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"Kein einziges Land sollte austreten"

Forderungen nach einem Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone bezeichnete der griechische Abgeordnete Evangelos Antonaros als Unfug. Dadurch bestehe die Gefahr eines Scheiterns für den Euro. Der Abgeordnete der Oppositionspartei Nea Dimokratia warf der Regierung in Athen Mutlosigkeit bei der Umsetzung der Reformen vor.

Evangelos Antonaros im Gespräch mit Firedbert Meurer | 08.06.2011
    Friedbert Meurer: Für die griechische Regierung ist es wahrlich eine Herkulesaufgabe: Der Staat ist hoch verschuldet, auf dem freien Markt bekommt das Land kein Geld mehr, jedenfalls nicht mehr zu akzeptablen Zinsen. Kaum ein Tag vergeht ohne neue Proteste, die sich aber vermehrt in Griechenland nicht nur gegen die eigene Regierung, sondern gegen die EU und vor allem auch Deutschland richten. Nicht wenige Griechen fühlten sich zum Beispiel beleidigt – das ist jetzt schon ein bisschen her – durch eine Aphrodite mit Stinkefinger auf dem Titelbild des "Focus". Das wiederum verstehen viele in Deutschland nicht, der allgemeine Tenor lautet: Wir stellen den Griechen unser Geld zur Verfügung, weil sie ihren Augiasstall nicht ausmisten können. Evangelos Antonaros ist Abgeordneter der Nea Dimokratia, er war früher Sprecher der griechischen Regierung. Guten Morgen, Herr Antonaros!

    Evangelos Antonaros: Guten Morgen, Herr Meurer!

    Meurer: Beleidige ich die Griechen mit dem Vergleich mit dem Augiasstall?

    Antonaros: So übertrieben es auch sein mag, bin ich der Meinung, dass wir Griechen sehr viel noch zu unternehmen haben, um unser Haus in Ordnung zu bringen. Und insofern sind wir sozusagen immer noch auf dem Weg, um das Ziel zu erreichen, das nicht immer in dieser Zeit in greifbarer Nähe erscheint.

    Meurer: Das Letzte, was hier in Deutschland, Herr Antonaros, für Empörung gesorgt hat, ist die Meldung, dass Tausende Tote, Menschen, die tot sind in Griechenland, noch eine Rente beziehen. Das klingt alles makaber, hat aber die Regierung ja selber veröffentlicht und bekannt gegeben. Ist das ein Beispiel für griechischen Mist und Schlamperei?

    Antonaros: Es gibt solche Fälle, ich weiß nicht, ob es um Tausende von solchen Fällen geht, es gibt mit Sicherheit Hunderte von solchen Fällen. Das ist Misswirtschaft im Sozialbereich, und ich gehe davon aus, dass die Regierung, die heutige Regierung so schnell wie möglich diese Situation auch ausmistet und diese Fehler auch beseitigt. Aber bitte, ich möchte berichtigen und sagen, dass die meisten griechischen Rentner zeit ihres Lebens sehr hart gearbeitet haben, um eine Rente oder eine Pension zu bekommen. Es ist nicht so, dass sie, was weiß ich, nur zehn oder 15 Jahre oder 20 Jahre gearbeitet haben, wie manche deutsche Medien berichten, um an diese Beträge zu kommen, die man natürlich in der letzten Lebensphase braucht, um über die Runden zu kommen. Diese Bürger sind im Moment sehr verunsichert – die Millionen Menschen, die hart gearbeitet haben und jetzt vor den Trümmern ihres Lebens stehen.

    Meurer: Das ist ja nachvollziehbar, Herr Antonaros. Hier in Deutschland fragt man sich aber, warum steht in Griechenland Deutschland am Pranger, obwohl Deutschland so viele Milliarden bürgt, zur Verfügung stellt und einfach darauf besteht, bitte schafft eure Missstände ab?

    Antonaros: Ich muss auch feststellen, dass die große Mehrheit der Griechen – und das geht auch aus sehr vielen Umfragen hier im Lande hervor –, dass sie für die Hilfe, die aus Deutschland, in erster Linie aus Deutschland – weil Deutschland natürlich der größte Geldgeber ist in dieser Situation –, aber auch von unseren anderen europäischen Partnern kommen, die sind für diese Hilfe sehr dankbar.

    Meurer: Ist hier noch nicht angekommen, die Dankbarkeit.

    Antonaros: Bitte?

    Meurer: Ist hier noch nicht angekommen, die Dankbarkeit.

    Antonaros: Zu dieser Belastung, die gelegentlich auftritt, trägt einerseits die Tatsache bei, dass die Haltung der Bundesregierung nicht immer eindeutig klar ist, und zum anderen, dass es natürlich sehr kleine Minderheiten gibt, die lautstark sind, den Ton angeben auf Demonstrationen und den falschen Eindruck vermitteln, dass es eine – wie sollte ich sagen – eine große Belastung der deutsch-griechischen Beziehungen gibt. Die gibt es nicht.

    Meurer: Was ist an der Haltung der Bundesregierung unklar?

    Antonaros: Oft hat es einen Schlingerkurs gegeben, ob und mit welchen Mitteln die Europäische Union zusammen mit der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds – das sind die drei großen Geldgeber – Griechenland unter die Arme greifen sollen. Zweitens, ob Griechenland eine Umschuldung machen soll oder nicht. Es entsteht offenbar oft der Eindruck, dass es zwischen der Bundesrepublik und der Europäischen Zentralbank Meinungsverschiedenheiten gibt, die es auch geben soll, um die Situation noch klarer zu machen. Auf der anderen Seite, in einem Land wie Griechenland, das sehr stark unter Druck steht ...

    Meurer: Und unter Druck stehen aber auch die deutschen Bundestagsabgeordneten. Sie kennen ja die deutsche politische Landschaft gut – das wird nicht so einfach für die Bundeskanzlerin Angela Merkel werden, ein neues Rettungspaket in ihrer eigenen Koalitionsfraktion durchzukriegen. Was halten Sie von der Bedingung, die Finanzminister Schäuble definiert, private Banken beteiligen am nächsten Paket und sogenannten sanfte Umschuldung, Staatsanleihen um sieben Jahre verlängern?

    Antonaros: Das ist eine sehr komplizierte Frage, die ich ohne Weiteres nicht beantworten kann, das sage ich Ihnen auch ganz offen.

    Meurer: Versuchen Sie es möglichst einfach!

    Antonaros: Und ich bin allerdings der Meinung, dass wenn es sein muss, dann muss es auch gemacht werden. Das Wichtigste ist allerdings, dass die griechische Regierung, die heutige griechische Regierung – das sage ich nicht, weil ich in der Opposition im Moment bin –, das, was sie verabschiedet, die Reformen, die sie verabschiedet, zum größten Teil auch mit Unterstützung der Opposition, also meiner Partei in diesem Fall, auch tatsächlich umsetzt. Es sind Reformen verabschiedet worden, die es nur auf dem Papier gibt, und zwar nicht, weil die Opposition Nein sagt, sondern weil die Regierung einfach nicht den Mut hat, möglicherweise nicht den parteiinternen Mut hat, diese Reformen umzusetzen. Das versuche ich immer wieder, meinen deutschen Kollegen zu erklären. Ich habe in den letzten drei Wochen zwei längere solcher Gespräche gehabt mit Kollegen ...

    Meurer: Und was sagen Sie denen beispielsweise?

    Antonaros: ... aus allen Fraktionen des Deutschen Bundestags.

    Meurer: Ganz kurz: Was sagen Sie denen auf die Forderung hin, Griechenland möge aus der Währungsunion austreten?

    Antonaros: Ich glaube, das ist Unfug.

    Meurer: Warum?

    Antonaros: Griechenland, kein einziges Land, das in Europa dem Euro beigetreten ist, sollte austreten. Man sollte versuchen, die Solidarität zu zeigen, die notwendig ist, und alle Länder – ob es Griechenland oder Italien oder Portugal oder Irland ist – in der Eurozone zu behalten. Sonst gäbe es die Gefahr, dass manche behaupten, der Euro und die gemeinsame Währung sind als wichtigste Schritte in der Europäischen Union einfach gescheitert. Und das kann man nicht zulassen, weil ein einziges Land oder zwei Länder, schwächere Länder im Moment, Schwierigkeiten haben.

    Meurer: Evangelos Antonaros, ehedem griechischer Regierungssprecher, heute ist er für die Konservativen Abgeordneter im griechischen Parlament. Herr Antonaros, besten Dank, auf Wiederhören, schöne Grüße nach Athen!

    Antonaros: Ich danke Ihnen auch!