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Kein Defizitverfahren gegen Spanien
Ein Land atmet auf

Bis 2018 gilt nun eine Schonfrist für Spanien, das sich nicht an die EU-Defizitgrenzen gehalten hat. Es muss kein Strafgeld zahlen. Es ist aber nur eine kurze Atempause, denn weiterhin fordert die EU Kürzungen in Höhe von zehn Milliarden Euro - dieses Mal könnte es auch die Rentner treffen.

Von Hans-Günter Kellner | 28.07.2016
    Eine spanische Euromünze liegt auf der Seite eines Atlasses auf Spanien.
    Kein Strafgeld: Die Spanier begrüßen das. (imago/nordpool/Martin Ziemer)
    Es ist ein heißer Sommer in Madrid mit Temperaturen von bis 40 Grad. Erst abends finden die Madrider Abkühlung im großen Innenstadtpark Retiro. Heiß diskutiert wird da nicht, auch nicht über die Brüsseler Entscheidung, Spanien und Portugal wegen ihrer Defizitabweichungen nicht zu bestrafen. Ein Mann und eine Frau sagen am Haupteingang zum Park:
    - "Ich finde das gut. So bleibt uns ein wenig Luft zum Atmen. Hätten wir jetzt eine Geldbuße bezahlen müssen, hätten wir unsere Schulden erst recht nicht bezahlen können."
    - "Wenn wir die Regeln verletzen, hätte man uns auch bestrafen müssen. Aber jetzt bekommen wir ein Problem mit den zusätzlichen Kürzungsforderungen. Das zahlt am Ende immer die Arbeiterklasse. Die sollten sich lieber mal an die großen Unternehmen und die Wohlhabenden wenden."
    Im Park geht die Bewässerungsanlage in Gang, es riecht nach frischem Gras. Juan und Pilar sitzen auf einer Bank und beobachten ihre Enkelin auf dem Spielplatz. Juan ist dankbar, dass Spanien am Ende keine Strafe zahlen muss:
    - "Hier heißt es, dass wir die Haushaltskürzungen der Frau Merkel zu verdanken haben. Ich denke aber, Merkel hat uns geholfen. Wir geben gerne aus, was wir nicht haben. Sie hat uns diesen mediterranen Schlendrian ausgetrieben."
    - "Ich bin überhaupt nicht einverstanden", sagt seine Frau. "De Guindos hat gut gearbeitet. Er hat gekürzt, wo er nur konnte. Niemand hätte verstanden, wenn wir jetzt noch bestraft werden. Er ist ein sehr guter Minister, er hat sein Bestes gegeben."
    Zumal der spanische Wirtschaftsminister Luis de Guindos die Rente der Beiden bislang nicht angetastet hat. Das könnte sich aber bald ändern. Die Rentenkasse ist leer. Und die EU-Kommission fordert von Spanien, in den nächsten beiden Jahren weitere zehn Milliarden Euro zu kürzen. Alle drei Monate will die Kommission die Einhaltung der Vorgabe überprüfen. Wirtschaftsminister de Guindos gibt sich dennoch gelassen:
    "Wir müssen unser Defizit im nächsten Jahr von 4,6 auf 3,1 Prozent senken. Aber unsere Wirtschaft wächst etwa um 2,5 Prozent. Damit steigen unsere Einnahmen um etwa sieben Milliarden Euro. Und wir haben ja die fälligen Vorauszahlungen für die Unternehmenssteuern angehoben, das bringt weitere sieben Milliarden Euro."
    Schwere Bürde für den spanischen Haushalt
    Trotz der Gelassenheit in Madrid: Zehn Milliarden Euro gleicht man im Haushalt nicht leicht aus, warnt Angel de la Fuente von der Wirtschaftsstiftung Fedea. Er kritisiert jüngste Steuersenkungen als überflüssige Wahlgeschenke und fordert eine umfangreiche Steuerreform, um die Staatsfinanzen zu sanieren. Und er sagt: Auch Deutschland hat Hausaufgaben:
    "Ein Teil des spanischen, griechischen oder portugiesischen Defizits gäbe es nicht, wenn die Deutschen kein so großes Plus in ihrer Zahlungsbilanz hätten. Deutschland exportiert viel, weil die Partner viel importieren. Seine Regierung kann nicht einfach sagen: Wir machen unsere Wirtschaftspolitik und die anderen ihre, die sollen sich mal anstrengen. Wir sind nun mal gegenseitig voneinander abhängig. Alle müssen ihren Beitrag dazu leisten, dass es der europäischen Wirtschaft besser geht. "
    Zumal der 2011 reformierte Stabilitäts- und Wachstumspakt der Europäischen Union nicht nur Haushaltsdefizite und zu hohe Staatsschulden, sondern auch zu starke Exportüberschüsse eines Landes zulasten der anderen Partner verhindern sollte, sagt der Volkswirt der Stiftung Fedea. Aber trotz der Kritik: Die Spanier stehen den Deutschen weiter aufgeschlossen gegenüber - zumindest an diesem Abend im Retiropark. Vor dem Spielplatz sagt Rentnerin Pilar:
    "Merkel macht das, was sie für richtig hält. Sie hat Angst, dass wir vom deutschen Geld leben. Das machen wir natürlich nicht. Aber sie sollte uns ein wenig mehr Zeit geben, das Defizit zu erreichen, das sie von uns erwartet."