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Kein Atomausstieg "vor 2021"

Laut Hans-Heinrich Sander (FDP) ist ein schneller Atomausstieg nicht realisierbar. Der hohe Anteil von 57 Prozent der Kernenergie am Stromaufkommen müsse zunächst durch erneuerbare Energie ausgeglichen werden. Ein Ausstieg sei frühestens im Jahr 2021 möglich.

Hans-Heinrich Sander im Gespräch mit Silvia Engels | 18.05.2011
    Silvia Engels: Gestern hat die Reaktorsicherheitskommission ihren Abschlussbericht vorgelegt. Das Expertengremium war von der Bundesregierung gebeten worden, nach der Atomkatastrophe von Fukushima noch einmal den Sicherheitsstand deutscher Atomkraftwerke zu überprüfen. Dabei wurde unter anderem ein bekanntes Problem noch einmal prominent bestätigt. Keines der AKW ist gegen den Absturz von großen Verkehrsflugzeugen gefeit. Bundesumweltminister Norbert Röttgen sagte dazu gestern:

    O-Ton Norbert Röttgen: Der Schutz gegenüber diesem Zivilisationsrisiko Flugzeugabsturz und terroristische Attacke, das war vorher bekannt, es wäre jetzt völlig unehrlich, das hier darzulegen als neue Erkenntnis, aus der ich darum jetzt Konsequenzen ziehe, und das wird einer der Gesichtspunkte sein, auf die sich die politische Bewertung sicherlich beziehen wird und auch eine neue Antwort geben wird nach meiner Einschätzung.

    Engels: Umweltminister Röttgen bei dem noch etwas vagen Versuch, den Bericht der Reaktorsicherheitskommission einzuordnen. – In Niedersachsen stehen drei Atomkraftwerke. Zurzeit läuft nur das AKW Emsland. Der Meiler in Grohnde ist gerade abgeschaltet, weil die turnusmäßige jährliche Überprüfung ansteht, und dazu ist das älteste AKW im Land, Unterweser, wegen des Moratoriums ebenfalls vom Netz. – Am Telefon ist Hans-Heinrich Sander von der FDP. Er ist Umweltminister in Niedersachsen und hat in dieser Funktion auch die Aufsicht über die eben genannten Atomkraftwerke. Guten Morgen, Herr Sander!

    Hans-Heinrich Sander: Guten Morgen, Frau Engels!

    Engels: Haben Sie denn nun eigentlich Stromengpässe, wenn nun zwei von drei AKW nicht laufen?

    Sander: Also so ist es ja nicht, dass wir autark sind in Niedersachsen mit unserer Stromversorgung. Wir sind natürlich eingebettet in das Netz, in das deutsche Netz, in das europäische Netz. Das ist auch, glaube ich, nicht das große Problem, das wir jetzt Stromnot haben. Außerdem haben wir, wenn Sie die Frage nehmen, ja den höchsten Anteil an erneuerbaren Energien, also da sind wir ja ebenfalls schon vorbildlich.

    Engels: Dann schauen wir auf den Bericht der Sicherheitskommission. Wenn Sie das nun einmal so zusammengenommen hören und natürlich auch auf das AKW Emsland schauen, haben Sie gut geschlafen?

    Sander: Also ich habe gut geschlafen, weil ich relativ spät ins Bett gekommen bin und den ganzen Tag gestern gearbeitet habe. Natürlich muss man die Ängste der Bürger hier ernst nehmen, und deswegen ist ja auch die Sicherheitsüberprüfung noch mal vorgenommen worden nach der furchtbaren Katastrophe von Fukushima. Aber das war eben der Auftrag mit, zu prüfen, ob aus Fukushima irgendwelche Lehren gezogen worden sind, und das heißt: Erdbebensicherheit, dementsprechende Robustheit unserer Sicherheitssysteme, Notstromsysteme, des Kühlwassers, das waren Punkte - und des Hochwasserschutzes.

    Engels: Da bleiben wir doch direkt bei. Die Reaktorsicherheitskommission hat selbst mehrfach darauf verwiesen, dass ihnen viele Angaben der Betreiber fehlen, zum Beispiel eben zu Fragen der Kühlung von Brennstäben in Lagerbecken im Notfall. In der kurzen Zeit seit März sei das einfach nicht alles zu ermitteln. Sollte man der Kommission nicht noch mehr Zeit geben?

    Sander: Na ja, Sie wissen ja, dass ich einer von denjenigen war, der gesagt hat, das ist ein sehr ambitioniertes Ziel, innerhalb von drei Monaten all diese Dinge mit zu überprüfen, und deswegen ist auch dieser Bericht der Reaktorsicherheitskommission ja nicht in allen Punkten ziemlich klar und deshalb müssen natürlich die Betreiber, wenn sie noch irgendwelche Unterlagen haben, Erkenntnisse haben, dass da also nachgebessert worden ist, die uns nicht bekannt sein könnten, was eigentlich unmöglich wäre, dann müssen sie sie so schnell wie möglich auf den Tisch legen.

    Engels: Zu allem Überfluss waren ja die Experten selber nicht im AKW, sondern sie haben sich auf die Aussagen der Betreiber verlassen müssen. Wie viel ist ein solcher Bericht wert?

    Sander: Das ist ja eben die Frage. Also es ist nicht ganz richtig, dass sie sich nur auf die Unterlagen der Betreiber verlassen mussten. Wir als Niedersachsen haben zum Beispiel für die Überprüfung von Unterweser immerhin 450.000 Euro in die Hand genommen und haben Experten damit beauftragt, diese Untersuchungen vorzunehmen. Allerdings dauert das seine Zeit, bis sie die Experten auch beauftragt haben und bis die auch Ergebnisse bringen. Insofern wird parallel erkundet im Grunde genommen und überprüft, ob nur die Bewertung der Anlagenbetreiber auch dementsprechend das einzige Kriterium sein soll.

    Engels: Aber fließt das dann noch ein, bevor politisch entschieden werden soll, wie man mit den Meilern weiter verfährt?

    Sander: Ja das ist eben die große Frage, ob wir jetzt auch das abwarten noch, was wir in Auftrag gegeben haben zur Überprüfung. Mir scheint es allerdings, dass das eine politische ist. Es wird eine reine politische Entscheidung wohl werden am 6. Juni. Das ist in zwei Wochen. Da soll das Kabinett darüber beschließen. Also ich kann mir kaum vorstellen, dass sowohl unsere Experten, die wir beauftragt haben, das dementsprechend überprüfen können anhand oder vor Ort in den Kraftwerken, sondern man muss sich schon wohl auf den Bericht der Reaktorsicherheitskommission verlassen, beziehungsweise das wird die Grundlage für zukünftige Entscheidungen sein.

    Engels: Dann schauen wir gerade mal auf das Beispiel AKW Unterweser. Sie haben es angesprochen: Dort hat das Land Niedersachsen selbst Geld in die Hand genommen, um zu überprüfen. Sie haben selber gesagt, dass Sie für das AKW Unterweser keine Zukunft mehr sehen, kurz nach der Abschaltung. Nun hat der Expertenbericht gestern erwiesen, dass im Gegensatz zu anderen Gefahren gerade das AKW Unterweser auch bei Überflutung schlechter dasteht als andere. Was heißt das alles?

    Sander: Das heißt also, wir sind vorher von einem 1000-jährigen Hochwasser ausgegangen. Das hat man erhöht um das Zehnfache, also 10.000-jähriges Hochwasser, eine große Unwahrscheinlichkeit. Die hat man jetzt zum Anlass genommen und daraufhin die Berechnungen betreffs der Flutung von Hochwasser der Weser insbesondere geführt, aber auch vielleicht anderer Ereignisse, Sturmfluten, die dort noch hineinspielen könnten. Das hat man genommen und dann reichen diese Maßnahmen nicht aus. Das heißt für mich, wenn die Betreiber sagen, wir werden diese Auflage schnellstens erfüllen, dann habe ich keine Möglichkeit zu sagen, es wäre also nicht nachgerüstet worden. Viel problematischer ist doch die Frage – und es spitzt sich ja alles daraufhin auch zu -, dass durch die Angriffe durch Flugzeuge, durch terroristische Angriffe eben unsere Kernkraftwerke nicht so geschützt sind, wie wir das eigentlich fordern mussten und jetzt auch fordern müssen. Das heißt, sie haben alle die Stufe eins. Es gibt insgesamt drei Stufen dabei und die Stufe eins ist die niedrigste Stufe, das heißt absturzsicher für kleine Verkehrsflugzeuge und einen Starfighter. Noch nicht mal der Phantom ist in der Bewertung bei eins noch dementsprechend haltbar. Daher müssen jetzt die Anlagenbetreiber nachweisen oder sagen, wir sind in der Lage nachzurüsten, und zwar umgehend nachzurüsten, und dann ist eben eine andere politische Bewertung wahrscheinlich möglich. Jetzt sehe ich keine andere.

    Engels: Eine andere wahrscheinliche politische Bewertung. Aber muss man nicht mit Blick auf diese Unsicherheit, die Sie ja noch mal angesprochen haben, was Flugzeuge angeht, der Sicherheit Vorrang geben?

    Sander: Natürlich! Die Sicherheit hat absoluten Vorrang!

    Engels: Das heißt, alle abschalten?

    Sander: Das ist jetzt die Konsequenz. Hier muss nämlich jetzt darüber gesprochen werden, können wir alle wirklich abschalten, wenn sie nicht sicher sind, wenn sie nicht die Stufe zwei, also Phantom-Abstürze und dergleichen und terroristische Angriffe dort nicht die Sicherheit gewährleisten.

    Engels: Wie ist denn Ihre Antwort?

    Sander: Dann muss diese Frage geklärt werden! Nur eines ist auch klar: Das sind alles Dinge, die auch schon bekannt waren, und Sie, Frau Engels, haben das eben noch mal auch betont. Das sind ja nicht Mängel, die wir heute, oder unsere Standards, die wir heute infrage stellen, sondern die sind schon über Jahre bekannt und deswegen hilft da auch nicht irgendeine politische Bewertung der einen oder der anderen Fraktion etwas, sondern die Sicherheit muss gewährleistet sein, das ist eine politische Forderung, und wenn sie nicht gewährleistet ist, dann muss man dementsprechend politisch, das heißt der Deutsche Bundestag muss dementsprechend dann das Gesetz so ändern, dass die Kernkraftwerke vom Netz gehen.

    Engels: Und Sie haben doch bestimmt die Meinung dazu, bis wann das der Fall sein soll, oder?

    Sander: Ja! Die Meinung habe ich schon dazu: so schnell wie möglich. Das ist natürlich für Sie auch unbefriedigend.

    Engels: Bis 2017, wie Jürgen Trittin vorschlägt?

    Sander: Ach, das ist doch gar nicht machbar. Wir sind Mitte des Jahres, wir haben jetzt schon fast 2012! Sie müssen auch mal betrachten, Herr Trittin müsste das eigentlich wissen, dass in der Grundlast wir im Augenblick einen Anteil der Kernenergie von 57 Prozent haben. Dieser Anteil muss ersetzt werden durch erneuerbare Energien. Bloß da brauchen sie Planung, da brauchen sie Netzplanung, alles Voraussetzungen, die sie in den letzten Jahren nicht geschaffen haben. Das war ja zum Beispiel beim Ausstiegsbeschluss. Was ist denn beim Ausstiegsbeschluss von dem umgesetzt worden, was damals beschlossen worden ist unter Rot-Grün, unter Herrn Trittin. Es sollten Gaskraftwerke gebaut werden, es sollten Netze gebaut werden und es sollten auch erneuerbare Energien forciert werden. Also das Letztere ist passiert, die Möglichkeiten, die die Politik überhaupt hat, durch Raumordnung und Planfeststellung, sind geschehen. Aber wo sind denn neue Netze gebaut worden? Ist doch nichts geschehen!

    Engels: Na ja, dann kam Schwarz-Gelb und hat das Ganze ohnehin wieder etwas zurückgedreht. Das wollen wir dann nicht vergessen.

    Sander: Das wollen wir nicht vergessen. Das war aber erst vor eineinhalb Jahren!

    Engels: Ja, aber nichtsdestotrotz war das Signal ja, das sagen ja auch mittlerweile viele Experten, schon relativ eindeutig. Aber so ganz schaue ich da noch nicht dahinter, wie Sie das mit der FDP-Linie in Übereinstimmung bringen können. Klar, die FDP hat angekündigt, die Bezahlbarkeit der Energiekosten im Auge zu halten. Aber sind Ihre Sicherheitssorgen, die Sie ja gerade in den Vordergrund stellen, nicht doch noch drängender, heißt ein festes Ausstiegsdatum?

    Sander: Sie müssen beides dementsprechend, sie müssen nur an das Thema auch rational mit Vernunft herangehen, was ist machbar? Ich kann alle möglichen Forderungen in der Politik immer stellen, aber ich muss sie auch umsetzen, muss auch die Auswirkungen, auch die sozialen Wirkungen sehen, was hat das für unsere energieintensiven Betriebe zu tun, ohne dass die Sicherheit dabei der Kernkraftwerke da vernachlässigt wird. Das ist eine Grundvoraussetzung. Aber all diese Themenkreise müssen sie doch ebenfalls mit berücksichtigen.

    Engels: Aber da hätte ich trotzdem gerne ein Enddatum gehört.

    Sander: Ja! Ich weiß es nicht. Also so schnell wie möglich! Ich höre in der Diskussion auch mit meinen Fachleuten, dass es wahrscheinlich machbar wäre unter ganz klaren Voraussetzungen, dass der Netzausbau sehr viel schneller durchgeführt wird als in der Vergangenheit. Da werden auch Bürgerrechte dann dementsprechend mit infrage gestellt, dementsprechend Einspruchsrechte, Gerichtsverfahren, die müssen vereinfacht werden oder verkürzt werden. Also wenn ich es sagen würde, ich glaube, vor 2021 werden sie das nicht erreichen.

    Engels: Das war dann zumindest ein konstruktiver Vorschlag an dieser Stelle. Ich danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Das war Hans-Heinrich Sander, er ist der Umweltminister von Niedersachsen und gehört der FDP an. Vielen Dank!

    Sander: Danke, Frau Engels.