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Katalonien
"Unabhängiger Staat hätte keinen Zugang zu EU-Binnenmarkt"

Wenn die Regionalregierung die Unabhängigkeit erklären sollte, hieße das nicht, dass dies auch eintreffe, sagte der Volkswirt Stefan Mütze im Dlf. "Denn dieses Verhalten ist nach der spanischen Verfassung verfassungswidrig." Es sei eine Eskalationstufe erreicht, die den Euro sicherlich schwäche.

Stefan Mütze im Gespräch mit Dirk Müller | 10.10.2017
    Die Flaggen Kataloniens und der Europäischen Union hängen an der Front des Rathauses von Arenys de Munt (Katalonien). Die spanische Flagge wurde abmontiert.
    Die Flaggen Kataloniens und der Europäischen Union hängen an der Front des Rathauses von Arenys de Munt (Katalonien). Die spanische Flagge wurde abmontiert. (dpa/Carola Frentzen)
    Dirk Müller: Die Zeichen stehen auf Eskalation, nicht nur rechtlich, politisch, gesellschaftlich, auch wirtschaftlich. Vielleicht, mit großer Wahrscheinlichkeit, wie auch immer formuliert, wird Carles Puigdemont heute Abend erklären, dass Katalonien sich lossagt von Spanien, sich abspaltet von Spanien, indem seine Regierung die Unabhängigkeit erklärt. Auch die Regierung in Madrid hat keinerlei Kompromissbereitschaft gezeigt, bislang jedenfalls. Beide Seiten bewegen sich offenbar keinen Millimeter aufeinander zu.
    Und was ist mit der Wirtschaft, mit der wirtschaftlichen Perspektive Kataloniens und auch Spaniens im Falle einer Unabhängigkeit? Das ist unser Thema mit dem Ökonomen Stefan Mütze, Volkswirt für Europafragen bei der Landesbank Hessen-Thüringen, der sich intensiv mit der spanischen, katalanischen, europäischen Wirtschaft beschäftigt hat. Guten Morgen!
    Stefan Mütze: Guten Morgen.
    Müller: Herr Mütze, im Falle des Falles, was geht dann alles den Bach runter?
    Mütze: Ich glaube, man muss jetzt erst mal sehen, was heute Abend passiert. Wenn Puigdemont die Unabhängigkeit erklärt, heißt das ja noch nicht, dass die Unabhängigkeit auch kommt. Denn dieses Verhalten ist nach der spanischen Verfassung verfassungswidrig. Das entspricht nicht der Verfassung. Die Zentralregierung unter Mariano Rajoy hat ja die Möglichkeit, den Artikel 155 auszurufen und letztendlich die Regionalregierung abzusetzen und die Autonomie in Katalonien aufzuheben. Das halte ich für das wahrscheinlichere Szenario.
    "Spanien würde wohl einer EU-Mitgliedschaft Kataloniens nicht zustimmen"
    Müller: Das heißt, die Wirtschaft geht das alles nichts an, ist nicht nervös?
    Mütze: Nein, auf keinen Fall. Wir haben dann eine neue Eskalationsstufe erreicht. Es ist jetzt müßig, darüber nachzudenken, wer daran schuld ist, aber die Eskalationsstufe ist erreicht. Das wird sicherlich den Euro schwächen. Aber wenn wir mal davon ausgehen, die Unabhängigkeit würde kommen, dann würde das sicherlich am stärksten Katalonien schaden, denn wir müssen ja sehen, dass Katalonien dann nicht mehr zur EU gehören würde. Es kann sich natürlich hinten anstellen und einen Antrag stellen, aber dieser Antrag würde vermutlich nicht durchkommen, weil alle EU-Mitglieder zustimmen müssten. Und Spanien würde wohl definitiv einer EU-Mitgliedschaft Kataloniens nicht zustimmen. Auch zum Beispiel Frankreich nicht, weil sie selbst Angst haben vor Separatismusbewegungen. Italien vermutlich auch nicht.
    Müller: Bleiben wir noch mal bei der ökonomischen Dimension. Sie haben gesagt, dieses Szenario, was wir jetzt hier entworfen haben, darüber reden wir ja. Im Falle des Falles, das habe ich auch dazu gesagt, Herr Mütze. Das heißt, wenn die Unabhängigkeit heute Abend zumindest erklärt wird, ausgesprochen wird, dann haben Sie ja beschrieben, wie Madrid mit großer Wahrscheinlichkeit dann reagieren wird. Aber im Großen und Ganzen ist ja dann noch nicht viel passiert, trotz dieser politischen Eskalation, zumindest auf dieser rhetorischen Ebene. Ist trotzdem die Wirtschaft unmittelbar davon betroffen?
    Mütze: Na ja, gut. Es ist natürlich schon so, dass wir jetzt schon zwei Banken hatten, Sabadell zum Beispiel, die ihren Sitz aus Katalonien heraus nach Alicante verlegt haben.
    Müller: Das sind bedeutende Banken gewesen.
    Mütze: Die Unsicherheit ist schon jetzt da. Wenn wir eine weitere Eskalationsstufe haben, indem der Artikel 155 ausgerufen wird, dann ist natürlich die Frage, ob ausländische Investoren unter solchen Bedingungen gerne in Katalonien investieren werden.
    Müller: Jetzt haben Sie den Euro schon angesprochen, haben gesagt, der wird auf jeden Fall geschwächt. Warum ist das so?
    Mütze: Nun gut. Das zeigt ja, dass im Prinzip die Eurozone kein stabiles Gefüge hat, dass es Unabhängigkeitsbewegungen in der Eurozone gibt. Das ist natürlich schädlich erst mal für Europa.
    "Vielleicht wird man auch verhandeln und kommt zu einer gütlichen Lösung"
    Müller: Das ist ausgemachte Sache? Es wird sofort unmittelbar Auswirkungen haben auf den Eurokurs?
    Mütze: Na ja, gut. Das muss man sehen, wie es sich genau auswirkt. Das kommt darauf an, wie die Einzelpartner jetzt reagieren werden, ob es auch die Möglichkeit gibt, mit der Regionalregierung zu verhandeln. Es ist ja nicht so, dass mit hundertprozentiger Sicherheit nun die Unabhängigkeit ausgerufen wird. Vielleicht wird man auch verhandeln und kommt zu einer gütlichen Lösung. Das würde sicherlich den Euro sogar stärken.
    Müller: Schauen wir, Herr Mütze, um noch mal die Wirtschaft, die wirtschaftliche Situation und Konstellation in Spanien ein bisschen näher zu beleuchten. Stimmt das, dass Spanien mehr auf Katalonien angewiesen ist als umgekehrt?
    Mütze: Nein, das würde ich so nicht sehen. Katalonien macht etwa 19 Prozent der Wirtschaftsleistung Spaniens aus. Katalonien gehört zu den überdurchschnittlich reichen Regionen in Spanien. Aber natürlich ist es so, dass die in Katalonien produzierten Waren natürlich im Wesentlichen auch nach Restspanien gehen, und umgekehrt natürlich auch die im Rest Spaniens produzierten Waren auch nach Katalonien gehen. Das heißt, beide sind aufeinander angewiesen. Man kann hier nicht sagen, dass der eine stärker als der andere aufeinander angewiesen ist.
    Müller: Welche Bereiche sind besonders betroffen? Es wird ja immer wieder genannt: Tourismus, dann die Autoproduktion auch in Katalonien, die Pharmaproduktion, die ja eine große Rolle spielt. Sind das die Segmente, die dort in erster Linie Konsequenzen ziehen müssten?
    Mütze: Katalonien ist natürlich industriell geprägt. Wir haben sehr viele Auslandsinvestitionen, gerade auch aus Deutschland in der Automobilindustrie. Die VW-Tochter Seat ist dort. Wir haben BASF, also die Chemieindustrie. Chemie ist da, die Pharmaindustrie ist da. Wir haben viele mittelständische Unternehmen, die dort sind. Aber wir haben natürlich auch einen Bankensektor. Ich hatte ja Sabadell und Kaisha schon angesprochen.
    Müller: Jetzt gehen wir aber noch mal auf diesen industriellen Sektor. Sie haben das ja gesagt. VW, Seat spielt dort eine Rolle, dann BASF. Ist es für diese Unternehmen nicht völlig egal, wie die politische Rahmenkonstellation aussieht?
    Mütze: Nein, definitiv nicht. Denn in dem Worst Case, mit dem man jetzt mittlerweile spielen muss, wenn Katalonien vielleicht nicht mehr zur EU gehört, dann haben wir im Prinzip so was Ähnliches wie den harten Brexit. Dann ist der Zugang zum Binnenmarkt nicht mehr so einfach möglich. Es könnten theoretisch dann sogar Zölle erhoben werden zwischen Katalonien und der EU und das würde natürlich die Attraktivität dieses Wirtschaftsraums deutlich reduzieren.
    "Ein unabhängiger Staat würde erst mal nicht mehr zur EU gehören"
    Müller: Aber warum ist das so? Die Katalanen werden ja kein Interesse daran haben, plötzlich Zölle zu erheben. Das heißt, wenn ein Flieger jetzt von Frankfurt nach Barcelona geht, kann der das doch zollfrei machen, wenn die katalanische Regierung das so will und so entscheidet.
    Mütze: Es ist dann die Frage, wie die EU reagiert. Aber definitiv: Ein unabhängiger Staat würde erst mal nicht mehr zur EU gehören und hätte damit auch definitiv keinen Zugang mehr zum Binnenmarkt, und das ist natürlich eine große Gefahr für die Unternehmen dort vor Ort.
    Müller: Ist das für Sie ausgemachte Sache, wenn in irgendeiner Form – wir haben ja auch über Schottland schon miteinander geredet. Am schottischen Beispiel war das alles ja nicht so eskalativ, wie jetzt viele Beobachter die ganze Sache sehen, was jetzt Katalonien anbetrifft. Das heißt, wenn eine Region, wenn ein Kleinstaat, wie auch immer definiert, sich abspaltet und zunächst einmal ausscheidet aus der Europäischen Union, oder im Falle Kataloniens damit auch aus der Eurozone, dann hat das auf jeden Fall negative wirtschaftliche Konsequenzen für alle Beteiligten?
    Mütze: Das würde ich so sehen. Das hat natürlich negative Konsequenzen nicht nur für Katalonien, sondern auch für Spanien. Weil man muss ja auch sehen: Dann würde natürlich die Bedeutung Spaniens reduziert. Ich hatte ja schon gesagt: Ein Fünftel der Wirtschaftsleistung wird in Katalonien erwirtschaftet. Das gehörte dann nicht mehr zu Spanien. Aber auch der politische Einfluss innerhalb der EU, wenn Katalonien nicht mehr zur EU gehören würde, wäre natürlich deutlich geringer. Die Bedeutung Spaniens würde sinken.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Volkswirt Stefan Mütze. Er ist Ökonom für Europafragen bei der Landesbank Hessen-Thüringen. Danke, dass Sie für uns Zeit gefunden haben. Ihnen noch einen schönen Tag.
    Mütze: Danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.