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Katalonien
Separatistisches Projekt mit vielen Fragezeichen

Lange war die Nationalitätenfrage in Spanien eher ein Randthema. Doch mit der Wirtschaftskrise steht sie wieder im Vordergrund. Am 27. September will Kataloniens Ministerpräsident Artur Mas bei den Regionalwahlen einen neuen Anlauf zur Unabhängigkeit nehmen. Doch durch die gemeinsam antretenden separatistischen Kräfte verläuft ein tiefer Riss.

Von Hans-Günter Kellner | 23.07.2015
    Demonstration für eine unabhängiges Katalonien in Barcelona am 8.11.2014
    Die Katalanen fordern weiterhin ein unabhängiges Katalonien. (dpa / picture-alliance / Vladimir Astapkovich)
    Das katalanische Regierungsfernsehen sprach von einem "historischen Moment". Auf dem Dach des Museums für die Geschichte Kataloniens, nahe des Hafen von Barcelona stellten die Separatisten ihre Liste für die Regionalwahlen vor.
    Ministerpräsident Artur Mas steht dort nur auf Platz vier. Davor – als Zeichen für die Überparteilichkeit – die Vertreterinnen zweier Bürgerinitiativen und der ehemalige Ökosozialist Raül Romeva. Für den Fall eines Wahlsiegs kündigt er an:
    "Das katalanische Parlament soll feierlich den Aufbruch in die Unabhängigkeit erklären. Es geht nicht mehr um Ankündigungen, sondern wir werden einfach handeln: Es beginnt die erste Phase des Aufbaus der Strukturen für einen eigenen Staat. Wir brauchen diese Strukturen, um im Anschluss die juristischen Verbindungen mit Spanien zu kappen."
    Das Separatistenbündnis setzt sich jedoch aus ideologisch völlig gegensätzlichen Kräften zusammen. Auf der einen Seite ist da die wirtschaftsliberale Regierungspartei CDC des gegenwärtigen Regierungschefs Artur Mas, auf der anderen aber die Republikanische Linke. Durch das Lager der Unabhängigkeitsgegner verlaufen zwar noch tiefere Risse.
    Trotzdem sagt der Politologe Lluis Oriolls den Separatisten keinen klaren Wahlsieg voraus. Oriolls lehrt an der Universität Carlos-III in Madrid und ist selbst Katalane:
    "Nur ein Teil der Katalanen will die Unabhängigkeit. Etwa ein Drittel spricht sich klar dafür aus. Aber 10 bis 15 Prozent schwanken. Sie sind bislang für die Unabhängigkeit, aber nicht aus Überzeugung. Je nachdem, wie die Debatte verläuft, könnten sie sich auch dagegen entscheiden. Zusammengenommen ist höchstens die Hälfte der Katalanen für die Sezession. Es ist also keine überwältigende Mehrheit."
    Arbeitslosigkeit und Wirtschaft als zentraler Motor
    Artur Mas, Regionalpräsident Kataloniens, fordert ein bindendes Referendum
    Artur Mas, Regionalpräsident Kataloniens, fordert ein bindendes Referendum (afp / Luis Gene)
    Spaniens Verfassungsväter glaubten, der komplexen Zusammensetzung der Gesellschaften in Katalonien, aber auch im Baskenland oder Galizien mit den Autonomieregelungen hinreichend Rechnung getragen zu haben. Die Sprachen und Kulturen in diesen Regionen werden gefördert, der größte Teil der Verwaltung ist autonom. Lange war die Nationalitätenfrage deshalb bloß ein Randthema, doch mit der Wirtschaftskrise steht sie wieder im Vordergrund:
    "Fragt man die Katalanen danach, was ihnen wirklich Sorgen macht, dann werden sie nicht antworten, die Unabhängigkeit. Sie werden sagen,‚die Arbeitslosigkeit, die Wirtschaft. Aber die Nationalisten haben die Wirtschaftskrise sehr geschickt mit der nationalen Identität verknüpft. Wer sagt, 'Lass uns über Wirtschaft reden', dem antworten die Nationalisten: 'Dann müssen wir auch darüber sprechen, wer uns regieren soll, wer die Institutionen kontrolliert, und wer der Souverän ist'."
    Denn der Souverän, so steht es in der spanischen Verfassung, ist das gesamte spanische Volk, von dem die Katalanen ein Teil sind. Eine einseitige Abspaltung wäre folglich verfassungswidrig. So blieb Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy wenig anderes übrig, als das im letzten Jahr angekündigte Referendum über eine Abspaltung vom Verfassungsgericht verbieten zu lassen. Trotzdem könnte Rajoy um die Katalanen auch werben, betont Politikwissenschaftler Oriolls, doch er versuche es erst gar nicht:
    "Ein Teil der Gesellschaft schwimmt mit dem Mainstream. Und der übernimmt heute zum größten Teil die Ansichten der Separatisten. Aber die spanische Regierung hat dem gar nichts entgegen gesetzt. Sie hätte ja auch selbst glaubwürdige Alternativen formulieren können. Eine Verfassungsreform hin zu einem echten Föderalstaat, eine neue Verteilung der Steuermittel zum Beispiel. Hätte man das 2012 schon gemacht, es hätte auch die Menschen beeinflusst, die jetzt mit der Masse schwimmen."
    Zumal das separatistische Projekt viele Fragen offen lässt. Es ist zwar von einem Loslösungsprozess von Spanien die Reden, notfalls von einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung und von einem Plan. Konkrete Schritte kündigen die Separatisten aber nicht an. Und Spaniens Regierung hat von Verbotsanträgen an das Verfassungsgericht bis hin zu einer Aufhebung der katalanischen Autonomieregelung viele Möglichkeiten, den Weg in die Unabhängigkeit zu versperren. Oriolls:
    "Wie wollen sie ihren Staat finanzieren? Sie bräuchten eine Finanzverwaltung. Wollen sie die spanischen Finanzämter in Barcelona von der katalanischen Polizei besetzen lassen? Nein, ich denke, sie wollen jetzt erst mal ein klares Wahlergebnis und mit der Faust auf den Tisch hauen. Aber ohne Verhandlungsbereitschaft Spaniens ist der Weg in die Unabhängigkeit sehr schwierig. Ein unilateraler Weg wäre möglich, wenn die Europäische Union das unterstützen würde. Aber das ist ja nicht der Fall. Es ist schwer, vorauszusagen, was passieren wird. Sicher ist: Es wird hart."