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Kölner Festival
Alte Musik in der Gegenwart

Das diesjährige Kölner Fest für Alte Musik fand unter dem Motto "Krieg und Frieden" statt: 16 Konzerte, auf denen internationale Künstler wie Dame Emma Kirkby und Dorothee Oberlinger Musik historisch informiert aufführten. Nicht alles überzeugte, doch so manches Konzert konnte die Alte Musik in die Gegenwart holen.

Von Raoul Mörchen | 26.03.2018
    Von links nach rechts: Alt-Gambe, Diskant-Gambe, Diskant-Gambe (als Umbau aus einer Viola d’ Amore 18. Jh.), Bass-Gambe. Instrumente aus der Sammlung von Peter Neubäcker. Neubäcker ist Musiker, Gitarrenbauer und Softwareentwickler.
    Lauten und Gamben, Blockflöten und keltischen Harfen Musik aus fernen Zeiten - Köln war und ist eine Hochburg für Musiker der Alten-Musik-Szene (picture alliance/dpa - Maximilian Schönherr)
    Auftritt Cupido, Auftritt Tod: hier der Bote der Liebe, dort der Sensenmann. Die Rollen sind klar verteilt: Wen Cupido ins Auge fasst, dessen Herz schlägt schneller, wen der Tod ins Auge fasst, dessen Herz schlägt gar nicht mehr. Doch dann gerät alles durcheinander: Liebende fallen tot um, totgeweihte wähnen sich im siebten Himmel. Haben Cupido und der Tod aus Versehen ihre Waffen vertauscht?
    Musik: Cupid and Death
    "Das war ein Stück, geschrieben in einer Zeit, als in England gerade die Theater geschlossen waren, weil die Puritaner, das ist so eine Art Taliban der Spätrenaissance, mit Oliver Cromwell England übernommen haben und dort ein Schreckensglaubensregime errichtet haben, wo Musik aus den Kirchen verbannt wurde, aus dem Leben überhaupt verbannt wurde, weil das unrein, unkeusch und ganz gegen den Glauben sei," erklärt Intendant Thomas Höft.
    Der Festivalleiter und sein Lieblingsregisseur
    Tatsächlich geht es nicht sehr sittenstreng zu und auch nicht unbedingt christlich. Es herrscht vielmehr heilloses Durcheinander in der Masque, dem alten englischen Maskenspiel von Matthew Locke und Christopher Gibbons. Und es wir noch alles viel schlimmer, hier in Köln, und daran ist Höft Schuld: Denn der hat mit seinem Lieblingsregisseur Adrian Schvarzstein das alte Stück aus dem 17. Jahrhundert mitten in die Gegenwart geholt.
    Eine Hochzeit soll gefeiert werden, Cupido ist der moderne Wedding Planer, dem bald alles aus dem Ruder läuft: Erst stürmt die bucklige Verwandtschaft ungebeten die Kirche, dann erscheint auch noch ein Trauerzug. Der schusselige Küster hat offenbar seine Kirche überbucht, und nun heißt es für den geplagten Pfarrer: Heirat oder Beerdigung? Oder geht nicht auch beides gleichzeitig? Irgendwann ist dann kein mehr sicher, in diesem Chaos, dann müssen auch die, die bisher still auf den Bänken saßen, aufstehen und mitmachen beim großen Theater.
    "Es hat sehr viele Tänze und die wurden früher Wochen vorher von einem Tanzmeister einstudiert, man kam zusammen, führte das Stück auf und jeder, der dabei war, tanzte diese großen Reihentänze mit. – Ja, was machen wir damit heute, wie geht man allein von dieser Aufführungshaltung damit um? Da ist klar, dass es sein muss, dass das Publikum einbezogen wird."
    Musik: Cupid and Death
    "Dinge zu bewahren, die um uns herum zu verschwinden drohen, darum geht es in der Musik, darum geht es in der Kunst. Darum sei es von jeher gegangen. Die wesentlichen Fragen sind doch immer dieselben."
    "Musik ist nie alt. Sie ist immer von heute"
    Sopranistin und Stargast Dame Emma Kirkby ist sich grundsätzlich einig mit Thomas Höft: "Musik ist nie alt. Sie ist immer von heute." Auch in seiner mittlerweile 8. Ausgabe hält sich das Kölner Fest nicht mit Diskussionen um Stimmtöne, Darmsaiten und Pralltriller auf: Musik im Geiste ihrer Zeit aufzuführen, historisch informiert, das versteht sich von selbst. Was sich nicht von selbst versteht: dass es damit in Köln erst losgeht. Und enden kann mit einem Überraschungsauftritt des Festivalchefs als Elvis-Imitator, mit einem Ukulele-Orchester, das John Dowland in einen Topf wirft mit Aretha Franklin oder mit einer persisch-barocken Jam-Session:
    Musik: Jasmin-Toccata
    Ein ganzer Abend ohne Noten: Zwei Jungstars der Alten Musik, Cembalist Jean Rondeau und Lautenist Thomas Dunford treffen Keyvan Chemirani. Der spielt Zarb. Eigentlich kann daraus nichts werden. Laute und Cembalo zu nah beieinander, die persische Trommel zu weit weg.
    Doch dann schöpft Chemirani aus dem dünnen Leder seiner Trommel einen derart verblüffenden Reichtum an Farben und Schattierungen, das sich das Zwiegespräch mit westlicher Harmonik wie von selbst ergibt. Dunford und Rondeau lösen sich ihrerseits ganz mühelos aus dem strengen europäischen Raster von Takt und Tonart, und jagen mit Chemirani die Skalen rauf und runter, als wäre das von je her Teil ihres Repertoires. Dabei endet nicht alles in einem Topf, sondern auch auf getrennten Tellern. Thomas Dunford darf in himmlischer Seelenruhe auf seiner Laute Henry Purcells "Dido" nachsinnen, und erst im Ausklang der letzten Schläge weckt ihn Chemirani mit der Zarb aus seinen Träumen, um eine furiose Improvisation hinzulegen über einen Fandango von Antonio Soler.
    Musik: Jasmin Toccata
    Diesjähriges Thema "Krieg und Frieden"
    Nicht alle, die Haken schlagen zwischen Stilen und Epochen, tun das in Köln mit solchem Erfolg. Manches ist musikalisch bloßer Durchschnitt, einiges nicht mal das. Seit geraumer Zeit schon weht Intendant Thomas Höft kalter Wind ins Gesicht: zu viel Konzept, zu viel Theater, zu wenig Interesse an Musik, sagen die Kritiker. Der Jahrgang 2018 wird die Gemüter kaum besänftigen. Seinem Thema "Krieg und Frieden" hat das Fest viele spannende und überraschende Facetten abgewonnen, manches, was ad acta lag, mit Fantasie aktualisiert, und auch die Erweiterung der Perspektive von Europa hin zu anderen Kulturen, schien klug und stimmig und notwendig. Ob man für diesen Mut in Kauf nehmen soll, dass hin und wieder musikalisch etwas auf der Strecke bleibt? Mit Thomas Höft jedenfalls wird man das müssen.
    "Aber das liegt vielleicht daran, dass ich 25, 30 Jahre mit Nikolaus Harnoncourt zusammen gearbeitet habe. Der das hochgehalten hat, wie nichts anderes - dass wir Gesellschaftspolitik machen, Musik an sich, sagte er immer, interessiert doch überhaupt nicht. Was bewirkt wird mit dieser Musik, ist das interessante."
    Musik: Cupid and Death