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Katholiken auf Kuba
Die Kirche hat überlebt

Im kommunistischen Kuba hatte es die katholische Kirche schwer. Nach der Revolution standen die Kirchen massiv unter Druck. Revolutionsführer Fidel Castro ist bekennender Atheist. Jetzt werden erstmals wieder Kirchen gebaut. Der Karfreitag ist wieder Feiertag. Wie steht es um die Beziehungen zwischen sozialistischer Führung und katholischer Kirche?

Von Anna Marie Goretzki | 29.06.2016
    In Havannas Stadtteil Guanabacoa hat die Gemeinde "La Divina Misericordia", einen Ort, der einer Kirche zumindest ähnelt.
    In Havannas Stadtteil Guanabacoa hat die Gemeinde "La Divina Misericordia" einen Ort, der einer Kirche zumindest ähnelt. (Deutschlandfunk/ Anna Maria Goretzki)
    Ein Blechdach schützt die Gläubigen vor der kubanischen Sonne. Rund 60 Menschen haben sich an diesem Sonntag in Havannas Stadtteil Guanabacoa eingefunden, um die sonntägliche Messe zu feiern. Wände gibt es keine. Erst seit sechs Monaten hat die Gemeinde "La Divina Misericordia", einen Ort, der einer Kirche zumindest ähnelt. Ein kleiner Tisch dient als Altar, die frische Meeresbrise droht immer wieder, die Altarkerzen auszulöschen. Ein einfaches Provisorium - aber immerhin eine immense Verbesserung, sagt Libertad Infante Ajete, ein Gemeindemitglied:
    "Früher haben wir in Innenhöfen Gottesdienst gefeiert. Mal hier, mal da. Irgendwann hat meine Mutter gesagt: 'Na ja, dann nehmen wir doch meinen Hof, um die Messe zu halten'. So sind 20 Jahre vergangen. Endlich ist es nun wahr geworden: Wir bekommen einen eigenen Ort, ein Grundstück, auf dem wir eine Kirche bauen können. Damit wir uns einfach treffen können, unseren Glauben frei leben können."
    Dass es diesen Ort nun gibt, ist noch alles andere als selbstverständlich für die Gemeindemitglieder. Das weiß auch Victor Filella Muset. Der spanische Pfarrer ist seit fünf Jahren auf Kuba:
    "Der katholischen Kirche anzugehören, bedeutete jahrzehntelang mit möglichen Einschränkungen leben zu müssen – Einschränkungen, die das Studium oder die Arbeit betreffen. Viele Menschen berichten von solchen Erfahrungen."
    Angst, als Katholik enttarnt zu werden
    Gemeindemitglieder seien in weit entfernte Stadtteile Havannas gefahren, um Gottesdienst zu feiern und in ihrem eigenen Viertel nicht als Katholik "enttarnt" zu werden. Zu groß war die Angst vor Schmähungen und Benachteiligungen.
    Schon bald nach dem Sieg der Revolution 1959 kam es zu Spannungen zwischen katholischer Kirche und der Führung des Landes. Viele Geistliche mussten die Insel verlassen, andere gingen freiwillig. Der Neubau von Kirchenbauten wurde verboten. Der Pressesprecher der kubanischen Bischofskonferenz, Félix Pérez, meint: Den Geistlichen sei die Idee des staatlich verordneten Atheismus ein Dorn im Auge gewesen; und die Revolutionsführer hätten in der katholischen Kirche eine Konkurrenz gesehen.
    "Vielleicht, wenn es nach dem Willen einiger Funktionäre gegangen wäre, gäbe es die Kirche nicht mehr. Aber es gibt sie noch: Sie hat überlebt und ist lebendig. Und sie wird immer wichtiger: auch wegen ihrer Sozialarbeit."
    Warum das kubanische Regime die Kirchen jahrzehntelang unterdrückt hat und jetzt eine vorsichtige Entspannung anbahnt - darüber will das Büro für religiöse Angelegenheiten beim Zentralkomitee der kommunistischen Partei nicht reden. Es war zu keiner Stellungnahme bereit.
    In Havannas Stadtteil Guanabacoa hat die Gemeinde "La Divina Misericordia", einen Ort, der einer Kirche zumindest ähnelt.
    Katholiken in Havannas Stadtteil Guanabacoa schöpfen wieder Hoffnung - nach jahrzehntelanger Unfreiheit unter dem Castro-Regime. (Deutschlandfunk/ Anna Maria Goretzki)
    Anders der Religionswissenschaftler Maximiliano Trujillo Lemes. Er erforscht seit Jahren an der staatlichen Universität von Havanna die Situation der katholischen Kirche auf der Insel. Er sagt, Anfang der 1960er Jahre sei von der Kirche eine Gefahr für den kubanischen Staat ausgegangen:
    "Allerdings hatte die Kirche in Kuba nie so viel Kraft, um hier eine schlagkräftige, antirevolutionäre Bewegung zu organisieren. Dafür fehlte ihr die soziale Basis. Denn die hatte sie im Bürgertum; und das war dabei, das Land zu verlassen. Und engagierte Katholiken aus den einfacheren Schichten entschieden sich für die Revolution und nicht für die Kirche."
    Die Wiederannäherung zwischen katholischer Kirche und Staat - dieser langwierige Prozess beginnt erst Anfang der 1990er, so Maximiliano Trujillo. Ein Schlüsselmoment in dieser Entwicklung ist aus Sicht des Wissenschaftlers der vierte Kongress der kommunistischen Partei im Jahr 1991. Danach durften Kirchenmitglieder auch Mitglied der kommunistischen Jugend und Partei werden.
    "Das, selbstverständlich, ist das Ende dieser Politik, Menschen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit zu diskriminieren. Die Einstellung aber, die dem zugrunde liegt, hat sich damit noch lange nicht geändert. Das bedeutete: Auch wenn es illegal war, jemanden wegen seines Glaubens zu diskriminieren - es konnte dennoch passieren."
    Religiöse Wiederbelebung
    In den 1990er Jahren durchlebt Kuba eine schwere Wirtschaftskrise. Sie führt, so Trujillo, zu einem Vertrauensverlust der Kubaner in die Symbole des Marxismus-Leninismus.
    "Das erklärt die religiöse Wiederbelebung, die in den Jahren 1992/93 einsetzt. Die Menschen wandten sich wieder dem zu, was sie lange heimlich gelebt und verdrängt haben - und jetzt wieder öffentlich zeigen konnten: ihre religiösen Gefühle."
    Vor allem seit 1998, seit dem Kuba-Besuch von Papst Johannes Paul II. haben sich die Beziehungen zwischen Staat und Kirche verbessert.
    So ist heute möglich, was jahrzehntelang unmöglich schien: dass das staatliche Fernsehen Gottesdienste überträgt und religiöse Prozessionen stattfinden. Oder, dass in der Gemeinde im Stadtteil Guanabacoa eine neue Kirche gebaut wird. Ihr Name ist kein Zufall: Juan Pablo II, Johannes Paul der II. Die Bauarbeiten sind im Gange. Es ist erst der zweite Neubau einer Kirche auf Kuba seit Beginn der Revolution.
    Ricardo Minguez, Gründungsmitglied der kleinen Gemeinde in Guanabacoa, führt über die Baustelle. Noch ist von der Kirche nicht viel zu sehen. Nur zahlreiche Eisenstangen, Holzpflöcke und kleine Gräben deuten die Umrisse der Kirche an.
    "Der Altar wird dort sein, dort drüben! Das hier ist unser Gebetsraum."
    Ricardo Minguez hofft, dass die Kirche in sieben bis acht Monaten eröffnet werden kann.
    Das hofft auch Amalia Márquez Ramirez. Sie ist erleichtert, dass es, seit sich die Beziehungen von Staat und Kirche normalisiert haben, wieder unproblematisch ist, einen Gottesdienst zu besuchen:
    "Vorher sind sieben oder acht Leute in die Kirche gegangen – und das war schon viel. Und wenn man raus kam, dann wurde man auf der Straße angeschaut, aufgeschrieben, im Viertel haben sie einen dafür geschnitten. Aber das ist jetzt vorbei. Gottseidank – jetzt sind wir frei."