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Karl-Georg Wellmann (CDU) zur Offensive gegen Kurden
"Wir müssen mit der Türkei darüber sprechen, diesen Unfug zu lassen"

Der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann lehnt es ab, den Bundeswehr-Einsatz im türkischen Incirlik an Bedingungen zu knüpfen. Er finde es zwar unerträglich, dass im Kampf gegen den IS von türkischer Seite auch Kurden unter Feuer gerieten. Die Bekämpfung der IS-Dschihadisten sei aber auch in deutschem Interesse.

Karl-Georg Wellmann im Gespräch mit Dirk Müller | 08.09.2016
    Aus einer Landschaft mit wenigen Häusern steigt eine Rauch- und Staubwolke auf.
    Die türkische Armee bekämpft (wie hier im August bei Dscharablus) den IS in Nordsyrien. Aber auch kurdische Einheiten wurden angegriffen. (AFP/BULENT KILIC)
    Wellmann wies darauf hin, dass vor allem der IS für die hohe Zahl von Flüchtlingen verantwortlich sei. Die Erfahrung sei, dass 90 Prozent der Flüchtlinge wieder in ihre Städte zurückkehrten, sobald diese vom IS befreit seien.
    Der CDU-Politiker verteidigte auch die angekündigten Investitionen in den türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik. Es gehe darum, die deutschen Soldaten ordentlich unterzubringen, sagte er im DLF. Ein Großteil der geplanten 58 Millionen Euro sei für einen mobilen Gefechtsstand in Incirlik vorgesehen, der auch wieder mitgenommen werde, wenn der Einsatz beendet sei, erläuterte Wellmann im DLF. Zudem entspreche es "ganz üblicher Praxis", mit den geplanten Bauarbeiten örtliche Unternehmen zu beauftragen und keine deutschen Unternehmen dorthin zu schicken.
    Karl-Georg Wellmann (CDU), Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags
    Karl-Georg Wellmann (CDU), Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags (Imago)
    Auf die Frage, warum die Investitions-Ankündigung gerade jetzt komme, sagte Wellmann, die Bundesregierung habe erst "klarstellen" müssen, ob der Einsatz in Icirlik von Dauer sei. Nach aktueller Lage gehe die Bundesregierung davon aus, dass es bei diesem Einsatz bleibe.

    Dirk Müller: Immer noch geht es in Berlin um die türkische NATO-Basis Incirlik, um das Besuchsverbot für die Bundestagsabgeordneten. 250 deutsche Soldaten sind dort stationiert samt sechs Tornado-Aufklärungsflugzeugen und einem Tankflugzeug. Rund 500 Einsätze sind die Bundeswehr-Piloten bisher geflogen, Aufklärung offiziell im Kampf gegen die IS-Milizen in Syrien.
    Blicken wir ein bisschen zurück: Erst kam die Armenien-Resolution, dann das Besuchsverbot für deutsche Abgeordnete. Vergangenen Freitag dann rudert die Große Koalition völlig unerwartet zurück, distanziert sich von der Armenien-Entscheidung des Bundestages. Jetzt sollen angeblich 60 Millionen Euro in Incirlik investiert werden, in Material und in Unterkünfte. Und der türkische Außenminister sagt: Wenn Deutschland sich weiter so verhält wie jetzt, dann werden wir eine Besuchserlaubnis erwägen - abhängig also vom Wohlverhalten Ankaras. Grüne und Linke sprechen schon von Bankrotterklärung der Türkei-Politik, von Erpressung, von Erniedrigung.
    Einer, der längst nicht immer auf der vorgegebenen Linie der Parteiführung argumentiert, ist der CDU-Außen- und Verteidigungspolitiker Karl-Georg Wellmann, nun bei uns am Telefon. Guten Morgen!
    Karl-Georg Wellmann: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Wellmann, beschämt sie das ein bisschen?
    Wellmann: Nein, weil sich niemand von der Resolution distanziert. Der Bundestag hat in ganz großer Mehrheit diese Resolution gefasst. Sie steht, da distanziert sich niemand von und auch die Bundesregierung hat das nicht gemacht. Steffen Seibert, der Regierungssprecher, hat gesagt, das ist das freie Recht des Bundestages, und dabei bleibt es auch.
    Müller: Aber musste er noch mal sagen, weil viele nicht wussten, dass das so ist.
    Wellmann: Ja, das mag so sein. Aber die Emotionen in der Türkei sind ja hochgekocht. Die türkische Regierung hatte den Eindruck, dass wir uns nicht mit dem hinreichenden Nachdruck gegen diesen Militärputsch, bei dem ja über 100 Menschen gestorben sind, umgebracht worden sind, distanziert haben. Ich denke, die Fieberkurve senkt sich wieder und allmählich wird wieder vernünftig Politik gemacht, was wichtig ist und was vor allem in unserem Interesse ist. Ich erkläre auch gerne gleich warum.
    Müller: Warten wir vielleicht darauf noch eine Sekunde, Herr Wellmann. Ich habe das noch nicht ganz verstanden. Sie sagen, es ist alles ganz normal verlaufen. Warum hat Seibert sich dann hingestellt? Warum war das zu diesem Zeitpunkt wichtig zu sagen, Moment, die Bundesregierung hat mit der Resolution des Bundestages gar nichts zu tun, das ist nicht rechtsverbindlich. Hat ja auch nie jemand behauptet. Was soll das Ganze?
    Wellmann: Die Bundesregierung hat formal nichts damit zu tun, weil es ein Beschluss des Verfassungsorgans Bundestag ist. Der Bundestag hat das beschlossen. Der eine oder andere hat ja die Frage vorher gestellt, ob das klug ist, diese Resolution zu fassen, aber der Bundestag hat das gemacht und das war auch richtig so. Davon hat sich die Bundesregierung ausdrücklich nicht distanziert, sondern hat nur festgestellt, dass das rechtlich nicht bindend ist.
    Müller: Und warum das? Warum das? Versteht ja kein Menschen. Was soll das? Warum feststellen, das ist rechtlich nicht verbindlich? Das heißt, die Politik, die der Bundestag befürwortet, oder die Haltung des Bundestages ist nicht die Haltung der Bundesregierung?
    Wellmann: Das hat Seibert so nicht gesagt. So habe ich das nicht verstanden.
    Müller: Ist jetzt meine Interpretation. Warum muss man sich dann davon abgrenzen?
    Wellmann: Er hat sich nicht davon abgegrenzt. Er hat nur festgestellt, dass es kein Gesetz ist und dass vor allem wir unsere deutsche Verantwortung damit gemeint haben.a Das deutsche Kaiserreich damals hat ja zugesehen und hat die türkische Regierung logistisch unterstützt. Darum ging es und das hat der Bundestag beschlossen und dabei bleibt es.
    Müller: Und die Türken waren da nicht clever genug, das vorher schon zu verstehen, ohne die Klarstellung?
    Wellmann: Es haben ja viele andere europäische Staaten, auch die Amerikaner haben es gemacht, die Franzosen, die Polen, den Völkermord an den Armeniern kritisiert und benannt. Nichts anderes hat der Deutsche Bundestag gemacht.
    Wellmann: Bundesregierung hat sich nicht von Armenien-Resolution distanziert
    Müller: Aber ich habe nicht in Erinnerung, dass die Regierungen hinterher gesagt haben, die haben das ruhig gemacht, das Parlament, aber wir sind die Regierung, wir sind die Exekutive und sind aufgrund dessen aber nicht gebunden.
    Wellmann: Auch in anderen Ländern gab es Kritik daran, ob es außenpolitisch klug ist, das zu machen. Aber wir haben es gemacht, die Bundesregierung hat sich nicht distanziert, sie hat nur festgestellt, dass es kein Gesetz ist, dass das rechtlich nicht bindend ist. Und der Bundestag ist der Auffassung, zurecht gehandelt zu haben, und dabei bleibt es von unserer Seite. Und meine Empfehlung ist: Sprechen Sie mit der Bundesregierung, wenn Sie da noch Nachfragen haben.
    Müller: Ich spreche ja mit Ihnen, weil Sie ganz oft schon wieder wissen, was in der Bundesregierung vor sich geht, und weil Sie ja ein unabhängiger Parlamentarier sind, der gewählt ist, Herr Wellmann. Noch mal eine Frage: Alle, die in der Bundesregierung sitzen - behaupte ich jetzt, ich habe jetzt nicht nachgezählt -, sitzen ja auch alle im Bundestag und haben die Armenien-Resolution mitgetragen. Und dann sagen sie aber hinterher, na ja, aber rechtsverbindlich ist das nicht, das haben wir jetzt im Grunde mal plakativ aufgesetzt.
    Wellmann: Die wesentlichen Mitglieder der Bundesregierung, der Außenminister, die Kanzlerin, waren ja nicht dabei bei der Abstimmung. Allerdings hatte die Kanzlerin in der Fraktion, in der das vorher abgestimmt wurde, auch dafür gestimmt.
    Müller: Die waren nicht dabei, da haben Sie Recht. Also sind die fein raus, weil die haben gar nicht mitgestimmt?
    Wellmann: Die Bundeskanzlerin hat erklärt, sie habe in der Fraktion mitgestimmt. Da war ich selbst dabei und habe es gesehen. Insofern gehe ich davon aus, dass auch sie hinter dieser Resolution steht.
    Wellmann: Investition für mobilen Gefechtsstand und Unterkünfte für deutsche Soldaten
    Müller: Jetzt müssen wir über Incirlik sprechen. Jetzt haben wir diese Seibert-Äußerung gehabt, darüber haben wir gerade diskutiert, und jetzt auf einmal wird investiert. 60 Millionen, 58 Millionen, 57 Millionen stehen da in der Pipeline, im Moment in der Diskussion, bekommen türkische Unternehmen. Jetzt auf einmal sagt die Türkei: Na ja, wenn wir uns weiterhin gut benehmen, dann dürfen wir kommen. Kann das wirklich sein?
    Wellmann: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Es werden 58 Millionen investiert, der größere Teil davon in einen mobilen Gefechtsstand, der auch wieder mitgenommen wird, wenn dieser Einsatz mal beendet wird. Und das zweite sind Unterkünfte für unsere Soldaten. Wenn wir, wenn der Bundestag Soldaten dort hinschickt in die Türkei, dann müssen wir bitte auch dafür sorgen, dass die Männer und Frauen anständig und ordentlich untergebracht sind.
    Müller: Die sind bis jetzt in Zelten, oder wie ist das?
    Wellmann: Nein, sie sind in Behelfsunterkünften, in Baracken. Ich war ja selbst noch nicht da. Die Kollegen werden ja erst hinfahren Anfang Oktober. Es werden jetzt mobile Unterkünfte, feste Unterkünfte gebaut. Dafür brauchen sie Beton-Fundamente, auch für den Gefechtsstand brauchen sie das, und es entspricht ganz üblicher Praxis, dass man da nicht Unternehmen aus Deutschland hinschickt, sondern örtliche Unternehmen beauftragt, nach unseren Grundsätzen und nach entsprechender Ausschreibung.
    "Das ist ein Kampf gegen den IS, an dem wir uns beteiligen"
    Müller: Ein bisschen Kooperations- und Entwicklungshilfe. Das heißt, Sie glauben an Zufälle? Am Freitag Seibert, jetzt auf einmal die Investitionen, und der türkische Außenminister …
    Wellmann: Nein, nein. Es musste ja erst klargestellt werden, ob unser Einsatz von Dauer ist. Wenn die türkische Regierung nicht erkennen lässt, dass diese Besuche stattfinden können, dann hätten wir wahrscheinlich unsere Soldaten abgezogen. Die Bundesregierung geht davon aus nach den Gesprächen mit der türkischen Regierung, dass es bei diesem Einsatz bleibt, und dann müssen wir auch dafür sorgen, dass die Einsatzbedingungen für unsere Soldaten so sind, dass sie ihren Auftrag erfüllen können. Ich darf mal darauf hinweisen: Das ist ein Kampf gegen den IS, an dem wir uns beteiligen. Der IS, der vor allem dafür verantwortlich ist, dass so viele Flüchtlinge zu uns kommen. 90 Prozent der Flüchtlinge gehen zurück - das ist die Erfahrung -, selbst in zerstörten Städten -, wenn sie vom IS befreit sind.
    Müller: Die Türken kämpfen auch gegen die Kurden!
    Wellmann: Die Deutschen kämpfen nicht gegen die Kurden.
    Müller: Nein, die Türken! Die Türken.
    Wellmann: Ja das finde ich auch sehr kritikwürdig.
    "Ich finde es unerträglich, dass diese Kurden jetzt ins Feuer geraten"
    Müller: Das spielt aber keine Rolle. Machen wir trotzdem weiter, machen [Fotos vom] IS, und die Türken sagen, die Bilder, die Aufnahmen nehmen wir auch, dann können wir das auch noch gegen andere Gegner benutzen.
    Wellmann: Die kurdischen Peschmerga waren diejenigen, die als erste gegen den IS gekämpft haben. Ich war damals vor einem Jahr der erste, der Waffenlieferungen an die Kurden gefordert hat. Die Bundesregierung hat sich dem angeschlossen. Und ich finde es unerträglich, dass diese Kurden jetzt ins Feuer geraten von türkischer Seite. Die Amerikaner haben sich sehr dagegen verwendet, wir auch, und darüber muss gesprochen werden. Es bleibt aber gleichwohl bei dem Kampf gegen den IS, und zwar deshalb, weil es in unserem deutschen Interesse ist.
    Müller: Jetzt haben wir noch zehn Sekunden. Aber Sie könnten doch zur Bedingung machen: Wenn ihr gegen die Kurden weiter dort einsetzt, die wir unterstützen, dann gibt es auch keine Unterstützung bei der Aufklärung gegen den IS.
    Wellmann: Das würde uns ja selbst schaden. Wir wollen ja den IS und wir müssen den IS bekämpfen und parallel mit der Türkei darüber sprechen, dass sie diesen Unfug lassen.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der CDU-Außen- und Verteidigungspolitiker Karl-Georg Wellmann. Danke für das Gespräch, Herr Wellmann. Ihnen einen schönen Tag.
    Wellmann: Tschüss aus Berlin!
    //Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht