Donnerstag, 25. April 2024

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Karl-Amadeus Hartmann: "Wachsfigurenkabinett"

Vom Geld, von Amerika, vom schnellen Aufstieg und vom rastlosen Tun handelt auch die nächste Musik. Sie entstand fast zeitgleich wie Egks Radiostück; ihr Komponist vertritt eindeutig eine andere Sicht auf die Welt, gehört jedoch zur selben Generation. * Musikbeispiel: K.A. Hartmann - 'chaplin-ford-trott' aus "Wachsfigurenkabinett" Wunschbilder der "american way of live" 1930. Sekunden später nur stürzt die Angst in das Stück, ist die Rede von Prohibition, düstren Geschäften und Mord. Der 'chaplin-ford-trott', der sich bei Jazz und unterhaltenden Genres bedient und diese zugleich parodiert, versteht sich als pikante Gesellschaftskritik und gehört in ein Kurzopern-Projekt namens "Wachsfigurenkabinett". Karl Amadeus Hartmann, Jahrgang 1905, Schüler von Hermann Scherchen, entwirft die fünf Miniaturen um 1930 im Auftrag des neugegründeten Opernstudios der Bayerischen Staatsoper, führt sie seinerzeit jedoch nicht vollständig aus. Hans Werner Henzes Münchner Biennale ist es zu danken, dass Hartmanns frühe Theaterversuche erinnert und 1988 uraufgeführt werden - vervollständigt und in Partitur gesetzt von Wilfried Hiller, Hans Werner Henze und Günter Bialas. Die fünf Stücke, Libretti Erich Bormann, sind stilistisch und von den Sujets her verschieden. Ins Visier nehmen sie den russischen Zarenberater Rasputin, Chaplin und Henry Ford, deutsche Mentalität, die Zukunftsangst und die Hohlheit falschen Sentiments. Gemeinsam sind ihnen der knappe, sachliche Stil, die reduzierte Besetzung, die zugespitzte, montagehafte Dramaturgie - die das Zeitgenre Kurzoper auch bei Milhaud, Toch oder Hindemith prägt. Der schmerzlich-expressionistische Ton, mit dem Hartmann in die Musik-Geschichte eingeht, kommt hier noch nicht zu Gehör; die Miniaturen belegen jedoch, dass dem Symphoniker die satirische Seite nicht fehlt. - Eben diese erklingt auf einer neuen CD des Mainzer Labels WERGO. In Co-Produktion mit DeutschlandRadio Berlin wurden die fünf Stücke neu produziert. Einige Stücke sind nur für Klavier und Solisten gesetzt, andere für Instrumentalensemble, Sänger und Chor: beispielsweise 'Der Mann, der vom Tode auferstand'. Dieser Zwanzigminüter persifliert das Medium Radio. Oder besser das Syndrom medial vermittelten Wahns, in denen ein Hörer verfällt, der eine Radiosendung als Wirklichkeit nimmt. * Musikbeispiel: K.A. Hartmann - 'Der Mann der vom Tode auferstand' aus: "Wachsfigurenkabinett" Michael Kraus, Bariton, Männerchor und Mitglieder des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin unter Leitung von Roger Epple mit der Schallplattenpremiere von Karl Amadeus Hartmanns früher Kurzopern-Sammlung "Wachsfigurenkabinett". Die Aufnahme kam im Frühjahr 2001 beim Label WERGO heraus. Zuvor habe ich Ihnen eine historische Aufnahme von Werner Egks Radiostück "Columbus" vorgestellt, die kürzlich beim Label ORFEO erschien.

Frank Kämpfer | 08.07.2001