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Kaugummi, Kippen und Kaffeebecher

"Littering" ist neuhochdeutsch und bezeichnet das unachtsamen Fallenlassen von Müll im öffentlichen Raum. Die Abfallentsorgungsgesellschaften wollen mit psychologischen Mitteln gegensteuern, um die Kosten für die Stadtreinigung in den Griff zu bekommen.

Von Michael Engel | 30.06.2011
    Zwei Handgriffe, dann ist der Abfallbehälter geleert. Die Ausbeute im blauen Müllsack: Zwei Kaffeebecher, eine Zigarettenschachtel, Verpackungsmaterial. Wenig im Vergleich zu dem, was in Sichtweite drum herum liegt. Mike Drobny vom Straßenreinigungsdienst Hannover kennt diesen Anblick: herumliegenden Müll.

    "Das Leben ist stressiger geworden. Also die Leute nehmen sich nicht mehr die Zeit, zuhause in Ruhe mal den Kaffee zu trinken. Nein, die rennen los, kaufen sich unterwegs einen Kaffee. Ja und dann fliegt der Becher auch mal auf die Straße, weil sie gar keine Zeit haben, um mal zu gucken, ob da ein Papierkorb hängt. Die Leute sind schon stressiger. Auf jeden Fall."

    Pizzaschachteln, Pommesreste, Plastikteller - die Take-Away-Kultur hinterlässt ihre hässlichen Spuren. Besonders betroffen: Fußgängerzonen, Kaufhausmeilen und Kneipengassen. Kurzum: die Innenstädte. Aber auch Parks sind hoffnungslos zugemüllt, besonders nach einem sommerlichen Grillwochenende oder einer spontanen Flashmobparty. "Littering" sagen Experten zu dem Phänomen und meinen damit das achtlose Wegwerfen beziehungsweise Liegenlassen von Müll im öffentlichen Raum. Ein Problem, das in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen hat.

    "Die Menschen sind globalisierter, sind beweglicher, sind mehr im öffentlichen Raum. Das heißt, es gibt mehr, was gelittert werden könnte, weggeworfen werden könnte. "

    So die Beobachtung von Kornelia Hülter vom Zweckverband Abfallwirtschaft der Region Hannover:

    "Also diese Kaffeebecher, die McDonalds-Kultur und so. Es gibt mehr zu littern, aber wir laufen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger in der Gegend rum und auf die Bürger zu, sondern das sind unsere Kunden. Und wir versuchen uns als Dienstleistungsunternehmen zu bewähren und natürlich die Leute da freundlich abzuholen und ihnen einen sauberen Service hinzulegen. Aber nicht besserwisserisch irgendwelche Taten zu fordern, sondern wir werden immer freundlich auf die Menschen zugehen."

    Siegfried Tadje ist Kehrmaschinenfahrer bei der Stadtreinigung Hannover. Um 5.30 Uhr geht's los. Dann kurvt er durch die Fußgängerzone von Hannover und holt viele Kubikmeter Müll von der Straße, obwohl dort mehrere hundert Abfallbehälter stehen - viele nur halb gefüllt, einige sogar leer.

    "Das Schlimme da dran ist ja immer, dass die Bürger sagen, wir bezahlen ja Straßenreinigung, und da könnt ihr das auch wegmachen. Hier, wir bezahlen das, also macht das auch mal sauber. So, und das kann's nicht sein."

    Warum lassen so viele Menschen ihren Müll achtlos liegen? Und wie könnte diese Entwicklung in geordnete Bahnen gelenkt werden? Reinigungsdienste aus mehreren Städten - darunter Köln, Berlin, Düsseldorf, Hamburg, Hannover und Leipzig - beauftragten die Humboldt-Universität Berlin mit einer Studie, um eine saubere Antwort zu finden. Dr. Rebekka Gerlach vom Institut für Psychologie befragte erst einmal Menschen, die quasi "in flagranti" beim Littern erwischt wurden:

    "Dann sagen die, ja also, es war vor allem Bequemlichkeit, aber vor allem war es so, dass kein Abfallbehälter in der Nähe war. Ja, und dass ich in Eile war. Also Litterer benutzen gerne sogenannte Rechtfertigungsstrategien, die also dazu da sind, ihr Verhalten auf für sie freundliche Weise zu erklären. Wir haben festgestellt in unseren Untersuchungen, dass eine Hauptgruppe der Litterer eben Raucher sind. Über 70 Prozent der festgestellten Littering-Fälle waren gelitterte Zigaretten. Und eine weitere Gruppe von Litterern sind eben Jugendliche und junge Erwachsene."
    Interessant ist auch dieser Befund: Sind die Plätze extrem sauber und gepflegt, lassen die Menschen keinen Müll fallen. Hier scheint die Hemmschwelle sehr hoch zu sein. Das Gleiche auch für sehr dreckige Plätze. Bei einer geringen Vermüllung hingegen ist der Einladungscharakter am Größten, so die Beobachtung der Psychologen. Verschmutzung ist aber auch ein 'Wahrnehmungsphänomen'. Darauf verweist Dr. Heinz-Josef Dornbusch vom Institut für Abfall, Abwasser und Infrastrukturmanagement in Ahlen:

    "Wir haben dort entsprechende Untersuchungen gemacht, und es scheint so zu sein, dass der Anspruch der älteren Bevölkerung nach oder an Sauberkeit höher ist als bei Jüngeren. Und wenn dann der demografische Wandel das fortsetzt, dass man sagt, es gibt eben immer mehr Ältere, dann ist der Anspruch insgesamt eben höher. Und das ist eben das Spannungsfeld. Da werden wir wahrscheinlich niemals ganz rauskommen. Und ob der Weg wie in Singapur - 300 Euro beziehungsweise 300 Dollar für jeden Wegwurf - der Richtige ist, wage ich zu bezweifeln. Für Deutschland sind sicherlich andere Lösungsmöglichkeiten vorhanden."

    In 40 Prozent der beobachteten Littering-Fälle standen die Abfallbehälter maximal zehn Meter entfernt. Kurioser Weise rangiert das Argument "Kein Abfallbehälter in der Nähe" ganz oben bei den Müllverursachern. Klarer Fall für die Experten: Mit mehr Abfallbehältern ist das Problem "Littering" nicht zu lösen. Aber sichtbarer sollten sie schon sein, die Abfallbehälter. Nicht so grau und unscheinbar, wie in vielen deutschen Fußgängerzonen. Psychologen der Berliner Humboldt Universität entwarfen reflektierende, orangefarbene Bauchbinden für den Abfallkorb. In Köln - so Dr. Rebekka Gerlach - war der Versuch ein voller Erfolg:

    "Und interessant war hier allein schon die auffälligere Gestaltung von Abfallbehältern - die hatten wir mit so einer reflektierenden Bauchbinde versehen -, dass die allein schon dazu führte, dass die Menschen weniger litterten. Und wenn man das Ganze noch kombinierte mit einer Plakatkampagne, die also die Menschen um ihre Mithilfe bei der Sauberhaltung einer Stadt bat, dann wurde das Ganze noch potenziert. Das heißt, es kam noch einmal deutlich zu einer Verbesserung der Sauberkeit in den entsprechenden Gebieten. Und auch die Mangelwahrnehmung nahm eben ebenfalls noch einmal deutlich ab."

    Junge Menschen haben andere Sauberkeitsvorstellungen als ältere. Raucher andere als Nichtraucher. Hundebesitzer wiederum sehen einen Kothaufen mit anderen Augen als Menschen ohne Haustiere. Für Abfallunternehmen ist das eine schwierige Gratwanderung, es allen Bewohnern recht zu machen. Zumal eben auch die Kosten eine große Rolle spielen. Dr. Heinz-Josef Dornbusch:

    "Der Anspruch ist sicherlich da, dass das sauber ist. Wenn's ans bezahlen geht, ist man dort deutlich zurück haltender. Es gibt einige, die sagen, mir ist die Sauberkeit etwas wert. Dafür bezahle ich gerne. Es gibt aber auch durchaus eine andere Gruppe, die sagt, nein, das bezahle ich nicht und fordern, das sollen mal die bezahlen, die es auch verschmutzt haben, und dann wird es natürlich auch schwierig."

    Die "klinisch reine" Stadt - ohne Kippe, Kaugummi und Co. -, es gibt sie tatsächlich. Singapur gehört dazu. Das Ganze allerdings erkauft mit geradezu drastischen Strafen für Abfallsünder. Solche Städte sind nicht liebenswert, weil an jeder Ecke ein Müllpolizist steht, urteilt Kornelia Hülter aus Hannover. Die an der Studie beteiligten Abfallunternehmen setzen vor allem auf Einsicht - gefördert mit großflächigen Plakaten. Sie hoffen: Wo Bürger ihre Stadt lieben, landet der Müll vielleicht eher im Abfallbehälter statt auf dem Bürgersteig. Den unliebsamen Rest erledigen die Müllwerker. Siegfried Tadje will ja auch noch was zu tun haben

    "Auf der einen Seite hat man Wut. Weil wenn man gerade eine Straße sauber gemacht hat, kommt irgend jemand und schmeißt es da wieder hin. Auf der anderen Seite sage ich, solange die was hinschmeißen, ist mein Job gesichert."