Freitag, 29. März 2024

Archiv

Katalonien-Konflikt
Die Innenansichten eines ehemaligen Ministers

Santi Vila war katalanischer Wirtschaftsminister in der Regierung von Carlos Puigdemont. Nach der Unabhängigkeitserklärung trat er zurück. Diese turbulenten Tage zeichnet Vila jetzt in seinem Buch "Von Helden und Verrätern" nach - und wird dabei selbst zum Ziel.

Von Hans-Günter Kellner | 14.03.2018
    Santi Vila, 2 Oktober 2017
    Der ehemalige katalanische Wirtschaftsminister Santi Vila wirbt für eine Politik, die von der Verfassung gedeckt ist. (imago stock&people/ Pablo Lasaosa)
    Santi Vila wird beschimpft. Weil er die Unabhängigkeitserklärung ablehnt, weil er vorschlägt, die Fahnen der Unabhängigkeit einzurollen oder weil er unter den Katalanen für Spanien wirbt:
    "Als katalanischer Wirtschaftsminister habe ich einmal eine wirtschaftspolitische Fakultät besucht. Die Studenten dort haben Wochen und Monate in London oder New York verbracht. Aber sie waren nie in Madrid. Madrid repräsentiert für sie eine altmodische, veraltete Gesellschaft, von der sie glauben, nichts lernen zu können. Wenn Sie eine Woche frei haben, fliegen sie nach Berlin, nicht nach Madrid. Dahinter steckt eine bestimmte politische Kultur. Auch dagegen möchte ich anschreiben."
    Der ehemalige Bürgermeister der Dalí-Stadt Figueres verurteilt das Vorgehen im Konflikt um die Zukunft Kataloniens auf beiden Seiten.
    Fehler wurden überall gemacht
    Die Regierung Rajoy habe den Katalanen nie ein Angebot gemacht, zu bleiben. Aber auch die eigene Regierung habe Fehler gemacht. Etwa am 26. Oktober letzten Jahres:
    "Carles Puigdemont wollte Neuwahlen ansetzen. Aber die spanische Regierung wollte keine Garantie aussprechen, die katalanische Autonomie dann nicht außer Kraft zu setzen. Es gab zwar diskrete Zusagen, aber keine öffentliche Erklärung. Dann wurde Puigdemont auch noch über die sozialen Netzwerke als Verräter und Feigling beschimpft. Und unser Koalitionspartner, der zunächst zurückhaltend blieb, reagierte plötzlich hart und verbittert. Das machte Neuwahlen unmöglich."
    Die Folge war die Unabhängigkeitserklärung. Vila, der in jenen Stunden als Wirtschaftsminister am Kabinettstisch saß, schreibt in seinem Buch von einer harten Debatte, bei der schlimme Anschuldigungen erhoben wurden und Tränen geflossen seien.
    Politikprofis braucht man, keine Aktivisten
    Warum der katalanische Regierungschef schließlich doch umfiel, erklärt sich Vila so:
    "In den kritischen Momenten hätten wir konventionelle Politiker gebraucht, Politikprofis. Ich bin nicht gegen Bürgernähe und kann mir auch vorstellen, zum Beispiel die Amtszeit eines Ministerpräsidenten zu begrenzen. Aber nicht jeder kann vom Aktivisten zum Politiker werden."
    Und für einen solchen konventionellen Politiker hält Vila Puigdemont offenbar nicht. In den mangelnden Führungsqualitäten der politischen Spitzen sieht Vila sogar den Hauptgrund für den festgefahrenen Katalonien Konflikt.
    Aktivisten, nicht Politiker, gäben den Ton an. Und diese sind in Katalonien weiterhin dieselben: Carles Puigdemont twittert aus dem belgischen Exil, zum Nachfolger hat er Jordi Sánchez bestimmt, ein Aktivist der Unabhängigkeitsbewegung, der sich in U-Haft befindet.
    "Die Erfahrung aus dem letzten Jahr zeigt, dass das politische Kräftemessen mit der spanischen Regierung ein Fehler war. Es ist jetzt fundamental, zurück zum Verfassungsrahmen zu finden. Alle politischen Ziele sind legitim, so lange sie im Rahmen der Verfassung verfolgt werden."
    Neues Personal, das einen solchen Kurs einschlagen könnte, ist jedoch nicht in Sicht.
    Der Konflikt wird nicht einfach weitergehen
    Und die spanische Justiz zeigt sich unnachgiebig gegenüber den Anhängern der Unabhängigkeit. Auch das ist immer wieder neue Nahrung für den schwelenden Konflikt. Dennoch meint Vila:
    "Ich bin nicht so pessimistisch wie andere. Wir werden nach den Exzessen vom letzten Jahr jetzt sicher noch einen langen Kater aushalten müssen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser so fürchterlich harte Konflikt in unserer modernen Gesellschaft einfach so weitergeht. Es gibt keine gesellschaftliche oder wirtschaftliche Grundlage für so viel Unruhe."
    Manche Beobachter in Barcelona wie in Madrid halten Santi Vila als ehemaligen Bürgermeister, Abgeordneten im Regionalparlament und Wirtschaftsminister für gut vorbereitet für das Amt des Regierungschefs Kataloniens.
    Ob er tatsächlich eine Chance für eine Kandidatur erhält, hängt stark davon ab, ob er es schafft, die zwischen Anhängern und Gegnern der Unabhängigkeit aufgeriebenen gemäßigten politischen Kräfte in Katalonien zu bündeln.