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Katholische Kirche
Kirchenhistoriker: Papst könnte an Kurie scheitern

Die bisherigen Ankündigungen von Papst Franziskus sind "so etwas wie eine Revolution", sagt der Autor und Kirchenhistoriker Hubert Wolf im Deutschlandfunk. Allerdings könne passieren, dass am Ende die Beharrungskräfte der Kurie stärker seien und bestimmte Reformen deshalb scheiterten.

Hubert Wolf im Gespräch mit Christiane Kaess | 31.12.2013
    Papst Franziskus mit erhobener Hand beim traditionellen Segen Urbi et Orbi am ersten Weihnachtsfeiertag in Rom
    Papst Franziskus spendet den traditionellen Segen Urbi et Orbi (dpa / Ettore Ferrari)
    Christiane Kaess: Ausgerechnet am Rosenmontag, die Karnevalszüge rollten gerade durch Deutschland, da platzte die Nachricht in den Tag: Der Papst tritt zurück! Viele hielten das für einen Karnevalsscherz, aber es war keiner. Und es war, wie sich später herausstellte, auch nicht das erste Mal in der Kirchengeschichte, dass ein Papst zurückgetreten ist. Aber weil der letzte Rücktritt 1294 stattfand, schien der Rücktritt von Papst Benedikt XVI. revolutionär. Was damals noch niemand ahnen konnte, es sollte noch viel außergewöhnlicher kommen. Der Nachfolger von Benedikt, Papst Franziskus, will die katholische Kirche vollkommen umkrempeln, glauben Beobachter. Am Telefon ist der Kirchenhistoriker und Autor Hubert Wolf – guten Morgen!
    Hubert Wolf: Guten Morgen!
    Kaess: Herr Wolf, wo hat Sie denn am 11. Februar die Nachricht erreicht, dass Papst Benedikt XVI. zurücktritt?
    Wolf: Bei einem Spaziergang hier in Münster im Wienburgpark, als mich ein Journalist vom ZDF anrief und mir sagte, was ich denn dazu nun sagen wolle. Also, ich war nun so richtig auf dem linken Fuß überrascht, wenn auch sich gewisse Anzeichen abgezeichnet haben, dass es möglicherweise in die Richtung gehen könnte, hat es mich dann doch am Schluss richtig auf dem linken Fuß erwischt.
    Kaess: Was haben Sie gedacht in dem Moment?
    Wolf: Zunächst habe ich gedacht, kann eigentlich nur jemand machen, der ein Intellektueller ist so wie Josef Ratzinger, der sich selber über die Schulter gucken kann und irgendwann dann sagt, okay, es ist genug, ich bin dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen und ich trete zurück. Also jemand, der nicht irgendwie sich an das Amt klammert, sondern der in eine Distanz zu sich selber treten kann. Das hat für mich so was zu tun gehabt mit sehr hohem Respekt. Das war das Erste.
    Kaess: Spricht das auch für ein anderes Amtsverständnis, das er hatte, im Vergleich zu seinen Vorgängern?
    Wolf: Ich glaube nicht, dass es für ein anderes Amtsverständnis spricht, sondern es ist der Mensch Josef Ratzinger, der die ganze Sache in Bezug auf sich anders beurteilt, weil ja, so verrückt es klingt, das höchste Amt in der katholischen Kirche ist ja kein Sakrament. Also, wenn Sie Priester werden oder Bischof, ist das Ganze ja verbunden mit einer Weihe, einem sakramentalen Akt. Das ist ja beim Papst-Amt nicht der Fall, da gibt es keine Papstweihe. Das ist also eine Übertragung und deshalb ein Amt, das nicht lebenslänglich verliehen ist, sondern von dem man durchaus auch zurücktreten kann. Vielleicht hat der Theologe Josef Ratzinger das etwas gründlicher reflektiert als manche seiner Vorgänger.
    Kaess: Jetzt hat der neue Papst Franziskus eine ganz andere Auffassung von Kirche, und er sieht sie als Vertreter der Armen. Je mehr man über ihn jetzt weiß und je mehr man ihn beobachtet, desto mehr stellt sich die Frage, wie konnte denn so einer von überwiegend konservativen Kardinälen gewählt werden?
    Wolf: Ich denke, die Situation am Ende des Pontifikats von Benedikt XVI., die Situation nach all diesen Missbrauchsdiskussionen in sehr unterschiedlichen Ländern des Katholizismus und vor allem die Situation in der Kurie selber, mit Vatileaks und all dem, was da passiert ist, hat einfach danach verlangt, dass die entscheidende Botschaft hinter all dem wieder zum Vorschein kommt. Und deshalb haben die den gewählt, dem sie ja beim letzten Konklave die Mehrheit noch nicht gegeben hatten, der aber, wie man hört, damals hinter Josef Ratzinger der Zweitplatzierte war. Also, er war durchaus schon im Gespräch, Borgoglio, und ich denke, das ist ein sehr mutiger Schritt, mal jemand von der anderen Seite der Welt, von außen, von der Peripherie sozusagen ins Zentrum reinzuholen und dadurch den Blick für die entscheidenden Dinge mal wieder zu öffnen.
    Kaess: Sie sind ja selbst Priester. Hätten Sie sich schon länger einen Papst wie Franziskus gewünscht?
    Wolf: Ich finde, es ist an der Zeit, dass diese Dimension, die es ja in der Kirchengeschichte immer gab - also es ist ja so, dass wir immer eine Spannung haben zwischen einer mehr auf das Amt, mehr auf die Macht, mehr auf die Herrschaft konzentrierten Kirche und einer Kirche, die sich wirklich den Armen, es steht ja auch so im Evangelium - insofern wäre das für mich durchaus schon früher dran gewesen. Allerdings bin ich überrascht, dass jemand sich Franziskus nennt, denn der Heilige Franziskus, der ja zunächst so ein bisschen harmlos daherkommt, ist eigentlich eine revolutionäre Gestalt.
    "Er hat auf jeden Fall mal einen ganz neuen Stil etabliert"
    Kaess: Und ist es dieser Papst auch, dieser Papst Franziskus, ist er revolutionär?
    Wolf: Von dem, wie er auftritt, hat er auf jeden Fall mal einen ganz neuen Stil etabliert. Und ich meine, in dem, was er uns in seinem neuesten apostolischen Schreiben gesagt hat, mit dieser sehr harschen Kritik am Kapitalismus, was ja manche auch beunruhigt hat, das ist schon so was wie eine Revolution. Nur - bleibt es nur beim Stil oder werden wirklich die Reformen durchgeführt, die dringend notwendig sind, also die Reformen im Bezug auf die Kurie, aber auch mal die Frage, muss eigentlich alles in Rom entschieden werden. Er hat ja selber bezeichnenderweise sich, als er auf den Balkon trat, als Bischof von Rom bezeichnet, nicht als Papst. Und da könnte ja eine Tendenz drin sein, zu sagen, okay, die Ortskirchen, die Kirchen vor Ort, die Bischöfe, die einzelnen Diözesen bekommen mehr Kompetenz. Das wäre ja schon mal ein ganz entscheidender Schritt, zu sagen, die Dinge werden dort gelöst, wo sie entstehen. Lateinamerikanische Fragestellungen sind mitunter andere als Fragestellungen in Deutschland.
    Kaess: Wenn wir jetzt über diese Reformen sprechen - man liest ja auch, dass im Vatikan Franziskus ganz und gar nicht nur Freunde hat. Was spielt sich da ab, und welcher Widerstand schlägt ihm da entgegen?
    Wolf: Wenn Sie die Geschichte anschauen, ist doch klar: Sie haben eine Institution, einen Apparat, der in der Kurie sitzt und der natürlich relativ viel Macht angesammelt hat. Jetzt kommt einer, der möglicherweise bereit ist, zu sagen, wir müssen nicht alles hier in Rom entscheiden. Das heißt, da haben Sie natürlich Seilschaften wie in jeder Bürokratie. Da haben sie Seilschaften der Beharrung. Und deshalb ist es, glaube ich, ganz spannend zu sehen, ob dieser Papst das Schicksal von, sagen wir mal, Obama erleidet. Also, er hat große Ankündigungen, er gilt als Reformer, er will etwas umsetzen, aber am Schluss kann es sein, dass die Beharrungskräfte der Kurie eben doch sehr stark sind und dass bestimmte Reformen eben nicht durchgeführt werden.
    Kaess: Eine Kritik an ihm ist ja, er wirft dem Klerus mehr Sünden vor als den Nichtgeistlichen. Ist er damit tatsächlich nur gut für das Ansehen der Kirche?
    Wolf: Erst mal ist doch wichtig, dass die Hirten, die ja mit einem sehr hohen Anspruch auftreten und natürlich auch als diejenigen auftreten, die die Herde leiten sollen, dass die natürlich auch mit einem sehr hohen Maß gemessen werden. Und sagen wir mal, der waltenden Hierarchie den Spiegel vorzuhalten, ich glaube, das tut lange mal not. Denn wir haben ja gesehen, dass die Probleme, vor allem auch vom Klerus her und von Rom her und von der Kurie her kamen und weniger jetzt von unten.
    Kaess: Ist es ein Skandal, dass die katholische Kirche reich ist, und hätte der Fall des Bischofs Tebartz-van-Elst nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen, wenn der Papst nicht eine neue Richtung eingeschlagen hätte?
    Wolf: Mir ist das zu undifferenziert - "die katholische Kirche ist reich" - ich meine, die Kirche hat in unterschiedlichen Ländern ganz unterschiedliche Möglichkeiten. In Deutschland hat sie sehr große finanzielle Möglichkeiten, die sie allerdings auch entsprechend einsetzen muss. Und dass natürlich ein Papst, der die Linie des Armutsideals aus der Kirchengeschichte wieder stärker macht, dass man dann natürlich so einen Fall wie Tebartz-van-Elst noch kritischer sieht, als man ihn ohnehin schon gesehen hätte, auch ohne Franziskus, liegt meiner Meinung nach auf der Hand. Aber man sollte, glaube ich, jetzt nicht so undifferenziert einfach das eine gegen das andere ausspielen. Die Kirche hat Möglichkeiten, und sie muss diese Möglichkeiten für die Menschen einsetzen. Das ist das Kriterium des Reichtums, die Sozialpflichtigkeit von Einkommen.
    Kaess: Sagt der Kirchenhistoriker und Autor Hubert Wolf. Danke für das Interview, Herr Wolf.
    Wolf: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.