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Katastrophenhelfer
Flüchtlinge im Einsatz für das Technische Hilfswerk

Kaum sind sie Krieg, Verfolgung und Zerstörung in ihrer Heimat entkommen, arbeiten sie ausgerechnet als Katastrophenhelfer in Deutschland: Rund 70 Flüchtlinge aus Krisenländern werden derzeit vom Technischen Hilfswerk ausgebildet. Dort helfen sie beispielsweise beim Bau neuer Flüchtlingsunterkünfte.

Von Thomas Wagner | 21.12.2015
    Mitarbeiter des technischen Hilfswerks (THW) bauen am 22.10.2015 in der Flüchtlingsnotunterkunft Scheuen bei Celle (Niedersachsen) die neuen Schnellbauhütten auf.
    Seit 2014 waren bundesweit über 14 000 THW-Helfer im Einsatz, um vornehmlich beim Bau und bei der technischen Ausstattung von Flüchtlingsunterkünften mitzuhelfen. (picture alliance / dpa / Peter Steffen)
    "Wenn das Stativ dann ausgerichtet ist auf die Stelle, die wir ausleuchten wollen, dann können wir dann das Kabel, das hier runterhängt, einmal um das Stativ drumwickeln. Der Hammer? Hammer ist hier..." Einheitliche blaue Schutzanzüge, gelbe Schutzhelme: Ein halbes Dutzend Männer bei der Arbeit. Wenige Augenblicke nur, dann haben sie ein riesges Stativ errichtet. Oben drauf strahlt eine Scheinwerferbatterie, obwohl es taghell ist. Zufrieden reibt sich einer der Helfer die Hände. "My name...Abjel Emir. I'm from Syria. I'm 20 years old..." Der 20-jährige Flüchtling Abjel Emir aus Syrien lebt erst seit fünf Monaten in Deutschland – und absolviert gerade sein erstes Training als angehender Katastrophenhelfer des Technischen Hilfswerkes.
    Ein kleines Team des THW habe jenes Flüchtlingscamp aufgebaut, in dem er kurz darauf untergebracht wurde. Spontan habe er dann einfach mitgeholfen. Und dann schließlich, erzählt Abjel Emir, sei er neugierig geworden. Er wollte wissen, was das ist, Technisches Hilfswerk, THW? Und ehe er sich versah, war er mit dabei im südhessischen THW-Ortsverband Viernheim. Und da, sagt Abjel, fühle er sich nun wie in einer Familie, ein tolles Gefühl.
    Mehr als 30 Flüchtlinge in der THW-Bundesschule
    "Da sind Leute eingeklemmt. Und die Leute, die da im Auto eingeklemmt sind, wollen wir befreien. Und da gibt's verschiedene Methoden." Jetzt lernt Abjel, wie man Schwerverletzte aus Unfallautos befreit, wie man blitzschnell Scheinwerfer aufstellt; wie ein Felsblock, der nach einem Erdrutsch auf die Straße gedonnert ist, schnell entfernt werden kann. Abjel ist dabei nicht alleine. 31 weitere Flüchtlinge sind an diesem Wochenende in die THW-Bundesschule Neuhausen bei Stuttgart gekommen – nicht nur aus Syrien, sondern beispielsweise auch aus Afghanistan, aus dem Irak – und nicht zu vergessen, vom afrikanischen Kontinent.
    "Mein Name ist Sahid. Ich komme aus Somalia. Ich wohne in Oberbayern/Schongau. Ich bin am 7. Juli in Deutschland angekommen. Ich mache jetzt beim THW diese Grundausbildung. Ich bin glücklich." Dabei strahlt Sahid, Anfang 20, übers ganze Gesicht. "Es ist ganz ganz wichtig zu lernen: Hier spreche ich Deutsch. " - "Benzinhähne auf, Fuß-Starter: Abgas-Schlauch ist dran. Und dann gib Gummi." Nächste Lektion: Wie einen Stromgenerator starten?
    "Ich denke mal, das Lernen des Deutschen ist ganz wichtig. Das bedeutet auch für uns im Ortsverband: Wir sprechen mit den Flüchtlingen so lange es geht auf Deutsch. Damit helfen wir ihnen, angstfrei mit der deutschen Sprache umzugehen, auf der anderen Seite aber auch den Kontakt mit der deutschen Kultur und zu den deutschen Helfern auch zu bekommen." So Volker Patzwald vom THW-Ortsverein Viernheim. "Wir haben die Flüchtlingsunterkünfte hergerichtet. Und so sind wir denn auch in Kontakt gekommen mit einigen jungen Leuten, die sich dann fürs THW interessiert haben, genauso wie er. Und dann haben wir sie eingeladen in die Unterkunft. Und dann sind sie zu uns gekommen." Und so in etwa spielt sich das derzeit in vielen Ortsvereinen ab. Denn das Technische Hilfswerk ist von Kiel bis zum Bodensee im Einsatz, um Flüchtlingen zu einem festen Dach über dem Kopf zu verhelfen.
    "Entweder ich bringe Leute um – oder ich werde selbst untergebracht"
    "Jürgen, tu' die Stecker noch rein – und bitte mit Kabelbinder festmachen." Mosbach im Odenwald: Schlammiger Untergrund auf einem Festplatz am Rande der Bahnlinie. Dort hat ein Sattelschlepper ein halbes Dutzend gleich aussehender schmucklos-gelber Wohncontainer abgeladen. Jetzt sind die Helfer des THW gefragt. "Die ganzen Stromanschlüsse werden vom Ortsverein Adelsheim hier getätigt, so dass überall genügend Strom vorhanden ist. Wir sind alles ehrenamtliche Helfer", erklärt Marc Egolf vom nahegelegenen Ortsverein Adelsheim im Technischen Hilfswerk.
    Seit 2014 waren bundesweit über 14.000 THW-Helfer im Einsatz, um vornehmlich beim Bau und bei der technischen Ausstattung von Flüchtlingsunterkünften mitzuhelfen. Jürgen Gaugel, einer der Ehrenamtlichen, die in Mosbach mit angepackt haben: "Für die schnellen Einsätze, das Aufstellen des Containerdorfes – natürlich sind wir schon ein wenig stolz auf das, was wir leisten." Manchmal allerdings wird Jürgen Gaugel nachdenklich. "Sicherlich denkt man an die Leute, die da zu uns kommen. Teilweise, wie man sieht, wie sie ankommen, beschäftigt man sich schon damit, wie es bei denen aussieht im Land, in den Krisengebieten, wie es diesen Leuten geht."
    "Im Heimatland ist immer Krieg, immer. Und deshalb komme ich nach Deutschland." Barachat Barkis Serala aus Somalia hat sich ebenfalls zum ersten Katastrophenhelfer-Training für Flüchtlinge in der THW-Bundesschule Neuhausen gemeldet – einer, der vor lauter Bürgerkrieg keine Perspektive mehr in seinem Herkunftsland sieht. Der 20-jährige Syrer Abjel Emir erzählt in einer Pause sehr offen, weshalb er Syrien den Rücken gekehrt hat: "Syrien – das war und das ist ein Land im Kriegszustand. Nach der High-School wollte ich Zahnmedizin studieren. Aber das ging nicht: Kein Strom an der Uni, kein Licht. Immer diese Bomben. Mit 20 sollte ich dann zur syrischen Armee. Und dann hatte ich die Alternative: Entweder ich bringe Leute um – oder ich werde selbst untergebracht."
    Langfristiges Ziel: Wiederaufbau in Syrien
    Der junge Syrer entschied sich für die dritte Möglichkeit: Flucht – nach Deutschland. Solche Geschichten bewegen auch die THW-Helfer. Umso erstaunter sind sie, wenn sie hören, was manch einer der Flüchtlinge plant. Mohammed Huschja kam vor einigen Monaten aus Nordsyrien nach Deutschland – und ist ganz bewusst in die Uniform des Technischen Hilfswerkes geschlüpft: "Warum ich hier beim THW bin? Ich hoffe, eines Tages können wir unserem Land helfen, wenn der Krieg in Syrien fertig ist."
    Und genau das ist tatsächlich ein Hintergedanke, der bei den Katastrophenschutz-Lehrgängen für Flüchtlinge mitschwingt: Gerd Friedsam, stellvertretender Bundesvorsitzender der THW, spricht von zwei Zielen: "Einerseits die Integration in Deutschland, aber andererseits auch Wiederaufbau von Syrien: Wenn Syrien, was wir alle hoffen, irgendwann mal wieder befriedet ist, dass die Menschen, die wir jetzt ausbilden, denen wir unsere Werte näherbringen, dann auch sagen: Ok, so etwas brauchen wir dann auch in Syrien, das letztlich wieder aufgebaut wird."
    "Zeigt immer an: Choke..." Doch bis es soweit ist, werden noch etliche Lehrgangsstunden vergehen. Was bleibt, ist die Integration bei der gemeinsamen ehrenamtlichen Arbeit unter dem Dach des THW. Mohammed Huschja aus Syrien ist überzeugter Muslim, nennt seine Bekannten beim THW, die meisten davon Christen, seine neuen guten Freunde – und wünscht ihnen: "Auf Arabisch: Merry Christmas...Frohe Weihnachten."