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Katastrophen in der Krise

Der Konjunktiv der indirekten Rede ist schärfste Waffe der österreichischen Autorin Kathrin Röggla im Kampf gegen eine Verfassung der Welt, deren wirkliche Sorgen hinter medialem Geschwurbel und inszenierten Spektakeln unsichtbar zu werden drohen.

Von Michael Schmitt | 16.06.2010
    "mal sehen, ob die wälder wieder brennen, mal sehen, ob starke hitze uns entgegenschlägt. (...) Mal sehen, ob der regen einsetzt, (...) mal sehen, ob sich wassermassen gegen brücken stemmen oder dämme längst gebrochen sind. (...) mal sehen, ob sie wieder auf der brücke stehen und hinuntersehen, einen steinwurf weg von ereignissen, die sie doch nicht verstehen."

    Mit solchen Sätzen beginnt Kathrin Rögglas aktuelles Buch "die alarmbereiten"; im Kern enthalten sie schon alles, worum es im folgenden in sieben verschiedenen Prosaskizzen gehen wird. Das sind auf den ersten Blick Natur- und Klimakatastrophen, Wirtschaftskrisen, Dritte-Welt-Nöte, also die angemessenen Themen einer engagierten Schriftstellerin auf der Höhe der Gegenwart. Auf den zweiten Blick aber geht es um etwas ganz anderes, nämlich um die Art, wie unsere Gesellschaft sich über diese Themen verständigt.

    Hörspielfreunde oder Theaterbesucher werden die eine oder andere Geschichte wiedererkennen, denn diesmal hat die österreichische Schriftstellerin, die seit Langem in Berlin lebt, nicht zuerst das Buch geschrieben und dann eine Bühnenfassung erstellt, wie im Fall ihres bekanntesten Werkes, "wir schlafen nicht". Diesmal kommt das Buch statt dessen hinterher und führt zusammen, was Kathrin Röggla schon länger umtreibt:

    Samt und sonders Probleme, die uns auf den Nägeln brennen. Aber wie erreicht uns üblicherweise die öffentliche oder private Rede darüber? Als spektakuläres Untergangsszenario? Als enervierende Kassandrarufe? Als defätistischer Kommentar? Als Appell, über all dem Schlimmen das Tröstliche nie zu vergessen? All diese Zungenschläge tauchen in den Texten auf, Kathrin Röggla kennt unendlich viele Varianten dieser sprachlichen Anverwandlung drohender Apokalypsen - und vor allem: Sie kennt auch ein wirkungsvolles Mittel, sie vorzuführen und sie dabei zugleich zu hinterfragen: Dieses Mittel ist die indirekte Rede, die herbeizitiert, was von irgendwem aus irgendeinem Anlass gesagt worden ist, und die gleich mehrere Fragezeichen ermöglicht:

    Was halten wir als Zuhörer oder Leser von dem, was ursprünglich gesagt worden ist? Und weiter: Was halten wir darüber hinaus von der Art und Weise, wie es uns durch jemand Zweiten oder Dritten wiedergegeben wird?

    Kommunikationstheoretisch ist das ein bisschen verwickelt - aber erst diese Verdopplung der Sprechsituationen kann aus emphatisch vorgetragenen Litaneien tatsächlich Literatur mit einem gewissen weiteren Hallraum werden lassen. Den Konjunktiv der indirekten Rede hat Kathrin Röggla denn auch schon öfter als Stilmittel kultiviert. Es ist ihre schärfste Waffe im Kampf gegen eine Verfassung der Welt, deren wirkliche Sorgen hinter medialem Geschwurbel, will sagen hinter inszenierten Spektakeln unsichtbar zu werden drohen. "die alarmbereiten" handelt daher vor allem davon, dass wir zunehmend bereit sind, alles im Modus der Katastrophenerzählung wahrzunehmen -- und es so auch zu goutieren. Und davon, dass die Katastrophenerzählung bei aller Eindringlichkeit den analytischen Blick dann aber eher blockiert und Ohnmachtsgefühle verstärkt:

    -- in einem Sitzungsraum unter mutmaßlichen Führungskräften, wenn Streitigkeiten und Durchhalteparolen im Angesicht einer nicht näher bezeichneten Katastrophe um und um gedreht werden, während nach und nach fast alle ursprünglichen Sitzungsteilnehmer fliehen ...

    ... in einem Telefongespräch mit tödlichem Ausgang, wenn eine Frau einer anderen vorhält, sie habe stets viel zu sehr die Kassandra-Rolle verinnerlicht ...

    ... an einer Grundschule, wo einer Mutter vorgeworfen wird, sie habe ihre acht- oder neunjährige Tochter schon so sehr mit Weltuntergangsszenarien gefüttert, dass das Mädchen seine Schulkameraden nun geradezu zum Selbstmord auffordere ...

    Fast immer geht es um ein Sendungsbewusstsein, das von Ängsten aber auch von zahllos herbeizitierten Fakten befeuert wird, und um eine Abwehr all dessen, die meist von dem Impuls getragen wird, alles nicht so schwarz zu sehen und stattdessen lieber auf gewohnte Reflexe zu vertrauen.

    Die Zumutung, die in den Anklagen, Mahnungen und Litaneien steckt, ist die Zumutung, die stets in Predigten und in Besserwisserei steckt, und die jeder kennt und kaum einer ertragen mag. Der Abwehrreflex aber beruht auf Ignoranz, auf Bequemlichkeit und vielleicht auch auf nacktem Interessenkalkül. Es sind auch meist diese Abwehrenden, die in Kathrin Rögglas Prosastücken referieren und kommentieren, was ihnen vorgehalten worden ist. Und noch während sie ihre Vorbehalte und ihre Skepsis vorbringen, zieht sich um ihren Hals eine Schlinge zu. "(...) verrückt, wie schnell alles vergangenheit wird", können sie vielleicht noch sagen, und dann sind sie allein oder nur mehr ein Fall für das Plusquamperfekt Konjunktiv, genannt "Irrealis", für Formulierungen wie "oh hätte doch" oder "oh wäre doch". Drastischer gesagt: Sie werden ein Anlass für Trauer und bedauerndes Gedenken.

    Aus dieser Grundkonstellation lassen sich markante Sätze entwickeln und auch treffsicher pointierte Geschichten. Aber im Fall von "die alarmbereiten" birgt das auch Gefahren: Nämlich Übersättigung des Lesers durch die Reihung und durch das Überladen einzelner Texte mit dem Material, das die Recherche vor dem Schreiben ergeben hat. Etwa wenn Kathrin Röggla, angelehnt an den Fall Kampusch, von einem Entführungsopfer und seinen Erfahrungen im Gespräch mit Medien und Menschen erzählt -- "die jagd" -- oder wenn sie in "die ansprechbare" vielleicht ein paar Umweltkatastrophen mehr herbeizitiert als nötig wären, um zu verstehen, worauf es ihr ankommt.

    Das Buch läuft dann in eine Falle, die Kathrin Röggla selbst am Beispiel des Katastrophenfilms der 80er-Jahre beschrieben hat und der sie mit ihrem gesamten Werk eigentlich entgegen arbeiten möchte: Die permanente Weltuntergangserzählung produziert eine Katastrophe zweiter Ordnung, denn je öfter wir davon hören, desto abgestumpfter reagieren wir, desto weniger dringt sie uns wirklich ins Bewusstsein. Und weder die Brechungen durch die indirekte Rede noch der Verzicht von Kathrin Röggla auf jene Art von Helden, die in den 80ern meist noch für ein Happy End zwischen Trümmern sorgen durften, kann an dieser Ermattung des Lesers etwas ändern. Man sollte ihre Texte also besser einzeln und in einem gewissen Abstand voneinander lesen - dann bewahren sie ihre Sprengkraft.

    Kathrin Röggla: die alarmbereiten.
    Erschienen bei S. Fischer, mit Zeichnungen von Oliver Grajewski. Frankfurt am Main, 2010; 192 Seiten