Aus den Feuilletons

"Untergangslüsterne Prophezeiungen"

Der Gründungsintendant des Humboldtforums Neil MacGregor auf der Schlossbaustelle in Berlin.
Der Gründungsintendant des Humboldtforums Neil MacGregor auf der Schlossbaustelle in Berlin. © dpa / picture alliance / Stephanie Pilick
Von Hans von Trotha · 27.03.2018
Der "Tagesspiegel" diagnostiziert eine tiefe Spaltung der Gesellschaft, die "taz" ist sich nicht sicher, ob Botho Strauß' Prognosen nicht doch noch zutreffen werden und die "Zeit" rechnet ab mit dem Narrativ der Neuen Rechten.
"Gott ist tot (aber nicht mehr lange)". Mit dieser Überschrift bereitet uns die ZEIT-Beilage "Christ und Welt" darauf vor, dass fast Ostern ist. Petra Bahr setzt zu einer Ehrenrettung des Karsamstag an, dem, wie sie schreibt, "Tag zwischen Kreuzigung und Auferstehung, Leben und Tod. Im Karsamstag", meint sie, "spiegelt sich der Zustand der Welt. Zwischen Tod und Leben. Zwischen Kapitulation und Hoffnung. Zwischen Zynismus und Aufrichtigkeit, zwischen Trauer und Zuversicht. Es ist der Tag des Hin-und-Hergerissenseins, der gemischten Gefühle."

Ehrenrettung für das Humboldt Forum

In der ZEIT setzt Neil MacGregor zu einer Ehrenrettung seines Humboldt Forums an. "Es gibt nicht die eine Geschichte", schreibt er, "sondern es sind viele Geschichten, die zählen. Wenn es", so MacGregor, "ein übergreifendes Konzept gibt, so ist es, der scheinbaren Einfalt eines jeglichen Narrativs – sei es historisch, national, religiös oder was auch immer – durch andere Narrative Paroli zu bieten. To avoid the danger of a single story!"
In der FAZ erklärt Paul Ingendaay die sogenannte Gomringer-Debatte um die Entfernung eines Gedichts von einer Hochschul-Fassade für beendet. "Kunst darf alles. Nur nicht immer", fasst er zusammen.
Gregor Dotzauer fragt im Tagesspiegel: "Was ist das für ein Milieu, das im Glauben an eine bessere und gerechtere Gesellschaft die Grammatik über den triftigen Gedanken stellt? Und was bedeutet es, dass in Hellersdorf, dem Bezirk, in dem die Hochschule zu Hause ist, die AfD ihren größten Berliner Wahlerfolg errang? Es zeugt", so Dotzauer, "vor allem von einer tiefen Spaltung der Gesellschaft, die sich mit vernünftigen Argumenten offenbar kaum überbrücken lässt."

Mit Rechten reden oder mit Rechten rempeln

Zu diesem besorgniserregenden Befund passt Doris Akraps in der taz gestellte Frage, "ob man besser mit Rechten redet oder rempelt" oder "einfach mal in Brandenburg nach dem Rechten" sieht.
"Da", schreibt sie, "wo auch Bocksgesang-Botho wohnt, dessen neuestes Buch just diese Woche erscheint und den superlustigen Titel 'Der Fortführer' trägt. Botho Strauß", so Akrap, "hatte vor ziemlich genau 25 Jahren davon geschrieben, dass es Krieg geben werde. (Zitat:) "Dass ein Volk sein Sittengesetz gegen andere behaupten will und dafür bereit ist, Blutopfer zu bringen, verstehen wir nicht mehr und halten es in unserer liberal-libertären Selbstbezogenheit für falsch und verwerflich." (Zitatende)
"In der ZEIT beispielsweise", so Doris Akrap weiter, "wird anlässlich des Jubiläums des jahrelang heiß diskutierten neurechten Romanciers behauptet, dessen "untergangslüsternen Prophezeiungen sind in Deutschland nicht wahr geworden". Akrap scheint sich da nicht so sicher zu sein.
In der aktuellen ZEIT greift, um den Gedanken: "Avoid the danger of a single story" noch einmal aufzunehmen, Thomas Assheuer das Narrativ der Neuen Rechten frontal an: "Wenn man", schreibt er, "parteipolitisch auf verlorenem Posten steht, dann muss man abwarten und geduldig das mentale Feld der Kultur beackern, damit die rechte Saat dann, wenn das liberale System ins Wanken gerät, auf fruchtbaren Boden fällt."

Träume vom ethnisch homogenen Volk

Assheuer wendet sich unmittelbar an die inzwischen über 1000, die die sogenannte "Erklärung 2018" unterzeichnet haben:
"All die mutigen Geistesarbeiter und besorgten Bürger, die ihren Namen unter eine 'Erklärung' gesetzt haben, die Flüchtlingen die Solidarität aufkündigt – sie sollten schon wissen, mit wem sie einen Stuhlkreis bilden. Rechte sind Rechte und keine Konservativen; ihr Ziel ist nicht Bewahrung, sondern Zerstörung. Sie wollen die liberale Öffentlichkeit nicht meinungstechnisch erweitern, sie wollen sie abschaffen. Die Rechte träumt vom ethnisch homogenen Volk, vom organischen Staat und von seiner machtpolitischen Souveränität – ohne Rechtsgleichheit, ohne freie Gerichte, ohne Migranten, ohne 'Vergangenheitsbewältigung' und ohne Einbettung in die Europäische Union. Ihre Helden heißen Wladimir Putin, Viktor Orbán und Jarosław Kaczyński."
"Und so", schließt Assheuer, "kann man Rechten alles Mögliche vorwerfen, nicht aber Unaufrichtigkeit. Sie sagen, was sie wollen. Und wenn sie an die Macht kommen, dann tun sie es auch."
Der bevorstehende Karsamstag, also dieser komische Tag "zwischen Kapitulation und Hoffnung, zwischen Zynismus und Aufrichtigkeit" und der "gemischten Gefühle", wie Petra Bahr ihn nennt (und Letzteres ist hier bestimmt kein Botho-Strauss-Zitat) ist vielleicht eine Gelegenheit, sich über den Zustand unserer zerrissenen Gesellschaft ein paar Gedanken zu machen. Und dann, nach Ostern, wenn Gott nicht mehr tot ist, danach zu handeln.
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