Freitag, 29. März 2024

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Reihe: Kultur-Vermittler in Krisenzeiten
"Kunst lebt in Krisenmonaten geradezu auf"

Dass sich Angst und Unsicherheit auch in der Kunst reflektieren, ist für Hortensia Völckers, künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, keine Frage. Gerade in Zeiten der Veränderung könne Kunst zur Verständigung beitragen, sagte sie im Dlf.

Hortensia Völckers im Gespräch mit Karin Fischer | 03.09.2017
    Hortensia Völckers ist die künstlerische Direktorin der Kulturstifftung des Bundes.
    Hortensia Völckers ist die künstlerische Direktorin der Kulturstifftung des Bundes. (picture alliance / dpa / Horst Ossinger)
    In unserer Reihe "Kultur-Vermittler in Krisenzeiten" sprechen die bedeutenden Köpfe der deutschen und auswärtigen Kulturpolitik über die identitätsstiftende Rolle der Kultur in einer sich ständig ändernden Gesellschaft. Heute: die künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, Hortensia Völckers. Die Stiftung wurde im Jahr 2002 gegründet und hat ihren Sitz in den Franckeschen Stiftungen in Halle. Heute ist sie eine der größten öffentlichen Stiftungen in Europa und eine der wichtigsten Förder-Institutionen in Deutschland. Sie unterstützt kulturelle Leuchttürme wie die Donaueschinger Musiktage, das Theatertreffen oder die documenta. Weitere Schwerpunkte sind die Entwicklung neuer Verfahren zur Pflege des Kulturerbes oder die Etablierung innovativer Kunst- und Kulturprojekte in allen Sparten im internationalen Kontext. Die Kulturstiftung des Bundes will - das ist ihr selbstgesetzter Auftrag - modellhaft, seismografisch und zukunftsorientiert in die Gesellschaft hineinwirken. Karin Fischer sprach mit Hortensia Völckers über die praktischen Herausforderungen kultureller Arbeit in einer pluralen Gesellschaft.

    Karin Fischer: Hortensia Völckers, wir sprechen über die Kultur als Seismograf der Gesellschaft. Welche Krisenphänomene machen Sie denn heute aus, was sind die Veränderungen, die uns künftig auch in der Kultur am meisten beschäftigen werden?

    Hortensia Völckers: Es ist eine seltsame Zeit, weil definitiv sich viel verändert in der Welt. Man kann es auch als Krise bezeichnen. Ich glaube, dass wir in vielerlei Hinsicht in Deutschland noch verschont sind von einer Menge dieser … Wir kriegen es immer indirekt mit, aber man spürt natürlich um uns herum, dass sich Europa verändert, dass Länder - angrenzende oder europäische oder sehr nahe Länder - abweichen von dem, was wir uns hier unter Demokratie vorstellen. Und dass Menschen sich noch mal verstärkt in Bewegung gesetzt haben, weil da, wo sie leben, Krieg ist oder man keine Arbeit kriegt und vieles mehr. Und diese Dinge passieren um uns herum, sie werden uns jeden Tag gemeldet, ob es nun Terrorismusanschläge sind und so weiter und so fort. Und das produziert eine unglaubliche Unruhe, weil man es vielleicht hier nicht jeden Tag mitbekommt direkt. Aber es ist eben da. Und ich würde schon sagen, dass sich das in der Kunst reflektiert, wobei die Kunst eigentlich in Krisenmomenten geradezu auflebt oder gut mit Krisen umgehen kann, weil natürlich die Stoffe auch sehr extrem sind und man da auch wirklich mit Narrativen beitragen kann in die Gesellschaft hinein. Ich meine auch nicht, dass man die Gesellschaft verändern kann oder dass es einen großen Einfluss direkt auf die Politik macht, aber wir tragen bei mit Geschichten, die wir erzählen, unterschiedliche Geschichten, die natürlich schon insofern den gesellschaftlichen Diskurs gewissermaßen auch mitbeeinflussen, weil wir verschiedene Aspekte mitbekommen, wie die Geschichten von Menschen sind, die in diesen Krisenorten leben. "Die documenta war immer politisch" Fischer: Die Kultur reagiert häufig sehr direkt auf Krisen, Sie haben es gesagt. Das Theater ist sehr politisch derzeit, auch in seiner Tendenz zum Beispiel zum Performativen, die documenta 14 ist sehr politisch genannt worden. Wie beurteilen Sie denn diese Tendenz, dass sich die Kunst immer mehr um die Wirklichkeit kümmert - natürlich auch im Bestreben, sozusagen wirksam zu sein?

    Völckers: Ja, ich bin ein Relativist, was das anbelangt. Die documenta war immer politisch, das ist der Anfang gewesen der documenta. Und es gibt Ausgaben, wo bestimmte Dinge mehr oder weniger ausgeprägt waren, aber im Prinzip war sie immer politisch. Und insofern schreckt mich das gar nicht. Die Diskussion geht, wenn dann, wer bestimmt, was gute Kunst ist und was nicht. Also, dahin geht der Streit, weil, ein Kunstwerk ist in der Regel mehr oder weniger immer politisch. Die Frage ist, ob es ästhetisch und formal auch noch diese Qualität erreicht und dass wir uns darüber einigen, von welcher Qualität wir sprechen. Das heißt also, Kanonveränderung, das ist eine Diskussion, die dort auch mit eine Rolle spielt.

    Fischer: Ich wollte sagen: Eine Inhaftungnahme sozusagen der Kunst oder Kultur für dieses ungebrochen Gegenwärtige und für das Politische könnte ja auch eine Überforderung der Kunst und Kultur sein, man könnte es ja auch als eine Fehlentwicklung betrachten.

    Völckers: Ja, das sind Tendenzen, Peaks, die vorkommen. Also, das ist nicht immer gut, es kommt nicht immer gute Kunst bei herum, das ist eigentlich die Hauptsache. Und es ist schon auch eine Überschätzung von Kulturproduzenten, wenn sie wirklich glauben, dass sie mit ihren Beiträgen wirklich ganz direkt die Gesellschaft oder Einfluss auf die Politik ausüben. Wir sind ein kleiner Beitrag und mehr nicht, nach meinem Verständnis. Insofern muss man da auch ein bisschen die Kirche im Dorf lassen. Aber gute Kunst hat nun mal damit zu tun, dass es in die Tiefe geht, dass es Probleme behandelt. Aber sie muss eben auch lösen auf einem ästhetischen und einem formalen Aspekt.

    Fischer: Die Kulturstiftung des Bundes, deren künstlerische Direktorin Sie sind hat in den 15 Jahren ihres Bestehens ja doch auch immer sehr, ich sage jetzt mal: vorausschauend gehandelt. Sie hat versucht, die Kunst der Zukunft zu etablieren, im weitesten Sinne politisch in der Art zu reagieren, dass man sozusagen Bewegungen auch aus- oder mitmacht. Sie haben, wenn ich mich richtig entsinne, zum Beispiel von Anfang an politische Kunst insofern gefördert, als die Bundeskulturstiftung in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens zum Beispiel über Denkmäler nachgedacht hat oder nachdenken hat lassen und die Denkmalstürmereien dort auf eine andere, eben künstlerisch-intellektuelle Ebene geholt hat. Wie politisch agieren Sie oder wie politisch denken Sie in der Kulturstiftung des Bundes?

    Völckers: Das ist ein schwieriger Begriff, was man denn nun eigentlich erst mal, wenn man von Kultur spricht und wenn man vom Politischen spricht … Also, ich glaube, dass wir gar nicht so viel in der Kunst selber Avantgardistisches gemacht haben, sondern wir haben in Deutschland die Institutionen, also die Produzenten, die zum Teil sehr schwer bewegliche Einrichtungen leiten wie ein Theater oder ein Museum, was es eben auch schon ganz lange gibt und was wir eigentlich auch behalten wollen, weil wir der Meinung sind, Institutionen sind wichtig … Die müssen sich verändern und das ist ein ganz langer und schwieriger Prozess, das wissen wir auch. Genauso, wenn eine Kommune sich auf die Zukunft einstellt, bis da sich was verändert, das dauert eben sehr lange. Und da sind wir sehr früh drangewesen, da können wir agil uns bewegen und Angebote machen, dass ein Theater mit der freien Szene über Jahre zusammenarbeitet, dass sie neue Texte entwickeln, dass sie ihr Personal, ihr Publikum und ihr Programm umstellen. Und dafür stellen wir, wenn es gewünscht wird, wenn diese Institutionen diesen Weg gehen wollen, Geld zur Verfügung, über längere Zeiträume, damit sie im Grunde genommen diese neuen Herausforderungen ausprobieren, miteinbeziehen in ihre Institutionen. Und das geht unglaublich langsam. Also, man kann da teilweise auch frustriert sein, weil die Veränderungen so klein sind. Da sind wir sehr vorausschauend. Nehmen Sie nur das Thema Digitales, was ein riesiges Thema ist, was man jetzt nicht so direkt sofort mit Politik vielleicht in Beziehung bringt, aber letztendlich natürlich schon. Wenn Häuser, also jetzt Museen ihre Sammlung onlinestellen und einen Open Access, also für jeden einsehbar, was es auch in den Depots gibt, was so ein Museum alles hat, wie dann Besucher das Interesse haben - und in der Zukunft wird es bei den jüngeren Generationen, wenn sie da mitmachen, immer stärker werden -, dass sie ihr Wissen mithineinbringen … Und das stellt natürlich das Wissen der Spezialisten, der Gralshüter, der Hüter der Schätze zunächst einmal nicht infrage, aber da kommt so ein bisschen die Konkurrenz dazu. Also, das heißt, Menschen gucken sich an, was noch in den Depots ist, und stellen fest, dass da noch interessante Sachen sind, und wollen, dass das auch gesehen wird, stellen ihre eigenen Ausstellungen zu bestimmten Themen zusammen und so weiter und so fort. Also, der Gedanke der Partizipation ist beim Thema Digitales ganz brisant. Und bis das mal so weit ist und man auch eingesehen hat, dass das aufregend ist, weil es auch zu einer Demokratisierung führen kann, dass wir ganz andere vielleicht Arten von Museen haben werden, dass ist existenziell bedrohlich. Und da muss man einen langen Atem haben.

    Fischer: Sie sprechen von neuen Perspektiven und von Partizipation. Das ist ein sehr gutes Stichwort, denn eine ganz aktuelle Frage dieser Gesellschaft heute ist ja die Frage nach der Integration. Die Kulturstiftung des Bundes hat ein Programm erdacht, das heißt "360 Grad" und es handelt sich dabei um einen Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft, die eben auch von Partizipation und neuen Perspektiven handeln sollen. Was bedeutet das?

    Völckers: Ja, auch ein bisschen spät und verzögert, muss man sagen, haben wir aber glaube ich 2015 verstanden, dass wir mit den Kultureinrichtungen weit hinterher sind, was die Vielfalt im Personal, im Programm und im Publikum anbelangt - das nennt man die drei Ps -, und das ist überall etwas mangelhaft ist. Also, wenn Sie mal einen Leiter einer Stadtbibliothek oder eines Theaters suchen, der Migrationshintergrund hat, dann müssen Sie lange suchen. Wir haben eine ganz tolle hier in Berlin, die alle kennen, die Shermin Langhoff, und dann passiert erst mal gar nichts.

    Fischer: Die Intendantin des Gorki-Theaters.

    Völckers: Ja, ganz genau. Und das ist schon bemerkenswert. Das heißt: Wo bleiben diese Menschen, die eine andere Geschichte mitbringen, die wir Menschen mit Migrationshintergrund nennen, warum sind die da eigentlich nicht in diesen Institutionen vertreten? Und das …

    Fischer: Geht es um das Personal oder auch um die Kundschaft? Das ist ja das Nächste. "Wir haben fast 20 Millionen Euro zur Verfügung gestellt" Völckers: Beides, beides. Das ist das Personal, das ist das Programm und das ist das Publikum, das gehört alles zusammen. Und das ist ein schwieriger Prozess, erst mal Menschen zu begeistern, dass sie kommen und in einem Theater arbeiten, dass sie sich für so was interessieren. Und dann werden die schon auch dafür sorgen, dass das Programm wahrscheinlich in der Zukunft auch ein bisschen anders aussieht, sodass auch ein anderes Publikum kommt. Da können Sie sich vorstellen, was da alles in Bewegung gerät und wie lange das dauert. Und wir laden …

    Fischer: Was tun Sie genau?

    Völckers: Genau, "360 Grad" ist der Titel eines Programms, wo wir fast 20 Millionen Euro zur Verfügung gestellt haben, das ist für uns eine ganze Menge Geld. Das läuft fünf Jahre und da können sich Institutionen wie eben Theater, Museen, Stadtbibliotheken bewerben, die etwas machen wollen, um sich zu verändern. Und wir stellen dieser Person einen von ihr ausgesuchten … wir nennen den: Agenten. Eine Person, die an der Seite des Intendanten an diesen Themen arbeitet. Diese Person bringt ein bisschen Geld mit und sie hat fünf Jahre Zeit, wir bezahlen sie, um mit dem Haus diesen Veränderungsprozess einzuleiten. Und wir haben jetzt gerade die erste Bewerbungsrunde, es haben sich also wirklich eine ganze Menge sehr ernsthafte Bewerbungen, die auch sehr inhaltlich sind … sind bei uns eingetroffen und wir werden jetzt Ende des Jahres die ersten 20 Institutionen aussuchen und im nächsten Jahr die nächsten 20. Und man merkt, dass das ein Thema wird. Und das können wir machen. Wir haben natürlich tausende mehr Institutionen, also, wir erreichen immer nur einen kleinen Prozentsatz. Aber wir müssen - deswegen ist es auch toll, wenn man das im Radio erzählen kann - laut werden wie ein Verstärker, dass das Thema ein Muss wird. Dass der, der nicht dabei ist, weil er denkt, das ist irgendwie jetzt nicht mein Hauptproblem, doch nach einem halben Jahr sagt: Oh, da muss ich mich doch mal mit beschäftigen!

    Fischer: Sie sagen selber, dass diese Programme reichlich spät kommen. Das heißt, das ist auch ein bisschen das Eingeständnis, dass die bisherige Politik, also sozusagen der als falsch erkannte Umgang mit den Migrantinnen der ersten Generation, die irgendwie alleingelassen wurden, weil man dachte, die Gastarbeiter gehen irgendwann mal wieder … dass das ein Stück weit jetzt revidiert werden soll?

    Völckers: Ja. Aber wissen Sie, in der Medizin, in der Wirtschaft, in vielen anderen Bereichen ist man viel weiter. Da hat man blitzschnell auch verstanden, dass man Personal braucht, und möglicherweise sind das auch zunächst einmal … für die zweite Generation sind andere Berufe vielleicht interessanter als Dramaturg sein und sich mit Schiller zu beschäftigen, Anwalt zu werden oder … Also, das kommt auch noch dazu. Nur, klar, uns geht jetzt auch die Frage mit dem Publikum: Wer kommt in den nächsten 20, 30 Jahren überhaupt in ein Theater und ein Museum? Und wenn wir diese 15, 20 Prozent von Menschen, die Migrationshintergrund haben, nicht mitnehmen, dann bleiben ja nicht so viele. Also, wir wollen da ja nicht alleine sitzen, im Theater. Das ist auch eine Überlebensstrategie, wenn Sie so wollen. Und da ist die Kultur etwas spät dran, ja.

    Fischer: Lassen Sie uns kurz beim demografischen Wandel bleiben. Ein Beispiel ist ja die NRW-Schulpolitik, die sozusagen an der Inklusion letzten Endes gescheitert ist, vielleicht auch weil es zu wenig Geld dafür gab oder nicht genügend finanziert worden ist. Was muss man denn beachten, wenn man diese Dinge auf breiterer Front zu installieren versucht? Sie sagen, Sie sind sozusagen die Speerspitze und machen das modellhaft. Sie wollen ja aber wahrscheinlich auch in den politischen Raum wirklich dann hineinwirken, sodass es weitergeht?

    Völckers: Na ja, das ist Themen auf die Agenda setzen, wenn man sich tagespolitisch ausdrückt. Und ich habe gerade gestern gelesen oder am Wochenende, was die Themen sind, die den Bürgern in Deutschland wichtig sind für die Wahl. Und da ist Bildung mit 75 Prozent der Bevölkerung, also diejenigen, die gefragt wurden, ganz weit oben, Altersarmut, sind die beiden Themen. Zuwanderungsbegrenzung kommt erst sehr weit hinten, was zunächst mal … Das ist eine komplexe Sache, warum das so ist, so ganz einfach kann man das nicht nur begrüßen, aber sagen wir mal, das ist erst mal beruhigend. Aber dass Bildung so weit oben ist, dass diese Bildungschancen, gleiche Bildungschancen … Das ist einfach ein absolutes Muss und da fehlt uns noch sehr viel, also an Nacharbeiten, an Personal, mehr Lehrer. Wir haben nicht genug Lehrer, in vielen Bundesländern taucht dieses Problem auf, also, da spürt man den demografischen Wandel, da muss eine sehr, sehr große Anstrengung passieren. Und das ist auch mit eines der schwierigsten Themen, die Bildungspolitik, vor allen Dingen für den Bund, weil er da eigentlich nicht für zuständig ist. JeKi war für uns als Stiftung ein Riesenglück Fischer: Es geht um Bildungsanstrengungen, gerade auch zum Beispiel für die zugewanderten Flüchtlinge und für die ganz junge Generation. Natürlich auch im Kulturbereich. Ich frage jetzt noch mal, um das Thema Nachhaltigkeit aufs Tapet zu bringen: War denn Ihre Initiative JeKi - Jedem Kind ein Instrument - da eigentlich ein positives oder auch ein eher enttäuschendes Signal? Ich meine jetzt auch die Resonanz der Betroffenen und eben die Tatsache, dass es weiterging oder eben auch nicht weiterging. Sie haben vorher von Frustrationen gesprochen, die man in solchen Prozessen hat. Wie ist da sozusagen das Ergebnis?

    Völckers: JeKi war für uns als Stiftung ein Riesenglück, weil jeder verstanden hat, was das sein soll, jedem Kind ein Instrument. Auch im Bundestag oder wo man uns mit unseren ganzen Kunstaktionen eher nicht so wahrgenommen hat, war plötzlich JeKi … war klar: Aha, das sind die mit dem "Jedem Kind ein Instrument". Ich finde, das Programm war sehr verbesserungswürdig. Da ist viel passiert Gott sei Dank, dass man eben nicht nur über die Instrumente von Anfang an gegangen ist, sondern dass die Kinder auch mit Bewegung, also Rhythmus, Singen und Sich-Bewegen, dass das mit dabei war, finde ich total wichtig. Die Musikschulen sind ja ein Ankerpunkt dieses Programms gewesen, dass man die stärkt, und das ist auch die Lobby für dieses Programm. Das heißt, die halten es am Leben, weil sie selber auch ein großes Interesse haben, dass sie weiter gefördert werden und dass sie sich entwickeln können, mit Lehrern, die ja aus der Musikschule rausgehen und in die Schulen hinein. Da gibt es sehr unterschiedliche Berichte, manche sagen, das ist nicht gut, andere sagen, es ist fantastisch. Bundesweit hat es unglaublich viel getan für das Thema kulturelle Bildung. Also, es war ein großer Verstärker. Man hat darüber geredet, man hat angefangen, Fonds zu machen für kulturelle Bildung, es ist so ein Thema, wo man nicht mehr drum herumkommt. Und das ist natürlich jetzt in den großen Städten wie Berlin oder Stuttgart, Hamburg, Frankfurt, da läuft das auch gut, da steht das auch sehr oben auf der Agenda, da haben wir mit weiteren Programmen wie Agenten sehr viel Erfolg gehabt.

    Fischer: Die Kulturagenten, Künstler und Künstlerinnen, die in die Schulen gehen.

    Völckers: Genau, das ist das nächste Programm, was jetzt auch gerade ausläuft. Ich will nur allgemein sagen: Das Thema kulturelle Bildung hat etwas Fuß gefasst, aber in der Fläche, Gesamtdeutschland, ist es natürlich überhaupt nicht so platziert, wie es sein sollte. Und ich muss sagen, bei Bildungspolitikern hat es natürlich auch … oder nicht natürlich, es hat keine hohe Priorität. Es ist immer noch ein großer Kampf, dass in diesem engen Zeitkorsett, was es in Schulen gibt, dieses Thema eine Priorität hat. Es ist dann immer nicht so wichtig oder dann im Nachmittagsunterricht, wo dann irgendwie keine Spezialisten sind, einfach nur die Kinder beschäftigt oder bespaßt werden. Und das ist nicht der Sinn der Sache.

    Fischer: Heute zu Gast in den "Kulturfragen" zum Thema Kulturvermittler in Krisenzeiten Hortensia Völckers, die künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes. Frau Völckers, Förderung von Diversität in einer Demokratie, das hat sich ja auch die Kulturstaatsministerin Monika Grütters auf die Fahnen geschrieben. Für uns ist es irgendwie so selbstverständlich; haben Sie Verständnis dafür, dass viele Menschen in diesem Land an einer deutschen Leitkultur festhalten wollen, vielleicht auch als Bollwerk gegen das Fremde, nicht weil man rassistisch oder ausländerfeindlich wäre, sondern weil man Angst vor zu viel Veränderung hat?

    Völckers: Verständnis nein. Aber ich nehme das zur Kenntnis. Und ich weiß, dass man das nicht ignorieren kann, sondern dass man das ernst nehmen muss, dass es diese Gefühle gibt, und man muss damit arbeiten. Wir erleben es bei uns selber, wir sind auch eine Institution, die überhaupt nicht vielfältig ist. Bei uns sind wirklich … Wir haben fast niemanden, ich bin die Einzige, glaube ich, die woanders geboren ist bei der Kulturstiftung des Bundes. Und zur Betreuung dieses Programmes "360 Grad" wollten wir auch Mitarbeiter finden, die diesen Hintergrund haben, die das auch besser verstehen können, also migrantischen Hintergrund. Wir haben ein Jahr lang gesucht, weil wir immer die falschen Bewerbungen rausgeschrieben haben. Also, das waren Texte, die …

    Fischer: … die nicht ankommen konnten.

    Völckers: Ja, genau! Und wir brauchten Workshops, um zu verstehen, wie die Message sein muss, damit sich diese Menschen für uns interessieren und zu uns kommen wollen. Das hätte ich nie vermutet! Und dann beginnt natürlich irgendwo das Gerangel: Kommen jetzt nur diese und müssen wir dann weg? Also, bei Menschen, die feste Stellen haben - und das ist bei uns eine kleine, sehr wendige, fantastische Institution, das konnte man sehr schnell bearbeiten -, …

    Fischer: … die ja immerhin aus Diversitätsgründen im Osten Deutschlands sitzt.

    Völckers: Ja, aber die Sache ist schon ernst. Und die Workshops, die wir da alle miteinander machen, da kommen Sorgen von Menschen, die das Gefühl haben, ihre Stadt verändert sich, nicht nur das Gefühl haben, sondern in gewissen Gegenden plötzlich nicht mehr hingehen können, weil da mit Drogen gedealt wird und sie der Meinung sind, das sind Geflüchtete, die damit nun schnelles Geld machen. Also eine ganze Menge Ängste, was jetzt passieren soll. Und das muss man zur Kenntnis nehmen und darum muss man sich kümmern, alles andere ist … nicht positiv, aber es ist schwer zu verstehen, weil vieles irrational ist, muss man einfach sagen. Es geht ja immer um Gefühle.

    Fischer: Ich bleibe noch einen kleinen Moment im Osten, Hortensia Völckers. Sie haben im Jahr 2002 dort schon den Fonds Neue Länder gestartet, um Kultur- und Kunstvereine zu stärken. Gerade der Osten Deutschlands ist ja schwer gebeutelt wegen Abwanderung, wegen des demografischen Faktors, es gibt immer weniger Infrastruktur vor Ort. Können Kunst und Kultur diese Art von Teufelskreis eigentlich stoppen oder irgendwie aufhalten?

    Völckers: Nein, aber es wäre schon gut, wenn in kleineren Gemeinden, Dörfern oder wie auch immer, wenn es da Jugendzentren gäbe, wo man ein bisschen Einfluss auch darauf hat, dass junge Leute dort die Möglichkeit haben, sich … Ich weiß nicht, wann das losgeht, aber zwischen 12 und 17 Jahren irgendwo hingehen können, wenn sie keine Lust mehr haben, zu Hause immer rumzusitzen, und dass sie da Angebote kriegen, wie sie sich weiterbilden können. Und dass man dieses ganze Terrain nicht undemokratischen rechten Gruppen überlässt, wie das so oft passiert, sondern dass wir da ein Gegenangebot machen, wie es es früher ja auch viel öfter gab. Und das hat man vergessen, diese Orte gibt es nicht mehr. Und ja, so verliert man die jungen Leute, die auch in diesem Alter, wo man eigentlich nicht weiß, was man mit sich anfangen soll, gerade eben auf dem Land, weil … Da ist ja nicht viel, da steht man an der Tankstelle rum, mehr ist nicht! "Wir haben sehr viel ausprobiert und tun es immer noch" Fischer: Sie wirken jetzt seit 15 Jahren als Kopf der Bundeskulturstiftung. Ich hätte Lust, ein bisschen Bilanz zu ziehen mit der Frage: Was haben Sie bewirkt? Und vielleicht auch: Hat sich durch die Arbeit der Stiftung die Sicht auf die Rolle des Bundes in der Kulturförderung eigentlich verändert? Und was sind da Ihre Erwartungen an die Zukunft?

    Völckers: Ja, das ist ja bitter, wenn es so zum Ende schon kommt, sowohl für das Gespräch als auch für meine Zeit …

    Fischer: Es ist immer zu kurz!

    Völckers: Ein großes Geheimnis hinter dem Erfolg dieser Stiftung oder der Arbeit der Stiftung ist, dass wir ein bisschen unter dem Radar wirken. Deswegen, wenn ich jetzt herumpoltere und sage, das Thema kulturelle Bildung haben wir durch JeKi überhaupt erst aufs Tapet gebracht, weil es eigentlich etwas ist, was der Bund gar nicht machen darf, aber wir haben es dann doch so argumentiert bekommen, dass es da um das Publikum von morgen geht und nicht um Förderung von Schulen - weil, das ist tatsächlich ein Terrain, wo wir …

    Fischer: Ländersache.

    Völckers: Genau. Und da haben wir viel machen können und wir probieren Sachen aus. Vieles, was sehr kulturpolitisch ist, würde ich sagen, Aufforderungen eben für die ganze Bundesrepublik, für die Institutionen, das ist für die Staatsministerin oder den Staatsminister, je nachdem, wer gerade da ist, viel, viel schwieriger anzubieten und durchzusetzen, weil es sofort eine Föderalismusdiskussion gibt. Was machen die da jetzt? Und bei uns ist das eigentlich möglich, weil wir kleiner sind, weil wir darunter sind und sehr eng mit den Ländern zusammenarbeiten, wir handeln das aus, was wird da gebraucht, was geht, was geht nicht. Also, das ist ein großes Geheimnis. Ich würde gerne … Ich bin nicht der Kopf, sondern ich halte diesen Haufen zusammen und wir versuchen, da gute Ideen zu produzieren.

    Fischer: Zusammen natürlich, im Team, klar.

    Völckers: Und wir haben sehr viel ausprobiert und tun es immer noch, immer neue Vorgehensweisen, immer neue Formen. Und was ich toll finde, ist, dass den Tag, wo ich aufhöre, dass mein Nachfolger oder meine Nachfolgerin ganz von Neuem beginnen kann. Sie oder er hat eine gut aufgebaute Einrichtung, die wirklich alles kann, was man an Bürokratie braucht, wenn man mit Bundesgeldern arbeitet, aber im Prinzip inhaltlich alles neu machen kann. Und das finde ich toll, dass diese Institution wendig bleibt, dass sie reagieren kann auf was gebraucht wird. Und ich möchte es schaffen, dass keine Kürzungen mehr kommen bis dahin - ich glaube, ich bin noch ungefähr sechs Jahre circa im Amt, wenn alles gut geht -, und möchte gerne eine gut funktionierende Institution übergeben und sagen: Machen Sie was anderes, machen Sie, was Sie für richtig halten, ich bin weg, auf Wiedersehen, Sie kriegen hier ein gut funktionierendes Instrument, womit man ganz viel tun kann! Die Institution ist bekannt, sie wird geschätzt, und jetzt geht’s los auf einer ganz anderen Art und Weise! In den "Kulturfragen" hörten Sie die künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, Hortensia Völckers, im Gespräch mit Karin Fischer.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.