Donnerstag, 25. April 2024

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Karin Beiers zweite Spielzeit in Hamburg
Pfeffersäcke und Psycho-Schlacht

Von Michael Laages | 22.09.2014
    Wer dabei war, wird's nie vergessen - sehr bald nach der Wende inszenierte ein gewisser Frank Castorf am Deutschen Theater in Berlin Henrik Ibsens vorletztes Stück: "John Gabriel Borkman". Und aus der Abrechnung der Jungen mit den innerlich von Angst und Hass zerfressenen Alten funkelte in jedem zweiten Satz der Untergang der alten Ordnung hervor. "Ich liebe Euch doch alle!", ganz wie Erich Mielke in der Volkskammer, greinte der Titelheld, ein früherer Bank-Direktor, kriminell Pleite gegangen und nach fünf Jahren Knast nun schon weitere acht Jahre im heimischen Gefängnis, mit der Frau an der Seite, die nicht mehr mit ihm spricht. Wie damals und auch ohne DDR könnte aus der Banker-Fabel sicher auch heute zeitgenössisches Feuer sprühen, ziemlich genau sechs Jahre nach Goldman Sachs. Aber Karin Henkel hat sich dafür eher weniger interessiert. Ihr Borkman ist ein Kinderspiel:
    "Die ganzen Schiffe da draußen auf dem Meer, die gehören mir. Die großen Fabriken da drüber am Ufer, die habe ich gebaut. Die arbeiten Tag und Nacht! Mein Reich, das ich erschaffen habe!"
    Noch einmal träumt sich der einst so mächtige Borkman in die besten Zeiten zurück, während ihn eine Handvoll junger Mädchen mit weißen Söckchen umschwirrt. Und ganz wie früher, als wären sie noch junge Mädchen, zerren und zergeln auch die demonstrativ krumm gebückten Schwestern Gunhild und Ella aneinander herum, um das Erbe des fast schon scheintoten Mannes.
    Eine Schlacht in Wort und Lied
    Gunhild hat er geheiratet. Sie will den vom Bankrott zerstörten guten Ruf restaurieren und der heiratsfähige Sohn Erhart soll das bewerkstelligen. Eben den aber hätte Schwester Ella, Borkmans eigentliche Geliebte, gern für sich - jetzt, wo sie unheilbar krank ist. Eine Schlacht liefern sich die Beiden, in Wort und Lied:
    "Warum hast du mir den Erhart damals weggenommen und bist mit ihm weggefahren zu dir nach Hause und hast ihn behalten Jahr um Jahr, bis er fast erwachsen war. Warum hast Du das gemacht, Ella?"
    - "Du konntest dich nicht um ihn kümmern, Gunhild, du hattest den Nervenzusammenbruch."
    "Ja, ich hatte den Nervenzusammenbruch - und sein Vater hatte ja ne gute Ausrede: Der war ja im Knast!"
    - "Gunhild, du bist ordinär!"
    "Und du bist verlogen, Ella!"
    Julia Wieninger und Lina Beckmann, den zänkischen Schwestern, überlässt Karin Henkel viel furioses Gefetze. Josef Ostendorf als alter Borkman trampelt derweil elefantengleich - bis die Wände beben - im oberen Stockwerk des lang in die Tiefe aufsteigenden Raums von Katrin Nottrodt. Aber über das Trio hinaus hat der schnelle Abend nicht viel zu bieten außer schrill ausgestellten Miniaturen - vor allem hat er keine Idee davon, warum von Borkman jetzt und hier und heute erzählt werden muss.
    Karin Beiers eigene Recherche unter Nachkommen der Hamburger Kolonisatoren im brasilianischen Süden ist näher dran. Zwar erzählen die alten Deutschbrasilianer in der "Menschenausstellung" - das heißt in Glas-Vitrinen, vor denen wir mit Kopfhörer und Fernbedienung die Stimmen voller Echos aus fernen, fremden Welten auswählen können - von längst vergangenem Glück wie vom ewigen Vorurteil des selbst in der Fremde allem Einheimischen gegenüber unanpassbaren Deutschen.
    Stauen über die sehr speziellen Deutschen in der Ferne
    Aber das Beharren dieser Menschen auf dem Immergleichen hat Methode und ist sehr vertraut. Wir schauen ihnen zu, auch den Jungen, einer Frau aus Altona etwa, die Macumba-Priesterin in Brasilien wurde, oder dem Manager mit den deutschen Ahnen, der voll Widerwillen das brasilianische Wirtschaftswunder erklärt. Wir hören von Siedlerstolz und blankem Rassismus und staunen doch über diese sehr speziellen Deutschen so weit weg von uns. Um die Ecke von Joinville, wo Beiers Team recherchierte, liegt Blumenau. Dort gibt es das größte Oktoberfest fern von München.
    Unser Staunen ist übrigens auch stärker als Elfriede Jelineks Brasilien-Kommentar unter dem Titel "Strahlende Verfolger". Nach Ende des Ausstellungsteils übernehmen drei Damen vom Museumsservice die Regie und zelebrieren eine der vertrauten Gardinenpredigten aus Jelineks Tagebuch. Diesmal attackiert sie den überall immer so präpotenten Deutschen, der immer alles besser weiß und sich noch in der Selbstkritik besser findet als irgendwen sonst. Das ist ein Wie-renne-ich-möglichst-viele-offene-Türen-ein-Text, virtuos, aber langweilig.
    Selbst er wirkte vor Jahresfrist beim ersten Ausprobieren in Sao Paulo viel stärker - weil er den Blick von außen auf das Deutschtum damals wie heute verstärkte, durch die Spiegelung im brasilianischen Rassismus. Hier verpufft Jelineks Furor - die "Menschenausstellung" zählt. Wie damals, vor eineinhalb Jahrhunderten, als ja nicht nur Deutsche nach Brasilien gingen, sondern ein gewisser Herr Hagenbeck auf der Reeperbahn "Völkerschauen" zeigte: mit "dem Lappländer" und "dem Lippen-Neger". Im Erinnern daran werden Beiers "Pfeffersäcke" zum Ereignis.