Donnerstag, 28. März 2024

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Kardinal Lehmann: Papstbesuch in der Türkei fördert Annäherung Ankaras zur EU

Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, erwartet vom Papstbesuch in der Türkei Impulse für eine Annäherung des Landes an die EU. Voraussetzung sei allerdings, dass Christen in der Türkei die gleichen Rechte wie Muslime erhielten, sagte Lehmann. Der Kardinal hob hervor, auch ein muslimisches Land könne Mitglied der EU werden.

Moderation: Friedbert Meurer | 28.11.2006
    Friedbert Meurer: Heute bricht Papst Benedikt XVI. zu einem mehrtägigen Besuch in die Türkei auf - gegen Mittag wird er in Ankara erwartet. Das ist für das Oberhaupt der katholischen Kirche eine ziemlich schwierige Mission. Besonders nämlich nach dem Wirbel und den Protesten, die es nach seiner Rede von Regensburg gegeben hatte. Dort hatte der Papst einen byzantinischen Kaiser zitiert: Der Prophet Mohammed habe nur Schlechtes und Inhumanes gebracht. Es war nur ein Zitat, aber in der islamischen Welt herrschte Empörung. Wird der Papstbesuch dazu beitragen, dass sich das Verhältnis vielleicht jetzt etwas entkrampfen kann? Darüber möchte ich reden mit Kardinal Karl Lehmann, er ist der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Guten Morgen, Herr Kardinal.

    Kardinal Karl Lehmann: Guten Morgen.

    Meurer: Was glauben Sie, wie stehen die Aussichten für einen erfolgreichen Besuch des Papstes in der Türkei?

    Lehmann: Ich glaube, manches hat sich in der Zwischenzeit etwas entspannt, auch das genauere Verständnis der Rede des Papstes. Es kommt doch zu einer Begegnung mit dem Ministerpräsidenten - ursprünglich war das ja nicht vorgesehen. Und dann darf man ja nicht vergessen: So fremd ist ein Papstbesuch in der Türkei auch nicht. Unmittelbar nach dem Konzil hat Papst Paul VI. 1967 den großen ökumenischen Patriarchen Athenagoras besucht. Das war für die Ökumene damals von ganz großer Wichtigkeit. Papst Johannes XXIII. war fast zehn Jahre lang zuständig als Nuntius auch für die Türkei. Da gibt es also durchaus schon Berührungen.

    Meurer: Was hat sich denn verändert in den Jahren, dass jetzt solch hitzige Argumente ausgetragen werden vor dem Besuch?

    Lehmann: Also ich glaube schon, dass ein Verständnis gewachsen ist, gerade auch für die schwierige Situation des Islam gegenüber der Modernisierung, gegenüber der Übermacht auch der technischen Welt des Westens. Man hat ja ganz vergessen, dass der Islam nicht nur im Mittelalter großartige Leistungen bis in Architektur und Technik hinein erbracht hat. Und dass es auch durchaus so etwas wie einen europäischen Islam gibt. Und insofern bestehen auch Zukunftshoffnungen, dass man gerade über die Brücke der Türkei durchaus den Nahen Osten vielleicht erreichen kann.

    Meurer: Wenn Sie den Papst beraten würden, auf was sollte er heute und in den nächsten Tagen vor allen Dingen achten?

    Lehmann: Ach, ich denke, das Programm ist doch schon ziemlich gut ausgeklügelt. Erstens geht er nach Ankara, besucht den Staatspräsidenten, trifft den Ministerpräsidenten. Und wenn er dann in den letzten anderthalb Tagen also in Istanbul ist, dann ist doch auch ein sehr bezeichnendes Element, dass er die berühmte Blaue Moschee, eines der großen Heiligtümer des Islam, besucht. Er geht natürlich auch in die Hagia Sophia, die große byzantinische Kirche. Es gibt eben auch dann Gespräche mit Muslimen, nicht nur also, mit Christen. Darin kann man, denke ich, doch auch ein Zeichen des guten Willens erkennen. Und es ist doch auch eine gute Sache gewesen, dass in den letzten Tagen bei den Protesten statt der erwarteten Million höchstens 15.000 Menschen zusammenkamen. Die Menschen sind manchmal in der Annäherung aneinander weiter, als es vielleicht die Autoritäten allein sind. Und der Papst wird sicher von vielen, vielen Menschen dort auch froh und dankbar begrüßt.

    Meurer: Auf der anderen Seite wissen Sie auch, welche Schwierigkeiten es für Christen in der Türkei sind, die dort ja eine verschwindend geringe Minderheit von einigen Zehntausend nur darstellen. Sollte der Papst darauf pochen, dass die Christen in der Türkei die gleichen Rechte bekommen wie Muslime hier in Deutschland zum Beispiel?

    Lehmann: Also das wird er wahrscheinlich tun. Das ist auch notwendig. Es geht ja um eine so genannte Reziprozität, also eine Wechselseitigkeit in der Gewährung der Menschenrechte. Wer in Rom eine Moschee bauen kann, die größer ist als der Petersdom, der sollte wenigstens einräumen, dass wir einen Gottesdienst halten können in Saudi-Arabien, ohne die Gefahr, dass man verhaftet wird. Oder dass wir in der Türkei zum Beispiel die Rechte bekommen, dass die christlichen Kirchen überhaupt Eigentum besitzen dürfen, also eine Kirche, ein Altersheim. Es geht aber auch um das Recht der Ausbildung zum Beispiel von Geistlichen in der Türkei. Es gibt ja dort eine sehr berühmte Hochschule in Chalki, die vor Jahrzehnten von den Türken einfach zugemacht worden ist, ohne erkennbare Gründe. Eine Insel im Bosporus. Alle Versuche bisher, diese große Schule wieder zu öffnen, waren vergeblich. Vielleicht tut sich da im Laufe der Zeit doch etwas.

    Meurer: Die Forderungen werden ja jetzt schon seit einigen Jahren erhoben. Geht denn endlich die türkische Regierung auf diese Forderungen auch einmal ein?

    Lehmann: Ich glaube, dass sie längst sieht, dass sie gerade auch bei der Annäherung an die Europäische Union einfach bestimmte Dinge ändern muss. Gespräche, die ich jedenfalls hatte mit Verantwortlichen, die nicht die allerletzten waren, die sehen ein, dass man hier vorwärts gehen muss. Aber es ist viel Rücksicht zu nehmen, nicht zuletzt auf eine eben auch doch auf dem Land zum Teil in diesen Fragen wenig informierte Bevölkerung. Da wird noch viel Arbeit sein müssen im Land. Vielleicht kann der Papstbesuch auf seine Weise dazu helfen.

    Meurer: Der Papst hat, als er noch Kardinal war, sich gegen den EU-Beitritt der Türkei ausgesprochen. Sind Sie, Kardinal Lehmann, dafür, wenn ich Sie richtig verstehe?

    Lehmann: Ich habe mich ausgesprochen dafür, dass man auf jeden Fall eine enge Anbindung der Türkei an die Europäische Union versucht, im Sinne etwa einer "privilegierten Partnerschaft". Das kann ja dann auch zu einer echten Mitgliedschaft sich auswachsen. Aber es scheint mir, dass die Frage eben vorher geklärt werden muss, dass die Gewährung zum Beispiel von Religionsfreiheit, aber auch von anderen Dingen, geklärt sein muss. Insofern darf man die Reihenfolge nicht verändern. Es ist eine Mitgliedschaft nicht ausgeschlossen. Aber die Voraussetzungen dafür, nicht nur im Blick auf die Anerkennung von Zypern, was ja auch eine schwierige Frage für die Europäischen Union, sondern eben auch im Blick auf die Christen im Land.

    Meurer: Aber prinzipiell kann auch ein muslimisches Land zu Europa dazugehören?

    Lehmann: Das würde ich durchaus einräumen. Die Türkei ist natürlich ein in vieler Hinsicht also auch gespaltenes Land. Der offizielle Laizismus und auf der anderen Seite findet man eben doch sehr, sehr elementare Formen eines manchmal auch unduldsamen Islam. Das drückt sich ja auch in verschiedenen Parteien aus, die es dort immer wieder gegeben hat. Aber zweifellos kommt Bewegung hinein. Und ich kann mir nicht denken, dass ohne eine entsprechende Annäherung ein endgültiger Zutritt zu Europa, zur Europäischen Union möglich sein wird. Das wird - vielleicht am Ende wird das, nach dem Papstbesuch, vielleicht sogar etwas entkrampfter sein können.

    Meurer: Papst Benedikt XVI. besucht ab heute die Türkei. Das war Kardinal Karl Lehmann, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz.