturentscheidungen, die nicht vorangehen. Das ist so ein bisschen deutsche Wirklichkeit, die Sie im Brennglas wiederfinden.

    Wentzien: Aber so ein bisschen haben Sie ja die Geschichte von der einen und von der anderen Baustelle begleitet.

    von Beust: Ja, natürlich, ja, ja, klar!

    Wentzien: Also Elbphilharmonie und die Bank.

    von Beust: Ja.

    Wentzien: Also, wie hoch ist jetzt, wenn ich als junger Hamburger auf meinen früheren Bürgermeister zukomme, mein Regressanspruch gegenüber dem Regierenden? Was hat er damit angerührt?

    von Beust: Regress ... Gut, dazu bin ich zu sehr Jurist. Regress bezieht sich ja immer darauf, dass Sie sich schuldhaft verhalten haben, das heißt, vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben. Und zum Zeitpunkt, als die Entscheidungen getroffen worden sind – die Unterstützung der HSH stellt ja keiner infrage, aber jetzt Stichwort Elbphilharmonie –, zum Zeitpunkt, als die getroffen worden sind, haben sie alle mitgetragen und war zu dem jeweiligen Zeitpunkt auch richtig. Man ist hinterher natürlich klüger. Nur, wenn wir damals gesagt haben, wir bauen das Ding nicht oder wir machen das nicht mit Hochtief oder wir machen bestimmte architektonische Sachen nicht, ...

    Wentzien: Das Unternehmen, genau.

    von Beust: ... das Unternehmen nicht, das das baut, oder machen bestimmte architektonische Sachen nicht, die die Architekten vorgeschlagen haben, die nachher teurer wurden als erwartet. Da hätte man mich damals vermutlich gelyncht, weil alle unheimlich scharf waren, das Ding zu bauen. Ich aber auch, also, ich will jetzt die Schuld gar nicht verschieben! Nur, damals war der Wissensstand so, dass es vernünftig geplant ist. Es ist immer so ein Politikerspruch: Natürlich habe ich die Verantwortung, wenn ich regiere, habe ich die Verantwortung, das heißt aber noch nicht, Schuld zu haben. Sondern ich glaube, es war gut gedacht, gut überlegt zum damaligen Zeitpunkt. Und gewisse Schwierigkeiten sind im Laufe des Verfahrens aufgetreten!

    Wentzien: Herr von Beust, Sie zitieren auch in Ihrem Buch immer wieder und auch im realen Leben Karl Popper, der gesagt hat, ...

    von Beust: Ja.

    Wentzien: ... wie es einem im Leben ergeht, ist hauptsächlich Sache des Glücks oder der Gnade. Und zu einem verhältnismäßig kleinen Teil vielleicht auch Sache der Tüchtigkeit, des Fleißes und anderer Tugend. Jetzt gibt es Herrn Voscherau, Henning Voscherau, Sie haben ihn erwähnt, Ihren, einen Ihrer Vorgänger im Amt ...

    von Beust: Ja.

    Wentzien: ... als Erster Bürgermeister, der sagt, als Großstadtbürgermeister braucht man Fleiß, Härte, Präzision.

    von Beust: Ja.

    Wentzien: Wer hat recht, Popper oder Voscherau?

    von Beust: Sie brauchen, wenn Sie in dem Amt sind, Fleiß, Härte und Präzision, da hat Voscherau recht. Aber um in das Amt zu kommen oder um in ein Führungsamt überhaupt zu kommen oder im Leben das zu haben, was man Erfolg nennt, da bin ich überzeugt, ist Glück und Gnade, nebenbei auch Herkunft, Erziehung, was man von zu Hause mitgekriegt hat, ist ja auch eine Gnade, die man ja nun selber gar nicht beeinflusst hat, wichtiger als Leistung, Härte und was er noch zitiert hat. Und ich glaube, dass diese These von Popper letztlich ja anders formuliert ist und bedeuten soll, dass diejenigen, die im Leben Erfolg haben und gehabt haben, alle Veranlassung haben, demütig zu sein und nicht hochmütig zu werden. Und ich habe auch häufig Menschen erlebt, die meinetwegen erfolgreich waren und ihren Erfolg als Ausdruck, als gerechten Ausdruck ihrer Leistung gesehen haben. Das ist Käse, das ist hochmütig, sondern jemand, der Erfolg hat, sollte, wohl wahr, demütig und zurückhaltend sein!


    "Aber Schill selber ... Fand ich unangenehm und politisch hart, aber hat mich persönlich nützlicherweise gar nicht verletzt."

    Zweckbündnisse in der Politik, die neue Rolle der Medien und Gedanken zu schwarz-grünen Optionen


    Wentzien: Ein Kapitel Hamburg gehört zu Ihnen. Das ist wichtig und es war schwierig, das ist das Kapitel, überschrieben mit dem Namen "Ronald Schill", der sogenannte Richter Gnadenlos, der Chef der damaligen Statt-Partei Hamburg, mit Doppel-T. Zuerst haben Sie als CDU gegen Schill ganz stark Position bezogen und dann kam die Kehrtwende, Schill als existenzielle Gefahr der CDU wurde zum Koalitionspartner. Sie haben es immer wieder eine ganz einsame Entscheidung genannt, die Sie selber gequält habe, es war ein Spiel mit dem Feuer, das war Ihnen klar. Und es war der Preis der Macht. Und dann kam der Eklat. Also, Schill war in der Regierung und hat Sie versucht zu erpressen. Sie haben ihn dann rausgeschmissen und das war zugleich Ihr Outing als Homosexueller. Wenn Sie dieses Kapitel der Drachentötung, wenn man so will, noch mal Revue passieren lassen, würden Sie wirklich zu jedem Zeitpunkt alles noch mal genau so machen? Also, den Mann reinnehmen, den Mann ...

    von Beust: Wenn ich hinterher gewusst hätte, dass er durchknallt, hätte ich es nicht gemacht. Nur, ich wusste, dass das schwierig ist und dass er seine extrem extrovertierte Ader hatte, dass er aber in dem Sinne durchknallt oder sogar Erpressungsversuche macht, das hätte ich nicht für möglich gehalten. Man muss auch mal eins über ihn sagen, auch, er war ja nicht alleine, über seine Mannschaft sagen. Einmal haben die 20 Prozent bekommen fast, 19,8, aus dem Stand, war eine typisch Hamburger Situation, da ging es um innere Sicherheit und solche Themen. Aber als wir mit ihm koaliert haben, sind mir zwei Dinge wichtig: Erstens habe ich vor der Wahl gesagt, ich könnte mir vorstellen, mit ihm zu koalieren, also nicht nach der Wahl April, April, jetzt machen wir's, sondern das vorher gesagt hat. Das heißt also, in die Ypsilanti-Falle bin ich zum Glück nicht hereingetreten, indem ich vor der Wahl was ausgeschlossen habe, was ich hinterher gemacht habe.

    Wentzien: Andrea Ypsilanti, die ...

    von Beust: In Hessen, genau.

    Wentzien: ... SPD-Spitzenfrau in Hessen.

    von Beust: Und das Zweite ist, dass wir in der Zeit, wo wir regiert haben, sowohl im Koalitionsabkommen, aber auch in dem, was wir gemacht haben, man mir nicht vorwerfen kann, wir hätten eine rechtspopulistische Politik gemacht. Seine Partei war es in ihrer Propaganda, ihrer Werbung, in den Reden. In der exekutiven Wirklichkeit fand ich völlig normal! Also, wir haben mit Schill, auch mit ihm persönlich zusammen zum Beispiel eine Drogenpolitik gemacht, die vermutlich die liberalste in ganz Deutschland gewesen ist. Wir haben mit Bauwagenbesetzern geredet, um zu sehen, wo man die alternativ unterbringen könnte, um da keinen Konflikt zu haben. Das heißt, er hat keine glasharte Rechtspolitik gemacht, sondern hat versucht, damit Stimmen zu kriegen. Der politische Vollzug nachher war vertretbar und da ist nichts, wo ich sagen würde, das war nicht in Ordnung.

    Wentzien: Also, wenn Sie das jetzt machttechnisch sehen oder verantwortungstechnisch, hatten Sie ja danach dann das, was Sie vorher hatten. Also, Sie waren quasi an der Spitze der Stadtregierung.

    von Beust: Ja.

    Wentzien: Wenn Sie es jetzt mal persönlich betrachten: War das auch das, lassen Sie wenn, nur in kleinen Dosen, aber in immerhin jetzt inzwischen ja auch mal Wissen und Blicken, war das mit die schwierigste und schlimmste und persönlich treffendste Zeit?

    von Beust: Ja, aber weniger Schill. Also ... Bei mir ist es wirklich so, dass ich persönlich, wenn ich mit jemandem befreundet bin oder ... und sogar das Herz noch eine Rolle spielt, sehr verletzlich bin. Aber im politischen Bereich, das war ein Zweckbündnis und keine Freundschaft. Da war ich in dem Sinne nicht enttäuscht oder so was, nicht mal wütend. Ich war verwundert und fand es beknackt, um es mal ganz blöd auszudrücken, aber es ist mir nicht persönlich nahegegangen. Was da schlimmer war, war hinterher der Umgang mancher Medien, die anfingen, einen privat zu bespitzeln und Handwerker zu fragen, was da so in der Wohnung ist, immer in der Hoffnung, der schlüpfrigen Hoffnung, irgendwas Zwielichtiges, Schlüpfriges zu erfahren, makaber geradezu! Das war belastend, weil ich nachher, wenn ich aus dem Haus ging, immer das Gefühl hatte, jetzt lauert schon wieder jemand und guckt, wo du hingehst. Also, wo denn, sagen wir mal, bis ins Privateste gebohrt wird, wo nichts war, aber gebohrt wird, das war belastend. Aber Schill selber ... Fand ich unangenehm und politisch hart, aber hat mich persönlich nützlicherweise gar nicht so verletzt.

    Wentzien: Muss man, wenn man in der Politik ist, bereit sein, so einen Preis, diesen Preis zu zahlen?

    von Beust: Also, ich fürchte inzwischen ja. Zumal, das ist ja nun eine Zeitlang her, das ist ja damals im Jahre 2003 gewesen. Ich fürchte, dass alles noch viel schlimmer geworden ist durch eine Mischung einer sogenannten Transparenz via Internet plus Medien, die ja immer mehr gezwungen sind, zuzuspitzen und bei Themen einen draufzulegen in der Hoffnung, damit Auflagen zu steigern. Und ich glaube, vermutlich hat fast jeder Mensch in seinem Leben irgendetwas, von dem er nicht möchte, dass es öffentlich breitgetreten wird. Und wer es nicht hat, ist vermutlich stinklangweilig und auch aus anderen Gründen nicht geeignet, ein Führungsamt zu nehmen, denn Ecken und Kanten, auch Verfehlungen gehören ja dazu, oder gehören zum Menschen und zum Leben. Nun, Sie müssen immer damit rechnen heute - und zwar gar nicht durch die Presse -, sondern da gibt es irgendwelche Leute, die alte Rechnungen haben, die machen einen Internetblog, das Ganze kriegt eine Eigendynamik und irgendwann nimmt es die Presse auf und Sie werden genau mit der Sache konfrontiert, die Sie eigentlich nicht wollten. Und dabei geht es mir nicht um Straftaten, völlig außen vor! Aber es wird heutzutage im Grunde von Politikern erwartet, dass sie sich ihr ganzes Leben so verhalten hätten, auch vor der Politik, vor dem Amt, als wenn sie ein Vorbild für alle Kinder der Welt sein müssten. Und das ist einfach zu viel verlangt und das finde ich eine Schwierigkeit, da Sie kaum noch Menschen finden, die vor dem Hintergrund wirklich Lust haben, Führungsämter wahrzunehmen!

    Wentzien: Ich fasse kurz zusammen und überspitze und übertreibe wie immer und jeder Journalist: Ole von Beust sagt, wir haben nicht genug Heilige, um ein Bundeskabinett zu füllen!

    von Beust: Ja, richtig. Oder andersrum: Man muss auch gönnen können! Also, dieses Oberlehrerhafte, von einem erwarten, dass sie ständig Vorbild waren, ist einfach zu viel verlangt, der Maßstab, der ist einfach nicht in Ordnung!

    Wentzien: Ole von Beust und die Journalisten. Ich würde sagen, auch aus persönlicher Kenntnis, dass Sie uns immer viel zugetraut haben. Und Sie selber sagen zum Beispiel, ich bin genau so oft zu Recht und zu Unrecht kritisiert worden. Das ist ja von der Lebensbilanz her ...

    von Beust: Ja, hält sich die Waage, ja.

    Wentzien: ... ganz vernünftig so unterm Strich. Was die Menschen nicht mögen, das sagen Sie auch, Herr von Beust, das ist Gehässigkeit und wenn sie den Eindruck haben, Kampagnen werden gefahren. Wie hat sich Journalismus verändert, wie gebiert das quasi auch die, gebären das auch die Parteien selber, die ja gleicher werden im Inhalt und die möglicherweise jetzt nur noch kenntlich sind nach draußen durch unterschiedliche Köpfe?

    von Beust: Einmal in den Persönlichkeiten, glaube ich, dass es für Leute mit Ecken und Kanten immer schwieriger wird. Ich glaube, dass Leute wie Willy Brandt oder Franz Josef Strauß in der heutigen Zeit wahrscheinlich eine Überlebensdauer in der Politik von einem halben Jahr gehabt hätten. Mit dem, was heute transparent genannt wird, wenn das über die berichtet würde bis ins Private hinein, hätten die sich nicht lange gehalten. Da war man früher einfach diskreter, wo man auch vieles vermutlich wusste. Das heißt, Sie kriegen schon einen glatt gebügelten Typus eher ...

    Wentzien: Oder man sagt, man wusste es und hat nicht drüber gesprochen.

    von Beust: Oder so, das ist auch eine Frage des Takts und der Diskretion, die ja unter Menschen eigentlich üblich sein sollte. Aber der Druck ist eben heute in der Tat so und es geht auch gar nicht darum, dass ich das den Journalisten persönlich vorwerfe: Die sind unter Dampf, wir müssen das Erste haben, wer es als Erster hat, ich sage mal, der hat ein Prä nicht nur im Ansehen, sondern auch in der Auflage und in der Quote, und wenn Medium A es als Erster hat, fühlt sich Medium B genötigt zu sagen, gut, die hatten es als Erster, da müssen wir einen draufsetzen, um an diesem Erfolg partizipieren zu können. Das gibt so eine Spirale des Immer-Zuspitzens und Einen-Draufsetzen. Und ich finde, das ist eine Entwicklung, die unnötig ist. Ich meine, es gibt ja genug Beispiele, dieses blöde Bobby-Car damals bei Christian Wulff, also ... Ich kann gar nicht beurteilen, was nun nachher die Staatsanwaltschaft da ermittelt, aber es gab ja teilweise Exzesse, wo ich sagen würde, also, bei aller Liebe, Leute, nun macht mal halblang! Und dann mischte sich plötzlich eine Empörung über ein Thema, was im Grunde völlig unverhältnismäßig zu der Empörung gewesen ist!

    Wentzien: Stadt, Land, Berlin. Ist das ein Unterschied? Also, was haben Sie festgestellt, Sie sind immer in Hamburg und viel in Berlin gewesen, Sie kennen und Sie können Bundespolitik. Ich will natürlich auch gleich wissen, wie oft Angela Merkel Ihnen einen Ministerjob angeboten hat.

    von Beust: Ja.

    Wentzien: Würden Sie sagen, die Bundespolitik und diese nervöse, immer viel genannte nervöse Zone Bundes-Berlin ist anders, tickt anders als zum Beispiel manches Land, mancher Stadtstaat?

    von Beust: Ist schon aufgeregter hier, künstlich aufgeregter. Ich glaube, man nimmt sich auch wichtiger. Also, damit meine ich gar nicht die Stadt Berlin, die ich völlig gerne mag. Also, ich mag die Art der Menschen hier und ich finde es auch eine faszinierende Stadt, auch die Architektur, die Brüche, die hier sind, eine tolle Stadt. Aber die politische Landschaft hier ist einfach künstlich aufgeregter. Man nimmt Dinge wichtig und man trifft sich ... Auch die Inzucht ist hier groß. Ich habe das Gefühl, die Leute treffen sich in der "Parlamentarischen Gesellschaft" oder im "Borchardt" oder wo auch immer und sind nur unter sich und tauschen ihre Meinung aus, was zu einer künstlichen Eskalation der Aufregung führt. Und das, glaube ich, ist in der Stadt oder auch in Flächenstaaten längst nicht so groß, weil es auch weniger einfach sind, die vielleicht teilnehmen. Und darum, wenn es weniger sind, da kennt man sich und muss sich nicht mehr so profilieren, das spielt auch eine gewisse Rolle.

    Wentzien: Würden Sie sagen, dass sich Politiker und Journalisten in Augenhöhe begegnen. Oder ist das eine schon längst aus dem Ruder gelaufene Geschichte?

    von Beust: Nein, das ist eine ... Ich glaube, das ist eine eigenartige Symbiose. Also, das ist psychologisch interessant. Journalisten suchen die Nähe der Politiker, einmal, weil sie glauben, durch die Nähe was zu erfahren, aber auch, weil sie es durchaus schmeichelhaft finden, wenn sie in der Nähe sind und ihre Konkurrenten nicht. Also, sie kloppen sich doch geradezu darum, wer nimmt an einer Auslandsreise teil. Und wenn man da ist, wer sitzt bei demjenigen, der einlädt, also Minister oder Kanzler, und mit wem hat der abends an der Bar am längsten gesprochen? Also, das sind eigenartige Eitelkeiten, die aber dann dazu führen, dass diese Nähe, die man sucht, als unangenehm empfunden wird, wenn man denkt, man würde sich korrumpieren lassen. Und erst recht sucht man wieder Distanz und haut denjenigen in die Falle. Also, das ist fast wie so ein Borderlinesyndrom, ein ganz eigenartiges psychologisches Verhalten, also ein Distanz-Nähe-Problem, was ich schon auffällig finde, von beiden Seiten nebenbei, von beiden Seiten. Politiker genau so, die nutzen Journalisten, um sich selber feiern zu lassen. Oder instrumentalisieren Journalisten, um bekannt zu werden, um hinterher über die gleichen sich lustig zu machen und zu meckern. Das geht ja von beiden Seiten. Und ich glaube, man kriegt das nur hin einigermaßen, man selber, wenn man einfach eine riesige Distanz walten lässt. Also, ich habe in Hamburg, habe ich mich von den ganzen Journalisten höchstens mit einer geduzt, sonst sind wir beim Sie geblieben.

    Wentzien: Das machen wir Hamburger ja auch generell nicht!

    von Beust: Ja, aber auch privat nicht mit denen irgendwie essen gegangen, oder wenn ich Termine hatte, nie mit Essen, immer Kaffee im Büro! Also, immer möglichst große Distanz zu halten, ich glaube, das ist die einzige Möglichkeit, um zu überleben!

    Wentzien: Und jetzt Hand aufs Herz, wir sind ja unter uns: Haben Sie jemals versucht, auf eine Ole-von-Beust-Art-und-Weise Einfluss zu nehmen?

    von Beust: Ja, mit Charme, aber nicht mit Druck!

    Wentzien: Ach so, alles klar, kann ich mir vorstellen!

    von Beust: Ja, mit Charme oder Witz oder gesundem Menschenverstand, aber nicht mit Druck! Ich habe mich nie beschwert ... Ich will jetzt nichts Falsches sagen, aber ich glaube, ich habe mich zum Beispiel nie bei irgendwelchen Chefredakteuren über irgendwas beschwert oder so was.

    Wentzien: Die Frage nach dem Bundesjob habe ich nicht vergessen! Mögen Sie sie noch gestellt wissen?

    von Beust: Ja, fragen dürfen Sie, aber ich habe ...

    Wentzien: Wie oft hat Merkel Ihnen welchen Job angeboten und wie oft haben Sie in Berlin angeklopft?

    von Beust: Nein, also weder hat sie mir einen Job angeboten, noch habe ich angeklopft. Wobei mein Verhältnis, sagen wir mal, zu ihr und zu all den anderen so gut war, dass ich es mir hätte vorstellen können, aber jetzt völlig ohne Absprache, dass, wenn die Bundestagswahl, die letzte, anders ausgegangen wäre, ich vielleicht ein Angebot bekommen hätte, mal so rum. Aber das sind mehr Dinge, die sich, sagen wir mal, zwischen den Zeilen abspielen, wo man nicht sagt "Ich will" und der andere sagt "Du kriegst", sondern da entsteht eine Nähe, aus der man das mal herleiten könnte. Aber dass ich gesagt habe "Ich will jetzt" oder sie gesagt hat "Ich sage dir jetzt zu", das hat es nicht gegeben.

    Wentzien: Und ganz kurz zu dem, was Sie in Hamburg – wenn auch mit schwierigem Ausgang – praktiziert haben, nämlich Schwarz-Grün, ...

    von Beust: Ja.

    Wentzien: ... ist das eine Geschichte, die man macht, wenn es so weit ist und über die man nicht redet?

    von Beust: Ich habe es ja anders gemacht. Wir sind ja Schwarz-Grün eigentlich acht Jahre vor der Koalition planmäßig angegangen, indem wir in Hamburger Bezirken schwarz-grüne Bündnisse geschmiedet haben. Und ein Hamburger Bezirk ist eine veritable Großstadt, also rund 400.000 Einwohner. Und da hatten wir zwei, wo wir Schwarz-Grün, ich sag mal, lokal versucht haben. Und es ist gut gelaufen. Und das war die Vorstufe zu dem, dass ich meinte, es könnte auch inhaltlich passen, wenn die CDU sich in manchen Bereichen ändert und auf die Grünen zugeht. Und die Grünen in Bereichen gerade der Industriepolitik, Infrastruktur auf die CDU zugeht. Und so ist es dann auch gekommen. Und in der Zeit, wo ich es erlebt habe, ist es auch nicht schlecht gelaufen. Es ist nachher völlig vor die Wand gefahren. Aber nicht deshalb, weil Schwarz-Grün an sich nicht passen würde, sondern es hat auch persönliche Gründe, spielt eine Rolle, und auch Dinge nach meinem Weggang aus der Politik in der eigenen Partei, wo die Leute sagten, nun ist er endlich weg, nun können wir wieder CDU pur machen, die Grünen aber hofften, aufgrund einer guten Umfragelage von ihren Hamburger, was weiß ich, zwölf Prozent plötzlich auf über 20 zu kommen. Da ist also viel kladderatscht, aber an sich lief es nicht schlecht trotz alledem.

    Wentzien: Würden Sie Merkel raten, das zu tun? Denn wenn man auf die Zahlen schaut – und es gibt ja die markantesten Beispiele gerade aus den großen Städten in Deutschland inzwischen, Frankfurt zum Beispiel –, sind das ja korrespondierende Röhren. Also, was die Grünen zulegen, verliert die CDU. Von daher könnte es in der Summe dann wieder knapp werden!

    von Beust: Also, hinterherrennen würde ich nicht. Im Moment, wo die Grünen auch sagen, wir wollen Rot-Grün, und Trittin das überall sagt: Hinterherhecheln ist unwürdig, finde ich nicht klug. Sich aber selber zu fragen, wo müsste sich die CDU bewegen und wo müssten sich die Grünen bewegen, damit es irgendwann mal klappt, wenn man nicht in der hechelnden, sondern in der, sagen wir mal, rationalen Situation ist, das würde ich schon machen. Zumal ich glaube, dass die Grünen zum Beispiel in Sachen Steuerpolitik, in Sachen Infrastruktur, in Sachen Energiepreise, Industriepolitik Klärungsbedarf haben, denn die Frage Arbeitsplätze, Wachstum ist für Deutschland wichtig; gleichzeitig die CDU in einigen Bereichen der Gesellschaftspolitik, Integration/Behandlung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften sich auch bewegen müsste, meinte ich. Und dann könnte es irgendwann klappen. Aber nur, weil es arithmetisch klappt, wird es nichts, sondern da muss eine inhaltliche Bereitschaft zu Bewegung da sein!

    Wentzien: Also, Sie sagen, es könnte auch im Bund mathematisch reichen, weil es inhaltlich wesentlich wäre, dass beide Seiten da was unterschiedlich noch mal aufstellen?

    von Beust: Ich würde es andersrum sagen: Man muss sich selber sagen, ich wäre bereit, mich inhaltlich zu bewegen. Und wenn es dann mathematisch reicht, dann kann man es überlegen. Aber zu sagen, weil es mathematisch reicht, ist das eine Option: Das ist zu unpolitisch gedacht! Politik ist ja nicht nur ein Rechenspiel!


    "Es ist auch kein Verdienst, schwul zu sein, sondern das ist im Grunde ein Teil der Normalität!"

    Ole von Beust, das Leben als Homosexueller und Hürden in der Politik


    Wentzien: Ihre Art zu leben, Herr von Beust – das Private ist politisch, Sie haben es gesagt –, ist Homosexualität ...

    von Beust: Ja.

    Wentzien: ... und Sie haben einmal gesagt, zumindest in der Union könne man als Homosexueller maximal Ministerpräsident werden. Es gibt viele in ...

    von Beust: Auch Minister, nebenbei! Also, ich finde Ministerpräsident ist höher als Ministerpräsident, aber vermutlich nicht Kanzler, Präsident, ja!

    Wentzien: Aber ein Landeschef, das ist doch was, also ...

    von Beust: Wie bitte?

    Wentzien: Ein Landeschef?

    von Beust: Ja, ist doch was, um Gottes Willen, nein, nein, klar.

    Wentzien: Ja, also!

    von Beust: Aber ich glaube nicht, dass die CDU im Moment schon die Kraft hätte, meinetwegen – jetzt nicht mich, um Gottes Willen –, aber einen schwulen Kanzler oder eine lesbische Kanzlerin oder Bundespräsidentin zu wählen, das glaube ich nicht!

    Wentzien: Sie nehmen mir die Frage weg.

    von Beust: Ja!

    Wentzien: Das ist das genau, was viele in der CDU jetzt auch auf dem Parteitag zum Beispiel wieder, die ... rund um das Thema Homosexualität und Anträge, immer wieder erwähnt haben: Da gab es den Ole von Beust und der hat immer gesagt, man kann Länderchef werden in der Partei mit dieser sexuellen Orientierung, aber nicht mehr.

    von Beust: Ja.

    Wentzien: Wird es eines Tages so weit sein, dass ein CDUler homosexuell sein kann von der Orientierung her?

    von Beust: Also, ich hoffe, dass es eines Tages so weit ist, dass es keinen mehr interessiert. Und dann ist es auch so weit. Es ist auch kein Verdienst, schwul zu sein, sondern es ist im Grunde ein Teil der Normalität! Und nebenbei, in der Wirklichkeit ist es manchmal skurril, aber jetzt kann ich nur mit CDU, was Leute damit für Vorstellungen verbinden. Der schwule Alltag ist vermutlich nicht viel anders als der heterosexuelle Alltag, Sie haben ... Und das Leben ist vermutlich genau so spießig und klein und die Frage "Wer geht einkaufen" oder "Wie viel Haushaltsgeld braucht man" ist vermutlich genau so dominierend in schwulen Beziehungen wie in anderen. Und ich glaube, manche denken immer noch, das sei irgendwie ... das ganze Leben sei ein Christopher Street Day, das ist natürlich Käse!

    Wentzien: Es gibt, würde ich sagen, bei diesem Thema keine Partei, die sich so sehr bewegt hat wie die CDU, ...

    von Beust: Stimmt, ja.

    Wentzien: Wenn das auch noch nicht, sagen wir mal, final geklärt ist. Aber ...

    von Beust: Auch die Diskussion auf dem Parteitag war ja, auch wenn das Ergebnis – es war vorauszusehen, dass es so kommt –, aber die Diskussion war ja überwiegend zumindest eine respektvolle und auch eine relativ, wie soll ich das sagen ... Also, einfach raus aus der Schmuddelecke, so eine offene Diskussion, wie es ja auch sein muss.

    Wentzien: Was haben Sie aushalten müssen, bis es bei Ihnen so weit war? Das war ja damals kein freiwilliges Outing.

    von Beust: Ja.

    Wentzien: Und inwieweit ist das wirklich das, was Sie so beschreiben, nämlich die größte persönliche Herausforderung gewesen in Ihrem ja öffentlichen politischen Leben?

    von Beust: Ausstehen habe ich eigentlich nichts müssen.

    Wentzien: Aushalten?

    von Beust: Aushalten ..., ja, ich überlege gerade. Also, in der CDU wussten die meisten, dass ich schwul bin, obwohl ich das selber ... auch ohne eigenes Outing war das bekannt, denn ich war nie ein Kind von Traurigkeit, ich habe nie verklemmt gelebt, sondern ich habe darüber in der Öffentlichkeit nicht gesprochen, aber so im Alter, was weiß ich, 20, 25 oder auch 18, 19 war ich ein lebenslustiger Mensch mit allem, was dazugehört, habe auch nichts versteckt. Und da ... Hamburg ist ja auch wiederum ein Dorf, wo man über alles Mögliche spricht und auch nicht geheim vor sich hinlebt, was ich auch gar nicht wollte. Also, ich habe da auch nichts aushalten müssen. Es gab ab und zu mal so anonyme Anrufe, wo "Ich hab dich da und da gesehen" oder so gut gemeinte Hinweise, "Wir wissen, die und die Zeitung hat ein Dossier über dich, pass auf". Und das war so ein bisschen im Grunde freundlich getarntes Denunziantentum und Bösartigkeit. Das war aber auch die Ausnahme, habe ich vielleicht drei-, viermal erlebt. Sonst bin ich immer vernünftig behandelt worden. Hat mich auch keiner gefragt, nebenbei. Also, weder Journalisten noch aus der CDU hat mal jemand gefragt, bist du eigentlich schwul. Darum war es so witzig, als ich hinterher gefragt wurde, ja, warum hast du es nicht vorher gesagt. Das ist fast wie so ein Kinderwitz: Es hat mich ja keiner gefragt!

    Wentzien: Was empfehlen Sie dieser Gruppe der 13 und mehr Politiker in der CDU, die ja auf dem Parteitag und ich glaube auch nicht nachlassen werden, dieses Thema jetzt weiter zu setzen auf der Agenda, wie sollen sie damit umgehen, was sollen sie vielleicht von Ihnen auch beherzigen? Jens Spahn gehört dazu, einer der Gesundheitspolitiker ...

    von Beust: Die machen das doch vernünftig, finde ich, unverbissen.

    Wentzien: Ja.

    von Beust: Ich finde ... Und da sind ja auch jetzt nicht nur Homosexuelle bei, sondern ... Ist auch richtig so. Es ist ja auch ein Quatsch, wenn man sagen würde, ein Schwuler macht nur Schwulenpolitik, sondern der hat eine Ansicht zu dem Thema, aber auch viele andere Dinge, die ihn interessieren oder sie interessieren. Und ich glaube, wenn die ohne Verbissenheit, mit einer eigenen Offenheit und Lockerkeit das Thema weiter fahren, hoffe ich, dass es eines Tages so weit wird, dass es gar keine Frage mehr ist und keinen Menschen mehr interessiert. Denn genau dann ist es richtig!

    Wentzien: Jens Spahn hat gesagt, der Gesundheitspolitiker der CDU, ich möchte nicht, dass meine Art zu leben und zu lieben eine größere Rolle spielt als meine inhaltliche Arbeit. Wäre das so ein Ziel, dass Sie teilen würden als Perspektive?

    von Beust: Ja. Das ist nebenbei auch der Grund, warum ich mich damals nicht selber, wie es so schön heißt, kann man das, sich selbst outen, oder mich selber bekannt habe. Weil, damals war es ja noch anders als heute: Wenn Sie ... Ich wurde erstmals Spitzenkandidat 1997, also, jetzt auch 15 Jahre her. Wenn ich das da gesagt hätte, wäre das Thema Schwul das große Thema gewesen und nicht, meinetwegen, der ist, was weiß ich, für eine Hafenerweiterung oder für eine neue U-Bahn-Linie oder alles, was in der Kommune eine Rolle spielt. Sondern da wäre die Sensation der schwule Spitzenkandidat. Und im Grunde wären Sie reduziert worden nicht auf das Thematische, sondern auf das Schwule. Daher war das von Wowereit ganz mutig hier, was er in Berlin gemacht hat. Vielleicht war Berlin da auch schon weiter oder er war da mutiger, weiß ich nicht.

    Wentzien: Also, dann würden Sie sagen, schlussendlich und mit dem Abstand betrachtet: So schwierig und so schwer das auch alles war damals, es war vielleicht doch ein Stückchen Befreiung auch für Sie?

    von Beust: Ja, mit Sicherheit. Also, ich würde auch heute jedem raten, der sagen will, ich will ein politisch höheres Amt haben, das vorher zu sagen. Und zwar nicht, indem er sich vorher groß hinstellen muss, aber denjenigen, die schon Mandatsträger sind, das zu sagen, pass auf, Leute, das ist so und so, nicht, dass ihr hinterher vom Hocker fallt, wenn es euch stört, ich trete trotzdem an, aber ich sage es euch vorher, das würde ich schon sagen, weil es dann einfach ... Es ist einfach einfacher und auch heutzutage, ich glaube, überwiegend unkomplizierter.

    Sprecherin: In unserer Reihe "Zeitzeugen" hörten Sie Birgit Wentzien im Gespräch mit Ole von Beust.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.