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Kannibalen im Mutterleib

Biologie. - Der Sandtigerhai Carcharias taurus ist nicht nur bedroht, er bedient sich auch einer unvorteilhaften Fortpflanzungsstrategie: In den beiden Gebärmuttern der Mutter wachsen zwar jeweils bis zu 40 Embryonen heran, aber sobald sie ein Gebiss entwickelt haben, fressen sie sich gegenseitig auf.

Von Monika Seynsche | 03.08.2009
    Ein Plexiglastunnel zieht sich durch das Aquarium. Gefüllt mit mehreren Schulklassen australischer Kinder. Über ihren Köpfen schwimmen Rochen mit den Ausmaßen eines Doppelbetts, grüne Schildkröten und - Haie.

    Zwei junge Frauen in Tauchanzügen zwängen sich durch eine Luke in das Wasserbecken hinein, in der Hand je ein Eimer voller toter Fische. Es ist Fütterungszeit im Aquarium von Manly in Sydney. Etwas abseits von der Kinderschar steht Phoebe Hill, Doktorandin an der Universität von Sydney, und beobachtet wie einer der Haie hinter der Glasscheibe auf die Taucher zuschwimmt. Das Maul ist leicht geöffnet – und gibt den Blick frei auf Reihen unzähliger spitzer Zähne.

    Man habe sie für Menschenfresser gehalten, weil sie so gefährlich aussehen, erzählt die Biologin. Fischer machten seit den 70er Jahren Jagd auf sie, Angelhaken verfingen sich in ihren Mäulern und Hainetze vor den Badestränden wurden zu tödlichen Fallen. Heute sind die Bestände des Sandtigerhais fast überall auf der Welt bedroht. Und das alles aufgrund eines Missverständnisses.

    "Sandtigerhaie gehören zu den freundlichsten Haien, die es gibt. Sie gelten als die Schmusetiere des Meeres."

    Vor der Ostküste Australiens sind diese Schmusetiere akut vom Aussterben bedroht. Die Sandtigerhaie dort sind genetisch so verschieden von ihren Verwandten, dass sie sich nicht mehr mit Haien aus anderen Regionen fortpflanzen können.

    "Außerdem ist die genetische Vielfalt in der Ostküstenpopulation so gering, dass den Tieren die Fähigkeit fehlt, sich an Veränderungen anzupassen. Jede kleinste Störung ihrer Umgebung kann ihnen zum Verhängnis werden. Prognosen gehen davon aus, dass den Sandtigerhaien hier höchstens noch 50 bis 80 Jahre bleiben, wenn ihnen nicht geholfen wird."

    Zurzeit leben noch weniger als 1000, einigen Schätzungen zufolge sogar weniger als 300 Sandtigerhaie vor der Ostküste Australiens. Angesichts ihrer Bedrohung ist es nicht gerade hilfreich, dass sich diese Haiart einer auf den ersten Blick ausgesprochen unvorteilhaften Fortpflanzungsstrategie bedient.

    "In den beiden Gebärmuttern des Weibchens wachsen jeweils etwa 40 Embryonen heran. Aber sobald sich die Zähne der Kleinen entwickelt haben, fangen sie an, ihre Geschwister im Mutterleib aufzufressen."

    Am Ende der Schwangerschaft bleibt pro Gebärmutter nur ein Junges übrig. So bringt ein Weibchen bestenfalls alle zwei Jahre ein oder zwei Junge zur Welt. Deshalb kamen Phoebe Hill und ihre Kollegen auf die Idee, die Embryonen von ihren gefräßigen Geschwistern zu trennen und in künstlichen Gebärmuttern aufzuziehen. Simple Plastikschalen sollen ihnen dabei helfen.

    "In so einer künstlichen Gebärmutter müssen Sie die Bedingungen im Mutterleib genau nachbilden. Also die Nährstoffe und ihre Zusammensetzung, den Sauerstoffgehalt, den Ionengehalt, den Abtransport von Müll und viele andere Faktoren."
    Um dabei keinen Fehler zu machen, der einem weiteren Sandtigerhai das Leben kosten könnte, nahmen die Forscher für ihre Versuche Teppichhaie. Diese Art ist weitverbreitet und nicht bedroht. Sechs junge Teppichhaie sind schon lebend aus den Plastikschalen geschlüpft. Bevor das dem ersten Sandtigerhai gelingt, werden nach Ansicht der Forscher allerdings noch fünf bis zehn Jahre vergehen.

    Zur Reihe "Die Letzten ihrer Art"