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Katastrophenschutz 30 Jahre nach Tschernobyl
Schwierige Notfallplanung für den Super-GAU

Der Super-GAU in einem Atomkraftwerk ist auch eine immense logistische Herausforderung für die Notfallhilfe. Wie wird die Bevölkerung geschützt, wann wird evakuiert? Es gibt widersprüchliche Empfehlungen - und gesicherte Durchführungspläne existieren jedenfalls längst noch nicht.

Von Dagmar Röhrlich | 25.04.2016
    Luftbild des Atomkraftwerks Fukushima.
    Das teilweise zerstörte Atomkraftwerk Fukushima in Japan. Vor fünf Jahren führten ein Seebeben und ein dadurch ausgelöster Tsunami zu einem GAU. (picture alliance / dpa / Motoya Taguchi)
    Tschernobyl, 26. April 1986, 1.24 Uhr. Ein Experiment schlägt fehlt. Zwei gewaltige Explosionen zerstören Block 4 des Wladimir-Iljitsch-Lenin-Kernkraftwerks. Während die Katastrophe im Westen die Schlagzeilen bestimmt und dort kontaminiertes Gemüse vernichtet wird, möchte die Sowjetunion sie am liebsten verschweigen, erinnert sich Alla Jaroschynska. Sie recherchierte damals auf eigene Faust, erhielt für ihre Arbeit den Alternativen Nobelpreis. Von den Behörden erfuhr sie nur Lügen wie:
    "Sicher, es gibt einige Probleme, aber es ist wirklich nichts Ungewöhnliches oder Gefährliches. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, weder wegen der Gesundheit der Kinder, noch wegen der der Erwachsenen. - Wenn man das Periodensystem der Elemente ansieht, dann gibt es darin viele radioaktive Elemente, Plutonium, Uran, aber für mich fehlt das Wichtigste, und das ist Lüge '86 - die Lüge von Tschernobyl."
    Die neue Schutzhülle für den Atomreaktor von Tschernobyl. Sie soll 2017 fertiggestellt werden.
    Die neue Schutzhülle für den Atomreaktor von Tschernobyl. Sie soll 2017 fertiggestellt werden. (AFP / Anatolii Stepanov)
    Fukushima, Tschernobyl, Harrisburg, Windscale - Die Menschheit hat inzwischen fast 60 Jahre Erfahrung mit schweren Reaktorunfällen. So unterschiedlich die Ereignisse im Einzelnen waren, eines ist ihnen gemeinsam: Der Versuch von Politikern, Behörden und Betreibern, zu vertuschen, zu beschönigen, die Bevölkerung nicht aufzuregen. Erreicht haben sie damit nur, dass man ihnen misstraut. Wolfram König, Präsident des Bundesamts für Strahlenschutz:
    "Wenn einmal das Vertrauen dadurch zerstört wird, dass man Dinge nicht beim Namen nennt in solchen Momenten, sondern verschweigt, verheimlicht, dann führt das dazu, dass damit eine Glaubwürdigkeitslücke entstehen kann."
    Diese Glaubwürdigkeitslücke ist umso schlimmer, weil der Mensch radioaktive Strahlung nicht wahrnehmen kann. Ohne Messgeräte und Expertensysteme ist er blind für die Gefahr. Misstrauen kann jedoch in so einer Situation fatal werden, beschreibt Wolfgang Weiss. Er ist Mitglied der deutschen Strahlenschutzkommission SSK und von UNSCEAR, einem UN-Komitee zur Untersuchung der Auswirkungen atomarer Strahlung:
    "Wenn die Leute sagen, das ist alles Quatsch, was die da sagen, wir machen das Gegenteil. Dann sind wir in einer Situation, die für niemand eine Lösung darstellt."
    "Das ist ein großes Problem, dass das Wissen der Bevölkerung, was den Strahlenschutz betrifft oder was ein radiologischer Notfallschutz ist, etwas besser sein könnte."
    Notfallreaktion ist schon lange klar
    Was im Notfall getan werden müsse, sei eigentlich schon lange klar, führt Johannes Kuhlen aus, Referatsleiter für Radioökologie, Überwachung der Umweltradioaktivität und Notfallschutz im Bundesumweltministerium:
    "Dazu gibt es drei wesentliche Maßnahmen: das Verbleiben im Gebäude. Handelt es sich um ein Kernkraftunfall, müssen wir mit der Freisetzung von radioaktivem Jod rechnen. Das bedeutet, dass dann die Jodblockade ein wesentliches Element ist, insbesondere ein Schutz für Kinder. Dann eine dritte Möglichkeit besteht darin, die Evakuierung vorzunehmen, also in dem Augenblick, wo das Gebiet zu stark kontaminiert ist, besonders im Nahbereich einer Anlage, ist die Evakuierung die richtige Option."
    So weit die Theorie. Die Probleme zeigen sich beim Blick auf die Praxis. Oder besser: beim ernsthaften Nachdenken über das Was-wäre-wenn. In Deutschland sind Planung und Durchführung von Katastrophenschutzmaßnahmen vor allem Sache der Bundesländer und regionaler Katastrophenschutzbehörden. Beispiel: Aachen.
    "Wir haben westlich von Aachen hinter Lüttich in etwa 65 Kilometern Entfernung das Kernkraftwerk in Tihange. Und das ist das Kraftwerk, was uns auch am meisten beschäftigt."
    Das umstrittene belgische Atomkraftwerk Tihange.
    Das umstrittene belgische Atomkraftwerk Tihange. (AFP / Belga / Eric Lalmand)
    Erklärt Marcel Philipp, Oberbürgermeister der Stadt Aachen. Trotz diverser Störfälle und großer Sicherheitsbedenken wegen feiner Risse im Reaktordruckbehälter will Belgien den alten Reaktor am Netz halten, um Stromengpässe zu vermeiden. Ungeachtet der Bedenken aus Deutschland. So hatte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks von der SPD vergangene Woche weitere Untersuchungen der Reaktorsicherheitskommission angekündigt. Darüber hinaus sagte sie:
    "Ich habe deswegen jetzt für die Dauer der Untersuchungen die belgische Regierung gebeten, die beiden Reaktoren Tihange II und Doel III abzustellen. Und es wäre schon ein gutes Signal, wenn die belgische Regierung das machen würde."
    Doch von der belgischen Atomaufsichtsbehörde gab es prompt eine Absage. Die Reaktoren seien sicher, eine Abschaltung daher unnötig. In der Städteregion Aachen wiederum geht es nicht nur um Widerstand gegen die Anlage Tihange, sondern auch um die nukleare Notfallplanung - auf Diskussionsforen mit Bürgern oder Krisenstabsübungen:
    "Wir nehmen das sehr ernst und wollen für uns selber auch wissen: Was würden wir tun? Und welche Reaktionsmöglichkeit gibt es? Welche Vorbereitungsmöglichkeiten gibt es?"
    Nach Tschernobyl herrschte in Deutschland Grenzwertchaos
    Zwar gab es schon vor Tschernobyl Notfallpläne für Evakuierungen und die Verteilung von Jodtabletten, um Schilddrüsenkrebs zu verhindern. Doch im Grunde traf der Super-GAU Europa unvorbereitet. In Deutschland herrschte Grenzwertchaos. Die Milch, die im einen Bundesland Sondermüll war, durfte im anderen verkauft werden. Wolfram König vom Bundesamt für Strahlenschutz:
    "Es hatte sich gezeigt, dass mit den Ereignissen in Tschernobyl es zu einer Kakofonie der Empfehlungen kam, zu einer Verunsicherung der Bevölkerung. Und in Deutschland fehlte die Konzentration von Sachverstand, die man braucht in solchen Situationen und dem man auch vertraut, das ist ganz entscheidend."
    Also wurde 1986 das Bundesumweltministerium gegründet, das Bundesamt für Strahlenschutz. Und es wurde das Gesetz zum vorsorgenden Schutz der Bevölkerung gegen Strahlenbelastung erlassen. Seitdem wird unter anderem die Umweltradioaktivität routinemäßig überwacht, um die Bevölkerung schnell warnen zu können. Allerdings sind seit Tschernobyl die Ansprüche der Gesellschaft an den Strahlenschutz gestiegen. 1986 kamen - genau wie 25 Jahre später bei Fukushima - die Informationen eher zögerlich und waren teilweise widersprüchlich. Doch 2011 gab es soziale Medien, die sofort in die Lücke sprangen:
    "Es ist eben nicht mehr die Zeit, um in Ruhe die Dinge auszuwerten, sondern wir werden, das haben wir schon in Fukushima erlebt, mit Bewertungen konfrontiert, die nicht immer und manchmal überhaupt nicht wissenschaftlichen Erkenntnissen zugänglich sind. Umso wichtiger ist es, dass eben auch staatliche Institutionen diese Herausforderung annehmen und sich auch kommunikativ auf solche Ereignisse einstellen."
    Die Behörden müssen also nicht nur die Glaubwürdigkeitslücke schließen: Sie müssen ihre Informationen über das Ausmaß der Freisetzung, die Ausbreitung der Wolke und was das für den einzelnen Bürger bedeutet sozusagen in Echtzeit, online und allgemein verständlich bewerten und verbreiten - nach dem Takt, den die sozialen Medien vorgeben.
    "Nach Fukushima hat man dann erkannt, dass ja solche Unfallabläufe auch andere Ausmaße haben können, Freisetzungen über einen längeren Zeitraum erfolgen können."
    Nach Fukushima muss Bevölkerungsschutz überdacht werden
    Und auch, dass mehrere Reaktoren explodieren können, war vorher nicht unbedingt Gegenstand der Betrachtungen, erklärt SSK-Mitglied Christian Küppers vom Ökoinstitut Darmstadt. Damit war klar, dass der Schutz der Bevölkerung verbessert werden muss.
    Deshalb macht die neue europäische Strahlenschutzrichtlinie, die bis Februar 2018 in nationales Recht umgesetzt sein muss, unter anderem detaillierte Vorgaben für die Notfallplanung und die verstärkte Kooperation aller Mitgliedsstaaten. Zu den Vorschlägen der Strahlenschutzkommission, die 2014 von der Innenministerkonferenz angenommen wurden, gehört auch die Ausweitung der Planungsgebiete für den Katastrophenschutz:
    "Die Strahlenschutzkommission hat dem Bundesumweltministerium empfohlen, diese neuen Planungsradien zu verwenden. Und schließlich hat sich auch die Bundesinnenministerkonferenz dem angeschlossen. Und dann wird es eben in den Bundesländern umgesetzt. Aber umgesetzt wird es dann in der Regel auf Kreisebene. Das wird sich sicherlich noch einige Zeit hinziehen, auch wenn diese Empfehlung schon ein Weilchen zurückliegt. Diese Planungen sind schwierig, sie erfordern Zeit und vor allem, wenn man feststellt, man hat bestimmte Ressourcen noch nicht, dann muss man die ja auch beschaffen."
    So ist es mit der Planungshoheit auf lokaler Ebene so eine Sache.
    "Da beginnt schon die erste Unklarheit", beschreibt Aachens Oberbürgermeister Marcel Philipp, denn bei einem Unfall von den Ausmaßen Tschernobyls oder Fukushimas wäre der Notfall nicht mehr regional, "sondern dann haben sie mindestens eine landesweite, eher dann bundesweite Lage, die zu Maßnahmen führt, die wir als
    Und selbst, wenn 2022 in Deutschland das letzte Atomkraftwerk vom Netz geht, bleibt das Thema erhalten. Auch national. Da sind zum einen Rückbau und Endlagerung. Vor allem aber laufen in den Nachbarländern Dutzende Reaktoren weiter. Viele davon sind alt und alles andere als in technischer Bestform, warnt Wolfram König:
    "Das Ganze ist eine Technologie, die mit Hochrisiken behaftet sein kann, das haben wir nun durch verschiedene Ereignisse leidvoll erfahren müssen. Und wir müssen uns auf solche Ereignisse vorbereiten, das heißt, der Notfallschutz ist eine Daueraufgabe, solange derartige Stoffe in die Umwelt freigesetzt werden können."
    Durchrechnen möglicher Szenarien
    Am Öko-Institut Darmstadt sind mögliche Unfallszenarien durchgerechnet worden - für deutsche Anlagen ebenso wie für solche im benachbarten Ausland. Christian Küppers:
    "Man sieht, es besteht die Möglichkeit, dass sehr große Gebiete evakuiert werden müssten, auch umgesiedelt werden müssten. Dass da im Extremfall auch solche Gebiete bis in Entfernungen von mehreren hundert Kilometern reichen können. Das hängt dann ab von der Windrichtung und von den Niederschlagsverhältnissen. Man kann da Glück haben, man kann weniger Glück haben."
    Wenn ein Super-GAU mit Kernschmelze und Freisetzung der Radionuklide nicht schnell unter Kontrolle gebracht werden kann, würden stabile Windverhältnisse und leichter Regen zu großräumigen Kontaminationen führen. Egal, ob der Unfall nun an einer der verbliebenen deutschen Anlagen passiert oder in Frankreich, in Fessenheim etwa oder in Cattenom. Es gilt für Beznau oder Leibstadt in der Schweiz ebenso wie für das tschechische Temelin:
    "Es gibt auch in Belgien einige grenznahe Kernkraftwerke, die dann auch dazu führen könnten, dass in Deutschland Maßnahmen getroffen werden müssen des Katastrophenschutzes, also Aufforderung zum Verbleiben im Haus, Jodtabletten einnehmen, möglicherweise auch Evakuierung."
    In Aachen lebt man mitten in der aufgrund der SSK-Empfehlung auf 100 Kilometer erweiterten Zone, in der auch für Erwachsene die Einnahme von Jodtabletten vorbereitet werden muss. Das Problem:
    "Wir würden bei fast allen denkbaren Szenarien zunächst kommunizieren: Bitte bleiben Sie zuhause. Das Land hält aber wiederum Jodtabletten vor, bei denen es erforderlich ist, dass man sie sich irgendwo abholt. Beides passt im Ernstfall nicht zusammen. Ich kann nicht gleichzeitig zu einer Ausgabestation gehen und zu Hause bleiben."
    Jodtabletten sind nicht harmlos
    Die Tabletten sind außerdem nicht harmlos, dürfen weder zu früh, noch zu spät genommen werden, sondern, wenn es angeordnet wird, die radioaktive Wolke da ist. Außerdem dürfen Personen über 45 Jahren sie nicht mehr einnehmen, weil sie bei ihnen eher Schaden anrichten als nützen, erläutert Jürgen Wolff, Leiter der Feuerwehr Aachen:
    "Ich weise auf mögliche Szenarien hin, die sich durchaus an den Ausgabestellen ergeben können. Machen Sie mal einem 46-Jährigen klar, dass er, weil er drei Tage drüber ist, jetzt nicht in diese Situation kommt. Ich will mir das gar nicht vorstellen."
    Fukushima lehrt, dass die Überlegungen sehr viel weiter vorangetrieben werden müssen, als das bislang geschehen ist. Wolfgang Weiss, Mitglied der deutschen Strahlenschutzkommission, erinnert sich an das Frühjahr 2011:
    "Was wir wissen, ist, dass die Maßnahmen, die die Regierung ergriffen hat in den ersten Tagen zur Evakuierung von bis zu 125.000 Menschen, zu vielen Toten geführt haben. Menschen aus Krankenhäusern, Menschen aus Altersheimen, die der medizinischen Versorgung und Fürsorge ständig bedürfen, sind gestorben und das waren nicht einzelne, sondern mehr als 1000."
    Selbst schwerste Fälle wurden ohne medizinisches Fachpersonal evakuiert. Sie starben in irgendeiner Turnhalle - und nicht die Strahlung tötete sie, sondern Dehydrierung oder Unterkühlung durch unbesonnenes Handeln, fasst Koichi Tanigava von der Fukushima Medical University zusammen:
    "Außerdem herrschte zu Beginn des Atomunfalls großes Durcheinander bei den medizinischen Einrichtungen. Aufgrund der Evakuierungsanordnung war keines der ausgewiesenen Notfallhospitäler einsatzbereit. Selbst ein Notfallkrankenhaus in 40 Kilometern Entfernung war nicht voll funktionsfähig, weil das Personal wegen der Gerüchte um Fukushima Daiichi und des Erdbebens knapp war."
    In der Präfektur Fukushima lehnten alle Kliniken die Behandlung der bei den Explosionen verletzten Arbeiter ab: mangels Erfahrung mit Dekontaminierung.
    "Weder waren die Krankenhäuser wirklich vorbereitet, noch das medizinische Personal ausreichend ausgebildet. Und die Vorräte an Medikamenten und anderem medizinischen Material waren zu gering."
    Japan richtet spezielle Krisenzentren ein
    In Japan werden nun spezielle Krisenzentren eingerichtet. Außerdem müssen Mediziner und Pflegepersonal das richtige Handeln bei nuklearen Notfällen und Evakuierungen trainieren. Auch in Deutschland sei nicht in jeder Klinik das Wissen vorhanden, urteilt Johannes Kuhlen vom Bundesumweltministerium. Man habe Krankenhäuser, die Strahlenopfer behandeln können, in einer Datenbank erfasst. Erfasst worden sind auch sogenannte kritische Infrastrukturen, deren Evakuierung nicht einfach ist: Schulen und Kindergärten etwa, aber auch Gefängnisse oder eben Krankenhäuser.
    "Beispielsweise in Krankenhäusern ist klar, dass nicht jeder Patient transportiert werden kann, also muss überlegt werden im konkreten Fall, wie kann man die Gebäude so schützen, dass dort auch Patienten und Personal bleiben können. Und für welche Fälle sollte man sozusagen eine Evakuierung vorsehen."
    Eine Mutter und ihr Kind werden nach dem Atomunfall von Fukushima im März 2011 auf radioaktive Bestrahlung untersucht.
    Eine Mutter und ihr Kind werden nach dem Atomunfall von Fukushima im März 2011 auf radioaktive Bestrahlung untersucht. (dpa/picture alliance/EPA/Asahi Shimbun)
    Mit bis zu 800.000 Evakuierten rechnen die Experten im Bundesumweltministerium: Im Ernstfall müsste etwa ein Prozent der Bevölkerung fliehen, weil der Grenzwert überschritten wird - und zwar innerhalb von Stunden. Christian Küppers vom Ökoinstitut Darmstadt:
    "Die Planung zwingt ja dazu, dass man sich Gedanken darüber machen muss, welche Fahrzeuge man braucht in welcher Menge. Man braucht Spezialfahrzeuge für Krankentransporte. Das, denke ich, ist im Moment noch sehr im Argen. Man muss sich überlegen, welche Person man dafür braucht, also wie viele Busfahrer und so weiter."
    Ob die im Notfall da sind, ist eine andere Frage. Verschärfen dürfte sich die Lage auch, weil nicht nur die fliehen werden, die dazu aufgefordert werden. Viele dürften sich auf den Weg machen - ob sie nun im Evakuierungsgebiet leben oder nicht.
    Chaos scheint vorprogrammiert
    Dass Chaos vorprogrammiert scheint, legte unlängst ein Workshop nahe, den das Bundesumweltministerium zusammen mit der Strahlenschutzkommission und dem Bundesamt für Strahlenschutz organisiert hat. Repräsentativ ausgewählte Personen wurden gefragt, wie sie wohl auf einen nuklearen Notfall reagieren würden:
    "Wir haben dort die entsprechenden Durchsagen im Radio simuliert und die Personen unmittelbar gefragt, wie sie reagieren würden. Und unsere Erfahrung aus diesem Workshop ist, dass wir davon ausgehen müssen: Fast 80 Prozent der Bevölkerung in der Nähe des Kraftwerks würde sich im Ereignisfall selbst evakuieren."
    Das Problem dieser Selbstevakuierung:
    "Das hat in Fukushima dazu geführt, dass die Leute in ihrem Auto auf der Straße standen, während die Wolke über sie hinweg zog."
    Und so denkt man im Ministerium darüber nach, wie denn jenseits eines Radius von 50 Kilometern um ein Kernkraftwerk Ausfallstraßen auszusehen haben, damit die Menschen nicht stecken bleiben und wie der Verkehr geleitet werden muss. Eine Notfallübung des Aachener Krisenstabs legt nahe, dass viele Fliehende wohl gar nicht so weit kämen. Marcel Philipp:
    "Wir haben eskaliert. Wir haben also begonnen mit einer ersten Meldung, es gibt einen Störfall, niedrige Stufe, nichts Besorgniserregendes, und haben das in mehreren Stufen hinauf eskaliert bis INES 7."
    Also bis zur höchsten Stufe nach der Internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse. Das ist die Kategorie von Tschernobyl und Fukushima.
    "Allerdings schon bevor wir bei INES 7 ankamen, war einer der Effekte, dass der Vertreter der Polizei sagte: Ab jetzt dürfen sie bitte nicht damit rechnen, dass wir von der Polizei noch in der Lage sind, den Verkehr in Aachen zu kontrollieren."
    Damit brechen viele Notfallpläne zusammen. Der Feuerwehrchef von Aachen, Jürgen Wolff:
    "Die Maßnahmen, die wir dann vorab eingeleitet haben, Abholen von Kaliumjodid in der Zentralapotheke, der Versuch diese dann an bestimmte vorher festgelegte Stellen dann zu bringen, scheitert da, wo sie mit dem Verkehr in Konfrontation geraten. Und mit Verlaub: Da hilft ihnen auch kein rotes oder ein grünes oder kein blaues Fahrzeug mehr, mit Sonder- und Wegerechten, da glaube ich, greifen ganz andere Szenarien."
    Wer im Stau stehe, dem könne man nicht helfen. Und so hoffen die Verantwortlichen, dass die Bürger ihnen vertrauen - und zu Hause bleiben, wenn der Ernstfall eintritt.