Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Kathryn Bigelows neuer Film
Politisches Actionkino über Detroiter Rassenunruhen

In ihrem neuen Film "Detroit" rekonstruiert Regisseurin und Oscar-Preisträgerin Kathryn Bigelow die Detroiter Rassenunruhen von 1967. Ihr Kammerspiel um eine wahre Polizeirazzia gegen Schwarze mit tragischem Ende ist mitunter schwer erträglich, aber eben genau der richtige Film für diese Zeit.

Von Rüdiger Suchsland | 23.11.2017
    Dreharbeiten zu "Detroit": Der Film der Regisseurin Kathryn Bigelow thematisiert die Rassenunruhen in Detroit 1967.
    Am Ende des Films sind drei von ihnen tot: Kathryn Bigelows "Detroit" erzählt eine realen Zwischenfall von den Detroiter Rassenunruhen nach, bei dem Polizisten elf schwarze Hotelgäste misshandelten. (imago / Anapurna / Anthony Mackie)
    "Let's not be stupid in this situation. You need to tell me where the gun is. I got all night, people. Tell me exactely what is going on here!"
    "I need you to survive the night."
    Es ist eine überaus brutale Szene: Ein Hotel in Detroit im Juli 1967, es ist Nacht. Eine Handvoll Polizisten hat gerade einen Einsatz in einem kleinen Hotelgebäude durchgeführt. Sie haben alle Bewohner der Zimmer, neun schwarze Männer und zwei weiße Frauen, im Flur nebeneinander aufgereiht, mit dem Gesicht zur Wand und den Händen nach oben.
    Es begann als Albtraum, und steigerte sich zu einem Höllentrip. Die elf unschuldigen Hotelgäste wurden von den Polizisten aus Sadismus, Rassismus und Frauenfeindschaft die ganze Nacht über seelisch wie körperlich gequält - am Ende der Tortur sind drei von ihnen tot, weitere lebenslang traumatisiert.
    Diese empörenden Verbrechen sind historisch belegt und in den USA unter dem Namen "Algiers Motel Incident" bekannt.
    Atmosphäre von 1967 anschaulich hergeleitet
    Vorausgegangen waren ihnen tagelange gewalttätige Rassenunruhen in den Schwarzenvierteln von Detroit, die von der Polizei nicht weniger brutal niedergeschlagen wurden - das alles darf nichts entschuldigen, es erklärt aber die Atmosphäre, in der das alles überhaupt möglich war:
    Nachrichtenstimme: "Here in Detroit a city of war ... the city's west side, a 150 block area is off limits for everybody. US-army paratroopers, national guardsmen, state and local police ... are continuing the fight against a handful of snipers."
    1967, die amerikanische Bürgerrechtsbewegung hat ihren Höhepunkt erreicht. Nicht zuletzt war sie auch eine Bewegung der Schwarzen, die für die überfällige Gleichberechtigung kämpften.
    Kathryn Bigelows Film erinnert in seiner Eingangssequenz an die Geschichte der amerikanischen Schwarzen seit der Sklavenbefreiung des 19. Jahrhunderts: Die Migration von den Südstaaten in den Norden, von den Baumwollfeldern in die Fabriken der Industrie, die Verdrängung in die Ghettos, die Marginalisierung, die Segregation.
    Keine Stars, trotzdem tolle Darsteller
    In Bussen, Kneipen, Restaurants herrschte Rassentrennung, in den Stadtvierteln Aggression und Verbrechen. Im Sommer 1967 explodierten die Situation.
    "It's a warzone out there. They are destroying the city."
    Bigelow rekonstruiert diese vergessene Episode aus der Geschichte der westlichen Demokratien als dynamisches Herzschlagkino.
    Die Regisseurin arbeitet mit bewegter, sehr naher, subjektiver Kamera und schnellen Schnitten. Sehr bewusst hat sie auf Stars und bekannte Darsteller verzichtet. Es sind tolle Unbekannte, die hier große Auftritte bekommen, wie John Boyega und Will Poulter.
    "Detroit" zeigt beispielhaft, was politisches Actionkino bedeuten kann: Ihr Film ist ein spannendes, unterhaltsames Lehrstück, in dem Täter und Opfer, Schuldige und Unschuldige immer klar sind, in der man aber beide Seiten versteht, und die Grautöne dominieren.
    Kino, das haargenau in unsere Zeit passt
    "Detroit" ist ein brutales Kammerspiel, dem öffentliche Aufklärung und Gerichts-Prozess wie ein Epilog folgen, der vor allem dazu dient zu zeigen, dass die Täter auch vor Gericht nicht verurteilt wurden - obwohl die Polizeiführung genau wusste, was ihre Leute getan hatten, und die Täter danach aus dem Verkehr zog.
    "Detroit" ist insofern in seinem Zentrum ein Film über die Perversion von Recht und Gesetz.
    Indem sie diese empörenden Vorgänge in all ihren schockierenden Details nacherzählt, hat Bigelow zudem einen sehr aktuellen antirassistischen Film gedreht. Dies ist Kino, das haargenau in unsere Zeit passt, und jenen Rassismus zeigt, der nicht nur in den USA bis heute Alltag ist, sondern auch in Europa und Deutschland sehr schnell abrufbar ist, wenn es um dunklere Hautfarben, um andere Religionen geht.
    Zugleich nimmt sich Bigelow jenseits des Spannungskinos und seiner Gesetze Zeit, vor dem Publikum einige Facetten der genuin schwarzen Kultur Amerikas zu entfalten.
    Schwer erträglich, aber auch nachwirkend
    Dies ist ein herausragend inszenierter, überaus dichter Film geworden. Hart, und mitunter schwer erträglich - aber eben auch eindringlich und nachwirkend. Ein Meisterwerk der Inszenierung.