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Karl May reloaded

Zu Karl Mays 170. Geburtstag hat sich der Heyne-Verlag zu einem abenteuerlichen Projekt entschlossen: Ein Ghostwriter wurde beauftragt ein neues Karl-May-Buch zu schreiben - unter einem Pseudonym, das auch Karl May benutzte: Karl Hohenthal. Das Buch heißt "Hadschi Halef Omar im Wilden Westen".

Von Oliver Kranz | 24.02.2012
    Herr X ist ganz in Schwarz gekleidet und trägt eine Sonnenbrille. Er möchte nicht erkannt werden ...

    "Es liegt in der Natur der Sache: Sie müssen in aller Bescheidenheit im Hintergrund bleiben, denn es ist das Werk von jemand anderem."

    Denn X tritt als Karl Hohenthal auf. Hohenthal wiederum ist ein Pseudonym von Karl May. Herr X liebt solche Versteckspiele. In seinem Hauptberuf ist er Ghostwriter.

    "Es kommen Verlage auf mich zu, die sagen: 'Wir haben hier einen 500-Seiten-Roman, der hängt in der Mitte durch' oder 'Das Ende ist nicht so gelungen.' oder 'Die Autorin ist krank geworden'. Das gibt es leider. Ich habe in einem Fall geholfen, ohne Ross und Reiter zu nennen, ein Buch zu retten. Die Autorin kam nach Deutschland, um daraus zu lesen und hat Stellen lesen müssen, die in dem Werk so nicht intendiert waren. Und die fanden am meisten Applaus. Das ist dann der eigentliche Lohn des Ghostwriters."

    Herr X lebt also davon, die Bücher anderer Autoren zu Ende zu schreiben. Doch warum ein neuer Roman im Stil Karl Mays?

    "Wir haben in Deutschland viele hervorragende Schriftsteller, aber wir haben viel zu wenige Erzähler. Das war ein großer Reiz zu versuchen, an diese Erzählertradition anzuknüpfen und nicht einfach in Anführungsstrichen einen neuen Karl May erfinden. Das wäre auch müßig, das wäre eine schlechte Kopie. Sondern der Versuch zu sagen: Kannst du die Feder aufnehmen, wo er sie leider hat ablegen müssen? Und das zu versuchen, war natürlich, wie Karl May sagen würde, ein Hauptspaß."

    Der Hauptspaß könnte sich natürlich in einen Hauptärger verwandeln, wenn das Buch nicht so aufgenommen wird, wie es sich der Autor erhofft. Karl May hat eine Fangemeinde, die sehr genau darauf achtet, was mit den Werken ihres Idols geschieht. Schon jetzt, wo das Buch noch gar nicht erschienen ist, bekommt Herr X Beschwerdebriefe. Veröffentlicht wurde bisher nur eine kurze Inhaltsangabe.

    "Es ist vollkommen klar, dass die Sorge haben, da könnte jetzt ein Outsider kommen, noch dazu ein Ghostwriter, den sie gar nicht weiter kennen, und der vergreift sich jetzt an dem Werk. Karl May selber ist ja frei. 70 Jahre nach dem Tod ist das Copyright abgelaufen und theoretisch könnten sich jetzt Leute dran machen und sagen: 'Jetzt kommerzialisieren wir das mal'. Aber ich denke, wenn sie das Buch gelesen haben werden, dann werden sie womöglich anders darüber denken."

    Denn das Buch ist kein Abklatsch dessen, was in den bereits vorliegenden Karl-May-Romanen verhandelt wird. Es greift Karl Mays Figuren auf, kopiert den erzählerischen Stil, wagt aber inhaltlich etwas Neues: Hadschi Halef Omar reist in den Wilden Westen. Er muss es tun, weil sein Freund Kara Ben Nemsi, der Ich-Erzähler aus Karl-Mays Wüstenromanen, geholt werden muss, um Geiseln aus der Hand eines bösen Scheichs zu befreien. Im Wilden Westen heißt Kara Ben Nemsi Old Shatterhand.

    "Es ging wirklich um eine Auseinandersetzung mit dem kompletten Sujet. Das Buch besteht aus zwei Teilen, der erste Teil spielt in der Wüste und dann reist Hadschi Halef Omar nach Nordamerika. Das ist schon grotesk genug, aber Karl May war ja er selber so grotesk und hat in einer seiner Geschichten Winnetou nach Dresden kommen lassen. ... Deshalb ist es nicht ganz so verstiegen, wenn bei mir Hadschi Halef Omar nach Nordamerika reist. Aber er bringt etwas mit: Er bringt eine neue Sichtweise von Kara Ben Nemsi, wie Old Shatterhand in der Wüste heißt, zu dem in Nordamerika mit Winnetou agierenden Old Shatterhand."

    Mit anderen Worten: Die Hauptfigur entwickelt sich. Und das ist der eigentliche Zugewinn des Buchs. Herr X beruft sich auf Vorbilder in der angloamerikanischen Literatur.

    "Sherlock Holmes in England - da vergreift sich niemand dran, sondern man kann sich Meriten verdienen, wenn man werkgetreu aber mit einem neuen Denkansatz, die Figuren von Conan Doyle weiter führt. Oder wir hatten in den USA Anfang der Neunziger eine Fortsetzung von "Vom Winde verweht" von Alexandra Ripley. Scarlett. Ich finde es toll, dass das gemacht wurde."

    In Deutschland hingegen ist es unüblich, Fortsetzungen von Klassikern zu veröffentlichen. Dabei wäre es wirklich lohnenswert, sagt Herr X und nennt ein Beispiel.

    "Felix Krull endet ja leider viel zu früh und Thomas Mann wollte einen zweiten Band schreiben, kam aber nicht dazu. Das, liebe Kollegen, wäre ein Ansatz. Karl May ist jetzt ja besetzt."

    Meint X. Dabei wären natürlich auch andere Fortsetzungen denkbar. Die Veröffentlichungen des Jubiläumsjahrs könnten Karl May, der in letzter Zeit ja ein bisschen aus der Mode gekommen ist, zu neuer Popularität verhelfen.