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Katrin Göring-Eckhardt auf Wahlkampftour
Zurück zu den Wurzeln

Die Grünen stecken im Umfragetief und zittern um ihre politische Zukunft. Kämpfen, raus aus der Berliner Blase und ins Gespräch mit den Leuten kommen, damit will Spitzenkandidatin Karin Göring-Eckhardt punkten und geht im Wahlkampf in rustikalen Gaststätten auf Tuchfühlung mit der Basis.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 28.04.2017
    Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt, spricht am 03.03.2017 zu Beginn des Landesparteitags ihrer Partei in Dresden (Sachsen) zu den Delegierten.
    Als einzige Frau in der ganzen Partei hat sich Kathrin Göring-Eckardt um die Spitzenkandidatur beworben (dpa / Sebastian Kahnert)
    "Daniel?! Wo ist denn bloß Daniel?"
    "Ja, wo steckt er denn bloß. Da ist nun endlich mal hoher Besuch aus Berlin zu Gast im beschaulichen Regensburg, und dann diese Trödelei…"
    "Jürgen, Jürgen… Du musst auch noch herkommen!"
    Grüner Wahlkampf in einer rustikalen Keller-Gaststätte in der Regensburger Altstadt. Der grüne Parteinachwuchs umschwirrt seine Spitzenkandidatin wie ein Bienenschwarm den Honig. Alle wollen aufs Gruppenfoto mit Katrin Göring-Eckardt. Dass auf dem Bild kaum Frauen sind, stört den Gast aus Berlin allerdings. Ach so, sie selber ist ja im Bild:
    "Aber nur Männer?! Habt Ihr nicht noch eine Frau? Du?! Ach so, ich bin ja da. Deswegen ist es doch gut, dass Du da bist und nicht Cem!"
    Als einzige Frau in der ganzen Partei hat sich Kathrin Göring-Eckardt um die Spitzenkandidatur beworben, damit hatte sie den Platz quasi sicher – aber ob das für sie ein Vorteil ist, steht in Frage. Toni Hofreiter steht für den linken Parteiflügel, Robert Habeck ist das frische, umfrageverwöhnte Gesicht aus dem Norden, und Cem Özdemir punktet mit seiner Erdogan-Schelte. Kathrin Göring-Eckardt sucht noch nach eigenen Duftmarken: Ihre ostdeutsche Identität betont sie oft, und wie wichtig ihr Europa und der Wert der Freiheit sind. Doch all das zündet zunächst nicht. Der Abend in der oberpfälzischen Provinz beginnt zäh:
    "Bin ich jetzt schon dran?"
    Nicht Umfragewerte sondern Sachfragen zählen
    Göring-Eckardt steht – in einem kleinen Viereck, um sie herum Stuhlreihen mit viel jungem Publikum. Die Kandidatin spricht gegen Atomkraft, für Klimaschutz und Elektroautos. Alle im Saal sehen es genauso, und doch kommt der erste Applaus erst nach fast zwanzig Minuten.
    "Ja, jetzt Bühne frei für Sie, für Ihre Fragen…"
    "Ich hab mir vor allem das Thema umweltfreundliche Mobilität angeschaut. Mein Schwerpunkt."
    Toni Brammer, 67 Jahre alt und seit Jahrzehnten bei den Regensburger Grünen aktiv, vermisst gleich drei entscheidende Dinge im Entwurf des grünen Wahlprogramms: Ein klares Wort gegen die Pkw-Maut und ein weiteres gegen die von Toni Brammer verhassten Gigaliner.
    "Und als kurzfristige Maßnahme vermisse ich da drin, dass dieser Diesel-Dreck wenigstens genauso besteuert wird wie Benzin. Ist ja wohl das Mindeste!"
    Die Mikrofon-Anlage spuckt immer wieder verzerrte Fragen aus, und dennoch genießt Göring-Eckardt es, hier in der Provinz einmal nicht mit schlechten Umfragewerten, sondern mit Sachfragen konfrontiert zu werden:
    "Es macht Spaß. Es strengt insofern an, dass es positive Anstrengung ist, aber… ne, das macht total Spaß."
    Ins Gespräch mit Leuten kommen
    Kämpfen, raus aus der Berliner Blase und ins Gespräch mit den Leuten kommen, damit wollen die Bundes-Grünen trotz miserabler Prognosen wieder Land in Sicht bekommen. Besonders vor der wichtigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, wo die Grünen inzwischen Angst haben, aus dem Landtag zu fliegen. In Regensburg fragt danach kein Mensch. Auch Koalitionsüberlegungen spielen kaum eine Rolle. Dann kommt Harald Klimenta aus der zweiten Reihe dran. Und geht doch noch hart ins Gericht mit den Grünen:
    "Machen die Grünen sich da noch Gedanken?! Denn es gab ja auch schon mal so wachstums-kritische Diskurse bei den Grünen. Gibt’s die noch? Ich vermisse das so’n bisschen. Und wenn wir den mit Elektroautos vollstellen, dann ist er auch zugemüllt!"
    Katrin Göring-Eckardt verschränkt jetzt die Arme und zieht die Augenbrauen hoch. Aber Harald Klimenta ist noch nicht fertig:
    "Wir brauchen Verkehrskonzepte für zehn Milliarden Menschen, und nicht für den grünen Durchschnittswähler. Das ist ein Unterschied!"
    Ein paar Plätze weiter sitzt Albert Rogg. Der Rentner unterrichtet ehrenamtlich junge Asylbewerber und schwärmt von ihrem Lerneifer. Umso schockierter ist Rogg, dass auch Bundesländer mit grüner Regierungsbeteiligung junge Afghanen in ihre Heimat abschieben:
    "Von den 92 bisher abgeschobenen Afghanen stammen mehr als die Hälfte aus diesen Ländern, allein 15 aus Baden-Württemberg. Und da denk ich mir: Ein Markenkern der Grünen ist die Ökologie, aber was macht das für 'nen Sinn, in einer sauberen Umwelt eine inhumane Politik zu treiben. Da erwart‘ ich, dass die Grünen viel deutlicher sich gegen die Abschiebungen wehren."
    Kritik an der Ungarn-Politik der Kanzlerin
    So wie sich die Fragesteller warmreden, wird allmählich auch Katrin Göring Eckardt temperamentvoll: Geschickt übergibt sie den Schwarzen Peter in der Abschiebepolitik von den grünen Ländern zur Großen Koalition in Berlin rüber. Und: Zu Beginn des Abends hat sie nur auf die CSU geschimpft, jetzt kommen auch die Kanzlerin und ihre Ungarn-Politik an die Reihe:
    "Ich verstehe nicht, warum Frau Merkel sich mit Herrn Orban immer noch in einer Parteienfamilie und man nicht mal darüber redet, was der Typ da eigentlich macht."
    Christina Fichtner, eine 20-jährige Jura-Studentin und Mitglied bei den Grünen, ist hinterher hoch zufrieden:
    "Ich habe gefragt, ob es eine Koalition ohne die Ehe für alle geben wird. Und die wird es nicht geben, da ihr die Ehe für alle sehr wichtig ist. Und auch dass keine Obergrenze für Flüchtlinge geben wird – dass sie das Grundrecht (auf Asyl) sehr verteidigt hat, das hat mir sehr gut gefallen."
    Ganz anders das Fazit von Harald Klimenta. Für ihn sind die Grünen längst eine Partei der Besserverdienenden. Dass sich das in diesem Wahlkampf noch ändern könnte, glaubt der 49-jährige Familienvater nicht:
    "Nein. Wird es nicht. Weil die Spitzenkandidatin ja eben doch sehr der gemäßigten Fraktion zuzurechnen ist, und deswegen wird da nicht viel passieren. Aber ich denk mir halt, wenn es in vielen solchen Veranstaltungen viele solche Leute gibt, die auch ein bisschen kritischer sprechen, dann kommt es vielleicht auch bei den Spitzenpolitikern an, dass die Basis noch ein bisschen anders tickt."
    Von der Basis lernen
    Die Meinungen gehen kreuz und quer auseinander an diesem Abend. Veronika Zeichinger, die den Grünen Wahlkampf in Regensburg koordiniert, sprüht vor Optimismus:
    "Wir kriegen von den Regensburger Grünen sehr viel Zuspruch. Die kommen auf uns zu und sagen, sie finden es toll, welche Themen wir aufnehmen. Wir hatten letzte Woche eine Veranstaltung zu Abschiebungen nach Afghanistan. Und es war ein proppenvoller Saal. Heute die Veranstaltung war auch sehr gut gefüllt mit mindestens hundert Leuten…"
    Ein As schüttelt die 30-Jährige dann noch aus dem Ärmel: Seit Wochen bekommen die Regensburger Grünen jede Woche ein neues Mitglied. Offenbar kann man viel lernen von der Basis.