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Karen Kamensek verlässt Staatsoper Hannover
Frage nach dem Warum

Langsam aber sicher gewöhnen sich Publikum und Musiker an Dirigentinnen. Dennoch sind Frauen in leitenden musikalischen Positionen immer noch eher die Ausnahme denn die Regel. Eine dieser Ausnahmen war die Amerikanerin Karen Kamensek, deren Amtszeit als Generalmusikdirektorin an der Staatsoper Hannover in knapp zwei Wochen zu Ende geht.

Von Agnieszka Zagozdzon | 14.06.2016
    Die US-amerikanische Dirigentin Karen Kamensek gibt 2016 ihr Amt als Generalmusikdirektorin an der Staatsoper Hannover auf
    Verlässt Hannover: Karen Kamensek (picture alliance / dpa / Kobie Van Rensburg)
    Was ist denn bloß passiert? Das fragen sich die Hannoveraner Opernbesucher seit einem halben Jahr, seit Karen Kamensek mitten in einer Premiere ein Schild hochhielt, auf dem geschrieben stand: "Ich distanziere mich von dieser Szene. K.K.". Seitdem wird gerätselt: War das Teil der Inszenierung? Vielleicht ein künstlerisches Statement der Generalmusikdirektorin? Oder doch die ganz persönliche Meinungsäußerung von Karen Kamensek?
    Dabei fing doch alles so vielversprechend an, als bekanntgegeben wurde, dass ab 2011 die gebürtige Amerikanerin mit slowenischen Wurzeln die musikalische Leitung der Staatsoper Hannover übernehmen würde - die erste Frau auf dieser Position in der fast 400-jährigen Geschichte des Opernhauses!
    Beste Voraussetzungen
    Die allererste Opernpremiere ihrer Amtszeit versprach ein sicherer Hit zu werden: Giuseppe Verdis "La Traviata", in der Regie von Benedikt von Peter. Erst ein Jahr zuvor hatte Benedikt von Peter zum ersten Mal in Hannover gearbeitet und gleich den Theaterpreis "Faust" für seine Inszenierung von Luigi Nonos politische Oper "Intolleranza 1960" bekommen. Darin holte der Regisseur die Zuschauer zu den Sängern auf die Bühne und platzierte das Orchester, damals geleitet von Stefan Klingele, an verschiedenen Stellen drumherum.
    Musik: Ausschnitt aus "Intolleranza 1960"
    Auch bei Verdis "La Traviata" verfolgte Benedikt von Peter einen ähnlichen Regieansatz: Das Publikum blieb zwar diesmal auf seinen Plätzen, aber das Orchester spielte auf der Bühne und die Sänger waren im Zuschauerraum verteilt. Doch irgendwann, im Laufe des Probenprozesses, scheint es zu Unstimmigkeiten zwischen Regisseur und der neuen Generalmusikdirektorin gekommen zu sein. Offenbar, so wurde gemunkelt, war Karen Kamensek mit der akustischen Balance nicht zufrieden und verlangte Änderungen am Regiekonzept. Benedikt von Peter ließ sich aber nicht umstimmen und Kamensek gab daraufhin die musikalische Leitung von "La Traviata" an einen Kollegen ab.
    Ob das alles tatsächlich so stimmte, dazu wollte sich Karen Kamensek schon damals nicht äußern. Als sie wenige Wochen später während eines Interviews dazu gefragt wurde, bat sie lächelnd aber bestimmt darum, das Interview zu unterbrechen.
    Benedikt von Peters Inszenierung von "La Traviata" wurde jedenfalls ein durchschlagender Erfolg - einer, an den sich die Hannoveraner Opernbesucher bis heute mit leuchtenden Augen erinnern. Sogar in einer "Tatort"-Folge aus Hannover waren Ausschnitte aus dieser Inszenierung zu sehen.
    So kam es, dass Karen Kamensek erst im Dezember 2011 die erste Opernpremiere ihrer Amtszeit dirigierte: Richard Strauss' "Ariadne auf Naxos".
    Erneute Kontroversen?
    Im darauffolgenden Jahr stand erneut eine Zusammenarbeit von Karen Kamensek und Benedikt von Peter auf dem Programm - Richard Wagners "Die Meistersinger von Nürnberg" - und wieder gab es offenbar Reibereien hinter den Kulissen, denn mitten in den Proben verließ Benedikt von Peter die Produktion.
    Ungefähr zu dieser Zeit hörte Karen Kamensek auch immer mehr auf, Interviews zu geben. Zugegeben, die Fragen wiederholten sich zwar oft - wie es denn sei, sich als kleine blonde Frau vor einem Orchester zu behaupten, und ob sie sich damals tatsächlich der Dirigentin Simone Young vorstellte mit den Worten "Wenn Sie eine Assistentin brauchen, dann bin ich das" -, aber da die nachfolgenden Opernproduktionen mehrheitlich positiv aufgenommen wurden, fiel das kaum weiter auf. Eine der musikalisch und inszenatorisch besten Produktionen ihrer Amtszeit war im März 2014 Benjamin Brittens "Ein Sommernachtstraum": eine märchenhaft-verspielte Inszenierung von Michiel Dijkema, die sich wunderbar mit Kamenseks klangfarbenreichem Dirigat vereinte.
    Dass Karen Kamensek ihren Vertrag an der Staatsoper Hannover nicht verlängern würde, war schon seit einiger Zeit bekannt.
    Ein Opernskandal
    Als allerletzte Premiere stand im vergangenen Dezember Carl Maria von Webers "Freischütz" auf dem Programm. Die Regie übernahm der Intendant des Dortmunder Schauspiels, Kay Voges, der in Webers Werk nichts weiter als dumpfe Deutschtümelei sah und dies mit allerlei Multimedia-Einsatz bis zum Exzess betonte. An einer Stelle ließ er in seiner Inszenierung einen Videoausschnitt zeigen - ein Fernsehinterview mit dem Dirigenten Christian Thielemann anlässlich einer Übertragung des "Freischütz" aus der Dresdner Staatsoper. Befragt darin nach der künstlerischen Relevanz des volksliedhaften "Jungfernkranz"-Liedes antwortete Thielemann auf eine Weise, in der er die Volksmusik auf eine Stufe mit der Kunstmusik stellte - und genau das war die Stelle, an der Karen Kamensek damals demonstrativ das Schild aus dem Orchestergraben heraus hochhielt mit dem Satz: "Ich distanziere mich von dieser Szene". Kay Voges Inszenierung wurde zu einem veritablen bundesdeutschen Opernskandal, in den sich sogar die Politik einmischte - und alle rätselten: Wogegen genau protestierte Karen Kamensek eigentlich mit diesem Schild? Gegen die Inszenierung? Gegen Thielemanns Aussage? Oder gegen Webers "Jungfernkranz?"
    Mittlerweile musste übrigens dieser Interviewausschnitt aus rechtlichen Gründen entfernt werden. Doch das Rätsel um Karen Kamenseks Schild bleibt - denn die Dirigentin lehnt jede Interviewanfrage kategorisch ab. Nur in dem opernhauseigenen Magazin "spielzeit" äußerte sie sich kurz dazu: Sie habe den "Freischütz" genossen, Zitat, "und zwar die ganze Arbeit", Zitatende. Mit ihrem Abgang verliert Hannover eine starke und resolute Künstlerpersönlichkeit, deren Amtszeit aber doch immer überschattet bleiben wird von dieser einen Frage: Was ist denn bloß damals passiert?