Freitag, 19. April 2024

Archiv

Karlspreisverleihung an den Papst
"Was ist mit dir los, Europa?"

Papst Franziskus hat die europäischen Staaten zu einer neuen Mitmenschlichkeit aufgerufen. Bei der Entgegennahme des Karlspreises im Vatikan sagte er, er wünsche sich ein Europa, das die Menschenrechte hochhalte und Armen sowie Schutzsuchenden helfend zur Seite stehe. Europa müsse sich wieder auf seine ursprüngliche Ideale besinnen.

06.05.2016
    Papst Franziskus während seiner Rede zur Verleihung des Karlspreises am 6.5.2016.
    Papst Franziskus während seiner Rede zur Verleihung des Karlspreises. (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    Franziskus bekommt den Karlspreis für seine Verdienste um die europäische Einigung. In ihrer Begründung für die Vergabe äußerte die Jury die Hoffnung, dass der Papst als Preisträger den europäischen Einigungsprozess in Zeiten der Krise durch seine Worte und Gesten der Ermutigung stärken werde.
    Franziskus forderte Europa in seiner Rede dazu auf, sich an seine Gründerväter und deren Ideale zu erinnern. Diese "hatten die Kühnheit, nicht nur von der Idee Europa zu träumen, sondern wagten, die Modelle, die bloß Gewalt und Zerstörung hervorbrachten, radikal zu verändern", sagte das katholische Kirchenoberhaupt bei der Verleihung.
    "Die Pläne der Gründerväter, jener Herolde des Friedens und Propheten der Zukunft, sind nicht überholt: Heute mehr denn je regen sie an, Brücken zu bauen und Mauern einzureißen", betonte Franziskus. Seine Rede zeige, dass ihm Europa am Herzen liege, berichtete ARD-Korrespondent Jan-Christoph Kitzler im DLF.
    Ausschnitte aus der Rede des Papstes - "Was ist mit dir los, Europa?"

    "Was ist mit dir los, humanistisches Europa, du Verfechterin der Menschenrechte, der Demokratie und der Freiheit? Was ist mit dir los, Europa, du Heimat von Dichtern, Philosophen, Künstlern, Musikern, Literaten? Was ist mit dir los, Europa, du Mutter von Völkern und Nationen, Mutter großer Männer und Frauen, die die Würde ihrer Brüder und Schwestern zu verteidigen und dafür ihr Leben hinzugeben wussten?"

    "Ich träume von einem Europa, das sich um Kinder kümmert und das brüderliche Hilfe bietet für Arme sowie Neuankömmlinge, die Akzeptanz suchen, weil sie alles verloren haben und Schutz benötigen."

    "Ich träume von einem Europa, das die Rechte des Einzelnen fördert und schützt, ohne die Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft außer Acht zu lassen. Ich träume von einem Europa, von dem man nicht sagen kann, dass sein Einsatz für die Menschenrechte an letzter Stelle seiner Visionen stand."
    Viele führende europäische Politiker in Rom
    Zu der feierlichen Zeremonie in der Sala Regia des Apostolischen Palastes versammelten sich unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, EU-Ratspräsident Donald Tusk und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Auch eine 500 Mitglieder zählende Delegation aus Aachen reiste nach Rom.
    Der Aachener Oberbürgermeister Marcel Philipp, der Franziskus den Preis überreichte, würdigte bei der Verleihung die wichtige Rolle des Papstes für die Bewältigung der Krisen in Europa: "Papst Franziskus ist für diesen schwierigen Weg Europas ein großes Glück. Der Heilige Vater schaut mit dem Blick der südlichen Hemisphäre auf Europa und sieht klar und ohne den Wohlstandsschleier als oberster Hirte der weltweiten Gemeinschaft der katholischen Kirche unseren verzerrten und in Widersprüche verstrickten Kontinent."
    EU-Kommissionspräsident Juncker sagte, er sei dankbar dafür, dass der Papst als Mahner Europa ins Gewissen Rede und so allen die ursprünglichen Werte Europas ins Gedächtnis rufe. EU-Ratspräsident Tusk lobte Franziskus' Engagement für die Schwachen. Seine Kirche stehe für eine, "die auf Prunk verzichte, um den Armen zu helfen".
    Schulz spricht von Solidaritätskrise in Europa
    Europaparlamentspräsident Martin Schulz sprach das Grußwort in der Zeremonie - als Preisträger des vergangenen Jahres. Seiner Einschätzung nach ist Europa in einer "Solidaritätskrise". Der Kontinent laufe Gefahr, das Erbe von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu verspielen. "Nationale Egoismen, Renationalisierung, Kleinstaaterei sind auf dem Vormarsch." Mahnungen des Papstes seien in diesen turbulenten Zeiten wichtig.
    Nordrhein-Westfalens CDU-Chef Armin Laschet betonte im Interview mit dem Deutschlandfunk, dass die Stimme des Papstes weiter ein großes Gewicht habe: "Man beklatscht den Papst, man nimmt ihn ernst, man nimmt seine Stimme ernst". Franziskus wolle polarisieren und er wolle provozieren, aber er werde dennoch anerkannt, so Laschet. Auch die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Margot Käßmann, kann die Verleihung des Karlspreises an den Papst verstehen. Gerade als Argentinier könne er Orientierung für die Europäische Union und deren Bürger geben, weil er einen besseren Außenblick auf das freiheitliche Europa habe. Schließlich komme er aus einem Land, das Armut und Diktatur kenne, so Käßmann im Deutschlandfunk.
    Einigungsprozess stärken
    Franziskus ist der zweite Papst, der den Karlspreis erhält. Im Jahr 2005 bekam Johannes Paul II. einen "außerordentlichen Karlspreis". Der undotierte Internationale Karlspreis zu Aachen gilt als einer der wichtigsten europäischen Auszeichnungen. Er wird seit 1950 an Personen und Institutionen verleihen, die sich um die Einigung Europas verdient gemacht haben.
    Der Karlspreis wurde auf Initiative des Aachener Kaufmanns Kurt Pfeiffer nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen. Pfeiffer regte 1949 in einer Rede in Aachen die Schaffung eines europäischen Preises für Verdienste um die westeuropäische Verständigung und den Weltfrieden an. Namensgeber des Bürgerpreises ist Karl der Große, der als erster Einiger Europas gilt.
    (pr/men/stfr)