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Katatarzyna Bonda "Der Rat der Gerechten"
Morde im Grenzland

Ein polnisch-weißrussischer Industrieller aus Hajnówka ist hochverdächtig: seine Ehefrauen verschwinden spurlos. Doch das größte Verbrechen in diesem Roman der polnischen Krimi-Autorin Katatarzyna Bonda führt in die Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg und ist historisch belegt.

Von Martin Sander | 11.07.2019
Buchcover: Katarzyna Bonda: „Der Rat der Gerechten“
Katarzyna Bonda - sie gilt als Königin des polnischen Kriminalromans (Foto: imago stock&people/Horst Galuschka, Buchcover: Heyne Verlag)
Kriminalromane von einheimischen Autoren fristeten in Polen lange Zeit ein Schattendasein in den Randzonen des Trivialen. Das hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt – nicht zuletzt durch Katarzyna Bonda. Bondas Kriminalromanewerden von der einheimischen Literaturkritik geschätzt, weil sie ein kritisches Bild der Gesellschaft zeichnen und in Abgründe der polnischen Geschichte führen. Katarzyna Bonda erklärt sich den Publikumserfolg so:
"Menschen, die von Kriegen, Armut und Krankheiten bedroht sind, benötigen keine Kriminalromane. Nehmen Sie zum Beispiel Russland: Dort verkaufen sich vor allem Kriminalkomödien. Ernste, harte Krimis braucht man nicht. In Polen gibt es hingegen keinen Krieg. Es gibt ein Grundgefühl von Stabilität. Unabhängig davon wollen wir in unserem Leben aber Emotionen aller Art erleben, nicht nur positive. Und einen Kriminalfall durchlebt man nun mal besser auf den Seiten eines Romans als in der Wirklichkeit."
Verschwundene Bräute
Ohne Zweifel gilt das für den mit viel Blut und Grausamkeit getränkten Roman von Katarzyna Bonda, der nun unter dem Titel "Der Rat der Gerechten" auf Deutsch vorliegt. Ort der Handlung ist die Kleinstadt Hajnówka im polnischen Nordosten unweit der weißrussischen Grenze. In Hajnówka spricht man zwei Sprachen, wobei viele weißrussische und polnische Einwohner der Stadt seit Generationen untereinander verwandt oder verschwägert sind.
In Hajnówka weiß man von einer Reihe von Verbrechen aus der näheren und ferneren Vergangenheit. Die meisten wurden nie aufgeklärt. Aktuell, im Jahr 2014, bereitet der steinreiche weißrussische Sägewerksbesitzer Piotr Bondaruk seine Hochzeit mit der 40 Jahre jüngeren, mittellosen Polin Iwona vor. In diesem Augenblick trifft Sasza, freiberufliche Fallanalytikerin aus Danzig, in Hajnówka ein – aus privaten Gründen. Sascha, Heldin mehrerer Bonda-Romane, unter Alkohol- und Beziehungsproblemen leidend, sucht den Vater ihres Kindes. Angeblich ist er Patient in der privaten Psychiatrie-Klinik der Stadt.
Währenddessen versetzt Bondaruks Hochzeit die örtliche Polizeichefin Krystyna Romanowska in Alarmzustand. Denn bereits frühere Bondaruk-Bräute sind nach der Hochzeit spurlos verschwunden. Bei der Vorbereitung ihres Einsatzes kommt der Polizeichefin allerdings ihr Untergebener und Ex-Gatte Kommissar Jahjah ins Gehege. Jahjah hat soeben im Wald Knochenreste aus der Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckt. Er vermutet, dass die Knochen von achtzig weißrussischen Männern, Frauen und Kindern stammen, die 1946 in den Dörfern bei Hajnówka ermordet wurden. Die Verantwortung für das Massaker trugen polnische Partisanen unter der Führung von Romuald Rajs, genannt Bury. Während des Krieges hatten sie für die polnische Unabhängigkeit gekämpft. Nach Kriegsende gingen sie mit der Waffe in der Hand gegen Kommunisten, aber auch gegen nationale Minderheiten und andere vor, die sie für Verräter der nationalen Sache hielten. Jahjah will dem historischen Massaker nachspüren. Die Polizeichefin Krystyna will sich damit nicht beschäftigten. Sie sorgt sich um die Sicherheit von Bondaruks jüngster Braut.
"Willst du schon wieder die ganze Stadt in Panik versetzen? Ausgerechnet jetzt, wo wir nicht mal genug Leute für diese verdammte Hochzeit haben?‘
Jahjah ließ nicht locker.
‚(…) Wir haben ein Massengrab aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. Die Sache erhitzt immer noch die Gemüter. Die Leute fordern weitere Exhumierungen. Es gefällt ihnen nicht, dass Burys Opfer auf einem katholischen Friedhof bestattet wurden.‘
‚Ich werde sofort zum Institut für Nationales Gedenken fahren, um für die Orthodoxen zu kämpfen‘, spottete Krystyna und verdrehte die Augen. ‚Gleich beginnt das Treffen im Restaurant Carska mit dem Bürgermeister, den Ratsmitgliedern und allen anderen Würdenträgern dieser Stadt. Und du kommst mir mit dem Zweiten Weltkrieg.
Es gibt wichtige Dinge und dringende Dinge, aber das konntest du ja noch nie unterscheiden. Nur zur Erinnerung: Wir sichern hier eine Großveranstaltung ab!‘"
Partisanenmord Zivilisten
Trotz aller Sicherheitsvorkehrungen verschwindet auch Bondaruks neue Frau Iwona von der Bildfläche. Die örtliche Polizei hat versagt. Auch Bondas Fallanalytikerin macht sich an den Fall, mal im Einvernehmen mit der Polizei, mal im Alleingang. Doch auch sie kommt nicht voran. Sie verliert sich auf Nebenschauplätzen oder macht sich sogar selbst verdächtig.
Es stellt sich heraus, dass es zwischen dem Verschwinden der Braut und verschiedenen Verbrechen der Vergangenheit, darunter auch dem Massaker von Burys Partisanen an den Weißrussen von 1946, Verbindungslinien gibt. Fast alle führen zum Bräutigam Piotr Bondaruk. Dieser Bondaruk ist im Besitz von Dokumenten, die zur Aufklärung der Geschehnisse von 1946 beitragen könnten. Damals, zwei Jahre vor seiner Geburt, war es sein leiblicher Vater gewesen, ein Pole, der seine weißrussischen Nachbarn an die Partisanen verriet – ohne sich der tragischen Folgen bewusst zu sein. Das Trauma überträgt sich auf den Sohn.
Die Verbrechen von Burys Partisanentruppe erscheinen bei Katarzyna Bonda als Urkatastrophe all dessen, was später in der Gegend geschieht. Das erzeugt eine eigene Spannung, zumal diese Verbrechen historisch verbürgt sind.
Für Katarzyna Bonda gehören diese Verbrechen zur eigenen Familiengeschichte. Ihre weißrussische Großmutter kam bei dem Massaker 1946 ums Leben. Bonda wuchs in der Schlussphase der polnischen Volksrepublik in Hajnówka auf, als die Erinnerung an die nationalpolnische und antikommunistische Partisanenvergangenheit tabuisiert war. In den vergangenen Jahren jedoch ist Hajnówka zum Aufmarschgebiet rechtsextremer Jugendlicher geworden, die die nationalpolnischen Partisanen als verfemte Soldaten verehren. Bury ist für sie eine nationale Ikone. Seine Verbrechen werden geleugnet und deren Opfer samt ihrer Nachfahren in Angst und Schrecken versetzt. Mehr noch: Vor einigen Wochen hat sogar das staatliche, vormals wissenschaftlich unangefochtene Institut für Nationales Gedenken Bury reingewaschen. Diese Behörde hat sich als neue polnische Geschichtspolizei in den Dienst der nationalistischen Regierung spannen lassen. Früher behandelte sie den Partisanenführer Bury als Kriegsverbrecher. Heute stilisiert sie ihn zu einem zu Unrecht in Misskredit gebrachten Helden. Katarzyna Bonda stützt sich in ihrem Roman auf die frühere Sicht der Dinge, die von unabhängigen Historikern nie in Zweifel gezogen wurde.
Schreiben gegen Geschichtsfälschung
"Im ‚Rat der Gerechten‘, gräbt sich meine Heldin Sasza zu dem Massaker an den Orthodoxen 1946 durch. Und das hat es ja wirklich gegeben. Ich habe dazu das Archivmaterial des Instituts für Nationales Gedenken genutzt. Darauf aufbauend erzähle ich dann von menschlichen Überresten, Schädeln und Knochen, die dort tatsächlich immer noch gefunden werden. Das geht so nicht aus dem Archivmaterial hervor. Wenn ich authentisches Geschehen in meiner Erzählung einsetze, hat das die Funktion eines Ankers, damit mein ganzes Boot nicht irgendwohin abdriftet. Der Leser soll wissen, dass ihm die Wirklichkeit nahe kommen kann."
Das tut sie auch – in einem mitunter nicht immer leicht zu durchschauenden Plot mit vielen Nebenschauplätzen und Zeitsprüngen. Auch die Polizei und Bondas Fallanalytikerin Sascha tappen vorzugsweise im Dunkeln. Den Überblick behält allein die Erzählerin.
Ihre Sprache im "Rat der Gerechten" ist schlicht. In den Dialogen der Ermittler herrscht eine für das Kriminal-Sujet charakteristische Schnoddrigkeit vor. Beides kommt in der Übersetzung von Saskia Herklotz und Andreas Volk gut zur Geltung. Spannend ist vor allem, wie sich in Bondas Figuren und ihren vielschichtigen Charakteren die jüngere polnische Geschichte spiegelt. Gerade in diesen Wochen und Monaten ist der Historiker-Streit über die Rolle Burys und anderer Partisanen erneut aufgeflammt. Dieser Kriminalroman liefert neuen Zündstoff.
Katarzyna Bonda: "Der Rat der Gerechten"
Aus dem Polnischen von Saskia Herklotz und Andreas Volk
Heyne Verlag, München. 704 Seiten, 17,50 Euro.