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Katholische Kirche und Missbrauch
"Da muss sich etwas verändern, wenn man glaubwürdig Kirche sein will"

Deutschlands katholische Bischöfe treffen sich in Fulda. Um Konsequenzen aus der Missbrauchsstudie zu ziehen, haben sie sich eine Reformdiskussion verordnet. Lisi Maier vom Bund der Katholischen Jugend wundert sich, dass manche so tun, als würde beten genügen.

Lisi Maier im Gespräch mit Christiane Florin | 23.09.2019
Lisi MAIER, Vorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend, Gemeinsam fuer gelebte Demokratie - Kongress der Allianz fuer Weltoffenheit im Maternushaus Koeln, 04.05.2017 Lisi Maier Chairman the Confederation the German Catholic Youth together for Living Democracy Congress the Alliance for Cosmopolitanism in Cologne 04 05 2017
Lisi MAIER Vorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (imago stock&people; imago images / Sven Simon)
Christiane Florin: Im Herbst treffen sich die katholischen Bischöfe traditionell in Fulda. Vor einem Jahr haben sie eine große Studie zu sexualisierter Gewalt präsentiert, die MHG-Studie. Dieses Jahr soll es darum gehen, welche Konsequenzen die Institution daraus ziehen will, ob und was sich zum Beispiel am Machtgefüge und an der Lehre verändern muss. Dafür wurde das ebenso Ehrfurcht einflößende wie rätselhafte Wort "synodaler Weg" gefunden. Wir haben in der Sendung schon versucht zu ergründen, was das sein soll. Lisi Maier diskutiert bei diesem Weg mit. Sie 35 Jahre alt und Vorsitzende des Bundes katholischer Jugend, BDKJ. Ich habe sie zunächst gefragt, warum Sie sich – untypisch für ihre Altersgruppe – in der katholischen Kirche engagiert.
Lisi Maier: Ich komme schon aus sehr volkskirchlichen Bezügen, also aus einem Dorf, wo über 90 Prozent Katholiken/innen leben und durfte damals, als ich zehn, elf war, nicht Ministrantin werden, weil das bei uns ja noch nicht möglich war, dass Mädchen Ministrantinnen werden, sondern es war eine reine Jungsangelegenheit, und das hat mich ziemlich geärgert gehabt. Das war auch der Grund, warum ich zur Jugendverbandsarbeit dann gekommen bin, weil das sozusagen der Ort war in Kirche, wo ich dann auch Gottesdienste gefeiert habe und, ich sage jetzt mal, alle für mich wichtigen Glaubenserfahrungen mitgestalten durfte. Das waren für mich ganz zentrale Erfahrungen.
"Breite Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit"
Florin: Sie gehören einer Gruppe an, die den synodalen Weg vorbereitet vorbereitet. Der synodale Weg hat vier Schwerpunktthemen, nämlich Macht, Sexualmoral, priesterliche Lebensform und die Rolle der Frau. Sie sind aber nicht in der Gruppe, die sich mit den Frauen beschäftigt, sondern in der Gruppe Sexualmoral. Worüber reden Sie da?
Maier: In dem Forum Sexualmoral ist es ein total wichtiger Aspekt, dass wir uns damit auseinandersetzen, wie die Frage von Segnung von homosexuellen Paaren eine Rolle spielen kann, wie die Sexualmoral der katholischen Kirche von den Laien betrachtet wird, was sich da auch für Veränderungen ergeben müssen. Es besteht in der Sexualmoral der katholischen Kirche eine breite Kluft zwischen den Laien in der Kirche oder den Gläubigen und den Ansprüchen, die sich aus der Sexualmoral der katholischen Kirche ergeben. Wie passt das eigentlich zusammen? Es passt eigentlich oftmals nicht mehr.
Da haben wir auch in den letzten Jahren immer wieder Studien gehabt, die gezeigt haben, dass junge Menschen mit der Sexualmoral der katholischen Kirche eigentlich so gut wie nichts mehr anfangen können. Es gibt aber bestimmte Werte, die katholische, christliche Wertevorstellungen sind, denen wird eigentlich sehr viel Wert zugemessen. Da hat sich die Frage gestellt, wie man das zusammenbringen kann und wie man die Sexualmoral an eine Realität heranführt, sodass es Menschen Orientierung geben kann. Aktuell ist die Kluft so groß, dass es meines Erachtens schwierig ist, in dieser starren Perspektive Menschen auch Orientierung zu geben.
"Der Druck ist groß"
Florin: Aber die Kluft ist nicht nur aktuell groß, die ist seit 50 Jahren groß. Man kann den Beginn ja datieren auf die Enzyklika Humanae vitae von 1968. Also die, die heute, sagen wir mal, 70 sind, 75 sind, haben ja damals gegen diese Enzyklika, gegen das Verbot von Verhütungsmitteln protestiert, auch auf Katholikentagen zum Beispiel. In Essen war das ja ein großes Thema. Was gibt Ihnen Hoffnung, dass sich das, was sich in 50 Jahren nicht verändert hat, jetzt verändert?
Maier: Ich kann das total nachvollziehen, weil das natürlich ich das auch von meinen Eltern weiß und so weiter, das die Kluft seit vielen Jahrzehnten schon groß ist. Ich würde schon sagen, dass mir gerade zwei Dinge auch ein Stück weit Hoffnung geben in dem Kontext: Zum einen ist es so, dass der Druck einfach groß ist. Die Ergebnisse der MHG-Studie haben auch gezeigt, dass dieser verkrampfte Umgang mit Sexualität und mit der, ich sage jetzt mal, gefühlten Nicht-Wertschätzung von dieser gelebten Liebe, egal ob jetzt zwischen heterosexuellen oder homosexuellen Paaren, dass das auch mitschwingt natürlich in der Frage, wie geht man mit Sexualität um, in der Frage, wie beschreibt man positive Sexualität, was wir ja zum Beispiel auch in unseren pädagogischen Konzepten tun, um junge Menschen stark zu machen.
Das Zweite ist, dass ich schon auch erlebe, dass in diesem Forum sehr offen und sehr positiv diskutiert wird. Auch von den bischöflichen Akteuren erlebe ich eine sehr proaktive, eine Auseinandersetzung mit Themen, wo auch gerade Hauptstadt-Bischöfe zum Beispiel oder Großstadt-Bischöfe merken, dass es Themen gibt, die ihre Gläubigen umtreiben, wo sie sich Gedanken machen, wie was das das bedeuten kann, gerade bezogen auf das Thema. Ich glaube, dass die Frage eben gerade bezogen jetzt auf unsere Forderung der Segnung homosexueller Paare oder gleichgeschlechtlicher Paare, dass es auch ein Punkt ist, wo ich zumindest auch Hoffnung habe, dass wir da ein Stück weit weiter vorangehen können.
Florin: Es gibt eine Gruppe - die Zahl lässt sich schwer fixieren, der Prozentsatz lässt sich nicht benennen, es gibt keine empirischen Studien dazu -, aber es gibt jedenfalls eine nicht ganz kleine und sehr laute Gruppe, die den synodalen Weg stark kritisiert, die auch die Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der Katholiken kritisiert. Die fühlt sich nicht vertreten und ein wichtiger Punkt ist gerade die Sexualmoral. Die Position dieser Gruppe von Katholikinnen und Katholiken ist: Wenn jetzt auch noch die katholische Kirche so permissiv wird, wenn sie so viel erlaubt wie der Rest der Gesellschaft, wenn die Kirche sagt: "Es ist im Grunde ganz gleichgültig ist, ob ihr verheiratet seid und Sex habt oder ob ihr nicht verheiratet seid, ob ihr heterosexuell seid oder homosexuell, ist alles gleichgültig, Hauptsache die Werte stimmen", dann gibt die katholische Kirche einen Markenkern auf. Wie stehen Sie dazu?
"Das geht tief ins Mark"
Maier: Also ich glaube, dass der Markenkern ein anderer ist, und zwar, dass er sich nämlich genau auf die Frage auch von Werten auch beziehen muss und soll und ich glaube ehrlich gesagt auch, dass diese Gruppe, die Sie gerade angesprochen haben, die sagt das ja nicht nur bezogen auf die Sexualmoral, sondern da geht es genauso um die Frage: Kommen wir weiter in Bezug auf die Rolle der Frau? Kommen wir weiter in Bezug auf Macht und Gewaltenteilung innerhalb der kirchlichen Struktur? Mich ärgert es wirklich sehr, dass man nach dem, was im September 2018 von wissenschaftlicher Seite auch noch mal benannt worden ist, ein Jahr später wieder auf den Trichter zurückkommt und sagt: Wir müssen eigentlich gar nichts verändern. Wir müssen nur mehr glauben oder beten und dann wird sich die Problematik der sexualisierten Gewalt und der Strukturen erledigt haben. Sexualisierte Gewalt wurde in unseren Strukturen begünstigt. Dass man das jetzt negiert oder so tut, als müsste man da nichts verändern und das ärgert mich wirklich. Ich finde, das ist nicht nur ein kirchenpolitischer Anspruch, sondern das geht wirklich ins Mark oder das muss uns ganz, ganz tief auch betreffen, dass man sagt, man hat jetzt den Anspruch, da auch entsprechend was zu verändern und aufzuräumen.
Florin: Sitzen Vertreter dieser Gruppe, also Leute, die sagen, wir sollen eigentlich gar nichts verändern, bei Ihnen mit am Tisch?
Maier: Ja, mehr sage ich nicht.
Florin: Und die Diskussionen sind hart? Ist da überhaupt ein Weg, ein Kompromiss möglich?
Maier: Ich hoffe es, dass dann ein Kompromiss auch möglich ist. Ich nehme zumindest wahr, dass man sich mit einer gewissen Offenheit begegnet, aber ich glaube trotzdem, dass deutlich wird, genau das, was Sie gerade geschrieben haben, dass ein Großteil der Gläubigen sich eine Veränderung wünscht.
"Mich ärgert der Hinweis auf die Weltkirche"
Florin: Vieles, worüber wir jetzt gesprochen sind, sind lehramtliche Entscheidungen, Entscheidungen, die in Rom getroffen werden müssen. Ob sich die Sexualmoral verändert, ist eigentlich Thema einer Enzyklika als einer nationalen Synode. Was kann rauskommen bei diesem synodalen Weg?
Maier: Also, ich glaube wirklich, dass es wichtig ist, klare Vereinbarungen jetzt zu treffen, dass Veränderungen in den Diözesen dann entsprechend umgesetzt werden. Das Zweite ist natürlich, dass es eine Erwartung ist, dass die Bischöfe auch die Dinge, die weltkirchlich verändert werden müssen, nach Rom transportieren. Mich ärgert immer der starke Hinweis auf die weltkirchlichen Strukturen, insbesondere wenn es um die Frage von Frauenweihe geht oder Frauenpriestertum. Da ärgert mich natürlich schon, dass wir immer wieder dieses Thema voranschieben, dass die weltkirchliche Meinung oder dass die anderen Diözesen in der Welt eine andere Position oder Haltung haben. Aber gerade Frauen in patriarchalen unfreien Gesellschaften werden da vorangestellt. Dass dort die Männer sagen, dass Frauen nicht Priesterinnen werden können, ist mir schon auch klar. Aber sollen wir denn dann sagen, die Frauen in Deutschland, in Europa, die sollen mit ihren Schwestern mitleiden? Oder sagen wir: Wir solidarisieren uns mit den Frauen in diesen Gesellschaften und erkämpfen sozusagen da auch eine Gleichberechtigung? Die erarchte ich eigentlich als notwendiger denn je, wenn wir uns auch auf die Dinge fokussieren, die die Kirche ja auch immer wieder als ihre Aufgaben sieht, also für diejenigen einzustehen, die entrechtet sind, die am Rand stehen.
Florin: Ist es überhaupt wirklich so, dass die Forderung nach Gleichberechtigung nur ein deutsches oder nur ein westliches Thema ist oder erleben Sie nicht auch in anderen Ländern, dass junge Leute sagen, das wollen wir auch erreichen für unsere katholische Kirche in einem Land Lateinamerikas oder in einem afrikanischen Land?
Maier: Natürlich erleben wir das, dass die jungen Leute das gerade im Austausch mit uns auch noch mal deutlich machen und sagen, aber sie sagen es nicht, wenn die Hierarchien dabei sind. Mich ärgert total, dass bezogen auf die Amazonas-Synode damals die Päpstliche Kommission herausgestellt hat, dass die katholische Kirche um Verzeihung bittet für alle Situationen, in denen sie Komplizin, glaube ich, lautete es, war, wenn es um Anschläge geht auf die Würde der Frau. Mich ärgert es wirklich, dass dieses Thema jetzt gerade mit Bezug auf die Amazonas-Synode nicht größer auf der Agenda steht. Ich würde schon sagen, nicht nur für mich, sondern für junge Menschen in vielen Ländern dieser Erde spielt es eine große Rolle, auch die Frage von Gleichberechtigung in innerkirchlichen Strukturen, aber eben auch in den jeweiligen Gesellschaften, also da muss sich etwas verändern, wenn man glaubwürdig Kirche sein will, und im staatlichen Kontext kann man nicht dafür kämpfen, dass sich was verändert, wenn man selber das nicht vorlebt, aber wenn man jetzt sagt, die Amazonas-Synode, die wird in Bezug auf viri probati einen echten Vorstoß leisten, dann denke ich mir: Schön für die Männer, aber ich möchte jetzt auch mal einen Vorstoß für die Frauen.
Post aus Rom. Und was jetzt?
Florin: Vor gut einer Woche wurde bekannt, dass der Vatikan interveniert und einen Brief an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz geschrieben hat. Der Vatikan hat Zweifel daran angemeldet, dass dieser synodale Weg der richtige ist, dass der kirchenrechtlich in Ordnung ist, außerdem wurde moniert, die Laien hätten viel zu viel mitzureden und man könne ja sowie keine weltkirchlich relevanten Entscheidungen fassen als nationale Kirche. Was verändert dieser Brief?
Maier: Also, unseres Erachtens ist es erst mal so, dass der Brief bewusst oder unbewusst was ganz anderes beschreibt, nämlich ein Partikularkonzil und dafür müsste man dann auch andere Regelungen treffen. Also, da ist es kirchenrechtlich so bestimmt, das dann auch nur die Bischöfe Entscheidungsmacht haben, aber gerade ein solches Konzil wollte man nicht, also zumindest nicht von der Mehrheit der Deutschen Bischofskonferenz. Ich sage jetzt mal schon, viele Gläubigen erwarten weiterhin nach den Ergebnissen der MHG-Studie, die ja erst vor einem Jahr, ich komme wieder darauf zurück, uns viele Dinge mit auf den Weg gegeben hat, was sich verändern muss, und das nicht nur in Deutschland, sondern eben auch an unterschiedlichen Stellen in der katholischen Kirche weltweit, dass daran weitergearbeitet wird und dass es Konsequenzen haben muss. Ich glaube deshalb schon, dass dieser Prozess jetzt halt konsequent weitergegangen werden muss und man dann auch die Bischöfe beauftragen kann als Laien hier in Deutschland, dass sie diese Dinge auch weltkirchlich einbringen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.