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Katalonien-Krise
"In Spanien gibt es ganz klar ein Demokratiedefizit"

Die Katalonische Regierung sehe in der Verfassung durchaus Möglichkeiten eines Referendums, sagte Marie Kapretz, Vertreterin der Regionalregierung in Deutschland, im Dlf. Madrid verstecke sich seit mindestens sieben Jahren hinter Gesetzen und mache kein politisches Angebot.

Marie Kapretz im Gespräch mit Christoph Heinemann | 27.10.2017
    Ein Mann, bekleidet mit einer "Estelada", einer Unabhängigkeits-Fahne, vor dem katalanischen Justizgebäude in Barcelona/Spanien am 22.09.2017.
    "Es gibt keine Garantie für faire Wahlen", sagte Marie Kapretz, Vertreterin der Regierung Kataloniens in Deutschland (picture alliance / dpa / AP / Emilio Morenatti)
    Christoph Heinemann: Senatus locutus autonomia finita – so könnte am Ende des Tages die Botschaft aus Madrid in den nordöstlichen Landesteil lauten. Der spanische Senat wird voraussichtlich heute die Maßnahmen der spanischen Regierung gegen die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien billigen.
    Am Telefon ist Marie Kapretz, die Vertreterin der katalanischen Regierung in Deutschland. Guten Morgen!
    Marie Kapretz: Ich grüße Sie. Guten Morgen.
    Heinemann: Frau Kapretz, werden Sie heute Abend arbeitslos sein?
    Kapretz: Das glaube ich nicht. Aber natürlich sind das interessante Zeiten, wo man auf alles bereit und gefasst sein muss. Aber heute Abend glaube ich nicht, dass ich arbeitslos sein werde.
    "Es gibt also keine Garantie für faire Wahlen"
    Heinemann: Wieso schließt Ihr Präsident Neuwahlen aus?
    Kapretz: Ihr Kollege hat das ganz gut dargestellt. Und zwar: Es gibt ja diesen Paragrafen 155. Gestern hat die katalanische Regierung festgestellt, dass, selbst wenn Neuwahlen anberaumt werden würden, sich die spanische Regierung nicht von der brutalen oder einer brutalen Anwendung des Paragrafen 155 distanzieren würde. Es gibt also keine Garantie für faire Wahlen, weil ja auch im Rahmen dieses 155 festgestellt wurde, dass dann eventuell bestimmte Parteien nicht teilnehmen würden, und das würde auch heißen, dass 48 Prozent der Bevölkerung keine Parteien haben, die sie wählen könnten.
    Heinemann: Was heißt das genau? Madrid würde die Parteien zensieren? Wollen Sie das damit sagen?
    Kapretz: Ja. Das wurde durchaus von PP-Kreisen schon so festgestellt.
    Heinemann: Ist Spanien keine Demokratie, halten wir heute Morgen fest?
    Kapretz: Wenn Sie das so klar und deutlich sagen möchten?
    Heinemann: Nein, nein! Ich versuche, das herauszufiltern, was Sie sagen möchten.
    Kapretz: Ja, ja. Das ist das, worum es ja eigentlich geht in dem ganzen Katalonien-Konflikt, dass es ein ganz klares Demokratiedefizit in Spanien gibt. Das habe ich auch schon mehrere Male so gesagt. Wir sehen das auch in der faktischen Nichttrennung von Regierungsgewalt und zum Beispiel dem Verfassungsgericht. Wir wundern uns eigentlich schon sehr lange, warum Europa dazu nichts sagt. Aber gut: Jetzt ist es so weit gekommen, dass die Katalanen sagen, dann müssen wir uns eben selber regieren, wenn das in Spanien unter modernen Konditionen nicht möglich ist.
    Heinemann: Frau Kapretz, Europa reagiert durchaus. Europa sagt nämlich, man muss Recht einhalten.
    Kapretz: Ja.
    Heinemann: Das ist die Basis eines modernen Staates. Gibt es nicht vielmehr in Katalonien ein Rechtsdefizit?
    Kapretz: Das Lustige ist ja, dass sich keiner mal genauer anguckt, was denn da überhaupt rechtens und nicht rechtens ist. Alle hören nur dieses Mantra, zum Beispiel so ein Referendum ist nicht rechtens, das passt nicht in die Verfassung, und keiner schaut sich mal an, wie diese Verfassung eigentlich aussieht.
    "Madrid versteckt sich seit mindestens sieben Jahren immer hinter den Gesetzen"
    Heinemann: Wie sieht sie denn aus?
    Kapretz: Wir sehen da durchaus Möglichkeiten eines Referendums und es ist auch vorgesehen, dass Referenden abgehalten werden. Die Verfassung ist Kind ihrer Zeit, ist '78 verabschiedet worden, und die Autoren der Verfassung sind sich ganz deutlich bewusst gewesen, dass die Verfassung auch widersprüchlich in sich selbst ist. Da steht auf der einen Seite zwar das Mandat zur Einheit Spaniens, aber auch die Freiheit für Selbstregierung der Autonomieregionen. Deswegen sehen wir da schon Möglichkeiten, dass ein Referendum darin Platz hat. Nur es fehlt total der politische Wille von Madrid aus. Entschuldigen Sie, dass ich das jetzt kurz ausführe. Es fehlt an diesem politischen Willen und Madrid versteckt sich seit mindestens sieben Jahren immer hinter den Gesetzen, macht aber kein politisches Angebot, und das ist natürlich heutzutage schwierig.
    Heinemann: Frau Kapretz, aber noch mal zurück zu dem, was Sie gerade gesagt haben. Um so etwas zu klären, gibt es in Demokratien, in Rechtsstaaten ein Verfassungsgericht.
    Kapretz: Genau.
    Heinemann: Das spanische Verfassungsgericht hat gesagt, so geht das nicht, wie die Katalanen das vorhaben.
    Kapretz: Ja, weil, wie ich schon vorhin darauf hingewiesen habe, tut das spanische Verfassungsgericht das, was die Regierung in Madrid sagt. Da gibt es de facto keine Gewaltenteilung. Und das ist ein Skandal in sich, wo wir uns wundern, dass sich Europa darüber noch nie aufgeregt hat. Aber so weit ist es jetzt gekommen. Wir werden uns jetzt ein bisschen dieses Big Picture angucken. Dieser Paragraf 155 ist jetzt etwas Neues, was die Zentralregierung entdeckt hat, und sie hat jetzt auch schon anderen Regionalregierungen angedroht, den anzuwenden, und das ist natürlich total fantastisch, weil da kann man sich über unbequeme Regionalregierungen wie in diesem Fall Kastilien und Léon oder Navarra zum Teil hinwegsetzen. Das ist, was uns Sorge bereitet.
    Heinemann: Marie Kapretz, die Vertreterin der katalanischen Regierung in Deutschland. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Kapretz: Ich danke Ihnen. Einen schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.