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Kein Jamaika, keine Ampel

Die FDP hat eine Koalition mit SPD und Grünen - die sogenannte Ampel - ausgeschlossen. Die Grünen hingegen lehnen eine Jamaikakoalition mit Schwarz-Gelb ab. Gelb und Grün kommen also nur zusammen, wenn einer umfällt.

Von Gudula Geuther und Wolfgang Labuhn | 25.09.2009
    "Guten Morgen, meine Damen und Herren. An diesem schönen Herbsttag begrüßen Sie mit uns unseren Bundesvorsitzenden Guido Westerwelle."
    Eine Woche vor der Wahl noch ein Sonderparteitag der Freien Demokraten zur Verabschiedung eines Wahlaufrufs inklusive Koalitionsaussage. 600 Delegierte sind in die Filmstadt Potsdam-Babelsberg gekommen, dazu Hunderte von Gästen und Medienvertretern. Die Metropolishalle ist bis auf den letzten Platz gefüllt, als Parteichef Guido Westerwelle - begleitet vom Ehrenvorsitzenden Hans-Dietrich Genscher - und die übrige Parteiführung zu den Klängen des Fleetwood-Mac–Klassikers "Don't stop" in den Saal einziehen. Niemand scheint sich daran zu stören, dass dies die Wahlkampfhymne von Bill Clinton war, der damit einst antrat, um in den USA anderthalb Jahrzehnte des republikanischen Marktradikalismus zu beenden.
    Drei Stunden später wird der FDP-Wahlaufruf bei einer Enthaltung einstimmig verabschiedet. Auf vier Seiten wird darin das FDP-Wahlprogramm komprimiert, Überschrift: "Deutschland kann es besser – Mit neuem Denken". Parteichef Guido Westerwelle schaffte es am Abend vorher im Anschluss an eine Bundesvorstandssitzung der FDP noch kürzer:

    "Insbesondere sind wir der Überzeugung, dass wir ein faires Steuersystem brauchen, dass wir mehr für Bildung machen müssen, dass die Bürgerrechte nicht unter die Räder kommen dürfen, wie es bisher der Fall gewesen ist in den letzten Jahren, dass wir dafür sorgen müssen, dass wir eine Umweltpolitik bekommen, die auf neue Technologien setzt. Wir wollen eine neue Gesundheitspolitik, die nicht alles teurer macht und dabei nichts wirklich besser und wir sind natürlich auch als FDP der Überzeugung, dass es dringend notwendig ist, dass wir durch Partnerschaft und Abrüstung wieder Markenzeichen der deutschen Außenpolitik setzen."
    Während diese Positionsbestimmung eigentlich keine Koalition unter Beteiligung der Freien Demokraten ausschließt, wird der Wahlaufruf schon deutlicher.

    Unmittelbar nach der Wahl, so heißt es dort, wollen die Liberalen im Falle ihrer Regierungsbeteiligung Familien entlasten und die Kinder durch einen einheitlichen Grundfreibetrag in Höhe von 8004 Euro mit den Erwachsenen gleichstellen. Generalsekretär Dirk Niebel zu diesem Teil der FDP-Steuerpolitik:

    "Die Eltern geben in der Regel mehr für ihre Kinder aus als für sich selbst. Deswegen ist es notwendig, dass wir zu einem einheitlichen Grundfreibetrag auch für Kinder kommen, damit Familien frühestens ab einem Einkommen von 40.000 Euro überhaupt erst steuerpflichtig werden bei einer vierköpfigen Familie."
    Die Unternehmensbesteuerung soll erneut reformiert werden, die Erbschaftssteuer will die FDP bei Betriebsübergängen familienfreundlicher gestalten. Unmittelbar nach der Wahl will die FDP sich im Bildungsbereich unter anderem für ein bundesweites Stipendiensystem für Studierende einsetzen, wobei der Wahlaufruf allerdings verschweigt, dass es nur den besten Studierenden zugutekommen soll.

    Unmittelbar nach der Wahl sollen ferner das Schonvermögen für Hartz IV – Empfänger verdreifacht und der Gesundheitsfonds abgeschafft werden.
    Generalsekretär Niebel:

    "Wir brauchen ein wettbewerbliches Gesundheitssystem, das jeden Menschen eine Versicherung gegen das große Lebensrisiko Krankheit ermöglicht. Jeder muss versichert sein, aber die Krankenversicherungen sollen im Wettbewerb untereinander stehen mit einer Pflicht zur Versicherung für den Bürger und der Verpflichtung für die Versicherungen, den Bürger auch aufzunehmen, selbst wenn er älter oder vorerkrankt ist."
    Und die FDP entdeckt wieder die Bürgerrechte. Johannes Vogel, der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen:
    "Für mich ist ganz zentral, dass sich im Bereich der Bürgerrechte etwas tut und ich glaube, die erste Frage, die wir da angehen müssen, ist die Rücknahme dieser absurden Internetzensur, die da von der Großen Koalition eingeführt wurde."
    Und unmittelbar nach der Wahl sollen Verhandlungen mit den Verbündeten aufgenommen werden, um innerhalb der nächsten Legislaturperiode die in Deutschland stationierten Atomwaffen abzuziehen. Für Westerwelle ergibt sich daraus eine apodiktische Koalitionsaussage:
    "Weil die Programme von SPD und Grünen zu mehr Belastungen der Bürger führen, stehen wir Freien Demokraten nicht als Mehrheitsbeschaffer für Rot-Grün zur Verfügung. Dieses Wort gilt! Und wir haben Wort gehalten! Und es gilt auch beim nächsten Mal: Weil wir Wort gehalten haben, haben wir auch das Vertrauen der Bürger verdient, meine Damen und Herren!"
    Viele in der Partei dürften mit einer gewissen Erleichterung registriert haben, dass Westerwelle dafür nun quasi die persönliche Verantwortung übernommen hat, denn seine Festlegung ist bei den Freien Demokraten nicht unumstritten. Als sich das FDP-Präsidium am Tag vor dem Sonderparteitag mit dem Wahlaufruf befasste, den Parteichef Westerwelle vorgelegt hatte, soll es wegen der Absage an eine sogenannte Ampelkoalition mit den Sozialdemokraten und den Grünen zu einer lebhaften Diskussion gekommen sein, deren Ergebnis der stellvertretende Parteivorsitzende Rainer Brüderle am Rande des Parteitags mit den Worten zusammenfasste:
    "Wir haben gestern kameradschaftlich die Situation besprochen und eine einhellige Meinung entwickelt, die auch im Bundesvorstand mit ganz wenigen
    Gegenstimmen beschlossen wurde und ich habe dem auch zugestimmt. Über Einzelheiten des Präsidiums werde ich im Deutschlandfunk keine öffentliche Darlegung machen. Für so blöde dürfen Sie mich nicht halten."
    Als der FDP-Bundesvorstand den Wahlaufruf am Vorabend des Sonderparteitages billigte, gab es zwei Enthaltungen. Nicht zustimmen mochte etwa Johannes Vogel, der Vorsitzende der Jungliberalen:

    "Es gab im Vorfeld vor der Schlussabstimmung über den Wahlaufruf im Vorstand eine Diskussion bei uns über die Frage, ob man formell etwas ausschließen muss, was inhaltlich sowieso ausgeschlossen ist und ob es nicht reicht, positiv zu sagen was wir wollen, mit wem wir zusammenarbeiten wollen nach der Wahl. Es ging da um die Frage der Koalitionen. Und ich gehörte zu denen, die das anders gesehen haben, und habe mich deshalb der Stimme dort enthalten. Ich muss aber sagen, es war kein Dissens insofern, als niemand im Vorstand – auch ich nicht – die Ampel inhaltlich für eine in irgendeiner Form machbare Option bei dieser Bundestagswahl gehalten hat."

    Der Stimme enthielt sich ferner der Berliner FDP-Politiker Alexander Pokorny, der tags darauf am Rande des Parteitags ähnlich argumentierte wie der Vorsitzende der Jungliberalen:

    "Ich wollte mich nur zu dem äußern, was wir machen wollen. Wir haben gute Erfolge erzielt in den letzten Jahren in den Wahlen - Landtagswahlen, Europawahlen – dadurch, dass wir gesagt haben, was wir wollen. Wir haben kaum gesagt, was wir nicht wollen. Und diese Linie wollte ich gerne durchhalten. Es kommt hinzu: Wir haben ja mit der Union erreicht, dass es eine wechselseitige Koalitionsaussage gibt. Das, was die Union will, nämlich mit uns, haben wir auch gesagt, nämlich wir wollen mit ihr. Das hätte mir völlig gereicht, aber eine Mehrheit wollte mehr. Und ich kann Ihnen auch sagen: Ich will ja die Ampel auch nicht. Ich wollte mich halt nur nicht aufhalten mit all den Sachen, die wir nicht wollen."

    Sowohl Alexander Pokorny als auch Johannes Vogel entschieden sich dann allerdings auf dem Sonderparteitag für die Parteiräson und stimmten für den Wahlaufruf:

    "Es gab Diskussionen um taktische Finessen, wenn man so sagen will, aber inhaltlich und auch in der strategischen Ausrichtung, mit wem wir unser Programm glauben durchsetzen zu können bei dieser Wahl, gibt es kein Rumoren und keinen grundlegenden Dissens in der Partei, sondern die Geschlossenheit war real"," versicherte Johannes Vogel nach der Parteitagsabstimmung. Und damit gilt für die FDP nach den Worten Guido Westerwelles bis auf Weiteres:

    ""Erstmal geht es um die starke FDP! Darum geht es, weil die Große Koalition beendet werden muss und weil es keine Linksregierung geben darf. Deswegen setzen wir auf eine bürgerliche Mehrheit aus Union und FDP, aber mit einer starken FDP, meine sehr geehrten Damen und Herren!"

    Dafür fällt die Absage der Liberalen an eine Ampelkoalition, auf die SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier weiterhin hofft, umso schroffer aus. FDP-Generalsekretär Niebel:
    "Da lese ich heute in den Agenturen: Steinmeier bezweifelt Nein der FDP zur Ampel. Er will es uns einfach nicht glauben! Er beschimpft uns, solange er kann, als frisch der Hölle entsprungene neoliberale Großkapitalisten und will unbedingt mit uns regieren. Er muss es uns endlich glauben. Ich weigere mich strikt, es mir in die Arme zu ritzen: Wir werden nicht den Steigbügelhalter geben für Rot-Grün. Wir wollen eine andere Politik für Deutschland!"
    Das Plädoyer für Schwarz-Gelb und die Verdammung alles Roten in der Politik bedeutet für die FDP allerdings nicht zwangsläufig auch die völlige Ausgrenzung der Grünen. Obwohl diese eine sogenannte Jamaikakoalition mit der Union und den Liberalen sogar mit einem Parteitagsbeschluss ausgeschlossen haben, wollen sich die Freien Demokraten diese Option offenbar nicht völlig verbauen. FDP-Präsidiumsmitglied Sabine Leutheusser-Schnarrenberger:

    "Falls es nicht klappen sollte, wäre die FDP natürlich offen für Jamaika, aber im Moment sehe ich keine großen Perspektiven dahin. Die Grünen haben ja Jamaika für sich abgelehnt. Wir wären dafür offen. Das müsste man sehen."
    Tatsächlich – Jamaika, das ist das einzige, das die Grünen ausgeschlossen haben. Für alles andere stünden sie bereit; vor allem für das andere Dreier-Bündnis mit der FDP – die Ampel. Gelb und Grün kommen nur zusammen, wenn einer umfällt. Am Rande des Länderrats, des kleinen Parteitags der Grünen am vergangenen Wochenende, verbreitet Spitzenkandidat Jürgen Trittin seine Ahnungen, wer das sein wird: Nicht die Grünen.
    "Ich gehe mal davon aus, dass am Tag nach der Wahl es viele Diskussionen geben wird. Und dass das, was die FDP da beschlossen hat, dazu führt, dass sie ratzfatz in die Opposition läuft. Das wollen wir dann mal am Dienstag diskutieren."
    Auch die Grünen geben sich feierlaunig. Und auch sie wissen, was sie erreichen wollen bis Weihnachten – mit einem Sofortprogramm für den Fall ihrer Regierungsbeteiligung; mit wem auch immer.
    "Das ersetzt nicht die langfristige Umgestaltung. Aber es zeigt die ersten Schritte, in welche Richtung es gehen muss."
    Zum Beispiel bei Steuern und Sozialabgaben: Ähnlichkeiten zur FDP – nur in der Wortwahl – sind beabsichtigt:
    "Die Binnennachfrage stärkt man dadurch, dass man denjenigen, die gering verdienen, mehr Netto vom Brutto gibt. Das sind diejenigen, die mehr Netto vom Brutto haben sollen."
    Konkret heißt das: Der steuerliche Grundfreibetrag soll angehoben werden, der Spitzensteuersatz auf 45 Prozent erhöht. Dazu kommt eine einmalige Vermögensabgabe. Gleichzeitig sollen die Lohnnebenkosten bei niedrigen Einkommen sinken. Die Zielmarke für den Mindestlohn: Sieben Euro fünfzig.
    Dabei bemühen sich die Grünen, die teilweise durchaus ähnliche Teile der Gesellschaft ansprechen wie die FDP, auch bei deren Kernklientel zu punkten, so der Parteivorsitzende Cem Özdemir:

    "Es ist nicht mehr so wie früher, wo Du zur Wirtschaft gehst und Du unterhältst Dich über Dinge, wo die was sagen und wir sagen was anderes. Wir haben keine Steuersenkungen im Köcher. Aber wir sorgen dafür, dass jedes Kind in den besten Kindergärten, besten Schulen dieser Republik ausgebildet wird. Das hilft der deutschen Wirtschaft. Und nicht Steuersenkungen auf Pump, für die das Geld nicht da ist."
    Verbesserungen in der Bildungspolitik wollen die Grünen durch eine Umwidmung des Solidaritätszuschlages erreichen. Aber auch andere Vorstellungen für eine gesellschaftliche Umgestaltung betreffen die Wirtschaft:

    "Wir sorgen dafür, dass in den Aufsichtsräten der genetische Defekt von Männern, nämlich spekulieren zu müssen, ein Stück ausgeglichen wird. Wir führen sofort eine Fünfzig-Prozent-Quote für Frauen in den Aufsichtsräten ein."
    Auch mit ihren traditionellen Kernthemen liegen die Grünen quer nicht nur zur Union, sondern auch zur FDP: Kein Ausstieg aus dem Atomausstieg, keine Laufzeitverlängerungen, das soll unabweisbare Bedingung für jede Koalition sein.

    Klimaschädliche Kohlekraftwerke sollen durch eine Änderung des Emissionsschutzrechts nicht mehr gebaut werden können. Bei einem der Themen, die den Grünen besonders am Herzen liegen allerdings sind sie nah an der FDP: Bei den Bürgerrechten. Vorratsdaten, Internetsperre und heimliche Onlinedurchsuchung von Computern sollen sofort ausgesetzt werden, ein umfassendes Arbeitnehmerdatenschutzgesetz auf den Weg gebracht. Und auch auf eine neue Strategie für Afghanistan könnte man sich wahrscheinlich einigen.
    Trotzdem: Gesundheitspolitik, doppelte Staatsangehörigkeit – die Liste der Unvereinbarkeiten mit Schwarz-Gelb ist tatsächlich lang. Deshalb, so die Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidatin Renate Künast, stehen die Grünen zum Parteitagsbeschluss: Der Dampfer nach Jamaika wird nicht ablegen.

    "Sie sehen ja, dass CDU/CSU und FDP in zentralen Fragen ganz anderer Auffassung sind, als wir es sind. Ein solches Bündnis macht dann keinen Sinn, ist auch nicht geeignet dazu, grüne Kerninhalte umzusetzen."
    Was bleibt also? Rot-Grün, aber auch die Grünen selbst wollen daran nicht glauben. Rot-Rot-Grün? Tatsächlich hatte das ein Grüppchen von Delegierten einmal als Wunschvorstellung festzurren wollen, als Gegengewicht zur damals von den Spitzenkandidaten favorisierten Ampel. Einer der Mitinitiatoren war Thilo Hoppe:
    "Wir hätten so eine Wahlaussage, die die Wunschoption Rot-Rot-Grün noch deutlicher betont. Natürlich nicht um jeden Preis. Wir hätten dafür wahrscheinlich eine Mehrheit bekommen, aber keine große, vielleicht eine von 60 oder 65 Prozent. Das ist schwierig für eine Partei, nicht mit großer Geschlossenheit in einen Wahlkampf zu gehen. Aber es ist ja erreicht worden, dass wir ein rot-rot-grünes Bündnis, oder ich sag jetzt mal, ein rot-grün-rotes Bündnis nicht definitiv ausschließen."
    Das aber, das Bündnis ausschließen, tun SPD und Linke, zumindest im Moment. Bei den Grünen wurde die Diskussion nicht offen geführt. Viele Kommentatoren werfen der Partei das vor. Der Wähler wisse so nicht, was ihn erwartet, heißt es immer wieder und die Basis werde nicht mitgenommen. Wie sieht das die Basis selbst?

    Eine Wahlkampfveranstaltung der Grünen im Berliner Prenzlauer Berg, für eine andere Verkehrspolitik vor Ort. Probleme mit der fehlenden Diskussion hat hier niemand.

    Umfrage:
    "Diese ganze Ausschließerei führt ja zu nichts, außer dass man am Ende vielleicht das brechen muss, was man gesagt hat. Und da ist es doch ehrlicher zu sagen: Das, das und das wollen wir durchsetzen. Wenn das möglich ist, gehen wir in eine Regierung, wenn nicht, dann nicht."

    "Bevor der ganze Wahlkampf losging, wurde sehr viel diskutiert. Jetzt im Moment sind wir mittendrin, da sagen wir erst mal: Durch, und so viel wie möglich für Grün. Und dann werden wir sehen."
    Sollten die Grünen sich entscheiden müssen, dann allerdings wäre der Diskussionsbedarf groß. Das beginnt schon bei der Frage, wo die Grünen stehen. Sind sie links?

    Umfrage:
    "Für mich schon, aus meiner persönlichen Sicht. Das ist für mich auch der Grund, warum ich bei den Grünen mitmache. Ich hab zwischen die Linke und den Grünen geschwankt."

    "Die Grünen sind links, aber sie sind nicht Linke."

    "Mit diesem ganzen Spektrum Rechtslinks, da kommen wir nicht mit weiter. Wir müssen Probleme lösen."

    "Die Grünen sitzen irgendwo in der Mitte im Parteienspektrum."
    Das ist einer der Gründe, warum dann auch über Koalitionen wenig Einigkeit herrscht. Wie hält es die Partei etwa mit der Union? Die rechnerisch höchst unwahrscheinliche Variante Schwarz-Grün hat die Partei – anders als Jamaika – ja nie ausgeschlossen, auch wenn nicht oft darüber gesprochen wird.

    Umfrage:
    "Dann wär die Arbeit für mich momentan umsonst gewesen, weil ich momentan im Grunde aktiv bin, damit Schwarz nicht so groß bleibt, wie es ist in Deutschland."

    "Schwarz-Grün kann ich mir von den Inhalten einfach nicht vorstellen. Daran liegt es mal in erster Linie, insofern muss man da, glaube ich, gar nicht so groß drüber spekulieren."

    "Es gibt Strömungen in der Union: Da sind gute Köpfe drin. Was ich nicht nachvollziehen kann, ist, wie man Atomkraft so – wie man so was überhaupt - favorisieren kann."

    "Sowohl Rot-Rot-Grün als auch Jamaika ist für mich auf jeden Fall möglich. Selbst Jamaika ist möglich, weil die Grünen, wenn sie in diese Koalition gehen würden, ein starkes linkes, grünes Korrektiv wären."
    Ähnlich weit gehen die Meinungen zur Linkspartei auseinander. Die einen teilen ihre Inhalte nicht, andere, wohl die meisten, verstehen die Aufregung nicht und würden die Koalition begrüßen. Auch wenn die Partei heute öffentlich meist selbst unter "Die Grünen" statt "die Bündnisgrünen" firmiert, im Prenzlauer Berg gibt es sie noch: Bürgerrechtler aus dem Bündnis 90. Ihre Skepsis hat nichts mit einem Rechts-Links-Schema zu tun.

    Umfrage:
    "Ich sage mal: Zwanzig Jahre nach der friedlichen Revolution ist auch bei der Linkspartei vieles nicht aufgearbeitet worden. Und eh das nicht passiert ist, auch ehrlicherweise, habe ich ein Problem."

    "Ich bin siebzig Jahre. Ich habe vierzig Jahre gelebt in diesem alten Regime. Und so Mentalitäten verändern sich nicht allzu schnell. "
    Schwarz-Grün, Rot-Rot-Grün, für Eines wäre gesorgt: Die Partei würde tatsächlich diskutieren, denn:

    Umfrage:
    "Das ist bei den Grünen ja alles basisdemokratisch. Wenn eine Koalition gebildet wird, dann muss ein Parteitag, eine Bundesdelegiertenkonferenz das entscheiden. Das heißt: Wenn so was passiert, dann wird da die Partei auch mitgenommen. Und insofern mach ich mir da gar keine Sorgen."
    Was würde also passieren, wenn die Partei Farbe bekennen müsste? Thilo Hoppe glaubt nicht, dass das Brüche und Aufruhr zur Folge hätte:

    "Sollte es gelingen, in dem einen oder anderen Bündnis wirklich eine Politik zu gestalten, die sozialer, solidarischer und ökologischer ist als das, was momentan die Große Koalition liefert, ich glaub, lässt sich eine Mehrheit herstellen und es würde auch nicht zu Massenaustritten kommen. Dass der eine oder andere uns den Rücken kehren würde, wäre nicht auszuschließen. Dafür würden wir vielleicht auch neue Mitglieder und Sympathisanten gewinnen."
    Derzeit aber stellt sich ohnehin die Frage eher nicht. Auf dem kleinen Parteitag übte sich die Mehrheit der Parteigranden zwar in Regierungsrethorik, allen voran Renate Künast mit vielen Äußerungen wie dieser:

    "Ich weiß eines auch: Beim Regieren darf man die SPD nie alleine lassen, weil sie es nicht können."
    Nur, wie das gehen kann, sagt auch Künast nicht. Ob der Wähler, der auch rechnen kann, nicht eher motiviert würde, seine Stimme den Grünen zu geben, wenn sie ihm Wert und Nutzen einer starken Opposition erklärten? Das verbietet sich, sagte Künast. Sie stellt – ähnlich wie Jürgen Trittin, ähnlich wie Cem Özdemir den Wahlkampf voll auf das Ziel ab: Grüne an die Macht!

    Erst viele Stunden später, am Nachmittag, widersprach Claudia Roth:

    "Auch in einer Opposition im Zweifelsfall braucht es starke Grüne, weil Opposition ist wichtig in einer Demokratie. Und da ist es wichtig, dass wir dann vorne dran sind, wenn eine solche Situation eintreten würde. Also: Es braucht immer starke Grüne!"
    Am Prenzlauer Berg klingt das teilweise noch anders. Opposition wäre auch gut, sagen die meisten. Einer geht noch weiter:

    Umfrage:
    "Wir wollen die stärkste Oppositionspartei werden. Dafür kämpfen wir. Und wir haben leidvoll erfahren, wie es war in der letzten Legislatur. Das war nicht so fein mit Herrn Schröder. Koch und Kellner! So ein Verhältnis werden wir mit keiner Regierung mehr eingehen."
    Und so zieht die Grüne Basis durch den Prenzlauer Berg, mit Sambagruppe und einer Seifenkisten-Straßenbahn für eine neue Verkehrspolitik. Zwei Radler strampeln, um sie voranzubringen. Ob es nun zwei oder drei sind, die die neue Regierung bewegen, warten auch die Grünen ab.