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Kauder: Regierungen "müssen für das Recht und den Schutz der Christen eintreten"

Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, erwartet von wirtschaftlichen Partnern wie der Türkei und Ägypten den Schutz dort lebender Christen. Anlass für Kauders Forderung sind die weltweit zunehmenden Übergriffe gegen die Glaubensgruppe.

Volker Kauder im Gespräch mit Matthias Gierth | 28.12.2011
    Matthias Gierth: Herr Kauder, das Erschrecken ist für einen Moment meistens groß, wenn wieder einmal wie jetzt in Nigeria Christen gezielt Opfer vom Bombenterror werden. Tatsächlich wachsen die Übergriffe auf Christen rund um den Globus teils dramatisch. Verschließt die Welt davor die Augen?

    Volker Kauder: Ich glaube ja, ein bisschen hat man schon zu wenig wahrgenommen, was sich da in der letzten Zeit getan hat. Wir haben von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion seit etwa zwei Jahren das Thema immer wieder, auch im Deutschen Bundestag, angesprochen. Aber ich finde, wir müssen uns jetzt konsequenter mit dieser wirklich ernsten Lage für Christen in der ganzen Welt auseinandersetzen.

    Gierth: Wenn Sie sagen "konsequenter", was heißt das konkret?

    Kauder: Ich habe zunächst einmal eine Reihe von Ländern besucht, habe mit Regierungen gesprochen, wo es Christenverfolgung gab, von Ägypten bis Indonesien, über Malaysia, Indien, China, und ich werde im nächsten Jahr auch nach Nigeria fahren, das ist schon vorbereitet. Aber ich werde auch den Generalsekretär der UNO ansprechen, das Thema muss jetzt in die Vollversammlung der UNO. Soweit ich informiert bin, gibt es keine einzige Resolution zu diesem Thema.

    Gierth: Wenn Sie von Christenverfolgungen sprechen, dann möchte ich nachfragen: Muss man nicht doch auch differenzieren und nicht immer pauschal von Christenverfolgungen reden? Denn in Ländern wie dem Irak und Afghanistan sind Christen natürlich an Leib und Leben bedroht. In anderen Ländern wie der Türkei gibt es zwar Probleme, aber längst keine Christenverfolgungen.

    Kauder: Sie haben völlig recht. Wir müssen davon reden, dass Christen verfolgt werden und dass Christen das Leben sehr schwer gemacht wird – bis hin, dass sie ihre Religion nicht ausüben können. Ein Beispiel dafür ist die Türkei, die schwierige Situation von Kloster Mor Gabriel, wo dieses Kloster bedrängt wird und wo einfach die rechtstaatlichen Grundlagen nicht ausreichend sind nach unserer Überzeugung. Ja, man muss unterscheiden. Es ist auch so, dass beispielsweise die Situation von Christen in Indonesien etwas besser ist als in Malaysia. Und im Übrigen muss man auch sehen, dass auch Muslime verfolgt werden von radikalen extremistischen muslimischen Gruppen.

    Gierth: 35 von 50 Ländern, in denen Christen bedrängt werden, sind islamisch geprägt. Wer muss in diesen Ländern vor allem in die Pflicht genommen werden? Sind das Regierungen oder sind das etwa auch die islamischen Geistlichen, die zu wenig erklären, dass die heiligen Schriften des Islams eigentlich keine Rechtfertigung für die Verfolgung Andersgläubiger enthalten?

    Kauder: Ich glaube, dass beides geschehen muss. Auf der einen Seite müssen die Regierungen dafür sorgen, dass Christen sicher sind. Sie müssen für das Recht und den Schutz der Christen eintreten. Zum anderen glaube ich aber schon, wir müssen einen intensiven Dialog mit Muslimen darüber führen, dass der Islam sich als eine friedfertige Religion auch darstellen muss, dass er nicht schweigen darf. Jetzt in Nigeria war ich sehr froh darüber, dass dies geschehen ist, dass dort die islamischen Geistlichen dies auch so gesagt haben. Und ich glaube, dass dazu eine größere Bühne notwendig ist. In Europa werde ich versuchen, im nächsten Jahr eine große Konferenz beim Europarat zu diesem Thema durchzuführen. Aber ich glaube, dass wir auf Ebene der UNO in New York jetzt schon einmal das Thema in die Vollversammlung heben müssen.

    Gierth: Zurzeit sind ja sehr viele Blicke auf Nordafrika gerichtet. Der arabische Frühling hat mehrere Machthaber vertrieben. Aber für die Christen gibt es durch das Erstarken islamistischer Kräfte durchaus Anlass zur Besorgnis, in Ägypten genauso wie in Tunesien oder in Libyen. Müssen die europäischen und damit auch die deutschen Politiker bei den neuen Kräften in Nordafrika nicht viel stärker auf den Schutz der orientalischen Christen drängen?

    Kauder: Doch, unbedingt. Und wir müssen im politischen Dialog, den wir gerade jetzt dann auch mit der Türkei führen, die Verhandlungen über die EU, klarer darauf Wert legen, dass dort die Freiheit der Christen garantiert wird. Wir müssen im politischen Dialog mit Ägypten darauf Wert legen und sagen, die von ihnen gewünschte wirtschaftliche Zusammenarbeit muss natürlich auch garantieren, dass im eigenen Land Sicherheit herrscht, dass Religionsfreiheit besteht, dass die Christen geschützt werden. Wir müssen im politischen Dialog stärker darauf Wert legen. Ich mache es beispielsweise auch bei meinen Besuchen in China, dass ich es dort offen anspreche, auch Religionsgemeinschaften, katholische, evangelikale Gruppen besuche, dies der Regierung auch sage und danach mit ihr ein Gespräch führe.

    Gierth: China ist ein gutes Beispiel. Der Vorsitzende der deutschen Bischofkonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, hat kritisiert, für die Politik stünden wirtschaftliche Erwägungen häufig vor mehr Engagement für die Religionsfreiheit. Drückt die Bundesregierung aufgrund solcher Interessen bei der Verletzung von Religionsfreiheit nicht doch das eine oder andere Mal beide Augen zu, wenn ich etwa an Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien denke, oder bei den Handelsbeziehungen mit China, wo ja ebenfalls Christen unterdrückt werden?

    Kauder: Also, die Bunderregierung spricht es bei ihren Besuchen immer an. Man muss natürlich sehen, es macht wenig Sinn, wenn man in Deutschland, bevor man eine Reise nach China antritt, erklärt, was man denen alles sagen wird, dann wird man dort gar nicht gehört, sondern man muss es konkret vor Ort machen. Totale Konfrontation bringt uns auch nicht weiter, weil dann gehen in China beispielsweise die Klappen herunter und dann können Sie es gar nicht mehr ansprechen. Es ist ein schwieriges sensibles Thema. Beides muss sein. Der Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen, zur gleichen Zeit der Hinweis darauf, dass Religionsfreiheit herrschen muss. In China muss man deutlich machen, dass die Freiheit der Religion die Freiheit des Einzelnen nicht die Identität des Landes, nicht den Zusammenhalt des Landes gefährdet, sondern man muss darauf hinweisen, dass es ausschließlich darum geht, dass Menschen persönlich ihre Identität mit ihrem Gott suchen und erleben wollen. Das ist ein schwieriger Prozess, der nicht von heute auf morgen kommt, aber ich finde, über viele Jahre hinweg ist genau dieses Thema viel zu wenig angesprochen worden, und ich sehe die UNO in der Pflicht, sich dem Thema anzunehmen.

    Gierth: Also macht es sich Erzbischof Zollitsch mit seiner Kritik an der Politik zu leicht?

    Kauder: Nein. Er hat ja völlig recht, wenn er ständig mahnt. Es darf dieses Thema Religionsfreiheit, Freiheit der Religionsausübung, nicht hinter wirtschaftlichen Interessen zurückstehen. Aber er hat auch nicht gesagt, wir müssen den Kontakt mit China abbrechen, sondern es geht tatsächlich darum, die Möglichkeiten und Chancen, die wir durch eine engere Zusammenarbeit mit China haben, auch zu nutzen, um dieses Thema anzusprechen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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