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Katalonien-Konflikt
"Ich glaube, dass Spanien vereint bleibt"

"Ich würde sagen, dass es in den letzten Tagen eher mehr Hinweise dazu gab, die Lage zu entspannen, als sie noch weiter zu forcieren", sagte der Politologe Mario Kölling im Dlf. Er sehe Verhandlungsoptionen auf beiden Seiten und gehe davon aus, dass eine Lösung des Konflikts zwischen Madrid und Barcelona gefunden werde.

Mario Kölling im Gespräch mit Stefan Heinlein | 12.10.2017
    Spaniens Ministerpräsident spricht vor dem Parlament in Madrid.
    Spaniens Präsident Rajoy habe einen moderaten Ton gewählt, sagte der Politikwissenschaftler der spanischen Fernuniversität UNED Mario Kölling im Dlf. Er sehe Verhandlungsoptionen auf beiden Seiten und glaube an eine Löäsung des Konflikts. (imago /Agencia EFE)
    Stefan Heinlein: Am Telefon begrüße ich jetzt den Politikwissenschaftler Mario Kölling von der spanischen Fernuniversität UNED. Guten Abend!
    Mario Kölling: Schönen guten Abend.
    Heinlein: Wie beurteilen Sie die aktuelle Entwicklung? Ist das ein Taktikspiel zwischen Madrid und Barcelona?
    Kölling: Ich glaube, es ist eher ein Trauerspiel, wobei alle Beteiligten sehr strategisch auch handeln. Da haben Sie schon recht. Es ist ein taktisches Spiel zwischen Madrid und Barcelona. Aber es ist in dem Sinne ein Trauerspiel, weil letztendlich die spanische Bevölkerung und die katalanische Bevölkerung klar eine Lösung des Problems verlangt und nicht eine Entwicklung, die sich von, sagen wir mal, einer Deadline zur nächsten dahinschleicht.
    Entmachtung der Regionalregierung wäre "letztendlich der logische Schritt"
    Heinlein: Herr Kölling, warum jetzt dieses erneute Ultimatum? Will Ministerpräsident Rajoy den Druck auf Barcelona erhöhen?
    Kölling: Zum einen muss man sagen, dass der Ton von Präsident Rajoy sehr moderat war und dass letztendlich auch die Vorkommnisse gestern im katalanischen Parlament, direkt im Plenum und dann außerhalb des Plenums, doch sehr unsichtbar und ganz schwer zu erklären waren und die Meinungen dabei auseinander gingen, ob es sich um eine Unabhängigkeitserklärung gehandelt hat oder nicht, und somit ist das nun jetzt von der spanischen Regierung zum einen ein Ultimatum, um Klarheit über diesen Fall zu haben, und zum anderen natürlich auch ist es der erste Schritt, um diesen berühmten Paragraf 155 der spanischen Verfassung in Kraft setzen zu können.
    Heinlein: Sie sagen es: Auch wenn der Ton heute von Rajoy moderat war, gilt das ja als eine mögliche Vorstufe für eine Entmachtung der Regionalregierung. Sie haben diesen Paragrafen 155 erwähnt. Für wie wahrscheinlich halten Sie diesen Schritt?
    Kölling: Es ist letztendlich der logische Schritt. Letztendlich ist Spanien ein demokratischer Staat und ein Rechtsstaat und innerhalb des spanischen Territoriums muss letztendlich auch der spanische Staat dafür Sorge tragen, dass sein Recht und die Verfassung durchgesetzt wird. Das ist letztendlich eines der Grundprinzipien des Nationalstaats und in dem Sinne ist es ein logischer Schritt, weil letztendlich ein vom spanischen Verfassungsgericht als illegal anerkanntes Gesetz in einem Teilbereich Spaniens Gültigkeit haben soll, dass der spanische Staat in dem Sinne reagiert.
    Von Seiten der katalanischen Regierung gibt es natürlich jetzt auch die Möglichkeit zu sagen, gut, wir widerrufen oder wir deklarieren, dass es sich nicht um eine Unabhängigkeitserklärung gehandelt hat, und in diesem Sinne gibt es auch die Möglichkeit, einen Weg für Gespräche zu finden. Ich würde sagen, dass es in den letzten Tagen eher mehr Hinweise dazu gab, die Lage zu entspannen, als sie noch weiter zu forcieren.
    "Angebote an die katalanische Regierung für eine Verfassungsreform"
    Heinlein: Erkennen Sie tatsächlich den Willen auf beiden Seiten, den Konflikt, wie Sie sagen, zu entschärfen, den Dialog wieder aufzunehmen?
    Kölling: Ich erkenne nicht unbedingt den Willen bei den Verantwortlichen, aber der Kontext drängt doch zumindest, dass es zu Gesprächen kommen soll. Auch in Madrid, obwohl dort natürlich nicht eine Regierung ist, die dort mit absoluter Mehrheit regiert. Sie braucht auch die Zustimmung und die Unterstützung von anderen Parteien, auch der sozialistischen Partei, und dort gibt es schon ganz klare Hinweise und Angebote auch an die katalanische Regierung, eine Verfassungsreform durchzuführen, wo eventuell auch Katalonien ein besonderer Status eventuell eingeräumt werden könnte. Das sind in diesem Sinne Hinweise, dass es Gesprächs- oder Verhandlungsoptionen gibt.
    Und auf der anderen Seite in Katalonien sieht man, dass es natürlich auch innerhalb der Partei von Regierungspräsident Puigdemont Zweifel an der Durchsetzbarkeit der Unabhängigkeit gibt. Und natürlich sehen wir auch, dass große Unternehmen ihren Sitz verlegen, oder auch, dass die Bürgermeisterin zum Beispiel von Barcelona, die ein sehr schwergewichtiger Player, sagen wir mal, in dieser Konstellation ist, auch zu Gesprächen aufruft.
    "Zurzeit ungefähr 35 Prozent der Katalanen für die Unabhängigkeit"
    Heinlein: Herr Kölling, Sie leben, sie arbeiten in Spanien. Abseits der Politik und der Parteien, die Sie gerade erwähnt haben, wie geschlossen stehen denn nach Ihren Beobachtungen die Katalanen, die Spanier insgesamt hinter dem Wunsch nach Unabhängigkeit? Die Volksabstimmung, diese 90prozentige Zustimmung ist da ja wohl kein zuverlässiger Indikator.
    Kölling: Nein, ganz und gar nicht. Wenn wir uns die Entwicklung der öffentlichen Meinung über einen etwas längeren Zeitraum anschauen und dann auch Daten nehmen, die von der katalanischen Regierung erhoben wurden, sehen wir, dass immer ein 10-, 15-Prozent- Anteil der katalanischen Bevölkerung für eine Unabhängigkeit Kataloniens war. Dann kommt die Wirtschaftskrise und wir sehen klar, dass dieser Prozentteil steigt. Und wir sehen auch noch einen weiteren Anstieg im Jahr 2012, als dieser Fiskalpakt sozusagen, den der damalige Regierungschef Mas Präsident Rajoy vorgeschlagen hatte, abgelehnt wurde. Da steigt es noch mal auf ungefähr 45 Prozent der katalanischen Bevölkerung die Zustimmung zur Unabhängigkeit. Aber danach geht es dann auch wieder abwärts und wir haben jetzt zurzeit ungefähr 35 Prozent der Katalanen, die für die Unabhängigkeit sind.
    "Ich glaube, dass Spanien vereint bleibt"
    Heinlein: Unter dem Strich: Es gibt nach wie vor eine schweigende Mehrheit gegen die Unabhängigkeit auch in Katalonien, aber das spiegelt sich in diesem Referendum, in dem Ergebnis dieses Referendums nicht wieder.
    Kölling: Es gibt diese schweigende Mehrheit. Und es ist natürlich wichtig zu wissen, dass dieses Referendum am 11. Oktober vom Verfassungsgericht als illegal erklärt wurde und es auch gar keine Nein-Kampagne sozusagen gab. Der Großteil der Bevölkerung ist nicht zu diesem Referendum gegangen, weil sie es einfach auch als illegal angesehen haben und es auch keine Debatte gab zu den verschiedenen Alternativen innerhalb Kataloniens. Aber wir haben auch gesehen am letzten Sonntag, dass die schweigende Mehrheit nun auch langsam begriffen hat, dass die Lage ernst wird für sie, und wir haben am Sonntag gesehen eine große Demonstration in katalanischen Städten, aber auch im Rest Spaniens gab es Kundgebungen und man sieht in vielen spanischen Städten viele Fahnen an den Balkonen, sozusagen auch Solidaritätsbeweise für eine Lösung dieses Konfliktes.
    Heinlein: Ihre Prognose: Spanien in einem Jahr mit einem unabhängigen Katalonien oder nach wie vor vereint?
    Kölling: Ich hoffe, vereint, und ich glaube, dass auch Spanien vereint bleibt. Denn zum einen ist es wie gesagt eine Minderheit in Katalonien, die die Unabhängigkeit möchte. Auch die Mehrzahl der Katalanen glaubt an eine Zukunft innerhalb Spaniens und vor allen Dingen auch innerhalb der Europäischen Union.
    Heinlein: Der Politikwissenschaftler Mario Kölling von der spanischen Fernuniversität UNED. Wir haben das Gespräch kurz vor dieser Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.