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Kasachstans Präsident Nazarbajew
Alternativloser Führer der Nation

Kasachstan gilt nicht gerade als Hort der Meinungsfreiheit und politischen Vielfalt. Seit 24 Jahren regiert hier Präsident Nurzultan Nazarbajew mit eiserner Hand. Nun stehen vorgezogene Wahlen an - ein Versuch, um Zeit zu gewinnen, glauben Experten. Denn einen Nachfolger hat der 74-Jährige noch nicht installiert.

Von Gesine Dornblüth | 22.04.2015
    Kasachstans Präsident Nurzultan Nazarbajew, älterer Mann im Anzug sitzt an einem Tisch auf einem goldenen Stuhl, vor einem Mikro, im Hintergrund bunte Flaggen
    Kasachstans Präsident Nurzultan Nazarbajew (imago/stock&people/ITAR-TASS)
    Nurzultan Nazarbajew regiert Kasachstan bereits seit 24 Jahren und im Vergleich zu seinen Nachbarstaaten ist das Land stabil. Bei den jetzt anstehenden Wahlen wird er wohl wiedergewählt werden - denn Opposition und freie Presse wurden schon vor langer Zeit ausgeschaltet.
    105 Meter erhebt sich der Baiterek im Zentrum von Kasachstans Hauptstadt Astana: ein Turm in Form eines riesigen Pokals mit einer goldenen Kugel auf der Spitze, das Wahrzeichen der Stadt. Der Fahrstuhl befördert Besucher auf die Aussichtsplattform.
    Neben dem Blick auf die Glitzer- und Glasfassaden neuer Hochhäuser gibt es hier eine besondere Attraktion: ein marmornes Podest mit einem in Gold gegossenen Handabdruck. Es ist die Hand Nurzultan Nazarbajews, des Präsidenten Kasachstans. Im Land wird er als "Erster Präsident und Führer der Nation" verehrt. Sein Handabdruck gilt als Glücksbringer. Eine ältere Frau tritt vor, legt ihre Hand hinein, lächelt. Ihre Begleiter fotografieren sie. Die Gruppe kommt aus dem Nachbarland Usbekistan, die Frau gehört zur dortigen kasachischen Minderheit.
    "Ich habe mir Glück gewünscht und: Staatsbürgerin Kasachstans zu werden. Das ist mein Traum. Ich liebe Kasachstan. In Usbekistan ist es auch gut, aber hier ist es besser. Und Nazarbajew ist ein guter Mensch."
    Kasachstan gilt, verglichen mit seinen zentralasiatischen Nachbarstaaten, als Hort der Stabilität. Obwohl in dem Land viele Völker leben, gab es dort nie einen Bürgerkrieg. Kasachstan exportiert Öl und Gas. Vor allem deshalb nahm die Wirtschaft, nach dem ersten Schock infolge des Zusammenbruchs der Sowjetunion, eine positive Wendung. Das Wirtschaftswachstum lag jahrelang zwischen 6 und 8 Prozent.
    Die Hauptstadt Astana ist Sinnbild dieses wirtschaftlichen Aufstiegs.
    1997 wurde sie in der kasachischen Steppe gegründet, seitdem haben Spitzenarchitekten aus aller Welt hier dutzende Prestigebauten errichtet. Und es wird weiter gebaut. Am Stadtrand erstreckt sich ein Meer aus Baukränen. Dort soll 2017 die Expo stattfinden. All das sehen viele Menschen als das persönliche Werk Nurzultan Nazarbajews. Der 74-jährige regiert Kasachstan seit der Unabhängigkeit des Landes 1991. Davor bestimmte er die Geschicke der Sowjetrepublik als Parteivorsitzender mit. Am Sonntag stellt sich Nazarbajew erneut zur Wahl. Eigentlich ist es nur eine Akklamationsübung, denn daran, dass er Präsident bleibt, zweifelt niemand. Beim letzten Mal erhielt er 95,5 Prozent.
    Symbol des wirtschaftlichen Aufschwungs: Hochhäuser in Astana.
    Symbol des wirtschaftlichen Aufschwungs in Kasachstan: Hochhäuser in Astana. (Deutschlandradio / Gesine Dornblüth)
    Neben dem Baiterek-Turm steht ein Einkaufszentrum. Im Erdgeschoss trinken Studentinnen Kaffee. Die 22-jährige Kundiz spricht aus, was viele im Land sagen. Nazarbajew werde geachtet, "weil es bei uns stabil ist, weil wir keinen Krieg haben, weil wir gegen kein Land für irgendetwas kämpfen. Wir haben solche Probleme nicht, hier herrscht wirklich Frieden. Und dafür gebührt ihm Dank."
    Ihre Freundin Alina ergänzt:
    "Die Leute hier fürchten jede Art von Veränderungen. Natürlich kennen alle bereits das Wahlergebnis. Der Präsident verspricht, auch weiterhin für Stabilität zu sorgen. Alles Neue bedeutet ein Risiko."
    Und ein Risiko wolle niemand eingehen. Ernsthafte Konkurrenz hat Nazarbajew ohnehin nicht. Gegen ihn treten zwei Kandidaten an. Turgun Syzdykov von den Kommunisten kritisiert westliche Werte und fordert ein Verbot von Fast Food; der parteilose Abelgazy Kussainov wirbt für Umweltschutz. Beides sind Randthemen in Kasachstan.
    Die politische Opposition wurde längst ausgeschaltet
    Nazarbajew selbst macht gar keinen Wahlkampf. Nur hier und da hängen Plakate mit seinem Gesicht, an den Straßen, an öffentlichen Gebäuden. Häufiger sind Aufrufe, überhaupt zur Wahl zu gehen. Immerhin trat der Präsident Mitte April bei einem Jugendforum auf.
    Die jungen Leute tragen hellblaue und gelbe Schals und Schirmmützen: die Farben Kasachstans. Der Titel des Forums lautet: "Mit dem Führer der Nation zu neuen Siegen".
    Nazarbajew lobt die Stabilität im Land. Kasachstan solle schon bald zu den 30 besten Industrienationen der Welt zählen. Er ruft die Jugendlichen auf, am ökonomischen Aufbau des Landes mitzuwirken, und erklärt ihnen, weshalb die Menschen in Kasachstan, trotz der Öl- und Gasvorkommen, ärmer sind als in westlichen Ländern. Er wechselt vom Kasachischen ins Russische.
    "Bis auf seltene Ausnahmen befinden sich die 30 reichsten Länder, zu denen wir auch gehören wollen, in angenehmeren Klimazonen. Dort gibt es nicht so strenge Winter n Frost wie bei uns. Trotzdem lieben wir unser Land, vermissen es, wenn wir unterwegs sind."
    Für sie sei Kasachstan das Paradies auf Erden, so Nazarbajew. Bei den Jugendlichen kommt das an.
    Die politische Opposition wurde in Kasachstan längst ausgeschaltet. Ihre Überbleibsel sind in der alten Hauptstadt anzutreffen, in Almaty.
    Almaty liegt am Fuße des Tien Shan Gebirges. Bei gutem Wetter sind die schneebedeckten Gipfel zu sehen. Die Stadt wurde einst als Vorposten des russischen Zarenreiches errichtet und gilt bis heute als kulturelles und intellektuelles Zentrum Kasachstans - obwohl sehr viel Geld in die neue Hauptstadt Astana fließt.
    Michail Sizow kommt zum Gespräch ins Hotel. Ein Büro hat er nicht mehr. Sizow war im Vorstand der Oppositionsbewegung "Alga", "Vorwärts". Sie hatte seinerzeit 700 Mitarbeiter im ganzen Land. Sieben Jahre lang hat sie versucht, ihre Teilnahme an Wahlen in Kasachstan anzumelden. Stets scheiterte sie. Vor drei Jahren schließlich wurde "Alga" als "extremistisch" eingestuft und verboten. Der einstige Vorsitzende sitzt eine mehrjährige Haftstrafe wegen angeblicher Aufwiegelung zu Massenunruhen ab. Er hatte streikende Ölarbeiter juristisch beraten. Michail Sizow spricht von einem "Abgrund des Autoritarismus".
    "Es gibt keine reale politische Konkurrenz. Es gibt keine Möglichkeit, konkurrenzfähige politische Kräfte zu gründen, auch keine politischen Parteien. Es gibt zwar Menschen, die dazu bereit wären. Man könnte auch Gelder finden. Aber die Erfahrung von Alga hat gezeigt, dass die Arbeit realer Oppositionsparteien zurzeit in Kasachstan nicht möglich ist. Die Hindernisse beginnen mit dem Versuch, die Partei zu registrieren, und enden mit strafrechtlicher Verfolgung, Verhaftungen und zwangsweisem Exil."
    Sizow spielt auf den ehemaligen Finanzier von Alga an, den Oligarchen Muchtar Abljazow. Die Behörden Kasachstans werfen ihm vor, Milliardensummen aus seiner früheren Bank veruntreut zu haben. Abljazow hat sich ins Ausland abgesetzt, wurde aber in Frankreich verhaftet. Derzeit befürchtet er seine Auslieferung an Russland. Abljazow beteuert seine Unschuld und spricht von politischer Verfolgung. Allerdings gilt der Mann nicht nur regimetreuen Kasachen als umstritten.
    "Der Raum, abweichende Ansichten auszudrücken, ist sehr begrenzt"
    Mit der politischen Opposition wurde auch die kritische Presse ausgeschaltet. In einer beispiellosen Aktion ordneten Gerichte im Winter vor zwei Jahren an, nahezu alle oppositionellen Zeitungen, Fernsehsender und Internetportale zu schließen. Anlass: die Berichterstattung über die Ölarbeiterstreiks. In diesem Winter schließlich traf es eines der letzten Oppositionsblätter, die Zeitschrift "Adam Bol". Deren Chefredakteurin, Guljan Ergaliyeva, trat deshalb sogar in den Hungerstreik. Ohne Erfolg. Ergaliyeva ist nun erst mal arbeitslos.
    "Natürlich sind das politische Entscheidungen. Den Machthabern gelten alle Medien, die sie nicht kontrollieren, als gefährlich. Deshalb sind 95 Prozent der Medien in Kasachstan - Fernsehen, Websites, Zeitschriften - unter Kontrolle. Sie gehören entweder privaten Eigentümern, die den Machthabern nahestehen, oder dem Staat und erfüllen einen staatlichen Auftrag."
    Vor wenigen Monaten besuchte der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Versammlungsfreiheit Kasachstan. In seinem Abschlussbericht stellte er fest:
    "Der Raum, abweichende Ansichten auszudrücken, ist sehr begrenzt. In der Bevölkerung herrscht eine generelle Angst davor, sich politisch oppositionell zu engagieren oder zu äußern. Das hat verschiedene Gründe, unter anderem die Gesetzgebung. Sie versucht, die Zivilgesellschaft zu kontrollieren, und sieht ernsthafte Strafen für die Organisation und die Teilnahme an friedlichen Versammlungen vor, sie stigmatisiert und kriminalisiert abweichende Meinungen, fördert die Verhaftung von Oppositionellen und verbreitet, dass kritische politische Äußerungen die Stabilität des Staates bedrohen."
    Der UN-Berichterstatter empfahl der Regierung Kasachstans, die wirtschaftlichen Erfolge der vergangenen 23 Jahre zu nutzen, um mehr Demokratie zuzulassen. Stabilität dürfe nicht als Vorwand dienen, um die Versammlungsfreiheit einzuschränken. Menschenrechte zu gewähren, sei im Gegenteil die beste Garantie für Stabilität.
    Präsident Nazarbajew sieht das anders. Bei dem Jugendforum Mitte April sagte er:
    "Viele Menschen sind der falschen Ansicht, dass der Erfolg von Marktwirtschaft direkt an die schablonenhafte Implementierung der Demokratie gebunden ist, die in entwickelten Ländern erfunden wurde. Diese Leute wollen die Welt seit Langem davon überzeugen, dass es angeblich nur ein erfolgreiches Demokratiemodell gibt. Aber das stimmt nicht. Eine Art von Demokratie ist in den Genen der europäischen Völker angelegt und wurde gemeinsam mit den Siedlern nach Nordamerika getragen. Aber unter den 30 am höchsten entwickelten Staaten der Welt gibt es viele Alternativen. Jeder Staat hat sein eigenes politisches System, seine eigene Marktwirtschaft mit seinen einzigartigen Nuancen. Die wichtigste Freiheit, das wichtigste Menschenrecht ist es, gut zu leben. Sich gut zu ernähren, ein Haus zu haben, die Möglichkeit, den Kindern Bildung zuzukommen zu lassen, eine gute medizinische Versorgung zu bekommen. Das sind die wichtigsten Rechte. Wir gewährleisten sie und werden das weiter tun. Wir schaffen unser eigenes politisches Modell, unsere eigenen Marktbeziehungen und wollen dabei Seite an Seite gehen mit der gesamten Menschheit."
    Ein Wahlplakat hängt an einer Fensterscheibe.
    Wahlwerbung für Nazarbajew im Schaufenster der Parteizentrale in Astana: ‎"Mit dem Führer der Nation zu neuen Siegen" (Deutschlandradio/Gesine Dornblüth)
    Statt nach Westeuropa blickt Nazarbajew nach Südostasien, genauer: nach Singapur. Dessen Staatsgründer Lee Kuan Yew lenkte die Geschicke des Stadtstaats mehr als fünf Jahrzehnte lang, machte ihn von einem Schwellenland zu einer hoch entwickelten Volkswirtschaft. Aber seine Kritiker brachte er ins Gefängnis. Lee Kuan Yew diene Nazarbajew als Vorbild, erläutert Sajasat Nurbek. Mit nur 33 Jahren leitet er das Politik-Institut der Nazarbajew-Partei "Nur Otan" in Astana.
    "Lee Kuan Yew wurde oft dafür kritisiert, dass Singapur nicht demokratisch sei. Aber niemand kann Lee Kuan Yew hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung und des Wohlstands der Menschen in Singapur kritisieren. Unser nationaler Führer hat diese Vision adaptiert. Es gibt die sehr einfache Formel "Zuerst die Wirtschaft, dann die Politik". Diese Vision ist genau richtig für die hiesigen Umstände. Solange du keinen starken Mittelstand hast und keine starke Industrie, können radikale politische Reformen zu einer Katastrophe führen. Sobald wir einen bestimmten Wohlstand erreicht haben, werden wir schrittweise politische, gesellschaftliche und demokratische Reformen einführen."
    In Singapur kam es nie dazu. Lee Kuan Yew starb im März im Alter von 91 Jahren. Kasachstans Präsident Nazarbajew hat ihn mehrfach getroffen. Der Vergleich mit Singapur hinke aber, meint der Politologe Dosym Satpajew von der unabhängigen Risk Assessment Group in Almaty:
    "Singapur ist das Lieblingsthema unseres Präsidenten. Aber entschuldigen Sie, Singapur ist ein Stadtstaat ohne Rohstoffvorkommen, Kasachstan ist eine Republik von gigantischer Größe mit gigantischen Rohstoffvorkommen. Man kann keine Mücke mit einem Elefanten vergleichen. Außerdem haben wir eine andere Mentalität. Wir haben noch viel Sowjetisches. Viele Leute erwarten immer noch, dass der Staat ihnen hilft. Das Unternehmertum ist nicht besonders entwickelt, auch das Bildungssystem nicht."
    Kasachstan leidet unter den Auswirkungen der Rubelkrise in Russland
    Und noch etwas unterscheide Nazarbajews Politik von der des starken Mannes in Singapur. Der Umgang mit Korruption. Der Politologe Satpajew:
    "Lee Kuan Yew hat zuerst seine engsten Freunde hinter Gitter gebracht. Damit alle sehen, dass der Kampf gegen Korruption ernst gemeint ist. Bei uns dagegen gibt es eine Kaste der Unberührbaren. Das Fernsehen meldet zwar dauernd, dass Leute wegen Korruption festgenommen werden. Es sind auch Minister und Bürgermeister darunter. Aber alle wissen: Hochrangige Offizielle, Top-Manager gehören zu einer heiligen Kaste, die niemand behelligt."
    Nazarbajews Familie wird ein Milliardenvermögen nachgesagt. Die Verfassung garantiert dem "Ersten Präsidenten" und seinen Angehörigen Straffreiheit bis ans Lebensende. Nazarbajews Macht scheint also in jeder Hinsicht gesichert. Doch dann stellt sich die Frage: Weshalb hat er die Wahlen um ein Jahr vorgezogen? Gewählt wurde er bis 2016. Die Journalistin Guljan Ergaliyeva von der verbotenen Zeitschrift "Adam Bol" hat eine Erklärung:
    "Diese Wahlen sind nötig, weil die geopolitische Lage rund um Kasachstan sehr viel komplizierter geworden ist. Nazarbajew steht zwischen verschiedenen Kräften. Da ist zum Einen Russland, das sich gerade selbst isoliert. Es braucht sehr verlässliche Partner und sieht als solchen vor allem Kasachstan. Kasachstan bezieht aber mehr als die Hälfte seiner Investitionen aus westlichen Ländern und aus China. Keiner dieser Staaten möchte, dass Russland hier großen Einfluss ausübt. In dieser Situation braucht Nazarbajew Wahlen, um der Welt zu zeigen, wie einflussreich er in seinem Land ist und dass er ein ernst zu nehmender Staatschef von Weltrang ist, mit 97, 98 Prozent Unterstützung."
    Andere sagen, die wirtschaftliche Situation habe den Ausschlag für vorgezogene Neuwahlen gegeben. Kasachstan leidet unter den Auswirkungen der Rubelkrise in Russland. Der niedrige Ölpreis lässt die Staatseinnahmen sinken. Auch die Krise im Euroraum und das gebremste Wirtschaftswachstum in China machen sich bemerkbar. Dazu kommt, dass sich die längst geplante Erschließung neuer kasachischer Ölfelder im Kaspischen Meer aufgrund technischer Pannen immer weiter verzögert. Der Politologe Dosym Satpajew meint:
    "All diese Faktoren haben die Wirtschaft Kasachstans stark geschwächt. Der Haushalt bekommt weniger Geld. Und auch die Unternehmer leiden. Und weil die kasachische Währung, der Tenge, stärker ist als der Rubel, kaufen viele Bürger Kasachstans russische Lebensmittel, russische Immobilien, sogar russische Autos. Und das Gefährlichste ist: Viele Großunternehmen im Öl- und Gassektor und in der Bergbauindustrie fahren bereits Verluste ein, weil die Preise für Öl, für Kupfer, für Aluminium gesunken sind. Sie haben angekündigt, Arbeitsplätze abzubauen."
    Satpajew meint, Präsident Nazarbajew wolle mit den vorgezogenen Wahlen einer zunehmenden Unzufriedenheit und möglichen Protesten im Land zuvorkommen. Der Politologe verweist auf die Proteste der Ölarbeiter in Westkasachstan vor vier Jahren. Über Monate hatten sie die Arbeit niedergelegt, um bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne zu erwirken.
    "Die Macht hat große Angst, dass ein Anstieg der Arbeitslosigkeit für Spannungen unter den Arbeitern sorgen und neue Unruhen hervorrufen kann. Deshalb, denke ich, hat der Präsident sich überlegt, Wahlen besser jetzt abzuhalten, solange die Lage noch unter Kontrolle ist - statt bis 2016 zu warten, wenn die wirtschaftliche Lage noch schlechter sein wird."
    "Wir glauben an ihn als starken Führer"
    Und es gibt noch ein weiteres Erklärungsmuster: Der betagte Präsident brauche die neue Amtszeit, um lieber heute als morgen seine Machtübergabe vorzubereiten. In Kasachstan ist bisher kein Nachfolger in Sicht, erläutert der Politologe Dosym Satpajew. Die Töchter und Schwiegersöhne des Präsidenten schieden aus.
    "Im Umfeld des Präsidenten haben alle starken Spieler den gleichen Machtanspruch. Es gibt hier keinen Primus inter Pares. Nazarbajew hat alle so klein gehalten, dass um ihn herum Leere herrscht und nicht mal klar ist, wer ein starker Spieler ist. Alle warten ab."
    In Kasachstan gibt es drei große Clans. Sie alle sind in den Eliten vertreten, haben Zugang zu den Ressourcen des Landes. Nazarbajew gilt als derjenige, der zwischen ihnen ausgleicht. Es werde darauf ankommen, ein System zu etablieren, in dem diese Clans unabhängig von der Person Nazarbajews miteinander auskommen, so Satpajew:
    "Viele haben Angst, dass dieses System, auseinanderbricht, sobald er geht. Dass es innerhalb der Elite zu Konflikten kommt, wenn die Balance fehlt. Zu einem Kampf um Eigentum, was zur Spaltung der Gesellschaft und sogar des Landes führen kann."
    Der unabhängige Politologe Satpajew hält es für möglich, dass sich schlimmstenfalls sogar radikal-islamistische Strömungen ausweiten könnten. Bisher fallen sie in Kasachstan nicht ins Gewicht.
    Sajasat Nurbek von der Regierungspartei "Nur Otan" räumt ein, dass die Nachfolge ihres "Führers der Nation" überall diskutiert werde. Aber:
    "Wir glauben an ihn als starken Führer, wir glauben an seine Weisheit, seine Führungskraft, sein Verantwortungsgefühl. Und ich denke, die meisten Leute werden jedem Mechanismus der Machtübergabe zustimmen, den er vorschlägt."
    Vielen Menschen in Kasachstan wäre es wohl am liebsten, Nazarbajew wäre unsterblich, scherzen die Studentinnen Kundiz und Alina im Einkaufszentrum neben dem Baiterek-Turm in Astana.
    "Niemand erinnert sich an Kasachstan vor Nazarbajew. Und ich denke, niemand weiß, was nach Nazarbajew kommt."