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Wohnungsmarkt in Spanien
Kampf gegen steigende Mietpreise

Nach der Hypothekenkrise wohnen immer mehr Spanier zur Miete, doch in vielen Vierteln Barcelonas, Madrids oder auf Gran Canaria können sie sich das bald nicht mehr leisten. Barcelona verzeichnete 2016 einen Mietanstieg um 16 Prozent. Jetzt schließen sich die Betroffenen zu Vereinen zusammen, nach Vorbild des deutschen Mieterschutzbundes.

Von Julia Macher | 16.05.2017
    Blick über die Häuser der Innenstadt von Barcelona
    In Barcelona (Blick über die Innenstadt) hat sich der Wohnraum seit 2012 um 55 Prozent, in Madrid um 23 Prozent verteuert – bei sinkenden Löhnen. In den Zentren geben Familien inzwischen rund 70 Prozent des Einkommens für die Miete aus. (picture-alliance/ dpa)
    Der Saal im Nachbarschaftszentrum Casinet de Hostafranc ist mit 400 Menschen bis auf den letzten Platz gefüllt. Für die 200, die keinen Platz gefunden haben, wurden eilig ein paar Lautsprecher auf den Hof gestellt. Spaniens erster Mieterbund, das Sindicat de Llogaters, ist gerade einmal ein paar Tage alt, das Interesse an der Organisation aber ist riesig.
    Für den Videoclip, in dem ein junger Mann über exorbitante Preise und betrügerische Immobilienagenten singt, gibt es stürmischen Applaus. Viele hier haben ähnliche Erfahrungen gemacht.
    Audrey Esnaut zum Beispiel. Die 34-jährige Angestellte lebt seit 2012 in einem 32-Quadratmeter-Appartment in der Innenstadt, in einem Altbau, vierter Stock, ohne Aufzug. Die letzte Renovierung liegt 20 Jahre zurück. Vor ein paar Wochen erhielt sie Post von ihrem Vermieter.
    "Ursprünglich hatte die Immobilienagentur mir gesagt, dass meine Miete nicht erhöht wird, aber einen Monat und zwei Tage vor Auslaufen des Vertrags hieß es dann, dass ich statt 450 Euro künftig 700 Euro zahlen soll. Das ist sehr, sehr viel. Mein Gehalt steigt ja auch nicht."
    Seit 2012: Mieten in Barcelona mehr als verdoppelt
    Sie hat versucht, zu verhandeln - vergeblich. Auch auf ihre Frage nach dem Warum der Mietsteigerung gab es keine Antwort. Ende des Monats wird sich Audrey eine WG suchen, wie zu Studienzeiten.
    Laut spanischem Gesetz können Eigentümer alle drei - vor 2013 waren es noch alle fünf - Jahre die Mieten neu festsetzen. Nach Marktwert. Und der ist in den vergangenen Jahren kräftig gestiegen: Nach der Hypothekenkrise wohnen immer mehr Spanier zur Miete. Parallel zu dieser steigenden Nachfrage kommt vor allem in großen Städten der Druck durch den Tourismus dazu.
    In Barcelona hat sich der Wohnraum seit 2012 um 55 Prozent, in Madrid um 23 Prozent verteuert – bei sinkenden Löhnen. In den Innenstädten geben Familien inzwischen rund 70 Prozent des Einkommens für die Miete aus. Laut einer Amnesty-International-Studie ist Spanien das EU-Land, in dem die Mietausgaben am stärksten gestiegen sind. Gesetzliche Instrumente zur Preisregulierung fehlen.
    Lobbyarbeit für eine andere Wohnungspolitik
    Auch Jaime Palomera hat man die Miete erhöht, von 750 auf 1100 Euro. Um nicht ausziehen zu müssen, hat er seine private Krankenversicherung gekündigt.
    "Bisher ist Mieterschutz einfach nicht existent. Auch der ganze gesetzliche Rahmen schützt zuvorderst die Rechte der Eigentümer."
    Der Anthropologe ist einer der Gründer des "Sindicat de Llogaters". Neben rechtlicher Beratung will die "Mieter-Gewerkschaft" in erster Linie Lobbyarbeit für eine andere Wohnungspolitik machen, gemeinsam mit ähnlichen Vereinen in Madrid, auf Gran Canaria und anderswo.
    "Zwischen dem durchschnittlichen Einkommen und den Mietpreisen, die derzeit verlangt werden, klafft eine riesige Lücke. Die Mietpreissteigerungen sind überproportional und einfach nicht tragbar. Wir brauchen eine vernünftige Rahmenregelung, damit die Mieter ihre Miete zahlen können – sonst wird die Zahl der Zwangsräumungen weiter explodieren."
    Forderung nach einem verbindlichen Mietspiegel
    Über die Hälfte der Zwangsräumungen werden bereits wegen säumender Mieten verhängt, Tendenz steigend. Als Gegenmaßnahme fordern Palomera und seine Mitstreiter einen verbindlichen, am Durchschnittseinkommen orientierten Mietspiegel wie in Berlin oder Paris. Die Verwaltung dürfe den Wohnraum nicht allein der Privatwirtschaft überlassen.
    "Auch auf die Banken, die mit öffentlichem Geld gerettet wurden, muss mehr Druck ausgeübt werden, damit sie die leer stehenden Wohnungen auf den Markt bringen. Und in Städten wie Barcelona muss der öffentliche Wohnungspark erweitert werden. In Kopenhagen und Amsterdam hat man sehr erfolgreich mit Fertigmodulen für junge Leute experimentiert. So etwas würde Bewegung in den Markt bringen."
    Barcelonas Eigentümervereinigung warnt vor "zu offensivem Auftreten"
    In Barcelona und Madrid, wo sich die linken Stadtregierungen das Thema Wohnraum auf die Fahnen geschrieben haben, stoßen solche Forderungen auf offene Ohren. Jenseits davon beäugt man die neu gegründeten Vereine misstrauisch. Barcelonas Eigentümervereinigung warnte vor "zu offensivem Auftreten". Wer Besitzern drohe, müsse damit rechnen, dass es künftig noch weniger Wohnraum auf dem Markt gäbe.
    Einschüchtern lassen will man sich davon nicht. Auf der Auftaktveranstaltung gibt sich der Verein kämpferisch und die Schlange vor den Tischen mit den Antragsformularen ist lang.
    Man dürfe sich nicht einfach klaglos aus der Stadt vertreiben lassen, sagt eine Mittsechzigerin, und nimmt gleich zwei Formulare vom Stapel – für sich und ihre Tochter.