Donnerstag, 25. April 2024

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Karlspreis für Papst Franziskus
Margot Käßmann: "Er sieht dieses Europa der Freiheit"

Dass der Papst den Aachener Karlspreis bekommt, kann die frühere EKD-Vorsitzende Margot Käßmann gut nachvollziehen. Als Argentinier sehe der Papst Europa mit seinen Errungenschaften von außen vielleicht besser als die Europäer selbst das können, sagte Käßmann im Deutschlandfunk. Beim Thema Flüchtlinge mahne der Papst im Namen aller Christen Solidarität an. Abschottung habe nichts mit Nächstenliebe zu tun.

Margot Käßmann im Gespräch mit Sandra Schulz | 06.05.2016
    Die frühere EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann
    Die frühere EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann (picture alliance / dpa / Ingo Wagner)
    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Papst Franziskus wird also mit dem Karlspreis geehrt. Und das ist auch unser Thema in den kommenden Minuten. Auch in Rom, allerdings aus anderem Anlass, haben wir Margot Käßmann erreicht, die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, heute Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017 für den EKD-Rat. Guten Morgen, Margot Käßmann!
    Margot Käßmann: Guten Morgen!
    Schulz: Ein Satz fällt ja wirklich ins Auge aus der Begründung der Direktoriumsentscheidung: Er sei der Papst vom anderen Ende der Welt, der Millionen Europäern Orientierung dafür gibt, was die Europäische Union im Innersten zusammenhält. Warum können die Europäer das nicht selbst?
    Käßmann: Ich denke, viele Europäer können das auch selbst, aber der Papst hat natürlich eine prominente Stimme dafür. Und ich denke, gerade als Argentinier hat er eine große Überzeugungskraft, weil er ein Land kennt, in dem Armut wesentlich größer ist, in dem Diktatur noch gar nicht so lange her ist. Und er sieht dieses Europa der Freiheit, mit seinen großen Freiheitswerten, seinen großen sozialen Errungenschaften und fragt sich wahrscheinlich, warum die Europäer nicht viel begeisterter für dieses Europa einstehen. Und das kann er vielleicht viel besser von außen, als wir da manchmal von innen können.
    "So kann Europa nicht existieren"
    Schulz: Aber ist es nicht umgekehrt auch das Signal: Jetzt haben die Europäer die Hoffnung verloren, das Vertrauen in Europa, jetzt kann es kein anderer richten als das Oberhaupt der katholischen Kirche?
    Käßmann: Das sehe ich nicht so. Weil die Hoffnung auf Europa, die sehen wir ja bei den Flüchtlingen, die kommen, weil Europa für sie immer noch der Ort ist, an dem sie meinen, in Freiheit leben zu können, und das hoffentlich ja auch tun können. Und das muss ich sagen, ich sehe viele Christinnen und Christen in Europa, die in den Kirchengemeinden Flüchtlingen zur Seite stehen und genau für diese Rechte einstehen, weil sie wissen, was es heißt, in einem Land von Religionsfreiheit, gleichen Rechten für Frauen leben zu dürfen, in dem die Meinungsfreiheit gesichert ist.
    Und dieses Europa … Ich muss sagen, meine Generation begeistert es, denke ich, noch immer, und diejenigen, die es jetzt schlechtreden, die auch davon reden, dass wir nicht in der Lage wären, Flüchtlinge aufzunehmen, ich denke, die gilt es anzuprangern und zu sagen, so kann Europa nicht existieren. Und ich finde, gerade die osteuropäischen Staaten, die so froh waren, dass sie mit den Kopenhagener Verträgen aufgenommen wurden 2004, sollten jetzt auch standhaft für die Freiheitsrechte Europas eintreten.
    Solidarität mit Flüchtlingen
    Schulz: Jetzt sind ja viele Grenzen dicht gemacht worden, die Balkanroute ist dicht. Der Papst mahnt immer wieder Solidarität an. Ist er damit nicht ein ziemlicher Außenseiter in Europa?
    Käßmann: Diese Solidarität wird von vielen angemahnt. Ich finde den Papst da wirklich gut, weil er das für die Christen insgesamt tut, die evangelischen sind ja der gleichen Meinung. Ich habe noch nie erlebt, dass in einer sozialpolitischen Frage die Christen so klar agieren. Und das können wir sagen, sowohl von den Kirchenleitungen her ist das kritisiert worden, von allen, aber auch von den Gemeinden her vor Ort, die eben für Flüchtlinge engagiert sind. Insofern würde ich sagen: Die Christen erheben ihre Stimme für die Öffnung Europas, für Flüchtlinge, für Menschen in Not, es sind andere, die erklären, das christliche Abendland müsse sich abschotten. Aber da, muss ich sagen, haben die wenig mit Christentum, mit Nächstenliebe, mit Barmherzigkeit zu tun, sondern wollen sich ja abschotten.
    Schulz: Ja, aber die sagen, das Christentum müsse sich abschotten, das sind ja die – ich spreche die AfD an –, die im Moment einen großen Zulauf haben. Die Kirchen dagegen verlieren Mitglieder. Wie bringen Sie diesen Widerspruch zusammen?
    Käßmann: Auf jeden Fall nicht dadurch, dass wir jetzt populistisch sagen, wir sind auch gegen Flüchtlinge. Sondern indem wir, sage ich mal, wacker und klar für die christliche Botschaft eintreten, und diese christliche Botschaft hat den Kern darin, sich den Nächsten, den Menschen in Not zuzuwenden.
    Jesus sagt sogar, beim Weltgericht wird es so sein, dass, wenn wir Menschen in Not aufnehmen, wir ihn selbst aufgenommen haben. Was die AfD da macht mit dieser Abgrenzung, und die Pegida-Bewegung noch mit der Verteidigung des christlichen Abendlandes, das hat mit christlichen Grundüberzeugungen wirklich nichts zu tun.
    Zulauf der AfD "hochgradig bedauerlich"
    Schulz: Aber warum wird es offenbar so wenigen Leuten deutlich? Ich plädiere jetzt nicht dafür, dass Sie sich auch gegen die Flüchtlinge wenden, aber warum verfängt dieser Gedanke der Solidarität letzten Endes im Ergebnis so wenig?
    Käßmann: Ich bin ja nicht der Meinung, dass er gar nicht verfängt. Ich sehe zwar den Zulauf zur AfD, der im zweistelligen Prozentbereich leider liegt, was ich sagen muss, was ich hochgradig bedauere und sehr, sehr traurig finde. Aber ich sehe eben auch das andere, ich sehe die große Solidarität der Menschen vor Ort, in den Kirchengemeinden, die Flüchtlingen beistehen. Die haben vielleicht nicht immer diese große, laute Stimme, aber sie machen die Arbeit, die für mich überzeugend ist.
    Schulz: Aber wenn Sie auf die Diskussion in Europa schauen, das ist ja das große Solidaritätsthema: Da ist vor Monaten verabredet worden, wir verteilen 160.000 Flüchtlinge auf die Mitgliedsländer der Europäischen Union. Man könnte einerseits sagen, das ist doch eine kleine Aufgabe, das müsste doch machbar sein, hat sich aber als nicht machbar erwiesen.
    Gleichzeitig argumentieren die Staaten im Osten Europas ja auch damit, gerade die Kanzlerin sei nicht solidarisch, weil sie eben allen Staaten Aufgaben aufbürdet, die sie überhaupt nicht übernehmen wollen. Gibt es da dieses Definitionsproblem der Solidarität nicht nach wie vor?
    Osteuropäische Staaten in der Pflicht
    Käßmann: Ja, das gibt es, das würde ich bestätigen, dass es dieses Definitionsproblem gibt. Deshalb habe ich ja eben schon gesagt, dass die osteuropäischen Staaten wirklich angemahnt werden müssen. Wir haben Milliarden ausgegeben, damit sie beitreten können, diese zehn Staaten der EU, jetzt müssen sie aber auch dazu stehen, dass sie beigetreten sind und für die Freiheit Europas eintreten und diese Solidarität auch ausüben.
    Ich finde, wenn Staaten das nicht wollen, dann können sie nicht zur Europäischen Union gehören. Weil, zur Europäischen Union gehören bedeutet auch diese Werte mitvertreten und für Menschen in Not offen und da sein. Das geht natürlich nicht grenzenlos, das ist mir auch klar. Aber Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen und da schweigend zuzusehen, das ist jedenfalls keine Haltung, für die Europa irgendeinen Preis bekommen sollte oder auf die irgendjemand stolz sein könnte.
    Schulz: Margot Käßmann, die frühere EKD-Ratsvorsitzende heute bei uns im Deutschlandfunk, haben Sie ganz herzlichen Dank für diese Einschätzung!
    Käßmann: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.