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Keas lernen durch Beobachtung von Artgenossen

Biologie. - Die Verhaltensforscher sehen es als Vorstufe von Kultur an, wenn jemand vom Wissen seiner Artgenossen profitiert, indem er durch Beobachtung von ihm lernt. Der Mensch kann das - und auch die Menschenaffen, bei denen der Nachweis gelungen ist. Forschungen an der Universität Wien legen nahe, dass auch Keas, die verspielten neuseeländischen Gebirgspapageien, dazu fähig sind.

Von Dagmar Röhrlich | 28.06.2006
    In der großen Voliere ist der Kea los. Ludwig Huber verschmiert ein Stück Mango am Draht - und Mango ist das Zweitbeste überhaupt, finden die Keas. Nur Butter mögen sie noch lieber. Aber Mango ist super, und so sind die neugierigen Vögel nicht nur wegen dieses interessanten, zotteligen Windschutzes über dem Mikrofon höchst erfreut über unseren Besuch. Weil's nun mal alles mehr Spaß macht, wenn man sich balgt, versuchen die hühnergroßen, olivgrünen Bergpapageien einander die besten Bissen wegzunehmen. Sie schwatzen und tönen, während der Zoologe Ludwig Huber von der Universität Wien seine Forschungen zur Kea-Intelligenz erklärt.

    " Unsere Forschung hat sich zentriert um die Frage der sozialen Intelligenz, ob diese Tiere - ähnlich, wie wir das von Primaten wissen - voneinander lernen können. Ob sie technische Innovationen zum Beispiel, die sie brauchen, um neue Nahrungsquellen zu erschließen, schwer zugängliche Nahrungsquellen zu erschließen, ob sie diese neuen Techniken direkt von anderen Gruppenmitgliedern übernehmen können."

    Denn voneinander zu lernen gilt als zentrale Fähigkeit für die Entstehung von Kultur - und Keas besitzen diese Fähigkeit:

    " Wir haben tatsächlich gefunden, dass sie hier genau zusehen, was der andere macht, dass sie nicht nur dabei lernen, womit sie sich zu beschäftigen haben, wo etwas Neues ist, wo es etwas Interessantes gibt, sondern, dass sie tatsächlich auch schauen, wie die Dinge funktionieren."

    Kea Bigo hopst im beschwingten Seitgalopp durch den Käfig, springt auf einen Ast und erwartet ganz offensichtlich Beifall für seine Aufführung. Er kreischt - wir sollen uns um ihn kümmern. Ludwig Huber erklärt unbeeindruckt weiter:

    " Das hat uns jetzt im zweiten Schritt dazu geführt, dass für uns jetzt auch mit der technischen Intelligenz diese Tiere beschäftigen . Diese Tiere sind extrem manipulativ, sie können mit ihren Schnabel, und das in Verbindung mit den Krallen, können Sie also Gegenstände untersuchen, können Gegenstände aufbrechen, sie sind leider daher auch sehr destruktiv, zum Leidwesen der Camper und Touristen in Neuseeland, wo sie sich auch an Autos, an Zelte und so weiter heran machen."

    Um herauszufinden, wie Keas lernen, wurde zweien beigebracht, eine Stahlbox zu öffnen, in der sich Futter oder ein Spielzeug verbarg.

    " Sie mussten dazu mehrere Verschlüsse aufmachen, wie zum Beispiel einen Splint abziehen, eine Schraube aufdrehen, einen Bolzen durchdrücken, um dann auch den Deckel öffnen zu können."

    Dann sollten sie ihre Kunst einigen der anderen vorführen. Die fanden die Kiste dann hochinteressant, und sie begriffen sofort, was es mit den verschiedenen Verschlüssen auf sich hat.

    " Die Tiere, die zusehen konnten, konnten zum Beispiel herausfinden, dass ein Splint abgezogen werden muss. Diese Funktion dieses Splints haben Sie durch reines Zusehen verstanden und sind sofort an den Splint und haben sofort versucht, sehr kräftig an diesen Splint zuziehen, um ihn zu entfernen."

    Die anderen, die nicht zusehen durften, gingen vollkommen anders an die Kiste heran: Sie untersuchten sie eher als Ganzes - und nur einer schaffte es, die Box zu öffnen. Aber imitierten die Keas nun lediglich das Verhalten, das sie bei den anderen gesehen haben? Oder begreifen sie die Zusammenhänge?

    " Um das zu prüfen, muss man bestimmte Kontrollen einbauen, zum Beispiel indem man zwei Modelltiere hat, die die Verschlüsse in einer unterschiedlichen Art öffnen. Wir hatten so Verschlüsse, wo wir Schrauben links drehend hatten für ein Modelltier und rechtsdrehend für das andere Modelltier. Wir hatten auch unterschiedliche Sequenzen des Öffnens, also Splint, Schraube, Bolzen für das eine Modelltier, Splint, Bolzen, Schraube für das andere Modelltier, wir hatten daher auch für jedes Modelltier unterschiedliche Gruppe von Beobachtern."

    Das Ergebnis: Keas imitieren nicht. Sie begreifen die Technik und ahmen nicht einfach eine Abfolge von Bewegungen nach. Sie interessieren sich für die Funktionsweise der Verschlüsse, nicht für das Verhalten ihrer "Lehrer". Die Hypothese, dass mit der technischen Intelligenz auch die Fähigkeit steigt, über kausale Zusammenhänge zu lernen und nicht mehr über die Nachahmung, scheint sich zu belegen. Die Wiener Keas besuchen jedoch eine "Eliteschule", da die Forscher ihnen ständig neue Aufgaben stellen. Das zeigt eine Vergleichsgruppe wild lebender Tiere. Die scheinen nicht so sehr darauf zu achten, was ihre Artgenossen treiben. So lernten in Neuseeland zwar drei von 20 Keas, einen verlockenden Eimer mit Lebensmittelresten zu öffnen - aber die anderen schauten sich den Trick nicht ab und warteten lieber darauf, dass einer der drei sozusagen das Schlaraffenland aufschloss.