Donnerstag, 25. April 2024

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Karsai: Drogen- und Terrorbekämpfung haben Vorrang

Annette Riedel: Herr Präsident, ich bin ganz sicher, dass Sie zufrieden mit dem Ausgang der afghanischen Präsidentschaftswahlen im Oktober sind, Sie haben sie schließlich mit großem Abstand gewonnen. Manch anderer Präsident weltweit beneidet Sie bestimmt darum. Selbst Ihre härtesten Kritiker können Sie jetzt jedenfalls nicht mehr als Behelfspräsident oder Notnagelpräsident bezeichnen. Wird das mehr als nur symbolisch Ihren Einfluss und Ihre Autorität im ganzen Land über Kabul hinaus stärken?

19.11.2004
    Hamid Karsai: Es gab von Anfang an schon vor den Präsidentschaftswahlen keine Zweifel, was die Legitimität der politischen Macht und die Autorität angeht. Seit der Afghanistankonferenz in Bonn, die die vorläufige Regierung etablierte und der großen Ratsversammlung in Afghanistan der Loya Djirga, aus der die Übergangsregierung hervorging, hatte die Regierung politische Macht. Aber sie hatte nicht die Fähigkeit, Verwaltungsdienstleistungen überall im Land anzubieten. Unsere Unzulänglichkeiten resultierten aus der Schwäche der Verwaltung, auch wenn diese sich in den letzten drei Jahren schon deutlich verbessert hat. Natürlich habe ich und hat mit mir die Regierung nach den gewonnenen Präsidentschaftswahlen jetzt eine wesentlich größere Legitimität allein durch die Millionen Wählerstimmen, die wir erhalten haben. Aber die Regierung wird nicht über Nacht das ganze Land erreichen und effiziente Verwaltungen in jeder Provinz haben können. Dazu bedarf es guten Personals, Kapital und Zeit, aber was die Legitimität angeht, die ist überall spürbar gewachsen.

    Riedel: Es gibt eine lange Liste von ernsthaften Problemen, die die neue Regierung nach ihrer in Kürze anstehenden Amtseinführung zu bewältigen hat. Da ist der illegale Opiumanbau, dann gibt es die Warlords, die Kriegsherren in den Provinzen mit ihren Privatarmeen von über 40.000 Mann, wesentlich mehr, als die im Aufbau befindliche Nationalarmee vorzuweisen hat. Was steht denn für Sie ganz oben auf der Liste der anstehenden Aufgaben?

    Karsai: Der Kampf gegen den Drogenanbau wird allerhöchste Priorität haben. Genauso wichtig wie der Kampf gegen die Drogen ist es aber, den Lebensstandard der afghanischen Bevölkerung zu heben. Wichtig ist es auch, die politischen Institutionen zu stärken. Eine Regierung zu haben, deren Basis Recht und Gesetz ist. Die Menschen haben mit ihren Stimmen einen Rechtsstaat gewählt und den aufzubauen, daran sollten wir arbeiten. Das bedeutet, dass wir die Privatarmeen, die Privatmilizen, beseitigen müssen und dass wir eine nationale Armee und eine Polizeimacht haben.

    Riedel: Sie haben den Drogenanbau angesprochen. Auf Ihrer ersten Pressekonferenz als gewählter Präsident hier in Ihrem Amtssitz in Kabul klang es fast, als ob Sie dem Drogenhandel im Land den Krieg erklärt hätten.

    Karsai: Ganz genau.

    Riedel: Das Problem ist doch aber, dass das Geschäft mit den Drogen, ganz gleich wie illegal oder gefährlich auch immer, nun mal über 50 Prozent der nationalen Wirtschaftskraft ausmacht.

    Karsai: Wir werden den Menschen Alternativen für ihren Lebensunterhalt anzubieten haben. Afghanistan hat große Potentiale in der Landwirtschaft. Unser Land könnte zu einem sehr guten Lebensmittelproduzenten werden. Unser Land ist fruchtbar und es könnten viele andere Produkte angebaut werden als gerade Opium. Wir haben die besten Trauben und viele andere Dinge, also sollten wir nicht nur gegen den Mohnanbau vorgehen, sondern mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft parallel dazu auch unseren Bauern Alternativen bieten, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

    Riedel: Aber was kann das sein?

    Karsai: Jedenfalls kann die Vernichtung von Mohnfeldern nicht bedeuten, dass wir die Bauern verhungern lassen.

    Riedel: Ja soll man sie Getreide anbauen lassen?

    Karsai: Nicht Getreide, andere Dinge. Granatäpfel sind teure Früchte, oder Gewürze, Safran. Da gäbe es gewinnversprechende Märkte, und darauf sollten wir uns konzentrieren.

    Riedel: Einer der wichtigsten Aspekte des Lebens hier in Afghanistan ist die Sicherheitslage. Ohne Sicherheit werden weder die Auslandsafghanen zurückkommen, um beim Aufbau des Landes zu helfen, noch internationale Investoren. Afghanen sind sicher mehrheitlich ungewöhnlich freundliche Menschen, aber es gibt dieses vielleicht ein Prozent, von dem Gefahr ausgeht. Was macht man mit denen?

    Karsai: Wir gehen gegen sie vor, auch wenn das ebenfalls seine Zeit brauchen wird.

    Riedel: Wie?

    Karsai: Indem wir sie stellen. Indem wir Recht und Ordnung im Land verbessern. Indem wir dem Gesetz Geltung verschaffen, indem wir die gefährlichen Menschen einsperren, indem wir eine effiziente Justiz aufbauen und sie vor Gericht stellen. Wir müssen hier wie in jeder anderen Gesellschaft Verbrechen bekämpfen.

    Riedel: Auch Integration ist ein Weg, wie Sie selbst gesagt haben. Auch die Taliban sind Söhne der afghanischen Erde, so wie Sie es ausdrückten, und sie sollen eingegliedert werden.

    Karsai: Ja, unbedingt. Alle Taliban, die nicht El Kaida unterstützen oder sich Terrorismus oder irgendwelcher Verbrechen gegen die Mensche schuldig gemacht haben, sind uns willkommen. Die große Mehrheit der Taliban sind unschuldige Menschen, sie sind eingeladen in ihre Häuser zu ihrem Leben zurückzukehren wie es schon tausende von ihnen getan haben. Nur für eine kleine Gruppe von vielleicht 50 oder 100 Personen wird es kein pardon geben.

    Riedel: Wie können Sie die vom Rest unterscheiden?

    Karsai: Wir wissen wer sie sind.

    Riedel: Sie haben die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angesprochen. Wird deren Hilfe noch eine Verpflichtung auf lange Zeit bleiben?

    Karsai: Sie muss es. Wir haben zwar schon viel erreicht, aber wir können noch nicht völlig auf eigenen Beinen stehen. Wenn jetzt die Unterstützung gestoppt würde, weil die internationale Gemeinschaft meint, dass Afghanistan es geschafft hat, dann wäre das ein Fehler. Wir brauchen noch Hilfe auf dem Weg zur totalen Eigenständigkeit. Das wird noch ein paar Jahre dauern. Während wir also Ihrem Land, Deutschland, und dem Rest der Welt extrem dankbar, sind für die dem afghanischen Volk in jeder Hinsicht geleisteten Hilfe, werden wir aber darum ersuchen, diese Hilfe für einige Jahre fortzusetzen bis wir völlig alleine klar kommen.

    Riedel: Ja reden wir hier über fünf Jahre, zehn, fünfzehn?

    Karsai: Nein, nein, nein, keine fünfzehn Jahre, aber solange wie es dauern wird, unsere eigene Armee und Polizei aufzubauen, bis der Wiederaufbau weitestgehend abgeschlossen ist und wir eine fähige Verwaltung haben werden.

    Riedel: Gibt es denn für Sie keine Schattenseiten der Anwesenheit so vieler Ausländer hier im Land?

    Karsai: Nein, den Afghanen gefällt das, und sie wissen, dass wir ohne internationale Hilfe niemals schon so viel erreicht hätten, da sind sie ganz pragmatisch.

    Riedel: Provoziert es nicht auch ungesunden Neid?

    Karsai: Von wem?

    Riedel: Na von denjenigen, die sich über die ungleich luxuriöseren Arbeits- und Lebensbedingungen der Ausländer ärgern?

    Karsai: Nein, nein, nein. Natürlich wird erwartet, dass die Hilfsgelder richtig ausgegeben werden sollten und dass mit Geld, das für den Wiederaufbau Afghanistans bestimmt ist hier nicht extravaganter Luxus finanziert wird. Aber die Menschen anerkennen auch, dass unsere Fortschritte ohne die internationale Gemeinschaft nicht möglich gewesen wäre.

    Riedel: Und doch beschweren sich die Menschen über die Preisexplosionen etwa bei den Immobilien in Kabul.

    Karsai: So ist es eben, wenn die Wirtschaft wächst.

    Riedel: Aber das zieht natürlich die Aufmerksamkeit auf die vergleichsweise extravaganten Arbeitsbedingungen der internationalen Mitarbeitern der Organisationen.

    Karsai: Natürlich gibt es mit einigen Organisationen da Probleme, aber die Afghanen sehen sich das Gesamtbild an und das Gesamtbild ist, dass die internationalen Organisationen unheimlich viel für uns getan haben.