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Karthargo
Der ruinierte Ruf der Vandalen

Vor 1575 Jahren eroberten die Vandalen die nordafrikanische Stadt Karthago, die nach Rom und Konstantinopel bedeutendste Metropole der spätantiken Welt. Die Stadt wurde zum Königssitz in der über 100 Jahre andauernden Herrschaft in Nordafrika und die Vandalen wurden zum Namensgeber für raubende und verwüstende Banden - obwohl sie eigentlich anders waren.

Von Bernd Ulrich | 19.10.2014
    Historische Steine liegen in der Ausgrabungsstaette von Karthago in Tunesien.
    Einst die Hauptstadt der Vandalen, jetzt eine Ausgrabungsstätte: Karthago. (picture alliance / dpa / Bodo Schackow)
    Das wäre dem Bischof von Blois, Henri Baptiste Grégoire, im Traum nicht eingefallen - dass sein 1794 geprägter Begriff vom "vandalisme" einmal zum geflügelten Wort werden sollte. Bis heute bestimmt es Berichte über tobende Fußballfans oder Kulturgüter zerstörende Taliban: Vandalismus - Inbegriff sinnfreier und zügelloser Gewaltakte gegen Menschen und Sachen. Grégoire selbst wollte ihn während der Französischen Revolution auf die bilderstürmenden und mordenden Jakobiner angewandt wissen - deren "Vandalismus" er als Bedrohung für die bürgerliche Revolution empfand.
    Die Grundlagen für seine Wortschöpfung hatte sich der französische Geistliche aus den seit dem frühen Mittelalter rezipierten Berichten spätantiker Chronisten geholt. Sie alle einte die Absicht, die Vandalen als Ketzer und blindwütige Zerstörer zu charakterisieren. Tatsächlich sollen sie bei ihrem zu Beginn des fünften Jahrhunderts einsetzenden Zug gen Westen eine Spur der Verwüstung hinterlassen haben. So etwa in Gallien, das die Vandalen Ende des Jahres 406 erreichten. In einem Lebensbericht des Kirchenvaters Augustinus heißt es:
    "Die Vandalen brachten, überall wo sie vorüberzogen, Verwüstungen mit sich. Plünderungen, Blutbäder, Feuersbrünste und eine Fülle grauenhafter Leiden. Sie achteten nicht Alter noch Geschlecht, sie schonten die Diener des Herren ebenso wenig wie die Weihgefäße und die heiligen Bauten selber."
    Rund 80.000 Vandalen zogen nach Afrika
    Freilich lehnte Augustinus die Vandalen schon alleine deshalb ab, weil sie - nicht allein aus seiner Sicht - zu einer ketzerischen Gemeinschaft gehörten, den Arianern, in deren Glauben die Wesensgleichheit zwischen Gott und seinem Sohn in Abrede gestellt wurde.
    Die Vandalen glichen in ihrem kriegerischen Auftreten anderen Stämmen, die im fünften Jahrhundert im Zuge der Völkerwanderung durch halb Europa zogen, teils auf der Suche nach Nahrung und Beute, teils auf der Flucht vor den nachrückenden Hunnen und Goten. Harald Siebenmorgen, 2009 als Direktor des Badischen Landesmuseums verantwortlich für eine erfolgreiche Ausstellung über die Vandalen, meint zurecht:
    "Es hätte auch irgendein anderes Volk der damaligen Zeit sein können. Dann würden wir heute von meinetwegen Westgotizismus oder von Langobardismus sprechen. Aber die Vandalen haben eben dieses Stigma erhalten, das bis heute wirkt."
    Zwar wissen wir nach wie vor wenig über die Vandalen, aber das Wenige ist beeindruckend genug. Im Jahre 429 zog es sie - aus letztlich unbekannten Gründen - unter ihrem tatkräftigen König Geiserich von Spanien aus nach Nordafrika. Die Archäologin und Kuratorin der Karlsruher Ausstellung, Astrid Wenzel:
    "Die Vandalen haben ziemlich schnell die Seefahrt gelernt, indem sie römische Schiffe gekapert haben, um dann den großen Wurf zu machen, um dann über die Meerenge nach Afrika zu gehen."
    Es waren wohl um die 80.000 Menschen, die in mehreren Etappen die Straße von Gibraltar überquerten. Noch lagen rund 1.000 Kilometer vor ihnen, von den Anlandungsplätzen im heutigen Marokko bis zur eigentlichen weströmischen Provinz Africa Proconsularis mit der nach Rom und Konstantinopel bedeutendsten Stadt des römischen Reiches: Karthago - nahe dem heutigen Tunis.
    100 Jahre in der Hand von "Barbaren"
    Mit der Einnahme der Stadt, so der Althistoriker Konrad Vössing in seiner jüngst publizierten Geschichte der Vandalen, begann eine entscheidende Etappe, und sie begann mit einem "Paukenschlag", dessen genaue Umstände bis heute unbekannt sind. War es eine List, ließ man gar die vandalischen Reiter freiwillig in die Stadt? Wie auch immer:
    "Am 19. Oktober 439 bemächtigten sich Geiserichs Vandalen im Handstreich der schwer befestigten Stadt Karthago, deren Mauern erst gut zehn Jahre zuvor restauriert worden waren und in der es wohl ebenso viel waffenfähige Männer gab wie Vandalen."
    Das genaue Datum der Inbesitznahme ist deshalb bekannt, weil Geiserich auf diesen Tag den Beginn seines Königreichs in der nordafrikanischen, römischen Provinz datierte. Konrad Vössing:
    "Karthago und seine Bewohner teilten jetzt das Schicksal der 429/430 nach Christus eroberten Städte der afrikanischen Provinzen. Zerstört wurde ihre unumstrittene Hauptstadt jedoch nicht, denn sie war als neuer Königssitz ausersehen - und damit die erste römische Großstadt, die dauerhaft in der Hand von 'Barbaren' blieb."
    Gewiss, diese "Barbaren" unternahmen Raubzüge, betrieben Sklavenhandel, plünderten im Jahre 455 gar Rom und eroberten die zentralen Inseln des Mittelmeers. Doch das eigentliche Geheimnis ihres über 100 Jahre, bis 534 andauernden und florierenden Reiches lag in ihrer Fähigkeit zur Toleranz, zur Anpassung und zur Adaption römischer Kultur und Lebensart. Das aber mag so gar nicht passen zu ihrem bis heute andauernden Ruf.